Während in den USA der Vorwahlkampf tobt und amerikanische Ratingagenturen reihenweise Euro-Staaten herabstufen, erscheint hierzulande ein Buch, auf dessen Cover ein zerfetztes Sternenbanner traurig am Mast hängt. "Der amerikanische Patient" heißt Josef Bramls Analyse der desolaten Wirtschaftslage im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Amerika ist also krank, braucht dringend Hilfe. Im Untertitel spricht Braml gar von einem drohenden Kollaps. Doch welcher Arzt kann diesem Patienten helfen, der vermutlich über keine ausreichende Krankenversicherung verfügt? Josef Braml:
"Das wäre die Politik, aber die Politik ist selbst aus mehreren Gründen handlungsunfähig. Die amerikanische Politik hat sehr viel dereguliert. Dem Markt freie Hand gelassen. Dazu wurden dann auch noch Interessengruppen eingeladen, ihren Einfluss wirken zu lassen. Und das hat dazu geführt, dass eine wirtschaftliche Situation entstanden ist, die nicht tragbar ist. Amerika hat die letzten 20 bis 30 Jahre über seine Verhältnisse gelebt, das kann Amerika korrigieren, Amerika kann eine Chance aus dieser Krise sehen, aber diese Chance muss auch genutzt werden."
Um diese Chance nutzen zu können, muss man den Patienten auf Herz und Nieren prüfen, ihn von oben bis unten durchchecken, den Finger auf die Wunden legen. Genau das tut Dr. Josef Braml in seinem Buch und diagnostiziert Gleichgewichts – und Herzrhythmussstörungen, mentale Blockaden, Antriebsschwächen und vieles mehr. Dabei erscheinen die USA im öffentlichen Bewusstsein immer noch als strahlende Weltmacht, die dem internationalen Terrorismus erfolgreich Paroli bietet, im Nahen Osten militärische Präsenz zeigt und den krisengeschüttelten Europäern die Leviten liest.
"Ich bewundere manchmal schon diese Selbstdarstellung, diesen Pragmatismus, wenn wir es mal so nennen wollen. Dass eben der Staat jetzt eingreifen muss, um die Fehler vieler Finanzdienstleister zu korrigieren, das ist Sozialismus auf hohem Niveau. Das wird aber ganz gut verkauft. Jetzt werden wir an den Pranger gestellt, weil wir das machen, was Amerika vorher selber gepredigt hat: zu sparen und hier unsere Haushalte in Ordnung zu bringen."
In seinem Buch zeigt Josef Braml die Konsequenzen dieser Kehrtwende, die mit der Umwandlung der amerikanischen Gesellschaft von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft einhergeht, in der vor allem die Finanzdienstleister den Ton angeben. Die Folgen sind bekannt. Erschwerend hinzu kommt ein akuter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit. Da das soziale Netz in den USA recht grobmaschig geknüpft ist, ist der Verlust des Arbeitsplatzes meist gleichbedeutend mit Armut. Von dieser Armut sind vor allem Einwanderer aus Lateinamerika sowie Afro-Amerikaner betroffen. Diese Bevölkerungsschichten sind es auch, die am meisten unter den Folgen des desolaten amerikanischen Bildungssystems leiden, erklärt Josef Braml.
"Wenn man diesen Menschen keine Chance gibt, keine Ausbildung gewährt, dann wird das zum Problem. Diese Menschen können keine Jobs erlangen und können dann eben auch nicht konsumieren. Das ist ein Riesenproblem. Wer sich die heutigen Sozialstatistiken ansieht, sieht deutlich, dass ein Drittel der Latinos unterhalb der Armutsgrenze lebt, dass sie teilweise ihre Kinder nicht mehr ernähren können. Das ist nicht nur ein moralisches Problem, sondern auch wirtschaftliches Problem."
Die amerikanische Wirtschaft wird zu zwei Dritteln durch den Privatkonsum im eigenen Land angetrieben. Bei schwindender Kaufkraft sinkt also das Wirtschaftswachstum. Die US-Notenbank reagiert mit dem Ankauf von Staatsanleihen, was für Josef Braml nichts anderes bedeutet als das Anwerfen der Gelddruckmaschine. Er plädiert für einen Ausbau der Industrieproduktion bei gleichzeitiger Ölentzugskur. Denn Amerika ist wie kaum ein anderes Land abhängig von den Ölquellen der OPEC-Staaten und damit von deren Preispolitik.
