"Ich verkünde nun die Entscheidung des Staatsgerichtshofs,"
... begann der Präsident des Bremer Staatsgerichtshofs, Alexander Lifschütz, am 5. Januar 1957 wie üblich die mündliche Urteilsverkündung. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob den KPD-Abgeordneten im Bremer Stadt- und Landesparlament ihre Mandate aberkannt werden sollten. Denn seit August 1956 war die KPD verboten. Der Senat hatte wegen der unklaren Rechtslage den Staatsgerichtshof angerufen. Ursprünglich war das Urteil im November 1956 erwartet worden. Nun war die Öffentlichkeit bereits neugierig geworden, warum die Verhandlungen der sieben Richter so lange gedauert hatten. Die Abgeordneten verloren ihre Mandate im Landesparlament, nicht aber in der Stadtbürgerschaft. Was Alexander Lifschütz dann verkündete, war etwas, das es zuvor noch nie in einem deutschen Gerichtssaal gegeben hatte:
"Diesem Entscheidungssatz ist hinzuzufügen, dass bei dem Rechtsausspruch zu Punkt Eins drei Mitglieder des Staatsgerichtshofs abweichender Ansicht gewesen sind, bei dem Rechtsausspruch zu Punkt Drei ebenfalls drei andere Mitglieder des Staatsgerichtshofs abweichender Ansicht gewesen sind."
Für deutsche Richter galt bis dahin ein absolutes Geheimhaltungsgebot. Selbst wo es Richtern nach den entsprechenden Verfahrensordnungen möglich war, ihre von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht schriftlich abzufassen, musste dies geheim bleiben. Über die Beratung und die Abstimmung war Stillschweigen zu wahren. Nach außen mussten die Urteile einstimmig erfolgen. So waren Richter gezwungen, Urteile mit zu unterzeichnen, die ihrer eigenen Rechtsauffassung widersprachen. Der Umgang mit abweichenden Ansichten ging zuweilen so weit, dass sie nicht einmal zu den Prozessakten genommen wurden, sondern in Giftschränken abgelegt wurden, zu denen nur sehr wenige Personen Zugang hatten. Die Öffentlichkeit sollte keinerlei Kenntnis von kontrovers diskutierten Urteilen und ihren Begründungen erhalten.
"Der Staatsgerichtshof hat angeordnet, dass vervielfältigte Exemplare der Entscheidung einschließlich der Urteilsbegründung und der mitgeteilten abweichenden Ansichten für die Beteiligten und andere Interessenten nach Schluss dieser Sitzung auf der Geschäftsstelle des Staatsgerichtshofs zur Verfügung stehen."
Das Bremer Verfassungsgericht machte durch die Bekanntgabe der Abstimmungsverhältnisse zu den einzelnen Punkten der richterlichen Entscheidung nicht nur die Uneinigkeit der Richter öffentlich, sondern auch Inhalt und Begründung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Mit einem Kunstgriff, wie damals im "Spiegel" vermerkt wurde, schufen sich die Bremer Richter selbst die gesetzliche Grundlage für die Veröffentlichung abweichender Meinungen. Das Ersuchen des Senats wurde zur Bitte um Erstattung eines Gutachtens umdefiniert. Nach der Verfahrensordnung durfte dieses veröffentlicht werden. Auch der hoch angesehene Präsident, ehemals Senator für Entnazifizierung, gehörte zu den Abweichlern. Später sprach sich herum, Lifschütz habe sogar mit Rücktritt gedroht, um der Verpflichtung zu entgehen, ein für ihn untragbares Urteil mit zu unterzeichnen. Seiner Ansicht nach hatte nicht einmal das Bundesverfassungsgericht das Recht, rechtmäßig gewählten Abgeordneten das Mandat abzuerkennen.
"In Anlehnung an den Entscheidungssatz ist bereits hervorgehoben worden, dass die Mitglieder des Staatsgerichtshofs bei den Fragen eins und drei geteilter Meinung gewesen sind. Der Staatsgerichtshof war aber einmütig der Meinung, dass diese abweichenden Absichten beachtlich genug sind, sodass die Mitglieder, die abweichender Ansicht waren, von dem Recht Gebrauch gemacht haben, der Entscheidung die abweichende Ansicht und ihre Begründung anzufügen."
