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Der Krieg im Schafspelz

Von Somalia über den Kosovo bis hin zum Irak: Internationale Truppen müssen Konflikte zwischen ethnischen Gruppen lösen, aber auch zwischen totalitären Machthabern und der Bevölkerung. Dabei haben die Soldaten zwei Optionen - entweder schauen sie ohnmächtig zu oder sie schreiten mit Waffengewalt ein. Beide Fälle haben häufig unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung zur Folge. Militärs suchen deshalb nach nicht-letalen Waffen – nach Waffen also, die den Gegner nicht töten, sondern lediglich kampfunfähig machen. Elektroschock-Pistolen zählen dazu, Mikrowellen-Gewehre, Luftdruck-Kanonen und Laser-Granaten. Amerikanische, russische und europäische Forscher arbeiten an solchen Waffensystemen. Prototypen existieren bereits. Inwieweit sie tatsächlich so harmlos sind, wie ihr Name suggeriert, ist unter Experten allerdings umstritten.

Mirko Smiljanic | 24.08.2003
    Moskau, 23. Oktober 2002, 22:05 Uhr. In einem Theater an der Melnikowa Straße beginnt der zweite Akt des Musicals Nord-Ost. Mascha Schorschtwowa - eine kleine schmale Frau - spielt eine der beiden Hauptrollen. Sie will gerade auf die Bühne gehen - wenige Minuten verspätet, weil ihr Kleid noch nicht fertig gebügelt war - als sie Unruhe bemerkt: Fremde Männer und Frauen stehen inmitten der Kulissen, Schauspieler laufen irritiert hin und her, die Musik setzt aus: Die Fremden gehören nicht zum Ensemble, sie sind tschetschenische Terroristen.

    Der Krieg im Schafspelz - Nicht-tödliche Waffen im internationalen Einsatz. Ein Feature von Mirko Smiljanic.

    Moskau: Musical-Theater, 23. Oktober 2002, 22:20 Uhr. Mascha Schorschtwowa rennt in Panik zurück zum Schminkraum und flüchtet mit Kolleginnen durch das Fenster auf den Hof. Nur wenige Minuten später sperrt die Polizei das Theater großräumig ab. Journalisten registrieren erste Gerüchte: Dass es 40 Terroristen sein sollen - viele Frauen; dass sie mit Maschinenpistolen und Sprengstoff bewaffnet sind; dass Mowsar Barajew Chef des Kommandos ist, Neffe des legendären tschetschenischen Terroristen Abi Barajew, den russische Spezialeinheiten 1998 töteten; dass 700 Theatergäste Geiseln sind; und dass Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew die Anti-Terrorgruppe Alpha in Alarmbereitschaft versetzt hat.

    Zuerst möchte ich folgendes sagen: Die Operation zur Geiselbefreiung war eine absolut richtige Entscheidung der Leiter der Operation. Das war das erste Beispiel eines großangelegten Einsatzes von Nicht-letalen Wirkmitteln. Das war eine einmalige und Achtung verdienende Aktion der Geheimdienste ungeachtet der aufgetretenen Verluste. Meiner Ansicht nach wären die Folgen nicht nur für Russland, sondern auch für viele andere Länder in dem Fall katastrophal gewesen, wenn keine politische und professionelle Entscheidung getroffen worden wäre.

    Victor Selivanov ist Professor für Physik an der Moskauer Baumann-Universität und er ist Mitglied der Europäischen Arbeitsgruppe Nicht-letale Waffen - einer informellen Expertengruppen aus Wissenschaftlern, Militärs und Mitarbeitern wehrtechnischer Firmen. Die Grundidee Nicht-tödlicher Waffen - allgemeiner: Nicht-tödlicher Wirkmittel - ist ebenso einfach wie politisch notwendig. Soldaten müssen zunehmend Konflikte lösen, für die sie nicht ausgerüstet sind: Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, zwischen totalitären Machthabern und der Bevölkerung, oder sie müssen Geiseln befreien - wie im Moskauer Musical-Theater. Bisher hatten sie nur zwei Optionen - entweder ohnmächtig zuschauen oder mit Waffengewalt einschreiten. In beiden Fällen konnte eine falsche Entscheidung dramatische Konsequenzen nach sich ziehen, vor allem durch unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung. Erschwerend kommt der CNN-Faktor hinzu: Das Image kriegführender Parteien wird in Zeiten totaler Öffentlichkeit immer wichtiger. Militärs suchen deshalb einen dritten Weg - sie suchen nach Nicht-tödlichen Waffen.

