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Der Krieg im Schafspelz

Moskau, 23. Oktober 2002, 22:05 Uhr. In einem Theater an der Melnikowa Straße beginnt der zweite Akt des Musicals Nord-Ost. Mascha Schorschtwowa – eine kleine schmale Frau – spielt eine der beiden Hauptrollen. Sie will gerade auf die Bühne gehen – wenige Minuten verspätet, weil ihr Kleid noch nicht fertig gebügelt war – als sie Unruhe bemerkt: Fremde Männer und Frauen stehen inmitten der Kulissen, Schauspieler laufen irritiert hin und her, die Musik setzt aus: Die Fremden gehören nicht zum Ensemble, sie sind tschetschenische Terroristen.

Mirko Smiljanic |
    Mascha Schorschtwowa rennt in Panik zurück zum Schminkraum und flüchtet mit Kolleginnen durch das Fenster auf den Hof. Nur wenige Minuten später sperrt die Polizei das Theater großräumig ab. Journalisten registrieren erste Gerüchte: Dass es 40 Terroristen sein sollen – viele Frauen; dass sie mit Maschinenpistolen und Sprengstoff bewaffnet sind; dass Mowsar Barajew Chef des Kommandos ist, Neffe des legendären tschetschenischen Terroristen Abi Barajew, den russische Spezialeinheiten 1998 töteten; dass 700 Theatergäste Geiseln sind; und dass Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew die Anti-Terrorgruppe Alpha in Alarmbereitschaft versetzt hat.

    Zuerst möchte ich folgendes sagen: Die Operation zur Geiselbefreiung war eine absolut richtige Entscheidung der Leiter der Operation. Das war das erste Beispiel eines großangelegten Einsatzes von Nicht-letalen Wirkmitteln. Das war eine einmalige und Achtung verdienende Aktion der Geheimdienste ungeachtet der aufgetretenen Verluste. Meiner Ansicht nach wären die Folgen nicht nur für Russland, sondern auch für viele andere Länder in dem Fall katastrophal gewesen, wenn keine politische und professionelle Entscheidung getroffen worden wäre.

    Victor Selivanov ist Professor für Physik an der Moskauer Baumann-Universität und er ist Mitglied der Europäischen Arbeitsgruppe Nicht-letale Waffen – einer informellen Expertengruppen aus Wissenschaftlern, Militärs und Mitarbeitern wehrtechnischer Firmen. Die Grundidee Nicht-tödlicher Waffen – allgemeiner: Nicht-tödlicher Wirkmittel – ist ebenso einfach wie politisch notwendig. Soldaten müssen zunehmend Konflikte lösen, für die sie nicht ausgerüstet sind: Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, zwischen totalitären Machthabern und der Bevölkerung, oder sie müssen Geiseln befreien – wie im Moskauer Musical-Theater. Bisher hatten sie nur zwei Optionen - entweder ohnmächtig zuschauen oder mit Waffengewalt einschreiten. In beiden Fällen konnte eine falsche Entscheidung dramatische Konsequenzen nach sich ziehen, vor allem durch unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung. Erschwerend kommt der CNN-Faktor hinzu: Das Image kriegführender Parteien wird in Zeiten totaler Öffentlichkeit immer wichtiger. Militärs suchen deshalb einen dritten Weg – sie suchen nach Nicht-tödlichen Waffen.