Das Bremer Gericht brach damals mit einer deutschen Rechtstradition. Dissenting Votes - sogenannte Minderheiten-Voten - bei amerikanischen und britischen Gerichten völlig alltäglich, waren zwar für deutsche Gerichte schon diskutiert, doch immer wieder verworfen worden. Die Traditionalisten befürchteten, dass die Autorität der Gerichte Schaden nehmen könnte, wenn abweichende Meinungen öffentlich würden. Zudem sei die Unabhängigkeit der Richter in ihrer Entscheidungsfindung gefährdet, wenn ihr Votum öffentlich gemacht würde. Im Anschluss an entsprechende Stellungnahmen des Reichsgerichts pochten die Gegner größerer Transparenz in der Rechtsprechung darauf, dass das Abstimmungsgeheimnis das "Palladium der richterlichen Unabhängigkeit" sei. 1958 wurde der bis dato gewohnheitsrechtliche Grundsatz in das Richtergesetz übernommen. Paragraf 43 lautet bis heute:
Der Richter hat über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung auch nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zu schweigen.
Die Bremer Verfassungsrichter nutzten ihr Konstrukt zur Umgehung dieser Vorschrift noch zwei weitere Male und veröffentlichten abweichende Meinungen. Unterdessen begann in der Rechtswissenschaft eine breite Diskussion um die Geheimhaltungspflicht. Als im berühmten "Spiegel"-Urteil von 1966 das Bundesverfassungsgericht das Abstimmungsergebnis öffentlich machte, erhielt die Debatte weiter Auftrieb. Das Geheimhaltungsdogma erodierte auch beim höchsten deutschen Gericht, zumal es einen Fall zu verhandeln gegeben hatte, dem allergrößte öffentliche Aufmerksamkeit sicher war. Nachdem das Nachrichtenmagazin "Spiegel" die Geschichte "Bedingt verteidigungsbereit" über die Bundeswehr veröffentlicht hatte, ließ die Staatsanwaltschaft die Redaktionsräume durchsuchen und Unterlagen beschlagnahmen. Der Vorwurf: Landesverrat. Bei Stimmengleichheit von vier zu vier Stimmen wurde die Verfassungsbeschwerde des Magazins abgewiesen. Zugleich wurde aber die grundlegende Bedeutung von freier Presse und Information der Öffentlichkeit für die Demokratie rechtlich weiter ausgestaltet. Die Öffentlichkeit wurde auch in der weiteren Debatte um die Minderheitenvoten zu einer wesentlichen Bezugsgröße. In einem viel beachteten Beitrag in der Fachzeitschrift "Juristische Rundschau" resümierte im Juni 1968 der Autor Max Vollkommer:
Die Einführung des offenen Dissens würde verschiedene Vorteile auf dem Gebiet des Verfahrensrechts bringen, die Rechtsstellung des Richters verbessern und sich auf das Verhältnis der Rechtsprechung zur Öffentlichkeit günstig auswirken. Dagegen sind nachteilige Auswirkungen auf die Belange der Rechtspflege nirgends erkennbar.
Tatsächlich war die Diskussion geprägt von völlig unterschiedlichen Auffassungen vom mündigen Bürger und demokratischer Öffentlichkeit. Gegner der Sondervoten argumentierten sogar mit dem deutschen Volkscharakter, der sich unter anderem in der deutschen Streit- und Prozesssucht zeige.
Der Deutsche ist nicht nüchtern und zuchtvoll genug, um sich ohne innere Einwendungen einer Mehrheitsmeinung als solcher zu fügen. Anerkannt und als verpflichtend empfunden wird in Deutschland allenfalls, was mit dem Charakter des Absoluten verbunden ist oder doch wenigstens mit diesem Charakter auftritt.
Das Thema Minderheitenvoten kam dann beim 47. Deutschen Juristentag im September 1968 auf die Agenda. Die repräsentative Organisation der deutschen Juristenschaft debattierte Justizreformen auch vor dem Hintergrund der Perversionen des Rechts und ihrer Zunft während des Nationalsozialismus. Die vorgeschriebene Einstimmigkeit ermöglichte es Richtern später, zu argumentieren, es sei ja verboten gewesen, ihre abweichende Meinung zu dokumentieren. Wegen der strikten Geheimhaltungspflicht war ein Gegenbeweis und damit die Strafverfolgung unmöglich. Die Bekämpfung solcher formalen Positionen im Umgang mit der eigenen Geschichte zählte zu den stärksten Antrieben der sogenannten Studentenbewegung. Unter den Zuschauern des Juristentages kam es denn auch zu tumultartigen Szenen.
Der langjährige "Spiegel"-Berichterstatter am Bundesverfassungsgericht, Rolf Lamprecht, schrieb in seiner Dissertation 1993, im Aufbruchjahr 1968 habe der 47. Deutsche Juristentag erkennbar das Bedürfnis gehabt, Fesseln aus vordemokratischen Zeiten abzustreifen. Er ordnet die Diskussion um die dissenting opinion – die abweichende Meinung - auf dem Juristentag als Grundsatzdebatte über das Selbstbild der Juristen ein.
Nie zuvor – und leider auch nie danach – haben Juristen so temperamentvoll, so offen und so ungeschützt über das Selbstverständnis des richterlichen Berufsstandes debattiert. Die Auseinandersetzung beleuchtete wie eine Blitzlichtaufnahme den ideologischen Hintergrund von Recht und Rechtsfindung.
