Das südostasiatische Kambodscha ist gezeichnet vom Regime der "Khmer Rouge", das zwischen 1975 und ’78 zwei Millionen Menschen ermordete und insbesondere die Intelligenz des Landes ausrottete. Ein juristisch wie politisch unbewältigter Völkermord, der das Land bis heute lähmt.
Kambodscha, noch Ende der 60er Jahre weiter entwickelt als Thailand, hängt heute am Tropf internationaler Hilfe; die Verwaltung ist korrupt; der Neuaufbau einer Zivilgesellschaft kommt nur schleppend voran – derweil die breite Bevölkerung in bitterer Armut lebt.
Die Fahrt von Kambodschas beschaulicher Hauptstadt Phnom Penh nach Norden führt im weit ausgreifenden Überschwemmungsgebiet des Mekong durch schier endlose Reisfelder, auf denen vielerorts allerdings die Ernte verdorrt ist. Der Monsunregen fiel diese Saison nicht sehr ergiebig.
Unmerklich führt die Straße ins Mittelgebirge, wo an die Stelle von Reis Erdnüsse und Mais treten; dazwischen Bananenstauden, Öl- und Kokospalmen, Eukalyptus-Haine; Acajou-Bäume, auf denen Cashewnüsse wachsen. Im Schatten auf Pfählen stehender Häuser entlang der Straße dösen deren Bewohner vor sich hin.
Schließlich, mitten im Busch, das Dorf Kilo Sam Brambai: grasbedeckte Hütten, umgeben von Zäunen aus Ästen; Hunde, Schweine; ein Kiosk offeriert Süßigkeiten, Seife, Schuhbänder; darüber auf hellblau gestrichenem Blech der Name der Regierungspartei: "Cambodia People’s Party".
Auf einer Plane zwischen einigen Hütten sitzen mit ernsten Gesichtern etwa 50 Männer und Frauen. Zunächst stockend erzählt der Dorfälteste Pat Pung aus der Zeit der "Roten Khmer"; aus der Zeit jener Steinzeit-Kommunisten, die 1975 die Macht übernahmen in Kambodscha.
" Für drei Jahre, acht Monate und 20 Tage sperrten uns die "Roten Khmer" in ein Gefängnis ohne Wände: Niemand besaß Eigentum – keine Uhr, keine Schuhe, keinen Topf zum Kochen. Das Gemüse, das wir anpflanzten, durften wir nicht essen – und auch nicht die Kokosnüsse, die auf unseren Palmen wuchsen. Wie Hunde bekamen wir nur einmal täglich etwas Reis im Blechnapf. – Die Soldaten der "Roten Khmer" dagegen hatten alle Rechte. Sie aßen, was sie wollten; sie töteten, wen sie wollten. Schüler, Studenten, Lehrer, Ärzte; jeder, der lesen und schreiben konnte, musste sterben – und natürlich die Wohlhabenden. Elf Kilometer von hier, beim Dorf Chiav, lag die Hinrichtungsstätte. Dort wurden all die Menschen erschossen und mit Hilfe von Bulldozern in Massengräbern verscharrt. "
Mit zitternder Stimme berichtet Pat Pung, wie Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. In so genannten "mobilen Einheiten" mussten sie Bewässerungskanäle graben; junge Männer und Frauen wurden von "Angka", der Partei, in Massenhochzeiten zwangsverheiratet.
Pat Pung erzählt von einem Nachbarn, den sie in die örtliche Pagode schafften und, wie 30 andere, mit Fußketten an eine lange Stange fesselten. Die Fenster der Pagode waren zugenagelt; kein Lichtstrahl drang hinein. Kurz bevor die vietnamesischen Befreier kamen, warfen die Bewacher Handgranaten in die Pagode.
Von 1979-1996 führte der gestürzte Diktator Pol Pot aus dem Dschungel heraus Bürgerkrieg gegen die neue, von den Vietnamesen eingesetzte Regierung. Das Dorf Kilo Sam Brambai lag mitten im Kampfgebiet. Immer wieder mussten die Bewohner Zuflucht in Vertriebenenlagern suchen; fanden, wenn sie zurückkehrten, Häuser und Felder niedergebrannt.
14 Prozent Kambodschas sind bis heute mit Minen verseucht; gerade im Nordwesten ist viel gutes Ackerland nicht nutzbar. – Der etwa 40-jährige Pain Ti zeigt seine Prothese am rechten Bein, eine tiefe Narbe am linken.
" Ich lief gerade Nachbarschaftspatrouille um unser Dorf herum, als mir ein Freund von einem merkwürdigen Gegenstand auf seinem Feld berichtete. Ich ging dorthin und trat, etwas leichtsinnig, gegen das Objekt. Eine Sekunde später hatte ich mein rechtes Bein verloren; und ich konnte froh sein, dass einige Männer mich ins Krankenhaus von Battambang trugen, bevor ich verblutet war. – Jetzt habe ich zwar diese Prothese, kann aber nicht mehr auf dem Feld arbeiten. Das müssen meine Frau und die Kinder tun. Ich kümmere mich um Haus und Küche. "
Die Bauern im Nordwesten Kambodschas sehen sich bis heute nicht nur von Minen bedroht, sondern überdies von Polizei und Militär. Kommandeure örtlicher Garnisonen verhalten sich, als ob die von ihnen eigentlich zu schützende Region ihnen persönlich gehört – berichtet Chein Hien, Mitarbeiter der katholischen Caritas Kambodschas, die den Bauern im Nordwesten zu helfen versucht.