    Die Idealvorstellung einer Nicht-letalen Waffe ist eigentlich, die Situation momentan einzufrieren, so, als würde ich einen Film anhalten, und ich bin dann in der Lage, in dieser eingefrorenen Situation, die Guten und die Schlechten voneinander zu sortieren und die Schlechten erst einmal dingfest zu machen. Wir haben ja vor allen Dingen solche Situationen als Risikosituationen, wo sich wie in Mogadischu damals Scharfschützen hinter Müttern mit Kindern auf dem Arm verschanzen und aus dieser Menge heraus schießen, und man kann wenn man sich zur Wehr setzen will oder wenn man die Situation unter Kontrolle bringen will in der Phase nichts unternehmen, denn CNN steht irgendwo dabei und man kann - und würde es auch nicht - auf die Mütter und Kinder schießen, aber man ist nicht in der Lage, gegen die eigentlichen Heckenschützen vorzugehen. Und die Idealvorstellung vieler dieser Nicht-letaler Waffen ist es, dass man hier gemeinsam so zusagen die unschuldigen Opfer und die Angreifer stilllegt und dann die Unschuldigen von den Aggressoren auseinander sortiert. Das ist letztlich die Zielvorstellung oder die Vision für viele dieser Waffenentwicklungen,

    erläutert Dr. Karl-Friedrich Ziegahn vom Fraunhofer Institut für Chemische Technologie in Pfinztal. Die Palette Nicht-letaler Wirkmittel ist breit: Gummiknüppel sind NLW - so das gängige Kürzel - aber auch Pfefferspray und Tränengas, Blendlaser, infernalisch stinkende Chemikalien, automatische Sperren, klebrige Netze, Wuchtgeschosse aus Gummi, Elektroschock-Pistolen, Nebelwerfer, extrem korrosive Säuren, hochenergetische Mikrowellen, schnellhärtende Schäume, Infrapulse bis hin zur psychologischen Kriegsführung und dem Information Warfare, bei dem Informationen des Gegners verfälscht werden. Nur ein kleiner Teil dieser mitunter auch bizarren Wirkmittel schafft es allerdings jemals bis zum praktischen Einsatz. Gute Aussichten genießen zur Zeit vier Gruppen: Infrapulse, Laserstrahlen, Elektroschocker und Mikrowellen.

    Unterlüß bei Uelzen, am südlichen Rand der Lüneburger Heide. Ein heißer, schwüler Tag. Gerd Wollmann - beim Rüstungskonzern Rheinmetall für die Entwicklung Nicht-letaler Wirkmittel zuständig - lenkt den Wagen durch eine typische Heidelandschaft: Buschwerk, Birken, Nadelhölzer, aufgelockert von Wiesen voller Erika. Hochstände signalisieren reichen Tierbestand: Drei Förster beschäftigt die Firma Rheinmetall. Das ist auch nötig, denn das Areal misst immerhin 50 Quadratkilometer und ist damit Deutschlands größtes Waffen-Testgelände in Privatbesitz. Gerd Wollmann:

    Wir fahren jetzt auf die Anlage zu, wir können hier sehen eine 2.500 Meter entfernte Kugelfangvorrichtung oder Geschossfangvorrichtung, wir sehen, wie sich hier der Wald öffnet in eine freie Fläche hinein in die wir jetzt hinein fahren, wir sehen einige kleine Gebäude und einige Fahrzeuge stehen da, wo der Testaufbau für unsere Hochleistungs-Mikrowellenanlage gerade aufgebaut wurde, die Techniker, die wir dort sehen, sind gerade damit beschäftigt, diesen Versuch vorzubereiten.