In einem berühmt gewordenen Grundsatzreferat bereitete der Verfassungsrechtler Konrad Zweigert Abstimmungen im Plenum über die Einführung der abweichenden Meinung an sämtlichen deutschen Gerichtszügen vor. Zweigert:
Die Autoritätsgläubigkeit wird durch die bei uns übliche Art der Urteilsverkündung gefördert, indem die Entscheidung wie eine notwendige unbezweifelbare Ableitung aus einem ebenfalls unzweifelhaften Rechtssatz produziert wird, über deren Richtigkeit sich nicht debattieren lasse und der man blind zu gehorchen habe.
Dabei schaffe gerade die dissenting opinion neue Impulse. Juristen sollten sich als kritische Staatsbürger begreifen, nicht nur in ihrer privilegierten Rolle als Repräsentanten der dritten Gewalt. Mit Ausnahme der unteren Kollegialgerichte wurde auf dem Juristentag einer Zulassung der Minderheitenvoten für alle Bereiche der Justiz zugestimmt. Damit war das Thema auf der justizpolitischen Agenda. Der Gesetzgeber übernahm die Anregung zunächst teilweise. Am 20. Dezember 1970 wurde im Bundestag die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zum 01.01.1971 beschlossen.
In der praktischen Umsetzung begann das neue Zeitalter mit einem Knall. Am 2. Dezember 1970 hatte der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten 1. Abhörurteil mehrheitlich für verfassungsgemäß erklärt, dass im Notstandsfall auch ohne richterliche Überprüfung in Grundrechte eingegriffen werden könne. Drei der Richter des Senats waren gegenteiliger Ansicht und warteten nur noch das Inkrafttreten des Sondervotumsrechts ab, um mit ihrer geharnischten Kritik an die Öffentlichkeit zu gehen. Am 5. Januar 1971 veröffentlichten die Dissenter ihre abweichende Meinung. Das Echo war überwältigend, erinnert sich Rolf Lamprecht. Der Zeit-Autor Hans Schueler schrieb:
"Die drei überstimmten Verfassungsrichter haben das in der Bundesrepublik neue, aus dem angloamerikanischen Rechtskreis übernommene dissenting vote mit einem Paukenschlag in das deutsche Verfassungsleben eingeführt. Es wird lange nachhallen."
Die drei Abweichler warfen sowohl der Regierung Kiesinger, die das streitbefangene Gesetz verabschiedet hatte, als auch den anderen Richtern ihres Senats Verfassungsbruch vor. Etliche Blätter druckten das Sondervotum im Wortlaut nach. Lamprecht:
"Jeder Bürger, der die disparaten Teile des Urteils las, wusste nun, welche Freiheitsrechte ihm die Mehrheit des zweiten Bundesverfassungsgerichtssenats genommen hatte und welche ihm nach Ansicht der Minderheit zustanden."
Für Lamprecht handelt es sich bei der Einführung des Sondervotums um eine Sternstunde der deutschen Justizgeschichte. Heribert Prantl, stellvertretende Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung und früher selbst Richter und Staatsanwalt, teilt die Begeisterung:
"Ich bin immer noch begeistert, weil diese Veröffentlichung von Sondervoten eigentlich eine Quelle für Rechtsfortbildung ist und nicht nur dem Juristen, sondern auch dem Laien erklärt, wie Recht funktioniert."
Ulli Rühl, Professor für Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bremen, erläutert die stilistischen Unterschiede bei der Rechtsfindung:
"Die angelsächsische Tradition, die ist sehr viel subjektiver. Also in der angelsächsischen Tradition formuliert ein Richter subjektiv. Also der schreibt: 'Ich bin der Auffassung, dass ... ' und die deutsche Tradition ist, das darzustellen als objektives Ergebnis einer, überspitzt gesagt, Deduktion. Das macht einen Unterschied im Stil aus. Und der US-Supreme Court kannte immer schon diese dissenting opinions und die konkurrierenden opinions."
Der Publizist Friedrich Karl Fromme mochte damals kein gutes Haar an diesem Fortschritt lassen. Schon die Debatten auf dem alles entscheidenden Deutschen Juristentag hatten ihn provoziert, Rufe nach Reformen der deutschen Justiz als zeitgebundene Modeerscheinungen abzutun. Für ihn barg das Sondervotum die Gefahr der Bloßstellung der Richter und eine Trivialisierung ihrer Entscheidungsfindungsprozesse für eine – wie er schrieb – "neugierige, sich gern als des Hintergrundwissens mächtig darbietende Öffentlichkeit". Die erwies sich jedoch entgegen allen elitären Befürchtungen nicht nur als wissbegierig, sondern auch als lernfähig. Für Rühl wird Verfassung erst lebendig durch das Verständnis der Bürger.