" Beim Dorf Bhandrukun gibt es einen Militär-Stützpunkt, dessen Befehlshaber im Laufe der Zeit alles umliegende Land in Besitz nahm. Als er schließlich die Bauern des Dorfes aufforderte zu verschwinden, zogen die zur Provinzverwaltung in Battambang und baten den Gouverneur um Hilfe. Der Gouverneur versprach, sich zu kümmern; aber als die Bauern in ihr Dorf zurückkamen, hatten die Soldaten sämtliche Häuser dort niedergebrannt. Und noch heute sitzen Soldaten auf dem Land der Bauern von Bhandrukun, die inzwischen weit weg von hier leben, an der Grenze zu Thailand. Dort haben sie ein Stück Regenwald gerodet. "
Die Caritas Kambodschas, unterstützt vom deutschen Hilfswerk "Misereor", greift den Bauern beim schwierigen Kampf ums Überleben unter die Arme. Sie hilft bei der Anlage von Brunnen und mit Projekten, die das Risiko einer Missernte abfedern: Hausgärten zum Beispiel, die Haltung von Kleinvieh, der Betrieb einer Nebenerwerbsbäckerei oder -schreinerei.
Davon abgesehen klären Caritas-Mitarbeiter die Bauern über ihre Bürgerrechte auf, ermutigen sie, sich zu organisieren, Verwaltung und Militär geschlossen gegenüberzutreten.
Dass die zunehmende Landlosigkeit vor dem Hintergrund einer einsetzenden Bevölkerungsexplosion, dass die sich rapide weitende Kluft zwischen arm und reich sozialen wie politischen Sprengstoff birgt, weiß auch Kambodschas Regierung unter Premier Hun Sen. Mit Hilfe der deutschen "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", GTZ, hat die Regierung begonnen, Landbesitzsicherheit wiederherzustellen, das heißt das von den "Roten Khmer" zerstörte Katasterwesen wiederaufzubauen.
" Gegenwärtig sind wir hier dabei, zusammen mit dem "Ministry of Land Management, Urban Planning and Construction", in Zusammenarbeit mit der Weltbank und anderen Gebern, in einer konzertierten Aktion in den nächsten Jahren etwa eine Million Landtitel an die ländliche Bevölkerung zu vergeben. "
Dies funktioniert im seit 1979 befriedeten Süden und Osten des Landes relativ reibungslos – berichtet Thomas Engelhardt, Büroleiter der GTZ in Phnom Penh. Erst ab Mitte 2005 jedoch registriert die Regierung Landtitel im Nordwesten Kambodschas – wo zahlreiche Militärs, Polizeichefs und andere hohe Funktionäre ihre zusammen geraubten Latifundien mit Zähnen und Klauen verteidigen dürften.
Thomas Engelhardt vertraut auf Premier Hun Sen, der kürzlich eine engagierte Rede zugunsten einer Landreform hielt.
" Hun Sen hat in dieser Rede sehr eindeutig sich dafür ausgesprochen, dass noch mehr Landtitel vergeben werden. Er hat darauf hingewiesen, dass, wenn die ländliche Bevölkerung keine Sicherheit bekommt an ihren Landtiteln, es zu Unruhen kommen kann, und dass damit die Entwicklungsarbeit der letzten Jahre gefährdet ist. Er hat auch darauf hingewiesen auf die großen Probleme, die existieren aufgrund der Tatsache, dass es Großgrundbesitzer gibt, einige wenige, die sehr große Ländereien besitzen und diese nicht produktiv nutzen. Und das ist der Einstieg jetzt, diese großen Latifundien, diese großen Gebiete, die 300.000 Hektar groß sind, dass dieser Großgrundbesitz zerschlagen wird in die maximale Größe von 10.000 Hektar; und dieses dann vorhandene Land kann an arme landlose und landhungrige Bevölkerungsteile verteilt werden. "
Eher skeptisch gegenüber Verlautbarungen der für ihre Ineffizienz berüchtigten Regierung zeigt sich Caritas-Mitarbeiter Victor Maria. "Was tut Hun Sen, zum Beispiel, gegen den ökologischen Raubbau im Norden Kambodschas?" fragt er.
Im Norden, wo vor 30 Jahren Baumriesen, Bambuswälder, Tiger und Elefanten das Landschaftsbild bestimmten, rauben seit dem Bürgerkrieg skrupellose Militärs und deren Komplizen ungehindert Tropenholz und verschieben es nach Thailand oder Malaysia. Erosion und Erdrutsche sind die Folge; es regnet weniger als früher; das von mehreren Flüssen in den Tonlesap-See gespülte Erdreich lässt diesen riesigen See in Zentral-Kambodscha zusehends verlanden – einen See, von dessen Fischbestand mindestens eine Million Menschen leben.
