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Der letzte seiner Art

Die amerikanische Verlegerlegende Roger Straus ist 87jährig gestorben. Straus war ein Mann der Kultur, der Literatur, ein Verleger, dessen Devise "disinguished books by distinguished authors" unter den heutigen Marktbedingungen kühn klingt, der es ein einem Verlegerleben über mehr als ein Jahrhundert aber schaffte, 21 Nobelpreis- und 12 Pulitzer-Preisträger und der Geehrten noch viel mehr in seinem Verlag zu versammeln, eine ausgesprochen distinguierte Gesellschaft, zu der Philip Roth und Susan Sontag, Elias Canetti und Derek Walcott, Christa Wolf und Peter Handke und Mario Vargas Llosa und Isaac Singer und und und zählen. Straus, Gründer, des legendären New Yorker Verlagshauses Farrar, Straus & Giroux, war ein "Doyen" des amerikanischen Literaturbetriebs, eine "fast überlebensgroße Gestalt", wie man heute lesen kann.

Michael Naumann im Gespräch |
    Holger Noltze: Frage an Michael Naumann, Herausgeber und Chefredakteur der ZEIT und in den 90er Jahren ja New Yorker Verlegerkollege, als Sie da "Metropolitan Books" gegründet haben: ehren wir Roger Straus richtig als jemanden, der als Verleger Erfolg hatte, obwohl oder weil er an literarische Qualität glaubte?

    Michael Naumann: Beides ist richtig. Vor allem ehren wir einen Mann, der im Alter von 26 oder 27 Jahren mit Familienkapital im Hintergrund die richtige Idee hatte, und die richtige Idee war in jenen Jahren, in den damals schon hochpreisigen Duellwettbewerben zwischen Agenten und Verlagen um Bestsellerautoren nicht mitzubieten. Er entschloss sich, nach Italien zu gehen, wo, wie er hörte, obwohl er kein italienisch sprach, eine ganze Generation junger Autoren - Calvino, Malaparte und ähnliche - auf dem Markt ganz billig zu haben seien, und die hat er dann gekauft, eben nicht nur die italienischen Autoren, sondern auch viele französische und deutsche, die dann in seinem Verlag zu geringen Vorschüssen landeten, aber siehe da, es war Literatur.

    Noltze: Er war ein Mann mit Instinkt, ein Entdecker?

    Naumann: Ja, hundertprozentig. Das war seine allererste Fähigkeit. Er hatte eine große Grundausbildung, die man in seinen Kreisen in Amerika bekam, das heißt, er war gebildet. Er hatte auch einen guten Geschmack, was sich in seinen Kleidern zeigte. Aber was er vor allem damals in jenen Jahren hatte: Er öffnete das Fenster zu Europa, was die anderen Verlage nicht hatten, zum Teil auch weil viele der großen europäischen Autoren vor Hitler nach Amerika geflohen waren. Das war ja auch die große Zeit, verlegerisch erfolgreiche Zeit von Alfred Knopp mit Thomas Mann und vielen anderen. Also er öffnete ein anderes Fenster zu den Franzosen und Italienern, und das wiederum zog amerikanische Autoren von Gewicht an, aber er hatte auch T.S. Elliot, also den großen Lyriker, der damals noch in London lebte. Kurzum: Er war ein internationaler Verleger, und das zeichnete ihn eben aus vor seinen Konkurrenten, und das ist er geblieben.

    Noltze: Roger Straus gehörte zur jüdisch-deutschen New Yorker Szene. Wie europäisch, wie amerikanisch war er?

    Naumann: Er war durch und durch amerikanisch. Natürlich gab es eine deutsch-schweizerisch-jüdische Community, die ihren inneren Zusammenhang eigentlich schon während des Krieges verloren hatte. Da redete man ja kaum noch über diese Wurzeln. Er war durch und durch Amerikaner, deftig, bisweilen sehr deftig, mit offenen, ungeschnittenen Urteilen über seine Konkurrenten. Er konnte reden wie ein Dockarbeiter.

    Noltze: Am Ende hat er verkauft an den Deutschen Holtzbrinck-Konzern, zu dem auch Rowohlt, Ihr alter Verlag, und die Zeit gehören. War das ein Zeichen, dass ein unabhängiger Verlag dieser Ausrichtung es allein doch nicht schafften konnte in den USA?

    Naumann: Das auch. Aber es war vor allem ein Zeichen gegen seine amerikanischen Konkurrenten, die in der Zwischenzeit geleitet wurden an den Spitzen von nichtliterarischen Geschäftsführern, also zum Beispiel die Bertelsmann-Dependance Randomhouse wurde geleitet von einem ehemaligen IBM-Manager, der stolz darauf war, dass er keine Bücher las. Newhouse, dem große Zeitschriftenverlage und auch Randomhouse gehören, wollte immer gerne Straus gewissermaßen als das Juwel in der Krone kaufen, aber der gute Roger Straus machte keinen Hehl daraus, dass er ihn verachtete, ganz einfach, weil er ihn für einen Emporkömmling hielt, für einen reichen Mann, der einfach nur Zeitschriften sammelte und jetzt eben auch noch einen anständigen Verlag haben wollte. Da weigerte er sich. In anderen Worten: Er verkaufte den Verlag ausgerechnet auch noch an eine deutsche Gruppe, auch aus einem gewissen Trotz heraus. Ich zeig's euch, ihr könnt mich alle mal, so hätte er das gesagt; einerseits. Andrerseits tat er dieses auch aus einem anderen Grund, dass der Konkurrenzkampf um Autoren zu dem Zeitpunkt, also 1996, derartig großgeworden war, dass man buchstäblich finanziellen Rückhalt benötigte in einer für das amerikanische Verlagswesen sehr schwierigen Phase. Die Remission, das heißt die nicht verkauften Bücher, lagen bei 40 bis 50 Prozent der Auflage. Es veränderte sich das Buchhandelswesen in Amerika rapide. Da konnte man sich nicht mehr auf die unabhängigen kleinen Buchhandlungen verlassen. Am Ende gab es nur noch 600 bis 700 in diesem riesigen Land, ansonsten nur noch Buchketten mit enormer Einkaufskraft, und das bedeutete auch eine enorme Macht bei der Verhandlung des Buchpreises. Es gibt ja keinen gebundenen Ladenpreis in Amerika. Man braucht in anderen Worten den Rückhalt einer größeren Gruppe. Die Holtzbrinck-Gruppe wiederum, die schon in Amerika war, zeichnete sich durch die für diese Gruppe typische Philosophie aus. Die Geschäftsführer sind absolut unabhängig. Sie können buchstäblich machen, was sie wollen, wenn sie nicht allzu viel Geld verdienen. Und da war Roger Straus, der sich das in dem Vertrag auch ausbedungen hat bis zum allerletzten Atemzug, in Wirklichkeit weiterhin der Herr seiner Geschäfte und seines Verlages.

    Noltze: War Roger Staus eine Art amerikanischer Unseld?

    Naumann: Den mochte er nicht. Den hielt er für zu germanisch. Außerdem war das Englisch von Unseld offenkundig nicht hoch genug entwickelt, um sich länger in etwas friedfertigeren Tönen mit Roger Straus zu unterhalten. Aber phänotypisch waren sie beide einander durchaus ähnlich. Wenn die den Raum betraten, war der Raum voll von Selbstbewusstsein. Bei Roger Straus war dieses Selbstbewusstsein wohl begründet.