"Eine Verfassung lebt ja auch von Menschen, die die Verfassung verstehen."
Auch Heribert Prantl hält die Befürchtungen der Reformgegner für nicht stichhaltig.
"Man hat gefürchtet, dass der Respekt vor dem Recht schwindet, wenn gezeigt wird durch die Veröffentlichung von abweichenden Voten, dass Recht nicht etwas Statisches ist, etwas fest Gefügtes. Ich glaube, das Gegenteil ist eingetreten. Das Vertrauen in das Recht ist eher gewachsen."
Die abweichenden Meinungen führen aber auch zu einer Verbesserung der höchstrichterlichen Rechtsprechung insgesamt, wie der Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz 1985 in einem Interview über ein vom ihm und seinem Kollegen Ernst Wolfgang Böckenförde verfasstes Minderheitenvotum hervorhob:
"So ein Minderheitenvotum wird immer aus aktuellen Gründen für besonders gewichtig gehalten. Wir dürfen aber nicht übersehen: dieses Urteil ist im Senat tagelang und mit Abständen im Grunde dann wochenlang beraten worden. Zwei Richter haben opponiert. Das heißt, die sechs anderen Richter, die nicht überzeugt waren davon, deren Urteil wiegt natürlich auch besonders viel, weil es ständig im Widerspruch von zwei Richtern formuliert worden ist"
Auf die Frage, ob er hoffe, dass seine Ansicht einmal mehrheitsfähig werden würde, antwortete er:
"Ja, das ist unsere Hoffnung. Ganz entschieden. Sonst hätten wir uns auch nicht so viel Mühe damit gegeben."
Auch das ist eine der wichtigen Errungenschaften der Veröffentlichung von Sondervoten. Rechtfortbildung kann quasi miterlebt werden.
"Sondervoten führen dazu, dass Rechtsfragen offen gehalten werden sollen."
Schon beim 1. Abtreibungsurteil von 1975 musste sich Willy Brandt - trotz der Enttäuschung über das Mehrheitsvotum, das das von seiner Regierung verabschiedete Gesetz kippte, nicht in eine verfassungswidrige Position drängen lassen:
"In Übereinstimmung mit den Verfassungsrichtern, die in der Minderheit geblieben sind, halten wir diese Regelung auch unverändert für verfassungsgemäß."
In anderen Fällen wurden die früheren Mindermeinungen schon mehrheitsfähig. Ulli Rühl rekapituliert das Verfahren um die Zusammensetzung des Geheimdiensthaushaltsausschusses 1984, von dem einst die Grünen ferngehalten wurden.
"Da gibt es ein Sondervotum vom Richter Böckenförde, von dem ich glaube, dass es in den späteren Entscheidungen, die dazu ergangen sind, dass der Senat auf die Linie des Sondervotums eingeschwenkt ist. Das kann man an Beispielen sehen, weil dieser Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, der heute herrschende Rechtsprechung ist, also Spiegelbildlichkeit von den Fraktionen im Plenum und den Vertretern in den Ausschüssen."
Der glänzende Erfolg der Einführung der abweichenden Meinung in die Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es in der deutschen Justiz weiteren Reformbedarf in Sachen "andere Ansicht" gibt. Schon Alexander Lifschütz, der visionäre Präsident des Bremer Staatsgerichtshofs, hatte 1957 in einem Kommentar zu seinem vermeintlichen Rechtsbruch gesagt, er empfehle die Einführung der dissenting opinion für alle Kollegialgerichte, also überall dort, wo mehrere Richter das Urteil fällen. Und auch der berühmte deutsche Juristentag 1968 hatte dies in mehreren Abstimmungen befürwortet, warum eigentlich unterblieb in den anderen Gerichtszügen wie Straf- und Zivilgerichten die Reform?
Bei einer Umfrage unter Richtern in den 80er-Jahren sah die Mehrheit keinen Bedarf und verband entsprechende Forderungen – negativ konnotiert - mit der Ideologie der 68er. Heribert Prantl schüttelt den Kopf ob solcher Vorurteile. Er meint, die Einführung der Sondervoten sollte Thema des nächsten Richtertags sein:
"Mich wundert es, dass es so lange dauert, dass auch bei anderen Kollegialgerichten die Vorteile dieser Einführung erkannt werden. Die Rechtsprechung wird anschaulich und nachvollziehbar. Und etwas ganz Besonderes für Kollegialgerichte, beispielsweise Zivilgerichten: Die unterlegenen Parteien werden getröstet. Wenn dadurch die Akzeptanz der Urteile steigt – dann ist das eigentlich ein ganz dicker Pluspunkt, den man eigentlich auch für die anderen Gerichtsbarkeiten anführen müsste."