"Ich sehe keinen Anlass zu Optimismus", sagt Victor Maria von der kambodschanischen Caritas.
Die mächtigen Großgrundbesitzer werden weiterhin die Landpolitik in ihrem Sinne beeinflussen – weil sie über den nötigen Einfluss auf die Regierung verfügen; über, genauer ausgedrückt, genügend Geld, die richtigen Leute zu bestechen. Die Höchstgrenze an Landbesitz zum Beispiel existiert folglich nur auf dem Papier. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich an den tatsächlichen Landbesitzverhältnissen etwas ändert in diesem Land.
Kambodscha – halb so groß wie Deutschland, zwölf Millionen Einwohner; umgeben von Thailand, Vietnam und Laos. Vor 40 Jahren die "Kornkammer am Mekong". Dann kommen der Vietnam-Krieg und die "Khmer Rouge", die, auf der Grundlage einer abstrusen Ideologie, zwei Millionen Menschen umbringen – darunter fast die gesamte Intelligenz des Landes.
Truppen des kommunistischen Vietnam vertreiben 1978 die Steinzeit-Kommunisten. Wegen des Bundes mit Vietnam aber erhält das am Boden liegende Kambodscha bis Ende der 90er Jahre so gut wie keine Entwicklungshilfe vom Westen – der noch 1990 den Schlächter Pol Pot als legitimen Vertreter Kambodschas anerkennt.
Vor allem wegen dieses Versagens der Industrieländer ist Kambodscha bis heute eins der ärmsten Länder der Welt – ein Land, in dem zwei Drittel der Bevölkerung funktionale Analphabeten sind; wo Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur auf niedrigstem Niveau verharren, wo alle möglichen Banden die Ressourcen plündern.
Kambodscha ist ein Land, wo viele ältere Menschen bis heute gelähmt wirken von unter Pol Pot erlittenen Traumata, sagt Henri Locard, ein aus Frankreich stammender Soziologe und Kambodscha-Kenner, der mit seinen Studenten an der Universität von Kambodscha über die "Khmer Rouge" forscht.
Die Studentin Aing Sokroeun, 23 Jahre alt, hat unlängst erfahren, dass ihre Eltern zwangsverheiratet wurden. Lange musste Aing bohren, bis die Eltern über jene Zeit und das "Danach" erzählten.
" Vor einigen Jahren begegnete ihnen eine ehemalige "Angka"-Funktionärin, die mehrere Menschen ermordet hatte. Als meine Eltern diese Frau sahen, spürten sie – trotz der vielen inzwischen vergangenen Jahre – Wut und Rachegefühle in sich aufsteigen. Dann aber sahen sie, dass die einst so mächtige Frau heute chronisch krank ist, dass sie in bitterer Armut lebt. Und meine Eltern besannen sie sich auf ihren buddhistischen Glauben, auf ihren Glauben an das Karma – nach dem, wer Böses tut, auch Böses erleiden wird – ganz ohne unser Zutun. – Diese Gewissheit, dass sich das Schicksal der Täter erfüllen wird, machte meinen Eltern, sie macht uns Buddhisten ganz allgemein das Vergeben relativ leicht. "
Nach übereinstimmenden Erhebungen leidet bis heute ein Drittel der kambodschanischen Bevölkerung an Angstzuständen, so genannten "flashbacks" und Alpträumen. Aus kleinsten Anlässen kommt es zu Gewaltausbrüchen, wie sie – zum Beispiel – die Studentin Samphors erlebt hat.
" Ich habe erlebt, wie mein Onkel immer wieder meine Tante schlug. Das ging so weit, das die Tante aus der Provinz, wo die beiden lebten, in unser Haus floh. Der Onkel kam dann hierher, stritt mit ihr und versuchte vor unseren Augen, sie mit einem Knüppel zu verprügeln. "
Gewalt, die immer neue Kinder psychisch verkrüppelt. Fast alle Kinder in den letzten Jahrzehnten wurden von traumatisierten Eltern erzogen. Kein Wunder, dass nicht nur Männer Bier, Reis- und Palmwein trinken, um dann um sich zu schlagen. Viele Jugendliche nehmen Opium; Siebenjährige schnüffeln Klebstoff aus Plastiktütchen.
