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Der letzte Meister der Pantomime

Im Gedächtnis geblieben ist Marcel Marceau als hagerer tragikomischer Pierrot im Ringelhemd. Am Samstag ist Marceau im Alter von 84 Jahren gestorben. Der "Charlie Chaplin" der Pantomime trat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit auf.

Moderation: Rainer Berthold Schossig | 23.09.2007
    Rainer Berthold Schossig: Fragen an den Kölner Pantomimen Milan Sladek: Marceau erklärte sein pantomimisches Schweigen, seine Kunst der Stille auch damit, dass er als junger Mann in der Résistance war. Man habe sich damals das Sprechen abgewöhnen müssen. Wäre der Krieg also auch ein Stück weit Vater der Pantomime?

    Milan Sladek: Ich denke, so weit haben Sie Recht, dass nicht nur diese Résistance, aber auch das Bedürfnis der Menschen, also wieder eine Menschlichkeit zu erfahren, zu bekommen, das war wahrscheinlich die Kraft, die der Marceau hatte, als er seine erste Vorstellung vor den Zuschauern gezeigt hat. Ich denke, der hat also ganz andere Dimensionen auf einmal gegeben, weg von dem Technischen, weg von dem Tragischen. Als ich ihn in einem Film gesehen habe, aus den 50er Jahren, habe ich gedacht, der ist wie eine Friedenstaube, die auf einmal aufgetaucht ist.

    Schossig: Marceau erfand seine Gestalt ja nach dem Krieg. Es war ein Stück Frieden, die Gestalt des Bip, 1947 wird sie in Paris aus der Taufe gehoben, nach dem zweiten Weltkrieg. Die Kunst der Pantomime, die ja vom Stummfilm anscheinend verdrängt worden war zuvor, hat er für Europa, könnte man sagen, neu belebt?

    Sladek: Ja, also die Pantomime in Frankreich war nicht eigentlich tot gewesen. Also in Marseille war eine Schule, dann ziemlich bald in den 20er Jahren hat Etienne Decroux, sein Lehrer, angefangen, sich mit den Körperfähigkeiten, Körperausdruck zu beschäftigen und Marceau hat auch zugegeben, dass Decroux sein Lehrer gewesen ist und sie haben den Charlie Chaplin erwähnt und ich habe, als ich seine solistische Pantomime gesehen habe, habe ich immer gedacht, das ist ein wunderbares Konglomerat zwischen der puristischen Art, wie der Etienne Decroux sich ausgedacht hat, seine Mime Corporelle, und gerade diese Volkstümlichkeit, die der Charlie Chaplin gebracht hat.

    Schossig: Sie haben Marcel Marceau noch in Ihrer Heimat, in der Tschechoslowakei, kennen gelernt. Wann war das?

    Sladek: Also in Bratislava war das exakt in 1966 oder 67, kann ich nicht erinnern, und es war wirklich eine wunderbare Begegnung. Dann hatte ich, direkt nachdem ich in Schweden, nach dem Prager Frieden, 1968, in Göteborg, wo ich gewesen bin, ihn getroffen und ich hatte wunderbare Gespräche mit ihm und immer wieder, wo ich die Möglichkeit hatte ihn zu sehen, war ich sehr neugierig, wie sein Weg ist, was er macht.

    Schossig: Herr Sladek, Sie sind selbst Pantomime. Was haben Sie von ihm gelernt?

    Sladek: Mich hat überrascht mit welcher Freiheit er mit den schauspielerischen Fähigkeiten umgegangen ist. Wenn man die Substanz der Pantomime beobachtet, man muss sagen, vor dem Wort, vor dem Verbalen ist das Nonverbale, was eine große Rolle spielt. Also auch diese Fähigkeit, Sachen zu sehen, die in sich zu verarbeiten und weiterzugeben, in eine sehr schöne Form, in der solistischen Pantomime, die zwar nicht absolut neu gewesen ist, aber neu zusammen, zu einer Renaissance gebracht und das war für mich immer sehr wichtig zu sehen, war für uns Mimen doch einigermaßen wie ein Katalysator, der auch die eigene Schöpfung, eigene Kreationen, also ja, so wie ein Spiegel steht.

    Schossig: Sie haben gerade von Weitergabe gesprochen. Marcel Marceau war am Schluss seines langen Pantomimenlebens ja ein Denkmal seiner selbst, kann man sagen. Was bleibt von ihm, was ist Marceaus Vermächtnis?

    Sladek: Ich denke, der hat seine Rolle in der neuesten Welle der Pantomime, das war zu zeigen, dass diese Kunst nicht ausgestorben ist. Das ist wahrscheinlich die Fähigkeit der Pantomime, immer wieder da, wo es notwendig ist, ob das gesellschaftliche, soziale oder welche historische Ereignisse es brauchen, da kommt jemand, der auf einmal zeigt, wie wichtig ist das, wieder sich besinnen auf die Menschlichkeit, die Emotionalität, auf das, was für den Menschen als solchen typisch ist, was man ab und zu auch vergisst.