... begann der Präsident des Bremer Staatsgerichtshofs, Alexander Lifschütz, am 5. Januar 1957 wie üblich die mündliche Urteilsverkündung. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob den KPD-Abgeordneten im Bremer Stadt- und Landesparlament ihre Mandate aberkannt werden sollten. Denn seit August 1956 war die KPD verboten. Der Senat hatte wegen der unklaren Rechtslage den Staatsgerichtshof angerufen. Ursprünglich war das Urteil im November 1956 erwartet worden. Nun war die Öffentlichkeit bereits neugierig geworden, warum die Verhandlungen der sieben Richter so lange gedauert hatten. Die Abgeordneten verloren ihre Mandate im Landesparlament, nicht aber in der Stadtbürgerschaft. Was Alexander Lifschütz dann verkündete, war etwas, das es zuvor noch nie in einem deutschen Gerichtssaal gegeben hatte:
"Diesem Entscheidungssatz ist hinzuzufügen, dass bei dem Rechtsausspruch zu Punkt Eins drei Mitglieder des Staatsgerichtshofs abweichender Ansicht gewesen sind, bei dem Rechtsausspruch zu Punkt Drei ebenfalls drei andere Mitglieder des Staatsgerichtshofs abweichender Ansicht gewesen sind."
Für deutsche Richter galt bis dahin ein absolutes Geheimhaltungsgebot. Selbst wo es Richtern nach den entsprechenden Verfahrensordnungen möglich war, ihre von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht schriftlich abzufassen, musste dies geheim bleiben. Über die Beratung und die Abstimmung war Stillschweigen zu wahren. Nach außen mussten die Urteile einstimmig erfolgen. So waren Richter gezwungen, Urteile mit zu unterzeichnen, die ihrer eigenen Rechtsauffassung widersprachen. Der Umgang mit abweichenden Ansichten ging zuweilen so weit, dass sie nicht einmal zu den Prozessakten genommen wurden, sondern in Giftschränken abgelegt wurden, zu denen nur sehr wenige Personen Zugang hatten. Die Öffentlichkeit sollte keinerlei Kenntnis von kontrovers diskutierten Urteilen und ihren Begründungen erhalten.
"Der Staatsgerichtshof hat angeordnet, dass vervielfältigte Exemplare der Entscheidung einschließlich der Urteilsbegründung und der mitgeteilten abweichenden Ansichten für die Beteiligten und andere Interessenten nach Schluss dieser Sitzung auf der Geschäftsstelle des Staatsgerichtshofs zur Verfügung stehen."
Das Bremer Verfassungsgericht machte durch die Bekanntgabe der Abstimmungsverhältnisse zu den einzelnen Punkten der richterlichen Entscheidung nicht nur die Uneinigkeit der Richter öffentlich, sondern auch Inhalt und Begründung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Mit einem Kunstgriff, wie damals im "Spiegel" vermerkt wurde, schufen sich die Bremer Richter selbst die gesetzliche Grundlage für die Veröffentlichung abweichender Meinungen. Das Ersuchen des Senats wurde zur Bitte um Erstattung eines Gutachtens umdefiniert. Nach der Verfahrensordnung durfte dieses veröffentlicht werden. Auch der hoch angesehene Präsident, ehemals Senator für Entnazifizierung, gehörte zu den Abweichlern. Später sprach sich herum, Lifschütz habe sogar mit Rücktritt gedroht, um der Verpflichtung zu entgehen, ein für ihn untragbares Urteil mit zu unterzeichnen. Seiner Ansicht nach hatte nicht einmal das Bundesverfassungsgericht das Recht, rechtmäßig gewählten Abgeordneten das Mandat abzuerkennen.
"In Anlehnung an den Entscheidungssatz ist bereits hervorgehoben worden, dass die Mitglieder des Staatsgerichtshofs bei den Fragen eins und drei geteilter Meinung gewesen sind. Der Staatsgerichtshof war aber einmütig der Meinung, dass diese abweichenden Absichten beachtlich genug sind, sodass die Mitglieder, die abweichender Ansicht waren, von dem Recht Gebrauch gemacht haben, der Entscheidung die abweichende Ansicht und ihre Begründung anzufügen."
Das Bremer Gericht brach damals mit einer deutschen Rechtstradition. Dissenting Votes - sogenannte Minderheiten-Voten - bei amerikanischen und britischen Gerichten völlig alltäglich, waren zwar für deutsche Gerichte schon diskutiert, doch immer wieder verworfen worden. Die Traditionalisten befürchteten, dass die Autorität der Gerichte Schaden nehmen könnte, wenn abweichende Meinungen öffentlich würden. Zudem sei die Unabhängigkeit der Richter in ihrer Entscheidungsfindung gefährdet, wenn ihr Votum öffentlich gemacht würde. Im Anschluss an entsprechende Stellungnahmen des Reichsgerichts pochten die Gegner größerer Transparenz in der Rechtsprechung darauf, dass das Abstimmungsgeheimnis das "Palladium der richterlichen Unabhängigkeit" sei. 1958 wurde der bis dato gewohnheitsrechtliche Grundsatz in das Richtergesetz übernommen. Paragraf 43 lautet bis heute:
Der Richter hat über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung auch nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zu schweigen.
