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Ein Jahr Kriegsberichterstattung aus der Ukraine
„Alles andere ist verschwendete Sendezeit“

Am 24. Februar 2022 hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Seitdem wollen Medien angemessen berichten. Aber gelingt das? Ein Blick auf ein Jahr Krieg zwischen Gewöhnung an Horrornachrichten und Wunsch nach anderen Akzenten.

Von Michael Borgers |
    Ein zerstörter russischer Panzer in der Ukraine - Bild eines Pressefotografen
    Ein zerstörter russischer Panzer in der Ukraine - Bild eines Pressefotografen (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Francisco Seco)
    Sie fühle gar nichts, antwortet Rebecca Barth auf die Frage, wie sie auf das Jahr des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zurückschaut. Vor einem Jahr hat sie zum ersten Mal im Dlf-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ über ihre Arbeit berichtet. Seitdem habe sie eine Zeit hinter sich, die „ständiger Horror“ und „ständige Wiederholung von Brutalität und Gewalt“ auszeichnen würden, so die Journalistin. Seit einem Jahr beschäftige sich nun mit diesem Krieg und sei deshalb wahrscheinlich „etwas abgestumpft“.
    Sie habe mit unzähligen Menschen gesprochen, die gefoltert worden seien, so Barth. „Ich spreche mit Soldaten, die mir erzählen, wie sie in den Schützengräben in der Ostukraine sitzen. Wie ihre Kameraden getötet werden, wie sie übers freie Feld versuchen, verletzte Kameraden zu retten und es manchmal nicht schaffen.“
    Beim ersten Mal sei das beeindruckend, und auch noch beim zweiten und dritten Mal. „Aber irgendwann, wenn ich mit der zehnten Person sprechen, deren Haus zerstört wurde – diese Geschichten wiederholen sich. Und dann hat es dadurch keinen Nachrichtenwert mehr.“
    Barth, die für die Sender des Deutschlandradios und der ARD aus der Ukraine berichtet, spricht von einem Gewöhnungseffekt, den sie auch bei anderen beobachte. In der Ukraine herrsche eine „Gleichzeitigkeit von Horror und Alltag“, doch nur durch diesen Gewöhnungseffekt könne sie diese Situation auch durchstehen.
    Als Journalistin sei es ihre Aufgabe, nicht emotional zu werden, wenn sie etwa mit Folteropfern spreche. „Auch, weil ich diesen Menschen Sicherheit geben muss. Ich muss die Situation kontrollieren.“ Es gehe um professionelle Distanz.

    Dlf-Redakteur Grieß: Wann ist ein Thema noch interessant?

    Thielko Grieß hat als Korrespondent in Moskau gearbeitet, von wo aus er auch für die Ukraine zuständig war; heute begleitet er im Deutschlandfunk den Krieg in der Ukraine eng und koordiniert die Berichterstattung des internen Ukraine-Teams. Auch Grieß spricht in „Nach Redaktionsschluss“ nun zum zweiten Mal über seine Erfahrungen .
    Sein Eindruck heute: Dem deutschen Publikum lasse sich der Horror dieses Krieges nur schwer vermitteln. Hinzu käme die Denkweise einer tagesaktuell arbeitenden Redaktion, die sich frage: „Wann ist ein Thema noch interessant? Wie schnell nutzt es sich ab oder was ist noch neu?“
    Weitere Attacken auf zivile Ziele in der Ukraine beispielsweise erzeugten nicht mehr die Schockwellen wie noch beim ersten Angriff. „Und das ist eine Gewöhnung, die stattfindet, in Deutschland und auch großflächig“, stellt Grieß fest.

    Kommunikationwissenschaftler Maurer: Aufmerksamkeitswellen

    Berichterstattung über bestimmte Themen finde häufig in Wellen statt, erklärt der Kommunikationwissenschaftler Marcus Maurer von der Universität Mainz, wo er mit seinen Studierenden die ersten Monate der Kriegsberichterstattung in deutschen Medien untersucht. Im Fall der Ukraine habe es allerdings keine Wellen gegeben, sondern eine Berichterstattung, die „von Woche zu Woche kontinuierlich weniger geworden“ sei.
    „Wenn nichts substanziell Neues passiert, ist das für Journalistinnen und Journalisten möglicherweise nicht mehr so interessant. Und das ist dann auch für die Bevölkerung möglicherweise nicht mehr so interessant“, so Maurer.
    Stattdessen habe eine thematische Verlagerung stattgefunden hin zu Problemen, die in Folge des Kriegs in Deutschland entstanden seien, wie die Debatte um Waffenlieferungen oder Fragen der Energieversorgung.

    Korrespondentin Barth: Auf Details achten

    Die Entwicklung weg von der Ukraine hin zu innerdeutschen Debatten findet Rebecca Barth zum Teil problematisch. Wenn über immer neue Offene Briefe und ähnliche Verfasser mit ihrem Ruf nach Friedensverhandlungen diskutiert werde, mache der Journalismus nicht seine Arbeit, findet die Journalistin.
    Denn so entstehe der Eindruck, dass es eine Möglichkeit gebe, zu verhandeln. „Aber das ist nicht so. Und damit verschwenden wir Zeit. Wir könnten diese Sendezeit gut dafür benutzen, zu berichten, was hier in der Ukraine passiert.“
    So finde auch jetzt wieder, wie schon nach der Annexion der Krim 2014, eine systematische Zerstörung der ukrainischen Kultur statt, so Barth. „Es ist wichtig, dass wir auf Details achten.“ Dazu gehöre auch Kritik an der ukrainischen Politik und Gesellschaft, wo etwa die Zahl der im Krieg getöteten Menschen in einer Art Selbstzensur verschwiegen würde.
    „Dafür haben wir aber keine Zeit, wenn der Diskurs häufig an der Oberfläche kratzt“, betont sie.  Und über Friedensverhandlungen sollten Medien mit Menschen sprechen, die sich mit der Situation vor Ort auskennen – und nicht mit Verfassern Offener Briefe, die weit weg seien. „Alles andere ist verschwendete Sendezeit“, so Barth.