    Die Idealvorstellung einer Nicht-letalen Waffe ist eigentlich, die Situation momentan einzufrieren, so, als würde ich einen Film anhalten, und ich bin dann in der Lage, in dieser eingefrorenen Situation, die Guten und die Schlechten voneinander zu sortieren und die Schlechten erst einmal dingfest zu machen. Wir haben ja vor allen Dingen solche Situationen als Risikosituationen, wo sich wie in Mogadischu damals Scharfschützen hinter Müttern mit Kindern auf dem Arm verschanzen und aus dieser Menge heraus schießen, und man kann wenn man sich zur Wehr setzen will oder wenn man die Situation unter Kontrolle bringen will in der Phase nichts unternehmen, denn CNN steht irgendwo dabei und man kann – und würde es auch nicht – auf die Mütter und Kinder schießen, aber man ist nicht in der Lage, gegen die eigentlichen Heckenschützen vorzugehen. Und die Idealvorstellung vieler dieser Nicht-letaler Waffen ist es, dass man hier gemeinsam so zusagen die unschuldigen Opfer und die Angreifer stilllegt und dann die Unschuldigen von den Aggressoren auseinander sortiert. Das ist letztlich die Zielvorstellung oder die Vision für viele dieser Waffenentwicklungen,...

    ...erläutert Dr. Karl-Friedrich Ziegahn vom Fraunhofer Institut für Chemische Technologie in Pfinztal. Die Palette Nicht-letaler Wirkmittel ist breit: Gummiknüppel sind NLW – so das gängige Kürzel – aber auch Pfefferspray und Tränengas, Blendlaser, infernalisch stinkende Chemikalien, automatische Sperren, klebrige Netze, Wuchtgeschosse aus Gummi, Elektroschock-Pistolen, Nebelwerfer, extrem korrosive Säuren, hochenergetische Mikrowellen, schnellhärtende Schäume, Infrapulse bis hin zur psychologischen Kriegsführung und dem Information Warfare, bei dem Informationen des Gegners verfälscht werden. Nur ein kleiner Teil dieser mitunter auch bizarren Wirkmittel schafft es allerdings jemals bis zum praktischen Einsatz. Gute Aussichten genießen zur Zeit vier Gruppen: Infrapulse, Laserstrahlen, Elektroschocker und Mikrowellen.

    Unterlüß bei Uelzen, am südlichen Rand der Lüneburger Heide. Ein heißer, schwüler Tag. Gerd Wollmann – beim Rüstungskonzern Rheinmetall für die Entwicklung Nicht-letaler Wirkmittel zuständig – lenkt den Wagen durch eine typische Heidelandschaft: Buschwerk, Birken, Nadelhölzer, aufgelockert von Wiesen voller Erika. Hochstände signalisieren reichen Tierbestand: Drei Förster beschäftigt die Firma Rheinmetall. Das ist auch nötig, denn das Areal misst immerhin 50 Quadratkilometer und ist damit Deutschlands größtes Waffentest-Gelände in Privatbesitz.

    Wir fahren jetzt auf die Anlage zu, wir können hier sehen eine 2.500 Meter entfernte Kugelfangvorrichtung oder Geschossfangvorrichtung, wir sehen, wie sich hier der Wald öffnet in eine freie Fläche hinein in die wir jetzt hinein fahren, wir sehen einige kleine Gebäude und einige Fahrzeuge stehen da, wo der Testaufbau für unsere Hochleistungs-Mikrowellenanlage gerade aufgebaut wurde, die Techniker, die wir dort sehen, sind gerade damit beschäftigt, diesen Versuch vorzubereiten.

    Hochenergetische Mikrowellen lassen sich mit zweifachem Ziel als Nicht-letales Wirkmittel nutzen: Entweder werden sie gegen Menschen eingesetzt oder gegen elektronische Systeme – Computer etwa, Radaranlagen oder Kommandozentralen. Mikrowellenwaffen gegen Menschen entwickeln zur Zeit ausschließlich amerikanische Wissenschaftler, deutsche Forscher beschäftigen sich mit Mikrowellen gegen elektronische Komponenten. Spezielle Antennen strahlen dabei nur wenige Nanosekunden dauernde Mikrowellenpulse aus, die mit 300 Millionen bis zwei Milliarden Watt aber eine sehr hohe Energie transportieren. Grundsätzlich unterscheiden Fachleute dabei zwei Wirkungen.