Die Bremer Verfassungsrichter nutzten ihr Konstrukt zur Umgehung dieser Vorschrift noch zwei weitere Male und veröffentlichten abweichende Meinungen. Unterdessen begann in der Rechtswissenschaft eine breite Diskussion um die Geheimhaltungspflicht. Als im berühmten "Spiegel"-Urteil von 1966 das Bundesverfassungsgericht das Abstimmungsergebnis öffentlich machte, erhielt die Debatte weiter Auftrieb. Das Geheimhaltungsdogma erodierte auch beim höchsten deutschen Gericht, zumal es einen Fall zu verhandeln gegeben hatte, dem allergrößte öffentliche Aufmerksamkeit sicher war. Nachdem das Nachrichtenmagazin "Spiegel" die Geschichte "Bedingt verteidigungsbereit" über die Bundeswehr veröffentlicht hatte, ließ die Staatsanwaltschaft die Redaktionsräume durchsuchen und Unterlagen beschlagnahmen. Der Vorwurf: Landesverrat. Bei Stimmengleichheit von vier zu vier Stimmen wurde die Verfassungsbeschwerde des Magazins abgewiesen. Zugleich wurde aber die grundlegende Bedeutung von freier Presse und Information der Öffentlichkeit für die Demokratie rechtlich weiter ausgestaltet. Die Öffentlichkeit wurde auch in der weiteren Debatte um die Minderheitenvoten zu einer wesentlichen Bezugsgröße. In einem viel beachteten Beitrag in der Fachzeitschrift "Juristische Rundschau" resümierte im Juni 1968 der Autor Max Vollkommer:
Die Einführung des offenen Dissens würde verschiedene Vorteile auf dem Gebiet des Verfahrensrechts bringen, die Rechtsstellung des Richters verbessern und sich auf das Verhältnis der Rechtsprechung zur Öffentlichkeit günstig auswirken. Dagegen sind nachteilige Auswirkungen auf die Belange der Rechtspflege nirgends erkennbar.
Tatsächlich war die Diskussion geprägt von völlig unterschiedlichen Auffassungen vom mündigen Bürger und demokratischer Öffentlichkeit. Gegner der Sondervoten argumentierten sogar mit dem deutschen Volkscharakter, der sich unter anderem in der deutschen Streit- und Prozesssucht zeige.
Der Deutsche ist nicht nüchtern und zuchtvoll genug, um sich ohne innere Einwendungen einer Mehrheitsmeinung als solcher zu fügen. Anerkannt und als verpflichtend empfunden wird in Deutschland allenfalls, was mit dem Charakter des Absoluten verbunden ist oder doch wenigstens mit diesem Charakter auftritt.
Das Thema Minderheitenvoten kam dann beim 47. Deutschen Juristentag im September 1968 auf die Agenda. Die repräsentative Organisation der deutschen Juristenschaft debattierte Justizreformen auch vor dem Hintergrund der Perversionen des Rechts und ihrer Zunft während des Nationalsozialismus. Die vorgeschriebene Einstimmigkeit ermöglichte es Richtern später, zu argumentieren, es sei ja verboten gewesen, ihre abweichende Meinung zu dokumentieren. Wegen der strikten Geheimhaltungspflicht war ein Gegenbeweis und damit die Strafverfolgung unmöglich. Die Bekämpfung solcher formalen Positionen im Umgang mit der eigenen Geschichte zählte zu den stärksten Antrieben der sogenannten Studentenbewegung. Unter den Zuschauern des Juristentages kam es denn auch zu tumultartigen Szenen.
Der langjährige "Spiegel"-Berichterstatter am Bundesverfassungsgericht, Rolf Lamprecht, schrieb in seiner Dissertation 1993, im Aufbruchjahr 1968 habe der 47. Deutsche Juristentag erkennbar das Bedürfnis gehabt, Fesseln aus vordemokratischen Zeiten abzustreifen. Er ordnet die Diskussion um die dissenting opinion – die abweichende Meinung - auf dem Juristentag als Grundsatzdebatte über das Selbstbild der Juristen ein.
Nie zuvor – und leider auch nie danach – haben Juristen so temperamentvoll, so offen und so ungeschützt über das Selbstverständnis des richterlichen Berufsstandes debattiert. Die Auseinandersetzung beleuchtete wie eine Blitzlichtaufnahme den ideologischen Hintergrund von Recht und Rechtsfindung.