Die noch lebenden Verantwortlichen des Schreckensregimes genießen derweil ihr Rentenalter. Einige wenige schmoren im Gefängnis; Pol Pots Vizepremier und Außenminister Ieng Sary jedoch bewohnt, amnestiert, eine Villa in Phnom Penh. Khieu Samphan, einst Generalsekretär der "Roten Khmer", lebt unbehelligt im Dschungelort Pailin; andere Top-Funktionäre der Steinzeit-Kommunisten schafften den Durchmarsch in hohe Militär- und Polizeiposten oder sogar in die Regierung. Der französische Soziologe Henri Locard:
" Da ist zunächst Verteidigungsminister Tea Banh, der den "Khmer Rouge" als hoher militärischer Kader diente. Da ist der Premierminister, der, bis er zu den Vietnamesen überlief, tausend Mann befehligte. Da ist Senatspräsident Chea Sim, offiziell erster Mann im Staate, wenn der König außer Landes ist. Ausgerechnet Chea Sim hat, namens des Parlaments, jenes Gesetz unterschrieben, das ein Tribunal zur Aufarbeitung der "Khmer Rouge"-Verbrechen installiert – ein Mann, der unter Pol Pot Distriktskommandeur der "Khmer Rouge" war; einer jener 150 höchsten Funktionäre, die die Gefängnisse kontrollierten und Exekutionslisten absegneten. – Nicht zu vergessen schließlich Innenminister Sar Kheng – früher ebenfalls hoher "Khmer Rouge"-Führer. – Inneres, Verteidigung, Premierminister, auch Finanzen – sämtliche Schlüsselministerien unterstehen bis heute ehemaligen "Khmer Rouge". "
Seit 1997 verhandeln Regierungen unter Premier Hun Sen mit den Vereinten Nationen über ein Tribunal, das die Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten der "Roten Khmer" zur Rechenschaft ziehen soll.
Ein Tribunal, das – so Beobachter – vor allem das Ausland will: Kein Völkermörder soll mehr straffrei ausgehen; die überlebenden Opfer hätten ein Recht auf Genugtuung; ohne sie sei Versöhnung nicht möglich; nicht zuletzt soll das Tribunal helfen, die Idee des Rechtsstaates in den Köpfen der Kambodschaner und ihren Institutionen zu verankern.
Unter den Bürgern Kambodschas engagieren sich nur wenige für das Tribunal. Kein Wunder, es gibt nur in Ansätzen eine Zivilgesellschaft; es gibt keine Schicht politisch aktiver Intellektueller, die, wie in Deutschland nach 1968, die Vergangenheit aufarbeiten wollen; fast jeder ist mit dem blanken Überleben beschäftigt. Irgendwie hat man sich überdies mit den Tätern arrangiert und will heute keine alten Wunden mehr aufreißen.
Auf internationalen Druck hin hat die Regierung dennoch im Herbst 2004 per Gesetz die Einrichtung des Tribunals beschlossen – eines teils nationalen, teils internationalen Tribunals; mehrheitlich besetzt mit kambodschanischen Richtern. Andrea Nehm, eine am Kambodschanischen Institut für Demokratie tätige Juristin, sieht da den ersten großen Haken.
Das Ruanda-Tribunal in Arusha zum Beispiel hat bis heute eine Milliarde Dollar gekostet. Das Gericht in Kambodscha soll – laut Rahmenvereinbarung zwischen UN-Sicherheitsrat und Regierung – mit insgesamt gerade 60 Millionen auskommen.
Mit so wenig Geld sind – sagen Experten – weder intensive Ermittlungen zu finanzieren noch ein wirksamer Zeugenschutz. Ohne Zeugenschutz jedoch ist ein rechtsstaatliches Verfahren kaum möglich. Davon abgesehen: Auch die 60 Millionen Dollar müssen erst noch aufgebracht werden. Kambodschas Regierung will nur Wasser und Strom für die Gerichtsgebäude zahlen.
All das ficht einen Mann nicht an: Youk Chchang, den Leiter des "Dokumentationszentrums von Kambodscha". Fast seine gesamte Familie hat Chchang durch die Schergen des "Khmer Rouge"-Regimes verloren und hat sich die Dokumentation dieses Regimes zur Lebensaufgabe gemacht.
600.000 Dokumente hat das "Dokumentationszentrum für Kambodscha" bis heute gesammelt, 20.000 Massengräber und 2.000 Gefängnisse dokumentiert, Tausende Täter und Überlebende interviewt. Das gesamte Material liegt in dreifacher Ausfertigung an geheim gehaltenen Orten.
Youk Chchang, Dokumentar selbst miterlebten Grauens, will das Tribunal um jeden Preis. Er sieht in diesem Tribunal den Schlüssel dafür, dass Millionen Menschen mit der Vergangenheit abschließen können. Die tatsächliche Durchführung des Tribunals sei wichtiger als dessen rechtsstaatlich einwandfreier und fairer Ablauf.
" Was heißt hier "fair"? – Fair wäre, mir meine von den "Khmer Rouge" ermordete Schwester zurückzugeben, meine zerstörte Kindheit, meine ermordeten Lehrer, Onkel und Großeltern. Niemand kann mir all das zurückgeben. Schon deshalb kann ein solches Tribunal nicht fair sein im umfassenden Sinne. Möglich ist nur ein faires, offene Wunden schließendes Procedere. Das heißt: Das Tribunal muss öffentlich sein; die Menschen müssen daran teilhaben können; man muss sie anhören; man muss sie zuhören lassen. – Nach fairen Erörterungen muss schließlich das Tribunal zu der eindeutigen Feststellung gelangen: Der Völkermord in Kambodscha war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit; genau das muss unseren Kindern im Schulunterricht vermittelt werden; und wir alle müssen, Hand in Hand mit der internationalen Gemeinschaft, dafür eintreten, dass so etwas nie wieder geschieht – weder in Kambodscha noch irgendwo auf der Welt. "
Kambodscha, noch Ende der 60er Jahre weiter entwickelt als Thailand, hängt heute am Tropf internationaler Hilfe; die Verwaltung ist korrupt; der Neuaufbau einer Zivilgesellschaft kommt nur schleppend voran – derweil die breite Bevölkerung in bitterer Armut lebt.