    Die eine Wirkmöglichkeit ist, dass Sie die elektronischen Komponenten erhitzen bis es zu Schäden kommt, das ist die eine Möglichkeit, die wir hier allerdings nicht verfolgen. Wir benutzen hier nicht dauerstrahlende Mikrowellen sondern gepulste Mikrowellenstrahlung, die nicht so sehr zum Erhitzen der Elektronik führt, sondern Ströme und Spannungen auf den Leitungen induziert durch gepulste Wirkung, die dann zur Zerstörung der Integrierten Schaltungen führt.

    Möglich ist aber auch ein schlichtes "Umswitchen" digitaler Informationen. Der mit 1- und 0-Signalen gefütterte digitale Speicher hat dann 0- und 1-Signale: Datenverlust, wenn nicht totaler Ausfall der Anlage sind die Folge. Die Idee, elektronische Steuerungen lahmzulegen, ist übrigens nicht neu: Schon in den 70er Jahren diskutierten Militärexperten den Einsatz so genannter NEMP – Nuclear Electromagnetic Pulse: In der Stratosphäre gezündete Atombomben senden elektromagnetische Strahlen auf die Erde und machen großflächig jeder Telefonanlage, jedem Computer und jedem Kraftwerk den Garaus. Abgesehen von der verheerenden Wirkung einer Atombombe, wirken NEMP aber zu großflächig. Genau dimensionierte und präzise gerichtete Einsätze sind gefragt.

    Also, momentan im Versuch werden wir erst über einige zehn Meter reden, angedacht ist eine solche Anlage dann auf Wirkungen von einigen hundert Metern. Wenn wir in Richtung militärische Anwendung denken, dann ist eine solche Anlage gedacht für urbanen Einsatz, für einen Kampf in der Stadt, und dort treten eben typischerweise solche Entfernungen von einigen hundert Metern auf.

    Je nach Einsatzszenario lassen sich unterschiedliche Mikrowellensender nutzen: Entweder er hat eine Richtcharakteristik, kann also gezielt ein Haus oder Auto bestrahlen; oder aber er strahlt in alle Richtungen. Der Sender kann auf Fahrzeugen installiert werden oder aber Soldaten tragen ihn schlicht im Koffer zum Einsatzort.
    Dr. Christian Klee, Geschäftsführer "Forschung und Entwicklung" der Diehl Munitionssysteme GmbH in Röthenbach.

    Das ist ein Koffer, und in diesem Koffer sind eine Batterie, ein Hochspannungsgenerator und ein Resonator, und den kann man irgendwo hinstellen und dann auch ferngesteuert einschalten und dann kann der dort wo er ist, diese Strahlung aussenden und wenn er in einem Haus steht und Sie haben dort Kommunikationssysteme oder Rechnersysteme, dann werden die sich schwer tun weiterzuarbeiten, dann werden die gestört oder teilweise zerstört.

    Der Koffer hat einen Wirkungsradius von etwa 50 Metern, für ungeschützte zivile Elektronik reichen 20 kV pro Meter, für geschützte militärische Anlagen müssen es schon 100 kV pro Meter sein. Beim Mikrowellenkoffer werden die Soldaten selbstredend mitbestrahlt, erleiden aber – sagt Christian Klee – keine Schäden, weil die Pulse mit wenigen Milliardstel Sekunden zu kurz sind; außerdem reiche schon ein Abstand von wenigen Metern zum Koffer, um die Energie unter eine für Menschen kritische Grenze zu drücken. Wissenschaftlich in allen Einzelheiten bewiesen sind diese Aussagen aber noch nicht. Allerdings gibt es unter den Mitgliedern der Europäischen Arbeitsgruppe Nicht-letale Waffen ohnehin keine einheitliche Meinung, was "Nicht-tödlich" den nun genau bedeutet. Professor Victor Selivanov von der Moskauer Baumann-Universität sieht das so.