    Hochenergetische Mikrowellen lassen sich mit zweifachem Ziel als Nicht-letales Wirkmittel nutzen: Entweder werden sie gegen Menschen eingesetzt oder gegen elektronische Systeme - Computer etwa, Radaranlagen oder Kommandozentralen. Mikrowellenwaffen gegen Menschen entwickeln zur Zeit ausschließlich amerikanische Wissenschaftler, deutsche Forscher beschäftigen sich mit Mikrowellen gegen elektronische Komponenten. Spezielle Antennen strahlen dabei nur wenige Nanosekunden dauernde Mikrowellenpulse aus, die mit 300 Millionen bis zwei Milliarden Watt aber eine sehr hohe Energie transportieren. Grundsätzlich unterscheiden Fachleute dabei zwei Wirkungen. Wollmann:

    Die eine Wirkmöglichkeit ist, dass Sie die elektronischen Komponenten erhitzen bis es zu Schäden kommt, das ist die eine Möglichkeit, die wir hier allerdings nicht verfolgen. Wir benutzen hier nicht dauerstrahlende Mikrowellen sondern gepulste Mikrowellenstrahlung, die nicht so sehr zum Erhitzen der Elektronik führt, sondern Ströme und Spannungen auf den Leitungen induziert durch gepulste Wirkung, die dann zur Zerstörung der Integrierten Schaltungen führt.

    Möglich ist aber auch ein schlichtes "Umswitchen" digitaler Informationen. Der mit 1- und 0-Signalen gefütterte digitale Speicher hat dann 0- und 1-Signale: Datenverlust, wenn nicht totaler Ausfall der Anlage sind die Folge. Die Idee, elektronische Steuerungen lahm zu legen, ist übrigens nicht neu: Schon in den 70er Jahren diskutierten Militärexperten den Einsatz so genannter NEMP - Nuclear Electromagnetic Pulse: In der Stratosphäre gezündete Atombomben senden elektromagnetische Strahlen auf die Erde und machen großflächig jeder Telefonanlage, jedem Computer und jedem Kraftwerk den Garaus. Abgesehen von der verheerenden Wirkung einer Atombombe, wirken NEMP aber zu großflächig. Genau dimensionierte und präzise gerichtete Einsätze sind gefragt. Wollmann:

    Also, momentan im Versuch werden wir erst über einige zehn Meter reden, angedacht ist eine solche Anlage dann auf Wirkungen von einigen hundert Metern. Wenn wir in Richtung militärische Anwendung denken, dann ist eine solche Anlage gedacht für urbanen Einsatz, für einen Kampf in der Stadt, und dort treten eben typischerweise solche Entfernungen von einigen hundert Metern auf.

    Je nach Einsatzszenario lassen sich unterschiedliche Mikrowellensender nutzen: Entweder er hat eine Richtcharakteristik, kann also gezielt ein Haus oder Auto bestrahlen; oder aber er strahlt in alle Richtungen. Der Sender kann auf Fahrzeugen installiert werden oder aber Soldaten tragen ihn schlicht im Koffer zum Einsatzort. Dr. Christian Klee, Geschäftsführer "Forschung und Entwicklung" der Diehl Munitionssysteme GmbH in Röthenbach.

    Das ist ein Koffer, und in diesem Koffer sind eine Batterie, ein Hochspannungsgenerator und ein Resonator, und den kann man irgendwo hinstellen und dann auch ferngesteuert einschalten und dann kann der dort wo er ist, diese Strahlung aussenden und wenn er in einem Haus steht und Sie haben dort Kommunikationssysteme oder Rechnersysteme, dann werden die sich schwer tun weiterzuarbeiten, dann werden die gestört oder teilweise zerstört.

    Der Koffer hat einen Wirkungsradius von etwa 50 Metern, für ungeschützte zivile Elektronik reichen 20 kV pro Meter, für geschützte militärische Anlagen müssen es schon 100 kV pro Meter sein. Beim Mikrowellenkoffer werden die Soldaten selbstredend mitbestrahlt, erleiden aber - sagt Christian Klee - keine Schäden, weil die Pulse mit wenigen Milliardstel Sekunden zu kurz sind; außerdem reiche schon ein Abstand von wenigen Metern zum Koffer, um die Energie unter eine für Menschen kritische Grenze zu drücken. Wissenschaftlich in allen Einzelheiten bewiesen sind diese Aussagen aber noch nicht. Allerdings gibt es unter den Mitgliedern der Europäischen Arbeitsgruppe Nicht-letale Waffen ohnehin keine einheitliche Meinung, was "Nicht-tödlich" den nun genau bedeutet. Professor Victor Selivanov von der Moskauer Baumann-Universität sieht das so.