Die Fahrt von Kambodschas beschaulicher Hauptstadt Phnom Penh nach Norden führt im weit ausgreifenden Überschwemmungsgebiet des Mekong durch schier endlose Reisfelder, auf denen vielerorts allerdings die Ernte verdorrt ist. Der Monsunregen fiel diese Saison nicht sehr ergiebig.
Unmerklich führt die Straße ins Mittelgebirge, wo an die Stelle von Reis Erdnüsse und Mais treten; dazwischen Bananenstauden, Öl- und Kokospalmen, Eukalyptus-Haine; Acajou-Bäume, auf denen Cashewnüsse wachsen. Im Schatten auf Pfählen stehender Häuser entlang der Straße dösen deren Bewohner vor sich hin.
Schließlich, mitten im Busch, das Dorf Kilo Sam Brambai: grasbedeckte Hütten, umgeben von Zäunen aus Ästen; Hunde, Schweine; ein Kiosk offeriert Süßigkeiten, Seife, Schuhbänder; darüber auf hellblau gestrichenem Blech der Name der Regierungspartei: "Cambodia People’s Party".
Auf einer Plane zwischen einigen Hütten sitzen mit ernsten Gesichtern etwa 50 Männer und Frauen. Zunächst stockend erzählt der Dorfälteste Pat Pung aus der Zeit der "Roten Khmer"; aus der Zeit jener Steinzeit-Kommunisten, die 1975 die Macht übernahmen in Kambodscha.
" Für drei Jahre, acht Monate und 20 Tage sperrten uns die "Roten Khmer" in ein Gefängnis ohne Wände: Niemand besaß Eigentum – keine Uhr, keine Schuhe, keinen Topf zum Kochen. Das Gemüse, das wir anpflanzten, durften wir nicht essen – und auch nicht die Kokosnüsse, die auf unseren Palmen wuchsen. Wie Hunde bekamen wir nur einmal täglich etwas Reis im Blechnapf. – Die Soldaten der "Roten Khmer" dagegen hatten alle Rechte. Sie aßen, was sie wollten; sie töteten, wen sie wollten. Schüler, Studenten, Lehrer, Ärzte; jeder, der lesen und schreiben konnte, musste sterben – und natürlich die Wohlhabenden. Elf Kilometer von hier, beim Dorf Chiav, lag die Hinrichtungsstätte. Dort wurden all die Menschen erschossen und mit Hilfe von Bulldozern in Massengräbern verscharrt. "
Mit zitternder Stimme berichtet Pat Pung, wie Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. In so genannten "mobilen Einheiten" mussten sie Bewässerungskanäle graben; junge Männer und Frauen wurden von "Angka", der Partei, in Massenhochzeiten zwangsverheiratet.
Pat Pung erzählt von einem Nachbarn, den sie in die örtliche Pagode schafften und, wie 30 andere, mit Fußketten an eine lange Stange fesselten. Die Fenster der Pagode waren zugenagelt; kein Lichtstrahl drang hinein. Kurz bevor die vietnamesischen Befreier kamen, warfen die Bewacher Handgranaten in die Pagode.
Von 1979-1996 führte der gestürzte Diktator Pol Pot aus dem Dschungel heraus Bürgerkrieg gegen die neue, von den Vietnamesen eingesetzte Regierung. Das Dorf Kilo Sam Brambai lag mitten im Kampfgebiet. Immer wieder mussten die Bewohner Zuflucht in Vertriebenenlagern suchen; fanden, wenn sie zurückkehrten, Häuser und Felder niedergebrannt.
14 Prozent Kambodschas sind bis heute mit Minen verseucht; gerade im Nordwesten ist viel gutes Ackerland nicht nutzbar. – Der etwa 40-jährige Pain Ti zeigt seine Prothese am rechten Bein, eine tiefe Narbe am linken.
" Ich lief gerade Nachbarschaftspatrouille um unser Dorf herum, als mir ein Freund von einem merkwürdigen Gegenstand auf seinem Feld berichtete. Ich ging dorthin und trat, etwas leichtsinnig, gegen das Objekt. Eine Sekunde später hatte ich mein rechtes Bein verloren; und ich konnte froh sein, dass einige Männer mich ins Krankenhaus von Battambang trugen, bevor ich verblutet war. – Jetzt habe ich zwar diese Prothese, kann aber nicht mehr auf dem Feld arbeiten. Das müssen meine Frau und die Kinder tun. Ich kümmere mich um Haus und Küche. "
Die Bauern im Nordwesten Kambodschas sehen sich bis heute nicht nur von Minen bedroht, sondern überdies von Polizei und Militär. Kommandeure örtlicher Garnisonen verhalten sich, als ob die von ihnen eigentlich zu schützende Region ihnen persönlich gehört – berichtet Chein Hien, Mitarbeiter der katholischen Caritas Kambodschas, die den Bauern im Nordwesten zu helfen versucht.
