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Der lange Arm des Baschar al-Assad

Schießereien und Grenzübertretungen: Das syrische Regime verfolgt seine Gegner nicht nur auf dem eigenen Territorium - die Armee von Präsident Assad geht auch gegen Flüchtlinge im benachbarten Libanon vor. Ein Protest von libanesischer Seite bleibt bislang aus.

Von Mona Naggar |
    Auf einem großen, viereckigen, gepflasterten Hof spielen Kinder. Einige Männer stehen in der Sonne und rauchen. Ein paar Frauen sitzen auf Plastikstühlen und unterhalten sich. Im Hintergrund: ein zweistöckiger, hellbraun verputzter und schlichter Bau. In deutlicher weißer Schrift steht an den Wänden, wo es zur Küche, den Toiletten und Bädern geht. Seit einigen Monaten wohnen in dieser Dorfschule ungefähr 100 syrische Flüchtlinge. Das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, hat ihnen dieses Gebäude zur Verfügung gestellt. Weitere Syrer sind in der Nachbarschaft bei Gastfamilien untergekommen.

    Das Dorf Rama liegt im Norden des Libanon. Hügel und Felder in Sichtweite gehören zum syrischem Gebiet. Von dort, zum Beispiel aus Arida und Tall Kalakh, stammen die Flüchtlinge. Einer von ihnen ist Abdalmumin, der mit seiner Frau und acht Kindern in der Dorfschule untergekommen ist. In einer Nacht Mitte Mai floh er mit seiner Familie vor den heranrückenden Panzern der syrischen Armee. Illegal haben sie den kleinen Grenzfluss überquert:

    "Wir können nicht zurück. Ich kenne einige Leute, die zurückgegangen sind. Sie sind bis heute verschwunden. Hier ist das Leben sehr eintönig. Die libanesischen Behörden erlauben uns nicht, das Dorf zu verlassen. Einige von uns haben es trotzdem versucht. Die libanesische Polizei hat sie verhaftet. Wir möchten gerne arbeiten. Aber wir dürfen nicht. Jeder von uns hat einen Beruf, den er auch hier ausüben könnte. Statt zu arbeiten sind wir von den Hilfslieferungen der Vereinten Nationen abhängig. Wenn sie uns etwas zu essen geben, dann haben wir etwas, wenn nicht, dann nicht."

    Abdalmumin ist Anfang 40. Er ist klein gewachsen und schmächtig, hat dichtes schwarzes Haar. In seinem Heimatdorf Arida beteiligte er sich an Demonstrationen gegen das syrische Regime. Erst wenn Syriens Präsident Assad nicht mehr regiert, will er zurückkehren.

    Das UNHCR spricht von ungefähr 3400 registrierten syrischen Flüchtlingen in der Provinz Akkar im Norden des Landes und in der Stadt Tripolis. Wahrscheinlich sind es noch viel mehr. Das UNHCR betont die gute Zusammenarbeit mit der libanesischen Regierung. Medizinische Versorgung der Flüchtlinge sei garantiert und die syrischen Kinder könnten libanesische Schulen besuchen. Aber Abdalmumin fühlt sich im Libanon nicht sicher. In den letzten Wochen hat die syrische Armee immer wieder über die Grenze geschossen:

    "Sobald wir Schüsse hören, packen wir die Kinder, rennen aus der Schule und flüchten zu unseren libanesischen Nachbarn im Dorf. Die Schule ist ein leichtes Ziel für die Armee jenseits der Grenze. Sie wissen, dass wir hier sind und versuchen uns einzuschüchtern. In den letzten Wochen kam es oft zu solchen Angriffen. Alle paar Tage mussten wir nachts raus."

    Die Angriffe der syrischen Armee in der Nähe von Rama sind kein Einzelfall. In Nachbardörfern überquerten Mitte Oktober syrische Soldaten sogar die Grenze. Auch in der Bekaa, im Osten des Libanon, berichteten Bewohner mehrerer Ortschaften, dass die syrische Armee die Grenze übertreten habe. Ein Protest von libanesischer Seite blieb aus. Mehrere syrienfreundliche Politiker in Beirut zeigten sogar Verständnis für die Aktionen. Die Schießereien und die Grenzübertretungen dienten angeblich dazu, den Waffenschmuggel an der gemeinsamen Grenze einzudämmen.