    Wenn man schon in der Bezeichnung des zu erörternden Problems das Wort "Waffe" belässt, so würde ich den Begriff "weniger letale Waffe" bevorzugen. Lassen Sie uns der Wahrheit in die Augen sehen. In der langen Liste der in der Welt zu entwickelnden und bereits vorhandenen Nicht-letalen Waffen gibt es Mittel, die unter bestimmten Bedingungen der Gesundheit des Menschen einen irreversiblen Schaden zufügen können. Die Grenze zwischen konventionellen und Nicht-letalen Waffen ist eine sehr schmale, und ihre Verschiebung in eine günstige oder in eine ungünstige Richtung, hängt von sehr vielen Faktoren sowohl objektiver als auch subjektiver Art ab.

    Nicht Non-leathal Weapons sondern Less-leathal Weapons - Weniger tödliche Waffen. Das klingt zynisch, entspricht aber der Realität: Eine Waffe, die garantiert nicht tötet, wirkt auch nicht.

    Moskau, 24. Oktober 2002, 19:45 Uhr. Mittlerweile haben die Terroristen etwa 100 Geiseln frei gelassen: Kinder, Moslems, alte Menschen, einige konnten fliehen. Gegen 18:00 Uhr wurde eine tote Frau aus dem Theater getragen. Noch weiß niemand, ob sie das erste Opfer des Kommandos ist: Mowsar Barajew verlangt Verhandlungen über die politische Zukunft Tschetscheniens, wird die Forderung nicht erfüllt, droht er die Geiseln zu erschießen.

    Moskau: Musical-Theater, 24. Oktober 2002, 19:45 Uhr Eine Mutter bangt um ihre 23jährige Tochter, die sich vor kurzem noch mit dem Handy aus dem Theater gemeldet hat. Dramatische Szenen spielen sich im nasskalten Moskauer Oktober ab.

    "Nicht das Theater stürmen", rufen Demonstranten, und auf Plakaten appellieren Angehörige der Geiseln an Präsident Putin: "Schluss mit dem Krieg in Tschetschenien". Alle wissen: Wenn die Elitesoldaten das Theater stürmen, sterben viele hundert Menschen.

    Unterlüß bei Celle, Waffen-Erprobungsgelände der Rheinmetall AG. Neben Mikrowellen testen Ingenieure hier noch andere Nicht-letale Waffen: Eine trägt den Arbeitstitel Plasma-Taser und ist vereinfacht gesagt eine Elektroschock-Pistole. Grundsätzlich geht es darum, Angreifer auf kurzen Distanzen mit einem elektrischen Schlag kampfunfähig zu machen. In den USA wurde eine vergleichbare Waffe schon entwickelt - die M 26 beziehungsweise das digital kontrollierte Folgemodell X 26. Beides sind Druckpistolen, die über zwei dünne Drähte 50.000 Volt in den Körper eines Angreifers leiten. Diese Taser haben nach Meinung von Gerd Wollmann aber entscheidende Mängel.

    Das Verschießen dieser Drähte hat doch zu einigen Verletzungen geführt - stellen Sie sich vor, die Drähte verhaken sich in der Halsschlagader zum Beispiel und nicht in der Kleidung - dann haben Sie durchaus ein Gefährdungspotential. Wir wollen diese Drähte ersetzen durch den Ausstoß von leitenden Fasern, diese leitenden Fasern sind ungefährlich gegen das menschliche Auge und können sich natürlich nicht irgendwie verletzend am Körper fest haken und wir wollen über diese leitenden Fasern diesen Stromstoß schicken.

    Der Plasma-Taser von Rheinmetall sieht aus wie eine großkalibrige Pistole, er hat eine Energieversorgung und eine Kartusche mit den leitenden Fasern. Welche dies endgültig sein werden, ist noch nicht entschieden.