" Beim Dorf Bhandrukun gibt es einen Militär-Stützpunkt, dessen Befehlshaber im Laufe der Zeit alles umliegende Land in Besitz nahm. Als er schließlich die Bauern des Dorfes aufforderte zu verschwinden, zogen die zur Provinzverwaltung in Battambang und baten den Gouverneur um Hilfe. Der Gouverneur versprach, sich zu kümmern; aber als die Bauern in ihr Dorf zurückkamen, hatten die Soldaten sämtliche Häuser dort niedergebrannt. Und noch heute sitzen Soldaten auf dem Land der Bauern von Bhandrukun, die inzwischen weit weg von hier leben, an der Grenze zu Thailand. Dort haben sie ein Stück Regenwald gerodet. "
Die Caritas Kambodschas, unterstützt vom deutschen Hilfswerk "Misereor", greift den Bauern beim schwierigen Kampf ums Überleben unter die Arme. Sie hilft bei der Anlage von Brunnen und mit Projekten, die das Risiko einer Missernte abfedern: Hausgärten zum Beispiel, die Haltung von Kleinvieh, der Betrieb einer Nebenerwerbsbäckerei oder -schreinerei.
Davon abgesehen klären Caritas-Mitarbeiter die Bauern über ihre Bürgerrechte auf, ermutigen sie, sich zu organisieren, Verwaltung und Militär geschlossen gegenüberzutreten.
Dass die zunehmende Landlosigkeit vor dem Hintergrund einer einsetzenden Bevölkerungsexplosion, dass die sich rapide weitende Kluft zwischen arm und reich sozialen wie politischen Sprengstoff birgt, weiß auch Kambodschas Regierung unter Premier Hun Sen. Mit Hilfe der deutschen "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", GTZ, hat die Regierung begonnen, Landbesitzsicherheit wiederherzustellen, das heißt das von den "Roten Khmer" zerstörte Katasterwesen wiederaufzubauen.
" Gegenwärtig sind wir hier dabei, zusammen mit dem "Ministry of Land Management, Urban Planning and Construction", in Zusammenarbeit mit der Weltbank und anderen Gebern, in einer konzertierten Aktion in den nächsten Jahren etwa eine Million Landtitel an die ländliche Bevölkerung zu vergeben. "
Dies funktioniert im seit 1979 befriedeten Süden und Osten des Landes relativ reibungslos – berichtet Thomas Engelhardt, Büroleiter der GTZ in Phnom Penh. Erst ab Mitte 2005 jedoch registriert die Regierung Landtitel im Nordwesten Kambodschas – wo zahlreiche Militärs, Polizeichefs und andere hohe Funktionäre ihre zusammen geraubten Latifundien mit Zähnen und Klauen verteidigen dürften.
Thomas Engelhardt vertraut auf Premier Hun Sen, der kürzlich eine engagierte Rede zugunsten einer Landreform hielt.
" Hun Sen hat in dieser Rede sehr eindeutig sich dafür ausgesprochen, dass noch mehr Landtitel vergeben werden. Er hat darauf hingewiesen, dass, wenn die ländliche Bevölkerung keine Sicherheit bekommt an ihren Landtiteln, es zu Unruhen kommen kann, und dass damit die Entwicklungsarbeit der letzten Jahre gefährdet ist. Er hat auch darauf hingewiesen auf die großen Probleme, die existieren aufgrund der Tatsache, dass es Großgrundbesitzer gibt, einige wenige, die sehr große Ländereien besitzen und diese nicht produktiv nutzen. Und das ist der Einstieg jetzt, diese großen Latifundien, diese großen Gebiete, die 300.000 Hektar groß sind, dass dieser Großgrundbesitz zerschlagen wird in die maximale Größe von 10.000 Hektar; und dieses dann vorhandene Land kann an arme landlose und landhungrige Bevölkerungsteile verteilt werden. "
Eher skeptisch gegenüber Verlautbarungen der für ihre Ineffizienz berüchtigten Regierung zeigt sich Caritas-Mitarbeiter Victor Maria. "Was tut Hun Sen, zum Beispiel, gegen den ökologischen Raubbau im Norden Kambodschas?" fragt er.
Im Norden, wo vor 30 Jahren Baumriesen, Bambuswälder, Tiger und Elefanten das Landschaftsbild bestimmten, rauben seit dem Bürgerkrieg skrupellose Militärs und deren Komplizen ungehindert Tropenholz und verschieben es nach Thailand oder Malaysia. Erosion und Erdrutsche sind die Folge; es regnet weniger als früher; das von mehreren Flüssen in den Tonlesap-See gespülte Erdreich lässt diesen riesigen See in Zentral-Kambodscha zusehends verlanden – einen See, von dessen Fischbestand mindestens eine Million Menschen leben.