    Wenn man schon in der Bezeichnung des zu erörternden Problems das Wort "Waffe" belässt, so würde ich den Begriff "weniger letale Waffe" bevorzugen. Lassen Sie uns der Wahrheit in die Augen sehen. In der langen Liste der in der Welt zu entwickelnden und bereits vorhandenen Nicht-letalen Waffen gibt es Mittel, die unter bestimmten Bedingungen der Gesundheit des Menschen einen irreversiblen Schaden zufügen können. Die Grenze zwischen konventionellen und Nicht-letalen Waffen ist eine sehr schmale, und ihre Verschiebung in eine günstige oder in eine ungünstige Richtung, hängt von sehr vielen Faktoren sowohl objektiver als auch subjektiver Art ab.

    Nicht Non-leathal Weapons sondern Less-leathal Weapons – Weniger tödliche Waffen. Das klingt zynisch, entspricht aber der Realität: Eine Waffe, die garantiert nicht tötet, wirkt auch nicht.

    Moskau, 24. Oktober 2002, 19:45 Uhr. Mittlerweile haben die Terroristen etwa 100 Geiseln frei gelassen: Kinder, Moslems, alte Menschen, einige konnten fliehen. Gegen 18:00 Uhr wurde eine tote Frau aus dem Theater getragen. Noch weiß niemand, ob sie das erste Opfer des Kommandos ist: Mowsar Barajew verlangt Verhandlungen über die politische Zukunft Tschetscheniens, wird die Forderung nicht erfüllt, droht er die Geiseln zu erschießen.

    Eine Mutter bangt um ihre 23jährige Tochter, die sich vor kurzem noch mit dem Handy aus dem Theater gemeldet hat. Dramatische Szenen spielen sich im nasskalten Moskauer Oktober ab.

    "Nicht das Theater stürmen", rufen Demonstranten, und auf Plakaten appellieren Angehörige der Geiseln an Präsident Putin: "Schluss mit dem Krieg in Tschetschenien". Alle wissen: Wenn die Elitesoldaten das Theater stürmen, sterben viele hundert Menschen.

    Unterlüß bei Celle, Waffen-Erprobungsgelände der Rheinmetall AG. Neben Mikrowellen testen Ingenieure hier noch andere Nicht-letale Waffen: Eine trägt den Arbeitstitel Plasma-Taser und ist vereinfacht gesagt eine Elektroschock-Pistole. Grundsätzlich geht es darum, Angreifer auf kurzen Distanzen mit einem elektrischen Schlag kampfunfähig zu machen. In den USA wurde eine vergleichbare Waffe schon entwickelt – die M 26 beziehungsweise das digital kontrollierte Folgemodell X 26. Beides sind Druckpistolen, die über zwei dünne Drähte 50.000 Volt in den Körper eines Angreifers leiten. Diese Taser haben nach Meinung von Gerd Wollmann aber entscheidende Mängel.

    Das Verschießen dieser Drähte hat doch zu einigen Verletzungen geführt – stellen Sie sich vor, die Drähte verhaken sich in der Halsschlagader zum Beispiel und nicht in der Kleidung – dann haben Sie durchaus ein Gefährdungspotential. Wir wollen diese Drähte ersetzen durch den Ausstoß von leitenden Fasern, diese leitenden Fasern sind ungefährlich gegen das menschliche Auge und können sich natürlich nicht irgendwie verletzend am Körper fest haken und wir wollen über diese leitenden Fasern diesen Stromstoß schicken

    Der Plasma-Taser von Rheinmetall sieht aus wie eine großkalibrige Pistole, er hat eine Energieversorgung und eine Kartusche mit den leitenden Fasern. Welche dies endgültig sein werden, ist noch nicht entschieden.

    Das können Sie über Kohlenstoff machen – Kohlenstoff ist ein sehr guter Leiter – Sie können aber auch Aluminium nutzen, Aluminium ist auch ein guter Leiter, da wir uns zur noch im Bereich der Entwicklung befinden, haben wir uns hier noch nicht fest gelegt.