Ein Energiewandel wäre für die USA also auch wirtschaftlich interessant und könnte zudem neue transatlantische Kooperationsfelder mit Deutschland und Europa eröffnen. Josef Braml weist zu Recht darauf hin, dass ökonomische Argumente in jedem Fall schlagkräftiger sind, als das Appellieren an das ökologische Bewusstsein der angeschlagenen Großmacht. Ob die richtigen Weichen gestellt werden, damit die Lokomotive Amerika wieder an Fahrt gewinnt, darüber werden auch die kommenden Präsidentschaftswahlen entscheiden, meint Josef Braml.
"Entscheidender als die Frage, wer jetzt der nächste Präsident der USA werden wird und wie der nächste Kongress aussehen wird, ist die Frage, ob diese wirtschaftliche Entwicklung behoben werden kann. Sollte eine Ideologie des freien Marktes weiterhin vorherrschen in der Politik, dann werden diese Probleme noch verstärkt. Selbst wenn die Politik ihre genuinen Aufgaben wahrnehmen sollte, hier Marktversagen zu beheben, dann geht das nur sehr langsam."
Josef Braml ist ein ausgewiesener Kenner der amerikanischen Verhältnisse und ein nüchterner Analytiker politischer Entwicklungen – manchmal vielleicht ein wenig zu nüchtern. Etwas mehr stilistische Verve hätte dem Buch gewiss gut getan. Konkrete Hintergrundberichte, etwa über die gegenwärtige Stimmung unter den Latinos oder Afroamerikanern, dem Hauptwählerpotenzial Barack Obamas, wären in jedem Fall eindrucksvoller gewesen als Zahlen, Fakten und Fußnoten, von denen es bei Braml reichlich gibt. Auch mit eigenen Erfahrungen als Berater im US-Abgeordnetenhaus hält sich der Politologe zurück. Das ist schade. Dennoch ist sein Buch als kritischer Blick über den Atlantik vor dem Hintergrund der Eurokrise und der US-Wahlen durchaus empfehlenswert.
Josef Braml: Der amerikanische Patient: Was der drohende Kollaps der USA für die Welt bedeutet.
Siedler Verlag, 224 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-886-80998-1
"Das wäre die Politik, aber die Politik ist selbst aus mehreren Gründen handlungsunfähig. Die amerikanische Politik hat sehr viel dereguliert. Dem Markt freie Hand gelassen. Dazu wurden dann auch noch Interessengruppen eingeladen, ihren Einfluss wirken zu lassen. Und das hat dazu geführt, dass eine wirtschaftliche Situation entstanden ist, die nicht tragbar ist. Amerika hat die letzten 20 bis 30 Jahre über seine Verhältnisse gelebt, das kann Amerika korrigieren, Amerika kann eine Chance aus dieser Krise sehen, aber diese Chance muss auch genutzt werden."
Um diese Chance nutzen zu können, muss man den Patienten auf Herz und Nieren prüfen, ihn von oben bis unten durchchecken, den Finger auf die Wunden legen. Genau das tut Dr. Josef Braml in seinem Buch und diagnostiziert Gleichgewichts – und Herzrhythmussstörungen, mentale Blockaden, Antriebsschwächen und vieles mehr. Dabei erscheinen die USA im öffentlichen Bewusstsein immer noch als strahlende Weltmacht, die dem internationalen Terrorismus erfolgreich Paroli bietet, im Nahen Osten militärische Präsenz zeigt und den krisengeschüttelten Europäern die Leviten liest.
"Ich bewundere manchmal schon diese Selbstdarstellung, diesen Pragmatismus, wenn wir es mal so nennen wollen. Dass eben der Staat jetzt eingreifen muss, um die Fehler vieler Finanzdienstleister zu korrigieren, das ist Sozialismus auf hohem Niveau. Das wird aber ganz gut verkauft. Jetzt werden wir an den Pranger gestellt, weil wir das machen, was Amerika vorher selber gepredigt hat: zu sparen und hier unsere Haushalte in Ordnung zu bringen."