In einem berühmt gewordenen Grundsatzreferat bereitete der Verfassungsrechtler Konrad Zweigert Abstimmungen im Plenum über die Einführung der abweichenden Meinung an sämtlichen deutschen Gerichtszügen vor. Zweigert:
Die Autoritätsgläubigkeit wird durch die bei uns übliche Art der Urteilsverkündung gefördert, indem die Entscheidung wie eine notwendige unbezweifelbare Ableitung aus einem ebenfalls unzweifelhaften Rechtssatz produziert wird, über deren Richtigkeit sich nicht debattieren lasse und der man blind zu gehorchen habe.
Dabei schaffe gerade die dissenting opinion neue Impulse. Juristen sollten sich als kritische Staatsbürger begreifen, nicht nur in ihrer privilegierten Rolle als Repräsentanten der dritten Gewalt. Mit Ausnahme der unteren Kollegialgerichte wurde auf dem Juristentag einer Zulassung der Minderheitenvoten für alle Bereiche der Justiz zugestimmt. Damit war das Thema auf der justizpolitischen Agenda. Der Gesetzgeber übernahm die Anregung zunächst teilweise. Am 20. Dezember 1970 wurde im Bundestag die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zum 01.01.1971 beschlossen.
In der praktischen Umsetzung begann das neue Zeitalter mit einem Knall. Am 2. Dezember 1970 hatte der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten 1. Abhörurteil mehrheitlich für verfassungsgemäß erklärt, dass im Notstandsfall auch ohne richterliche Überprüfung in Grundrechte eingegriffen werden könne. Drei der Richter des Senats waren gegenteiliger Ansicht und warteten nur noch das Inkrafttreten des Sondervotumsrechts ab, um mit ihrer geharnischten Kritik an die Öffentlichkeit zu gehen. Am 5. Januar 1971 veröffentlichten die Dissenter ihre abweichende Meinung. Das Echo war überwältigend, erinnert sich Rolf Lamprecht. Der Zeit-Autor Hans Schueler schrieb:
"Die drei überstimmten Verfassungsrichter haben das in der Bundesrepublik neue, aus dem angloamerikanischen Rechtskreis übernommene dissenting vote mit einem Paukenschlag in das deutsche Verfassungsleben eingeführt. Es wird lange nachhallen."
Die drei Abweichler warfen sowohl der Regierung Kiesinger, die das streitbefangene Gesetz verabschiedet hatte, als auch den anderen Richtern ihres Senats Verfassungsbruch vor. Etliche Blätter druckten das Sondervotum im Wortlaut nach. Lamprecht:
"Jeder Bürger, der die disparaten Teile des Urteils las, wusste nun, welche Freiheitsrechte ihm die Mehrheit des zweiten Bundesverfassungsgerichtssenats genommen hatte und welche ihm nach Ansicht der Minderheit zustanden."
Für Lamprecht handelt es sich bei der Einführung des Sondervotums um eine Sternstunde der deutschen Justizgeschichte. Heribert Prantl, stellvertretende Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung und früher selbst Richter und Staatsanwalt, teilt die Begeisterung:
"Ich bin immer noch begeistert, weil diese Veröffentlichung von Sondervoten eigentlich eine Quelle für Rechtsfortbildung ist und nicht nur dem Juristen, sondern auch dem Laien erklärt, wie Recht funktioniert."
Ulli Rühl, Professor für Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bremen, erläutert die stilistischen Unterschiede bei der Rechtsfindung:
"Die angelsächsische Tradition, die ist sehr viel subjektiver. Also in der angelsächsischen Tradition formuliert ein Richter subjektiv. Also der schreibt: 'Ich bin der Auffassung, dass ... ' und die deutsche Tradition ist, das darzustellen als objektives Ergebnis einer, überspitzt gesagt, Deduktion. Das macht einen Unterschied im Stil aus. Und der US-Supreme Court kannte immer schon diese dissenting opinions und die konkurrierenden opinions."
Der Publizist Friedrich Karl Fromme mochte damals kein gutes Haar an diesem Fortschritt lassen. Schon die Debatten auf dem alles entscheidenden Deutschen Juristentag hatten ihn provoziert, Rufe nach Reformen der deutschen Justiz als zeitgebundene Modeerscheinungen abzutun. Für ihn barg das Sondervotum die Gefahr der Bloßstellung der Richter und eine Trivialisierung ihrer Entscheidungsfindungsprozesse für eine – wie er schrieb – "neugierige, sich gern als des Hintergrundwissens mächtig darbietende Öffentlichkeit". Die erwies sich jedoch entgegen allen elitären Befürchtungen nicht nur als wissbegierig, sondern auch als lernfähig. Für Rühl wird Verfassung erst lebendig durch das Verständnis der Bürger.