    Die Wolke muss man sich als aufgefächerten Strahl aus vielen kleinen Fäden vorstellen, der bei einem Kaliber von 40 Millimeter einen Meter mächtige ist. Kurze Distanzen stehen auch hier im Vorderund: Sieben bis zehn Meter sind angepeilt, weshalb Plasma-Taser in erster Linie für den polizeilichen Einsatz entwickelt werden. Die Wirkung unterscheidet sich nicht vom gängigen Drähte verschießenden Elektro-Taser.

    Die Wirkung setzt die koordinierte Bewegung des Körpers außer Kraft, der Angreifer wird nicht mehr auf Sie zugehen können, er wird zu Boden gehen, seine Gliedmaße zucken unkontrolliert. Dabei ist natürlich sicherzustellen, dass es außer diesen Zuckungen keine weiteren schädigenden Ergebnisse geben wird, dazu sind natürlich notwendige Untersuchungen durchzuführen, um eben den Grad der Energieübertragung genau festzulegen.

    Die gleiche Wirkung erreicht eine Laser-Traser-Waffe der Diehl Munitionssysteme GmbH. Ein Laserstrahl bildet einen ionisierten Kanal vom Schützen zum Angreifer. Durch den Kanal wird ein 50.000 Volt-Spannungsimpuls geschickt, der den Getroffenen ebenfalls ziemlich schmerzhaft umwirft.

    Finanziert werden diese Entwicklungen übrigens in den meisten Fällen von Militärbehörden – wobei das Budget für NLW noch erstaunlich gering ist: 365 Milliarden Doller geben die USA jährlich für ihre Armeen aus, Nicht-letale Wirkmittel sind dabei mit weniger als 100 Millionen Doller vertreten.

    Weitgehend staatlich finanziert wird auch die NLW-Forschung beim Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal, etwa die des Infrapuls-Generators. Infrapuls-Generatoren sehen aus wie Kanonen, sie haben Verbrennungsräume, ein großkalibriges Rohr und natürlich eine elektronische Steuerung. In den Verbrennungsräumen werden nach einem genau festgelegten Muster Druckwellen im Infraschallbereich – also zwischen einem und 16 Hertz – erzeugt. Diese Druckwellen gelangen über das Rohr nach außen, wo sie gleich vierfach wirken. Klaus-Dieter Thiel.
    Der erste Wirkmechanismus betrifft einen akustischen Mechanismus und zwar im niederfrequenten Bereich, der zweite Wirkmechanismus erzeugt eine periodisch anlaufende nicht-letale Druckwelle, der dritte Mechanismus betrifft die Erzeugung von Wirbelringen, die auch periodisch anlaufen im gleich Frequenzbereich, zirka 15 Hertz, also 15 mal die Erzeugung von Wirbelringen in der Sekunde, und viertens können wir mit diesen Wirbelringen auch Reizpartikel, Reizstoffe oder Reizgase transportieren.

    Der Infrapuls-Generator ist eine laut wummernde Kanone – ob jemand vor dem tiefen Ton flieht, sei dahin gestellt. Möglicherweise erreichen die drei anderen Mechanismen diese Wirkung, da sie den gesamten menschlichen Körper einbeziehen...

    ...durch Erzeugen von Resonanzschwingen in Hohlräumen und Organen. Der Infrapuls-Generator soll ein zeitlich begrenztes Unwohlsein im Menschen hervorrufen, wie zum Beispiel Gleichgewichtsstörungen, Unwohlsein, Übelkeit, Brechreiz, Symptome, die auch bei der Seekrankheit auftreten können.