In seinem Buch zeigt Josef Braml die Konsequenzen dieser Kehrtwende, die mit der Umwandlung der amerikanischen Gesellschaft von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft einhergeht, in der vor allem die Finanzdienstleister den Ton angeben. Die Folgen sind bekannt. Erschwerend hinzu kommt ein akuter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit. Da das soziale Netz in den USA recht grobmaschig geknüpft ist, ist der Verlust des Arbeitsplatzes meist gleichbedeutend mit Armut. Von dieser Armut sind vor allem Einwanderer aus Lateinamerika sowie Afro-Amerikaner betroffen. Diese Bevölkerungsschichten sind es auch, die am meisten unter den Folgen des desolaten amerikanischen Bildungssystems leiden, erklärt Josef Braml.
"Wenn man diesen Menschen keine Chance gibt, keine Ausbildung gewährt, dann wird das zum Problem. Diese Menschen können keine Jobs erlangen und können dann eben auch nicht konsumieren. Das ist ein Riesenproblem. Wer sich die heutigen Sozialstatistiken ansieht, sieht deutlich, dass ein Drittel der Latinos unterhalb der Armutsgrenze lebt, dass sie teilweise ihre Kinder nicht mehr ernähren können. Das ist nicht nur ein moralisches Problem, sondern auch wirtschaftliches Problem."
Die amerikanische Wirtschaft wird zu zwei Dritteln durch den Privatkonsum im eigenen Land angetrieben. Bei schwindender Kaufkraft sinkt also das Wirtschaftswachstum. Die US-Notenbank reagiert mit dem Ankauf von Staatsanleihen, was für Josef Braml nichts anderes bedeutet als das Anwerfen der Gelddruckmaschine. Er plädiert für einen Ausbau der Industrieproduktion bei gleichzeitiger Ölentzugskur. Denn Amerika ist wie kaum ein anderes Land abhängig von den Ölquellen der OPEC-Staaten und damit von deren Preispolitik.
Ein Energiewandel wäre für die USA also auch wirtschaftlich interessant und könnte zudem neue transatlantische Kooperationsfelder mit Deutschland und Europa eröffnen. Josef Braml weist zu Recht darauf hin, dass ökonomische Argumente in jedem Fall schlagkräftiger sind, als das Appellieren an das ökologische Bewusstsein der angeschlagenen Großmacht. Ob die richtigen Weichen gestellt werden, damit die Lokomotive Amerika wieder an Fahrt gewinnt, darüber werden auch die kommenden Präsidentschaftswahlen entscheiden, meint Josef Braml.
"Entscheidender als die Frage, wer jetzt der nächste Präsident der USA werden wird und wie der nächste Kongress aussehen wird, ist die Frage, ob diese wirtschaftliche Entwicklung behoben werden kann. Sollte eine Ideologie des freien Marktes weiterhin vorherrschen in der Politik, dann werden diese Probleme noch verstärkt. Selbst wenn die Politik ihre genuinen Aufgaben wahrnehmen sollte, hier Marktversagen zu beheben, dann geht das nur sehr langsam."
Josef Braml ist ein ausgewiesener Kenner der amerikanischen Verhältnisse und ein nüchterner Analytiker politischer Entwicklungen – manchmal vielleicht ein wenig zu nüchtern. Etwas mehr stilistische Verve hätte dem Buch gewiss gut getan. Konkrete Hintergrundberichte, etwa über die gegenwärtige Stimmung unter den Latinos oder Afroamerikanern, dem Hauptwählerpotenzial Barack Obamas, wären in jedem Fall eindrucksvoller gewesen als Zahlen, Fakten und Fußnoten, von denen es bei Braml reichlich gibt. Auch mit eigenen Erfahrungen als Berater im US-Abgeordnetenhaus hält sich der Politologe zurück. Das ist schade. Dennoch ist sein Buch als kritischer Blick über den Atlantik vor dem Hintergrund der Eurokrise und der US-Wahlen durchaus empfehlenswert.
Josef Braml: Der amerikanische Patient: Was der drohende Kollaps der USA für die Welt bedeutet.
Siedler Verlag, 224 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-886-80998-1