"Ich sehe keinen Anlass zu Optimismus", sagt Victor Maria von der kambodschanischen Caritas.
Die mächtigen Großgrundbesitzer werden weiterhin die Landpolitik in ihrem Sinne beeinflussen – weil sie über den nötigen Einfluss auf die Regierung verfügen; über, genauer ausgedrückt, genügend Geld, die richtigen Leute zu bestechen. Die Höchstgrenze an Landbesitz zum Beispiel existiert folglich nur auf dem Papier. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich an den tatsächlichen Landbesitzverhältnissen etwas ändert in diesem Land.
Kambodscha – halb so groß wie Deutschland, zwölf Millionen Einwohner; umgeben von Thailand, Vietnam und Laos. Vor 40 Jahren die "Kornkammer am Mekong". Dann kommen der Vietnam-Krieg und die "Khmer Rouge", die, auf der Grundlage einer abstrusen Ideologie, zwei Millionen Menschen umbringen – darunter fast die gesamte Intelligenz des Landes.
Truppen des kommunistischen Vietnam vertreiben 1978 die Steinzeit-Kommunisten. Wegen des Bundes mit Vietnam aber erhält das am Boden liegende Kambodscha bis Ende der 90er Jahre so gut wie keine Entwicklungshilfe vom Westen – der noch 1990 den Schlächter Pol Pot als legitimen Vertreter Kambodschas anerkennt.
Vor allem wegen dieses Versagens der Industrieländer ist Kambodscha bis heute eins der ärmsten Länder der Welt – ein Land, in dem zwei Drittel der Bevölkerung funktionale Analphabeten sind; wo Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur auf niedrigstem Niveau verharren, wo alle möglichen Banden die Ressourcen plündern.
Kambodscha ist ein Land, wo viele ältere Menschen bis heute gelähmt wirken von unter Pol Pot erlittenen Traumata, sagt Henri Locard, ein aus Frankreich stammender Soziologe und Kambodscha-Kenner, der mit seinen Studenten an der Universität von Kambodscha über die "Khmer Rouge" forscht.
Die Studentin Aing Sokroeun, 23 Jahre alt, hat unlängst erfahren, dass ihre Eltern zwangsverheiratet wurden. Lange musste Aing bohren, bis die Eltern über jene Zeit und das "Danach" erzählten.
" Vor einigen Jahren begegnete ihnen eine ehemalige "Angka"-Funktionärin, die mehrere Menschen ermordet hatte. Als meine Eltern diese Frau sahen, spürten sie – trotz der vielen inzwischen vergangenen Jahre – Wut und Rachegefühle in sich aufsteigen. Dann aber sahen sie, dass die einst so mächtige Frau heute chronisch krank ist, dass sie in bitterer Armut lebt. Und meine Eltern besannen sie sich auf ihren buddhistischen Glauben, auf ihren Glauben an das Karma – nach dem, wer Böses tut, auch Böses erleiden wird – ganz ohne unser Zutun. – Diese Gewissheit, dass sich das Schicksal der Täter erfüllen wird, machte meinen Eltern, sie macht uns Buddhisten ganz allgemein das Vergeben relativ leicht. "
Nach übereinstimmenden Erhebungen leidet bis heute ein Drittel der kambodschanischen Bevölkerung an Angstzuständen, so genannten "flashbacks" und Alpträumen. Aus kleinsten Anlässen kommt es zu Gewaltausbrüchen, wie sie – zum Beispiel – die Studentin Samphors erlebt hat.
" Ich habe erlebt, wie mein Onkel immer wieder meine Tante schlug. Das ging so weit, das die Tante aus der Provinz, wo die beiden lebten, in unser Haus floh. Der Onkel kam dann hierher, stritt mit ihr und versuchte vor unseren Augen, sie mit einem Knüppel zu verprügeln. "
Gewalt, die immer neue Kinder psychisch verkrüppelt. Fast alle Kinder in den letzten Jahrzehnten wurden von traumatisierten Eltern erzogen. Kein Wunder, dass nicht nur Männer Bier, Reis- und Palmwein trinken, um dann um sich zu schlagen. Viele Jugendliche nehmen Opium; Siebenjährige schnüffeln Klebstoff aus Plastiktütchen.