    Crowd Controle heißt das Stichwort, die Kontrolle großer Menschenmengen ohne scharf zu schießen. Etwas schärfer schießen amerikanische Soldaten zukünftig mit ihren Mikrowellen-Gewehren. Nach dem Attentat auf das Kriegsschiff USS Cole im Hafen von Aden suchten amerikanischen Streitkräfte nach Lösungen, um zukünftig gegen Situationen wie diese gewappnet zu sein. "Terrorist or Tourist" heißt die Frage oder: Wie lassen sich Unbekannte auf Distanz halten, ohne sie gleich zu erschießen. Mit einer Mikrowellen-Waffe schlugen Wissenschaftler vor. Sie verschießt Mikrowellen...

    ...und zwar genau bei 95 GHz, sie wirkt über eine Distanz über knapp einen Kilometer und wenn sie auf einen Menschen gerichtet wird, erzeugt sie an der Haut des Menschen eine erhöhte Temperatur von 50 bis 55 Grad für eine Zeitdauer von zwei Sekunden. Das reicht aus, um beim Menschen ein ganz starkes Gefühl des Unwohlseins hervorzurufen.

    Moskau, 26. Oktober 2002, 6:07 Uhr. Die Terroristen haben ihre Drohung wahr gemacht: Um kurz nach sechs erschießen sie die ersten zwei Geiseln. Die Einsatzleitung gibt den Sturmbefehl! Über das Belüftungssystem pumpen Militärärzte ein Gas ins Innere des Theaters. Minuten später stürmen russische Elitesoldaten das Gebäude.

    Die Schießerei dauert wenige Minuten, dann ist es wieder ruhig. Einige Geiseln fliehen in Panik aus dem Haupteingang, brechen auf der Straße zusammen. Chaotische Szenen spielen sich ab: Soldaten tragen Verletzte und Tote heraus, wer noch gehen kann, wird von Sanitätern nach draußen geführt. Das Gas hat ganze Arbeit geleistet!

    Nur, welches Gas wurde eingesetzt? Diese Frage kann auch nach einem Jahr niemand mit letzter Sicherheit beantworten. Russlands Militärführung hüllt sich in Schweigen, Wissenschaftler müssen Interviews zu diesem Thema vom Innenministerium absegnen lassen, Ärzte dürfen keinerlei Auskünfte geben. Entsprechend blühten in den ersten Tage nach dem Sturm Spekulationen. Rasch zeichneten sich aber drei mögliche Substanz-Varianten ab. Variante 1: Beim eingesetzten Gas handelt es sich um Fenthanyl.

    Fentanyl ist ähnlich wie Opium und Morphium ein Stoff, der betäubend wirkt und in höheren Konzentrationen bewusstlos macht, also eine sehr ähnliche Wirkung wie das Morphium, das man als Schmerzmittel bekommt. Fenatnylabkömmlinge, Fentanylderivate werden auch benutzt, um Tiere einzuschläfern oder bewusstlos zu machen, wenn etwa im Zoo ein Elefant operiert werden muss, dann wird ein Pfeil irgendwohin geschossen, wo auch ein Fentanylabkömmling drin ist und der fällt dann innerhalb von Sekunden um.

    Dr. Jan van Aken vom Sunshine-Project, Hamburg, einer unabhängigen Organisation von Wissenschaftlern, die sich für die Ächtung biologischer und chemischer Waffen einsetzt. Fentanyl ist ein starkes synthetisches Narkotikum, das seit 1963 zunächst in der Anästesie verwendet wurde. Europäische Ärzte setzen es vor allem in Form von Pflastern und als Injektionsnarkosemittel ein, amerikanische Mediziner verabreichen auch Lutscher, weil der Körper die Substanz rasch über die Schleimhäute aufnimmt. Fentanyl wirkt im Vergleich mit anderen Opiaten nur kurz. In den 70er Jahren entwickelte sich Fentanyl durch Molekülveränderungen zu einer Designerdrogen – Methylfentanyl etwa, das zehnfach wirksamer als die Ursprungssubstanz ist und seit 1979 auch als China White bekannt wurde. Die biologischen Effekt von Fentanyl lassen sich kaum von denen des Heroins unterscheiden, sind aber – je nach Derivat – um den Faktor 10 bis 7.500 stärker. Zu den Nebenwirkungen zählen allergische Reaktionen und Atemnot, die bis zur Erstickung führen. Für den Einsatz von Fentanyl beim Sturm auf das Musical-Theater spricht vor allem seine Verfügbarkeit.