    Das können Sie über Kohlenstoff machen - Kohlenstoff ist ein sehr guter Leiter - Sie können aber auch Aluminium nutzen, Aluminium ist auch ein guter Leiter, da wir uns zur noch im Bereich der Entwicklung befinden, haben wir uns hier noch nicht fest gelegt.

    Die Wolke muss man sich als aufgefächerten Strahl aus vielen kleinen Fäden vorstellen, der bei einem Kaliber von 40 Millimeter einen Meter mächtige ist. Kurze Distanzen stehen auch hier im Vorderund: Sieben bis zehn Meter sind angepeilt, weshalb Plasma-Taser in erster Linie für den polizeilichen Einsatz entwickelt werden. Die Wirkung unterscheidet sich nicht vom gängigen Drähte verschießenden Elektro-Taser.

    Die Wirkung setzt die koordinierte Bewegung des Körpers außer Kraft, der Angreifer wird nicht mehr auf Sie zugehen können, er wird zu Boden gehen, seine Gliedmaße zucken unkontrolliert. Dabei ist natürlich sicherzustellen, dass es außer diesen Zuckungen keine weiteren schädigenden Ergebnisse geben wird, dazu sind natürlich notwendige Untersuchungen durchzuführen, um eben den Grad der Energieübertragung genau festzulegen.

    Die gleiche Wirkung erreicht eine Laser-Taser-Waffe der Diehl Munitionssysteme GmbH. Ein Laserstrahl bildet einen ionisierten Kanal vom Schützen zum Angreifer. Durch den Kanal wird ein 50.000 Volt-Spannungsimpuls geschickt, der den Getroffenen ebenfalls ziemlich schmerzhaft umwirft.

    Finanziert werden diese Entwicklungen übrigens in den meisten Fällen von Militärbehörden - wobei das Budget für NLW noch erstaunlich gering ist: 365 Milliarden Doller geben die USA jährlich für ihre Armeen aus, Nicht-letale Wirkmittel sind dabei mit weniger als 100 Millionen Doller vertreten.

    Weitgehend staatlich finanziert wird auch die NLW-Forschung beim Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal, etwa die des Infrapuls-Generators. Infrapuls-Generatoren sehen aus wie Kanonen, sie haben Verbrennungsräume, ein großkalibriges Rohr und natürlich eine elektronische Steuerung. In den Verbrennungsräumen werden nach einem genau festgelegten Muster Druckwellen im Infraschallbereich - also zwischen einem und 16 Hertz - erzeugt. Diese Druckwellen gelangen über das Rohr nach außen, wo sie gleich vierfach wirken. Klaus-Dieter Thiel.

    Der erste Wirkmechanismus betrifft einen akustischen Mechanismus und zwar im niederfrequenten Bereich, der zweite Wirkmechanismus erzeugt eine periodisch anlaufende nicht-letale Druckwelle, der dritte Mechanismus betrifft die Erzeugung von Wirbelringen, die auch periodisch anlaufen im gleich Frequenzbereich, zirka 15 Hertz, also 15 mal die Erzeugung von Wirbelringen in der Sekunde, und viertens können wir mit diesen Wirbelringen auch Reizpartikel, Reizstoffe oder Reizgase transportieren.

    Der Infrapuls-Generator ist eine laut wummernde Kanone - ob jemand vor dem tiefen Ton flieht, sei dahin gestellt. Möglicherweise erreichen die drei anderen Mechanismen diese Wirkung, da sie den gesamten menschlichen Körper einbeziehen...

    ...durch Erzeugen von Resonanzschwingen in Hohlräumen und Organen. Der Infrapuls-Generator soll ein zeitlich begrenztes Unwohlsein im Menschen hervorrufen, wie zum Beispiel Gleichgewichtsstörungen, Unwohlsein, Übelkeit, Brechreiz, Symptome, die auch bei der Seekrankheit auftreten können.