    Die Vorfälle an der libanesisch-syrischen Grenze beunruhigen nicht nur die Flüchtlinge im Norden des Landes. Auch in der 150 Kilometer entfernten Hauptstadt Beirut machen sich syrische Oppositionelle Sorgen. Shahin verfolgt die Entwicklung an der Grenze ganz genau. Er ist zwar legal im Libanon, aber zurück in seine Heimatstadt Damaskus kann er trotzdem nicht mehr. Der 30-Jährige hat erfahren, dass er vom syrischen Geheimdienst gesucht wird. Der Aktivist gibt Informationen, die er von den Aufständischen in Syrien bekommt, an die Öffentlichkeit weiter:

    "Wenn man im Libanon für den Aufstand in Syrien aktiv ist, dann muss man sehr vorsichtig sein. Ich wohne in Beirut in einem Stadtteil, der nicht von einer syrienfreundlichen Partei kontrolliert wird. Ich wechsle immer wieder meine Telefonnummer. Shahin ist auch nicht mein richtiger Name. Ich arbeite immer verdeckt. Denn auch in Beirut passieren beunruhigende Dinge. Im Februar wurden neun oppositionelle Syrer entführt. Bis heute weiß niemand, was mit ihnen geschehen ist. Den Staat scheint es nicht ernsthaft zu kümmern!"

    Seit fünf Monaten regieren im Libanon die prosyrischen Kräfte des 8. März. Sie setzen sich aus der schiitischen Hisbollah und der christlichen Freien Patriotischen Bewegung zusammen. Gemeinsam mit sunnitischen Politikern unter Führung des wohlhabenden Geschäftsmannes Nadschib Mikati bilden sie die Regierung.

    Gegenüber Syrien vertritt diese Regierung offiziell die Haltung: keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes. Aber Fraktionen innerhalb der politischen Führung wie etwa die Hisbollah unterstützen ganz offen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Der Generalsekretär der "Partei Gottes", Hassan Nasrallah, sprach bei seinem letzten öffentlichen Auftritt Ende Oktober der syrischen Führung sein Vertrauen aus. Der gemeinsame Kampf gegen Israel habe Priorität.

    Der Hisbollah-nahe Publizist Qasim Kassir gibt zu bedenken, dass der Kampf gegen den gemeinsamen Feind Israel wohl nicht der einzige Grund ist für die syrienfreundliche Politik der libanesischen Regierung. Vielmehr gehe es darum, die Abhängigkeit des Zedernstaates vom mächtigen Nachbarn realistisch einzuschätzen:

    "Die libanesische Regierung steht vor einem Dilemma. Jeder Schritt, der die Beziehungen zu Syrien verschlechtern könnte, hätte fatale Folgen. Letzte Woche hat Syrien die Grenzkontrollen für libanesische Lastwagen für einige Tage verschärft. Es gab ein fürchterliches Chaos, viele Unternehmen haben darunter gelitten. Syrien ist das einzige Tor auf dem Landweg für den Libanon in die arabische Welt. Wir mussten bereits immensen wirtschaftlichen Schaden durch die Ereignisse in Syrien erleiden. Der Tourismus beispielsweise ist um 25 Prozent zurückgegangen. Ich bin absolut dagegen, Druck auf die Regierung auszuüben, um der syrischen Opposition beizustehen. Das ist eine sehr empfindliche Angelegenheit und das wirtschaftliche Interesse von sehr vielen Libanesen steht auf dem Spiel."

    Die Opposition, die Allianz des 14. März, besteht aus christlichen und sunnitischen Parteien. Sie protestiert gegen die Grenzverletzungen der syrischen Armee und fordert das libanesische Parlament auf, die Entführungen der syrischer Staatsbürger zu untersuchen. Auch solidarisierte sich Saad al-Hariri, der ehemalige libanesische Ministerpräsident, mit den syrischen Oppositionellen. Viele Libanesen kritisieren dennoch, dass dieses Engagement zu zaghaft sei. Walid Fakhr ed-Din gehört der kleinen Partei "Demokratischen Linke" innerhalb des 14. März an. Er fordert mehr Unterstützung für die Flüchtlinge im Norden des Libanon und für die Aufständischen in Syrien:

    "Es ist möglich, Medikamente an der Grenze zur Verfügung zu stellen, die dann von den jungen Aktivisten ins Landesinnere geschafft werden. Auch finanzielle Unterstützung für die Menschen in Syrien ist denkbar. Es müssen auch Gespräche mit der syrischen Opposition geführt werden. Aber das alles passiert nicht. Es gibt viele Gründe dafür. Die finanziellen Mittel der Opposition sind begrenzt. Die Angst vor eventuellen Einschüchterungsaktionen von syrischer Seite ist sehr groß. Und auch alle anderen arabischen Länder haben noch nicht klar entschieden wie sie zum syrischen Präsidenten Bashar al-Assad stehen. Das beeinflusst auch die Politik im Libanon."

    Walid Fakhr ed-Din ist überzeugt: Gute nachbarschaftliche Beziehungen sind erst möglich, wenn Syrien demokratisch regiert wird.