    In Militärkreisen wird seit vielen, vielen Jahren an Fentanylderivaten, also Abkömmlingen gearbeitet für militärische Zwecke, wir haben jetzt aktuell noch einmal eine Studie aus den USA bekommen, wo man sieht, dass Anfang 90er Jahren sehr viel darüber geforscht wurde in militärischen Kreisen, also wahrscheinlich ist es richtig, dass so ein fentanylähnlicher Stoff dabei war,…

    …andererseits haben vor allem deutsche Toxikologen rasch den Verdacht geäußert, Russlands Militärs haben nicht Fentanyl eingesetzt, sondern – Variante 2 – Halothan.

    Halothan ist ein Narkosegas, das früher sehr viel eingesetzt wurde bei Operationen, das heute eigentlich nur noch sehr wenig eingesetzt wird, das ist ein wirkliches Gas, wirkt sehr schnell betäubend auch, das wurde in zwei der deutschen Opfer, die halt hier eingeflogen worden sind zur Behandlung, gefunden von Münchner Toxikologen.

    Halothan ist eine farblose, nicht brennbare Flüssigkeit, die bei Zimmertemperatur verdunstet und einen süßlichen Geruch hat. Halothan wirkt muskelentspannend und blutdrucksenkend, es reizt nicht die Atemwege, seine Wirkung setzt sehr schnell ein. Normalerweise wird das Gas über eine Maske inhaliert, Narkosen lassen sich aber nur unzureichend steuern, außerdem erzielt auch eine nur geringe Schmerzunempfindlichkeit. Halothan belastet die Leber, beobachtet wurden zudem Atemdepressionen, Herzmuskelschwäche, Verlangsamung der Herzfrequenz und Blutdruckabfall. Als dritte Substanzvariante waren schon rasch nach dem Moskauer Einsatz Chemische Kampfstoffe im Gespräch

    Es wurde BZ zum Beispiel genannt, ein Kampfgas aus den 50er und 60er Jahren, von der britischen und der amerikanischen Armee in großen Mengen produziert, im Grunde genommen auch ein Stoff der narkotisierend, betäubend wirkt, von den Engländern immer auch als Sleepinggas bezeichnet, in großen Mengen auch als chemischer Kampfstoff auf Halde gelagert. Es stellte sich aber heraus, dass die Wirkung dieses BZ völlig unvorhersehbar ist, bei manchen wirkt es nicht narkotisierend sondern eher aufputschend und wurde deshalb aus den Militärarsenalen verbannt schon Ende der 60er Jahre!

    BZ beziehungsweise Benzolat ist aber nur eine denkbare Substanz. Möglich wäre auch Sarin, das Mitglieder der Aum Shinrikyo Sekte 1995 beim U-Bahn-Attentat von Tokio eingesetzt haben. Gleichgültig welches Gas ins Moskauer Theater gepumpt wurde, es zählt nach Meinung von Fachleuten zur "Hohen Schule der Chemotechnik": So gibt es etwa nach der ersten Wirkung keine weitere Belastung. Immerhin sind Soldaten und Sanitäter ohne Masken ins Theater gelaufen, sie müssen gewusst haben, dass die Wirkung des Gases zwar heftig kommt, aber binnen weniger Minuten endet. Eine Kanadische Geisel berichtet, er sei von einem Augenblick zum anderen "weg gewesen". Auch dies spricht gegen den Einsatz schlichter Narkotika und für den Einsatz eines Kampfgases. Im Musical-Theater hätte binnen weniger Minuten über die Hälfte der Luft ausgetauscht werden müssen – zuviel um den Überraschungseffekt zu nutzen. Das beharrliche Schweigen der russischen Behörden über das eingesetzte Gas erhärtet zudem den Verdacht, dass die Substanz auf der Liste der verbotenen chemischen Waffen steht. In diesem Zusammenhang bekommt zudem eine Meldung der Deutschen Presseagentur vom März 1997 neue Aktualität:

    "Ein Offizier des russischen Geheimdienstes brachte die Probe eines völlig neuartigen Giftgases in den Westen. Kommt ein Mensch auch nur geringfügig mit dem Gas in Kontakt, stirbt er sofort. Das Gas hat nach den Informationen die Eigenschaft, schon nach kürzester Zeit sich so zu verflüchtigen, dass es nicht mehr nachweisbar ist. Der Offizier sei mit der Probe in einem Passagierflugzeug in den Westen gekommen, war zu erfahren. Das Giftgas sei von den Russen im Tschetschenien-Krieg ausprobiert worden. Es habe bei den kriegerischen Auseinandersetzungen auf Seiten der Tschetschenen "merkwürdige" Todesfälle gegeben, die nicht aufgeklärt werden konnten."

    Die toten Terroristen bleiben im Theater und werden Russlands Fernsehzuschauern von einem Reporter präsentiert: Frauen, die auf ihren Sesseln sitzen, als ob sie friedlich schlafen würden; unter der geöffneten Jacke dicke Sprengstoffpakete und Drähte; andere liegen mit zerschossenen Gesichtern auf dem Rücken, auch sie tragen Sprengstoff an ihren Körpern. Überall zersplitterte Scheiben, Dreck, Blut, Handys, heruntergerissene Vorhänge. Mittendrin junge Soldaten mit leerem Gesichtsausdruck. In ersten Reaktionen sprechen die Behörden von mehr als 30 toten Terroristen und mehreren Dutzend zivilen Opfern. Das Wort "Desaster" macht die Runde.

    Ich bin mit dem Wort "Desaster" absolut nicht einverstanden und akzeptiere es nicht. Was wäre denn passiert, wenn die Terroristen eine Explosion ausgelöst hätten? In diesem Falle wären viermal mehr Zivilisten ums Leben gekommen, ganz zu schweigen von den besten Kämpfern der Spezialeinheiten Russlands, die an der Operation teilgenommen hatten. Es sei Ihnen gesagt, dass ich bei der Sitzung der Europäischen Arbeitsgruppe für Nicht-letale Waffen im November 2002 in Rom nur positive Reaktionen der Beratungsteilnehmer über die von den russischen Geheimdiensten durchgeführte Operation gehört habe.

    Diese Sichtweise blendet meiner Meinung nach vollkommen aus diese sehr schwierige rechtliche Situation, ich finde nach wie vor, dass dies ein verbotener Einsatz war, vor allem aber ist die Entwicklung, die dahinter steckt eine verbotene Entwicklung, Militärs dürfen so etwas gar nicht besitzen, zum zweiten blendet es aus, dass es bei Geilnahmen weltweit friedliche Lösungen gegeben hat, wo nicht so viele Menschen gestorben sind. Moskau hat gezeigt, dass diese Chemikalien, wenn sie eingesetzt werden genauso viele Tote fordern, also wenn Sie eine Handgranate einsetzen. Auch eine Handgranate tötet nicht 100 Prozent aller Menschen sondern einen ähnlichen Prozentsatz wie dieses Gas dort, und eine Handgranate als nicht-tödlich zu bezeichnen, würde wahrscheinlich niemand kommen. Es wird eigentlich dieses Wort "nicht-tödlich" als Propagandatrick benutzt, um die Einsatzschwelle solcher Chemikalien niedrigen zu machen und abzusenken.

    Beim Sturm auf das Musical-Theater in Moskau am 26. Oktober 2002 starben 128 Zivilisten und 36 Terroristen.