"Eine Verfassung lebt ja auch von Menschen, die die Verfassung verstehen."
Auch Heribert Prantl hält die Befürchtungen der Reformgegner für nicht stichhaltig.
"Man hat gefürchtet, dass der Respekt vor dem Recht schwindet, wenn gezeigt wird durch die Veröffentlichung von abweichenden Voten, dass Recht nicht etwas Statisches ist, etwas fest Gefügtes. Ich glaube, das Gegenteil ist eingetreten. Das Vertrauen in das Recht ist eher gewachsen."
Die abweichenden Meinungen führen aber auch zu einer Verbesserung der höchstrichterlichen Rechtsprechung insgesamt, wie der Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz 1985 in einem Interview über ein vom ihm und seinem Kollegen Ernst Wolfgang Böckenförde verfasstes Minderheitenvotum hervorhob:
"So ein Minderheitenvotum wird immer aus aktuellen Gründen für besonders gewichtig gehalten. Wir dürfen aber nicht übersehen: dieses Urteil ist im Senat tagelang und mit Abständen im Grunde dann wochenlang beraten worden. Zwei Richter haben opponiert. Das heißt, die sechs anderen Richter, die nicht überzeugt waren davon, deren Urteil wiegt natürlich auch besonders viel, weil es ständig im Widerspruch von zwei Richtern formuliert worden ist"
Auf die Frage, ob er hoffe, dass seine Ansicht einmal mehrheitsfähig werden würde, antwortete er:
"Ja, das ist unsere Hoffnung. Ganz entschieden. Sonst hätten wir uns auch nicht so viel Mühe damit gegeben."
Auch das ist eine der wichtigen Errungenschaften der Veröffentlichung von Sondervoten. Rechtfortbildung kann quasi miterlebt werden.
"Sondervoten führen dazu, dass Rechtsfragen offen gehalten werden sollen."
Schon beim 1. Abtreibungsurteil von 1975 musste sich Willy Brandt - trotz der Enttäuschung über das Mehrheitsvotum, das das von seiner Regierung verabschiedete Gesetz kippte, nicht in eine verfassungswidrige Position drängen lassen:
"In Übereinstimmung mit den Verfassungsrichtern, die in der Minderheit geblieben sind, halten wir diese Regelung auch unverändert für verfassungsgemäß."
In anderen Fällen wurden die früheren Mindermeinungen schon mehrheitsfähig. Ulli Rühl rekapituliert das Verfahren um die Zusammensetzung des Geheimdiensthaushaltsausschusses 1984, von dem einst die Grünen ferngehalten wurden.
"Da gibt es ein Sondervotum vom Richter Böckenförde, von dem ich glaube, dass es in den späteren Entscheidungen, die dazu ergangen sind, dass der Senat auf die Linie des Sondervotums eingeschwenkt ist. Das kann man an Beispielen sehen, weil dieser Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, der heute herrschende Rechtsprechung ist, also Spiegelbildlichkeit von den Fraktionen im Plenum und den Vertretern in den Ausschüssen."
Der glänzende Erfolg der Einführung der abweichenden Meinung in die Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es in der deutschen Justiz weiteren Reformbedarf in Sachen "andere Ansicht" gibt. Schon Alexander Lifschütz, der visionäre Präsident des Bremer Staatsgerichtshofs, hatte 1957 in einem Kommentar zu seinem vermeintlichen Rechtsbruch gesagt, er empfehle die Einführung der dissenting opinion für alle Kollegialgerichte, also überall dort, wo mehrere Richter das Urteil fällen. Und auch der berühmte deutsche Juristentag 1968 hatte dies in mehreren Abstimmungen befürwortet, warum eigentlich unterblieb in den anderen Gerichtszügen wie Straf- und Zivilgerichten die Reform?
Bei einer Umfrage unter Richtern in den 80er-Jahren sah die Mehrheit keinen Bedarf und verband entsprechende Forderungen – negativ konnotiert - mit der Ideologie der 68er. Heribert Prantl schüttelt den Kopf ob solcher Vorurteile. Er meint, die Einführung der Sondervoten sollte Thema des nächsten Richtertags sein:
"Mich wundert es, dass es so lange dauert, dass auch bei anderen Kollegialgerichten die Vorteile dieser Einführung erkannt werden. Die Rechtsprechung wird anschaulich und nachvollziehbar. Und etwas ganz Besonderes für Kollegialgerichte, beispielsweise Zivilgerichten: Die unterlegenen Parteien werden getröstet. Wenn dadurch die Akzeptanz der Urteile steigt – dann ist das eigentlich ein ganz dicker Pluspunkt, den man eigentlich auch für die anderen Gerichtsbarkeiten anführen müsste."