Die noch lebenden Verantwortlichen des Schreckensregimes genießen derweil ihr Rentenalter. Einige wenige schmoren im Gefängnis; Pol Pots Vizepremier und Außenminister Ieng Sary jedoch bewohnt, amnestiert, eine Villa in Phnom Penh. Khieu Samphan, einst Generalsekretär der "Roten Khmer", lebt unbehelligt im Dschungelort Pailin; andere Top-Funktionäre der Steinzeit-Kommunisten schafften den Durchmarsch in hohe Militär- und Polizeiposten oder sogar in die Regierung. Der französische Soziologe Henri Locard:
" Da ist zunächst Verteidigungsminister Tea Banh, der den "Khmer Rouge" als hoher militärischer Kader diente. Da ist der Premierminister, der, bis er zu den Vietnamesen überlief, tausend Mann befehligte. Da ist Senatspräsident Chea Sim, offiziell erster Mann im Staate, wenn der König außer Landes ist. Ausgerechnet Chea Sim hat, namens des Parlaments, jenes Gesetz unterschrieben, das ein Tribunal zur Aufarbeitung der "Khmer Rouge"-Verbrechen installiert – ein Mann, der unter Pol Pot Distriktskommandeur der "Khmer Rouge" war; einer jener 150 höchsten Funktionäre, die die Gefängnisse kontrollierten und Exekutionslisten absegneten. – Nicht zu vergessen schließlich Innenminister Sar Kheng – früher ebenfalls hoher "Khmer Rouge"-Führer. – Inneres, Verteidigung, Premierminister, auch Finanzen – sämtliche Schlüsselministerien unterstehen bis heute ehemaligen "Khmer Rouge". "
Seit 1997 verhandeln Regierungen unter Premier Hun Sen mit den Vereinten Nationen über ein Tribunal, das die Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten der "Roten Khmer" zur Rechenschaft ziehen soll.
Ein Tribunal, das – so Beobachter – vor allem das Ausland will: Kein Völkermörder soll mehr straffrei ausgehen; die überlebenden Opfer hätten ein Recht auf Genugtuung; ohne sie sei Versöhnung nicht möglich; nicht zuletzt soll das Tribunal helfen, die Idee des Rechtsstaates in den Köpfen der Kambodschaner und ihren Institutionen zu verankern.
Unter den Bürgern Kambodschas engagieren sich nur wenige für das Tribunal. Kein Wunder, es gibt nur in Ansätzen eine Zivilgesellschaft; es gibt keine Schicht politisch aktiver Intellektueller, die, wie in Deutschland nach 1968, die Vergangenheit aufarbeiten wollen; fast jeder ist mit dem blanken Überleben beschäftigt. Irgendwie hat man sich überdies mit den Tätern arrangiert und will heute keine alten Wunden mehr aufreißen.
Auf internationalen Druck hin hat die Regierung dennoch im Herbst 2004 per Gesetz die Einrichtung des Tribunals beschlossen – eines teils nationalen, teils internationalen Tribunals; mehrheitlich besetzt mit kambodschanischen Richtern. Andrea Nehm, eine am Kambodschanischen Institut für Demokratie tätige Juristin, sieht da den ersten großen Haken.
Das Ruanda-Tribunal in Arusha zum Beispiel hat bis heute eine Milliarde Dollar gekostet. Das Gericht in Kambodscha soll – laut Rahmenvereinbarung zwischen UN-Sicherheitsrat und Regierung – mit insgesamt gerade 60 Millionen auskommen.
Mit so wenig Geld sind – sagen Experten – weder intensive Ermittlungen zu finanzieren noch ein wirksamer Zeugenschutz. Ohne Zeugenschutz jedoch ist ein rechtsstaatliches Verfahren kaum möglich. Davon abgesehen: Auch die 60 Millionen Dollar müssen erst noch aufgebracht werden. Kambodschas Regierung will nur Wasser und Strom für die Gerichtsgebäude zahlen.
All das ficht einen Mann nicht an: Youk Chchang, den Leiter des "Dokumentationszentrums von Kambodscha". Fast seine gesamte Familie hat Chchang durch die Schergen des "Khmer Rouge"-Regimes verloren und hat sich die Dokumentation dieses Regimes zur Lebensaufgabe gemacht.
600.000 Dokumente hat das "Dokumentationszentrum für Kambodscha" bis heute gesammelt, 20.000 Massengräber und 2.000 Gefängnisse dokumentiert, Tausende Täter und Überlebende interviewt. Das gesamte Material liegt in dreifacher Ausfertigung an geheim gehaltenen Orten.
Youk Chchang, Dokumentar selbst miterlebten Grauens, will das Tribunal um jeden Preis. Er sieht in diesem Tribunal den Schlüssel dafür, dass Millionen Menschen mit der Vergangenheit abschließen können. Die tatsächliche Durchführung des Tribunals sei wichtiger als dessen rechtsstaatlich einwandfreier und fairer Ablauf.
" Was heißt hier "fair"? – Fair wäre, mir meine von den "Khmer Rouge" ermordete Schwester zurückzugeben, meine zerstörte Kindheit, meine ermordeten Lehrer, Onkel und Großeltern. Niemand kann mir all das zurückgeben. Schon deshalb kann ein solches Tribunal nicht fair sein im umfassenden Sinne. Möglich ist nur ein faires, offene Wunden schließendes Procedere. Das heißt: Das Tribunal muss öffentlich sein; die Menschen müssen daran teilhaben können; man muss sie anhören; man muss sie zuhören lassen. – Nach fairen Erörterungen muss schließlich das Tribunal zu der eindeutigen Feststellung gelangen: Der Völkermord in Kambodscha war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit; genau das muss unseren Kindern im Schulunterricht vermittelt werden; und wir alle müssen, Hand in Hand mit der internationalen Gemeinschaft, dafür eintreten, dass so etwas nie wieder geschieht – weder in Kambodscha noch irgendwo auf der Welt. "