Michael Köhler: Vor dem Dreikönigs-Treffen wollen wir die Frage jetzt mal nicht so nach den Liberalen und ihrer Führungsspitze in Deutschland im engeren Sinn stellen, sondern nach dem Liberalismus im weiteren und Fragen, warum der eigentlich bei uns eine verhältnismäßig schlechte Presse hat, geradezu ein Schuldkandidat für die ein oder andere Verwerfung unter dem Etikett Neoliberalismus ist. Bevor wir das problematisieren die Frage: Eigentlich sind wir doch konstitutionelle Kinder der Aufklärung und eben des Liberalismus. Furcht vor dem Leviathan, vor den Fesseln der Fremdbestimmung. Erst das hat uns die individuellen Freiheitsrechte gebracht. Darüber habe ich mit dem Tübinger Historiker Professor Dr. Dieter Langewiesche gesprochen. Er ist ein Spezialist für Nationalismus und Liberalismus, war Prorektor der Uni Erfurt. Ist der Liberalismus gewissermaßen unsere vergessene Gründungsurkunde, der Gründungsgedanke?
Dieter Langenwiesche: Jedenfalls standen die Liberalen als Gründungszeugen dort und sie waren diejenigen, die im 19. Jahrhundert und auch noch teilweise im 20. Jahrhundert an vorderster Front waren, diese liberalen Freiheitsideen durchzukämpfen gegen die, die sich dem entgegenstellten. Der Staat in der alten Form aber auch Kirche, Adel, das waren ja die Hauptangriffspunkte, gegen die man persönliche Freiheit, Liberalität in der Gesellschaft gegenüber dem Staat durchgesetzt hat. Und das waren die Liberalen, das ist in der Tat etwas in Vergessenheit geraten, weil das heute so als selbstverständlich gilt, dass wir diese Freiheiten haben.
Köhler: Eben. Im Gegenteil, man macht den Liberalismus streckenweit doch auch für das ein oder andere doch schuldig für Verwerfungen. Kein Mensch denkt mehr an John Locke oder Montesquieu, sondern eher an entfesselte Kapitalmärkte, Ellbogengesellschaften, übertriebenen Individualismus, eine bindungsarme, traditionsarme Gesellschaft, Marktgläubigkeit – Sie merken ich könnte so weiter machen – oder ausufernder Wohlfahrtsstaat. Ist das nicht ein bisschen ungerecht?
Langewiesche: Ja, das ist ungerecht gegenüber der Geschichte der Liberalen. Denn das war nie das Markenzeichen des Liberalismus, schon gar nicht in Deutschland. Die ungezügelte Marktgesellschaft, die Laissez-faire-Gesellschaft, das ist nicht die Geburtsurkunde des deutschen Liberalismus, sondern die deutschen Liberalen haben schon im 19. Jahrhundert - und eigentlich in unterschiedlicher Intensität dann durchgehend – immer über die soziale Absicherung von liberalen bürgerlichen Freiheitsrechten nachgedacht. Das gehörte unmittelbar zusammen. Sonst hätten sie ja auch nie politisch wirken können, wenn sie nicht beides aufeinander bezogen haben.
Und das große Problem für die Gesellschaft und damit auch für die Liberalen war, dass man diese soziale Absicherung immer den Zeitverhältnissen anpassen musste. Da gab es kein Patentrezept. Um das vielleicht mal ein bisschen genauer zu betrachten: Sozialer Liberalismus hieß im 19. Jahrhundert zunächst einmal, dass man Bedingungen dafür schafft, dass die ländliche Gesellschaft sich aus den Fesseln von Feudalstrukturen löst. Und wie man das auffangen kann. Das war auch eine Form von sozialem Liberalismus, aber nicht gegenüber Bürgern, sondern gegen Bauern. Das war am Anfang so.
Und dann hieß sozialer Liberalismus, dass man den Einzelnen befähigt, ein möglichst selbstständiges, bürgerliches Leben führen zu können. Und das hieß für die Liberalen und die Gesellschaft insgesamt lange, dass man ökonomisch selbstständig sein sollte, seinen eigenen Betrieb. Und man musste erst langsam lernen, was denn dann soziale Absicherung bedeutet für diejenigen, die ihr Leben lang Gehaltsempfänger, Lohnempfänger bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das vollständige Gespräch mit Dieter Langewiesche können Sie mindestens bis zum 06.06.2013 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören
Dieter Langenwiesche: Jedenfalls standen die Liberalen als Gründungszeugen dort und sie waren diejenigen, die im 19. Jahrhundert und auch noch teilweise im 20. Jahrhundert an vorderster Front waren, diese liberalen Freiheitsideen durchzukämpfen gegen die, die sich dem entgegenstellten. Der Staat in der alten Form aber auch Kirche, Adel, das waren ja die Hauptangriffspunkte, gegen die man persönliche Freiheit, Liberalität in der Gesellschaft gegenüber dem Staat durchgesetzt hat. Und das waren die Liberalen, das ist in der Tat etwas in Vergessenheit geraten, weil das heute so als selbstverständlich gilt, dass wir diese Freiheiten haben.
Köhler: Eben. Im Gegenteil, man macht den Liberalismus streckenweit doch auch für das ein oder andere doch schuldig für Verwerfungen. Kein Mensch denkt mehr an John Locke oder Montesquieu, sondern eher an entfesselte Kapitalmärkte, Ellbogengesellschaften, übertriebenen Individualismus, eine bindungsarme, traditionsarme Gesellschaft, Marktgläubigkeit – Sie merken ich könnte so weiter machen – oder ausufernder Wohlfahrtsstaat. Ist das nicht ein bisschen ungerecht?
Langewiesche: Ja, das ist ungerecht gegenüber der Geschichte der Liberalen. Denn das war nie das Markenzeichen des Liberalismus, schon gar nicht in Deutschland. Die ungezügelte Marktgesellschaft, die Laissez-faire-Gesellschaft, das ist nicht die Geburtsurkunde des deutschen Liberalismus, sondern die deutschen Liberalen haben schon im 19. Jahrhundert - und eigentlich in unterschiedlicher Intensität dann durchgehend – immer über die soziale Absicherung von liberalen bürgerlichen Freiheitsrechten nachgedacht. Das gehörte unmittelbar zusammen. Sonst hätten sie ja auch nie politisch wirken können, wenn sie nicht beides aufeinander bezogen haben.
Und das große Problem für die Gesellschaft und damit auch für die Liberalen war, dass man diese soziale Absicherung immer den Zeitverhältnissen anpassen musste. Da gab es kein Patentrezept. Um das vielleicht mal ein bisschen genauer zu betrachten: Sozialer Liberalismus hieß im 19. Jahrhundert zunächst einmal, dass man Bedingungen dafür schafft, dass die ländliche Gesellschaft sich aus den Fesseln von Feudalstrukturen löst. Und wie man das auffangen kann. Das war auch eine Form von sozialem Liberalismus, aber nicht gegenüber Bürgern, sondern gegen Bauern. Das war am Anfang so.
Und dann hieß sozialer Liberalismus, dass man den Einzelnen befähigt, ein möglichst selbstständiges, bürgerliches Leben führen zu können. Und das hieß für die Liberalen und die Gesellschaft insgesamt lange, dass man ökonomisch selbstständig sein sollte, seinen eigenen Betrieb. Und man musste erst langsam lernen, was denn dann soziale Absicherung bedeutet für diejenigen, die ihr Leben lang Gehaltsempfänger, Lohnempfänger bleiben.
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