    Crowd Controle heißt das Stichwort, die Kontrolle großer Menschenmengen ohne scharf zu schießen. Etwas schärfer schießen amerikanische Soldaten zukünftig mit ihren Mikrowellen-Gewehren. Nach dem Attentat auf das Kriegsschiff USS Cole im Hafen von Aden suchten amerikanischen Streitkräfte nach Lösungen, um zukünftig gegen Situationen wie diese gewappnet zu sein. "Terrorist or Tourist" heißt die Frage oder: Wie lassen sich Unbekannte auf Distanz halten, ohne sie gleich zu erschießen. Mit einer Mikrowellen-Waffe schlugen Wissenschaftler vor. Sie verschießt Mikrowellen... Thiel:

    ...und zwar genau bei 95 GHz, sie wirkt über eine Distanz über knapp einen Kilometer und wenn sie auf einen Menschen gerichtet wird, erzeugt sie an der Haut des Menschen eine erhöhte Temperatur von 50 bis 55 Grad für eine Zeitdauer von zwei Sekunden. Das reicht aus, um beim Menschen ein ganz starkes Gefühl des Unwohlseins hervorzurufen.

    Moskau, 25. Oktober 2002, 17:13 Uhr. Die tschetschenischen Terroristen setzen ein letztes Ultimatum für den kommenden Tag: Ab sechs Uhr früh werden die Geiseln erschossen, sollte es keine Verhandlungen mit der russischen Staatsspitze geben. Das gesamte Areal um das Theater wurde mittlerweile eingezäunt, immer mehr Soldaten der Elitetruppe Alpha rücken an, immer mehr Krankenwagen stehen mit eingeschaltetem Blaulicht in den Seitenstraßen. Knapp 600 Geiseln sind noch in der Gewalt der Terroristen. Wasser und Lebensmittel werden knapp, die hygienische aber auch die psychologische Situation ist verheerend.

    Nicht-tödliche Wirkmittel sollen Gesundheit und Leben schonen - dieser Logik folgend sprechen manche Experten auch von "schonenden Zwangsmitteln". Wenn schon Gewalt, dann auf einem extrem niedrigen Level. Das klingt gut, fast schon verführerisch gut, so dass manche Fragen offen bleiben. Etwa die nach der medizinischen Wirkung von Mikrowellen, von Lasern, von Elektroschlägen oder von Infrapulsen. Gibt es unerwünscht Nebenwirkungen?

    Glenn Shwaery, Direktor des Non-Lethal Weapons Technology Innovation Center an der Universität New Hampshire.

    Vor meinen jetzigen Job, habe ich in einer Firma gearbeitet, die toxikologische Tests durchgeführt hat, wie haben die Wirkung neuer Medikamente und die Sicherheit von Wirkstoffen getestet. Und das ist genau das, was wir mit Nicht-tödlichen Waffen tun müssen. Die Millimeter-Wellen-Technologie, die wir derzeit entwickeln, die künftig gegen Menschen eingesetzt werden könnte, da hat es bereits einen Test gegeben, wie das Krebsrisiko für den Menschen eingeschätzt werden kann. Und es hat sich herausgestellt, dass dieses Risiko nicht existiert. Und nun unternehmen wir gerade einen anderen Test, in dem wir Molekularbiologie einsetzen, es ist also auf der Ebene der DNS, und es belegt, dass die Millimeterwellenlänge, die wir einsetzen, keine Schäden an der DNS verursachen, dass sie die DNS nicht brechen lassen, sie stellt sich also als vollkommen sicher heraus - und als effektiv!

    Aber selbst im Falle komplett durchgetesteter Nicht-letale Wirkmittel bleiben Restrisiken: Was passiert, wenn der Träger eines Herzschrittmacher vom 50.000-Volt-Schlag umgehauen wird? Wenn Laserstrahlen die Augen der Angreifer treffen? Oder wenn Mikrowellen das periphere Nervensystem bis zur Bewusstlosigkeit reizen? Und noch ein weiterer Punkt hat Bedeutung: Besteht nicht die Gefahr, dass Soldaten und Polizeikräfte Opfer zumindest einiger ihrer eigenen Waffensysteme werden? Glenn Shwaery:

    Das ist eine sehr gute Frage, das erregt Besorgnis, vor allem, wenn man sich mit hochenergetischen elektromagnetischen Wellen beschäftigt. Und wir wissen noch nicht sehr viel darüber. Bislang sind im Feld noch nie Nicht-tödliche elektromagnetische Waffen eingesetzt worden, sie befinden sich alle noch in der Testphase. Und das ist wirklich eine der Sorgen, die meine Bosse an der Joint Non Lethal Weapons Directory im US-Militär haben. In den meisten Fällen ist die Wirkung) gerichtet, sie weist also von den Soldaten weg. Was fügt es dem eigenen Flugzeug zu, wenn man es darauf abfeuert, oder auf einen Panzer? Und man muss die eigene Elektronik schützen, wenn man die Elektronik des Feindes stören will, dann muss man darauf achten, dass die eigenen Kräfte nicht im Weg sind, sonst würden auch sie "blind" gemacht und außer Gefecht gesetzt. Es ist also eine sehr gute Frage und die Antwort ist, dass wir es jetzt noch nicht wissen.

    Eines aber wissen Militärstrategen schon jetzt: Der Krieg wird nicht abgeschafft durch Nicht-letale Wirkmittel. Und die Logik des Wettrüstens auch nicht. Christian Klee:

    Das wird zwangsläufig kommen, so wie es bei den letalen Waffen auch war. Wenn Sie die Bekämpfung von Panzern beispielsweise sich angucken, dann sind die Panzerabwehrgeschosse immer besser geworden, aber der Panzerschutz ist auch immer besser geworden, und so wird es sich auf unterschiedliche Nationen spiegeln, dass die einen bestimmte Waffen entwickeln, gleichzeitig den Schutz entwickeln und ebenso das andere Land. Es wird auch ein Wettrüsten geben, wenn die Budgets dazu da sind, denn das kostet viel Geld!

    Moskau, 26. Oktober 2002, 6:07 Uhr. Die Terroristen haben ihre Drohung wahr gemacht: Um kurz nach sechs erschossen sie die ersten zwei Geiseln. Die Einsatzleitung gibt den Sturmbefehl! Über die Belüftungssystem pumpen Militärärzte das Narkosegas Fentanyl ins Innere des Theaters. Minuten später stürmen russische Elitesoldaten das Gebäude.

    Die Schießerei dauert wenige Minuten, dann ist es wieder ruhig. Einige Geiseln fliehen in Panik aus dem Haupteingang, brechen auf der Straße zusammen. Chaotische Szenen spielen sich ab: Soldaten tragen Verletzte und Tote heraus, wer noch gehen kann, wird von Sanitätern nach draußen geführt. Das Gas hat ganze Arbeit geleistet.

    Die toten Terroristen bleiben im Theater und werden Russlands Fernsehzuschauern von einem Reporter präsentiert: Frauen, die auf ihren Sesseln sitzen, als ob sie friedlich schlafen würden; unter der geöffneten Jacke dicke Sprengstoffpakete und Drähte; andere liegen mit zerschossenen Gesichtern auf dem Rücken, auch sie tragen Sprengstoff an ihren Körpern. Überall zersplitterte Scheiben, Dreck, Blut, Handys, heruntergerissene Vorhänge. Mittendrin junge Soldaten mit leerem Gesichtsausdruck. In ersten Reaktionen sprechen die Behörden von mehr als 30 toten Terroristen und mehreren Dutzend zivilen Opfern. Das Wort "Desaster" macht die Runde. Victor Selivanov:

    Ich bin mit dem Wort "Desaster" absolut nicht einverstanden und akzeptiere es nicht. Was wäre denn passiert, wenn die Terroristen eine Explosion ausgelöst hätten? In diesem Falle wären viermal mehr Zivilisten ums Leben gekommen, ganz zu schweigen von den besten Kämpfern der Spezialeinheiten Russlands, die an der Operation teilgenommen hatten. Es sei Ihnen gesagt, dass ich bei der Sitzung der Europäischen Arbeitsgruppe für Nicht-letale Waffen im November 2002 in Rom nur positive Reaktionen der Beratungsteilnehmer über die von den russischen Geheimdiensten durchgeführte Operation gehört habe.

    Beim Sturm auf das Musical-Theater in Moskau am 26. Oktober 2002 starben 128 Zivilisten und 36 Terroristen.