„Mir scheint eben, dass das eine wie das andere falsch ist: nämlich Ernst ohne Witz und Witz ohne Ernst.“
Walter Höllerer war alles in einem: Spaßmacher und Universitätsprofessor, ein Hansdampf in allen Gassen und ein hochgebildeter Homme de Lettres. Das Schlüsselerlebnis für den am 19. Dezember 1922 im bayrischen Sulzbach-Rosenberg geborenen Höllerer war der Zweite Weltkrieg. Sein erstes Buch, der Lyrikband „Der andere Gast“ von 1952, handelt davon:
„In einer Nacht geschrieben
Stört er dich, der Schlaf? Mit den großen Händen
Schattet er die Lampe. Du bist verloren,
Wenn er tiefer, dunkler die Flamme angeht.“
Stört er dich, der Schlaf? Mit den großen Händen
Schattet er die Lampe. Du bist verloren,
Wenn er tiefer, dunkler die Flamme angeht.“
Frischer Wind für die Natur- und Innerlichkeitslyrik
Höllerers erste Tätigkeit als Literaturvermittler war die Gründung der Literaturzeitschrift "Akzente“, die sich seit dem ersten Heft im Februar 1954 zu einem herausragenden Forum entwickelte. Verblüffend war Höllerers Gespür für die Moderne. Er interessierte sich früh für die US-amerikanische Literatur, für neue Zeichen und Formen. Das brachte frischen Wind in die abgestandene Natur- und Innerlichkeitslyrik dieser Zeit, die immer noch so wirkte, als wäre sie für das NS-Periodikum „Das Innere Reich“ geschrieben worden.
„Es sollte sein etwas Neues. Und zwar gegen die Leute, die einfach ‚Das Innere Reich‘ fortsetzen wollten. (...) Wir wissen, dass das, was so war, so nicht mehr kommen darf. Wir wollten bestimmte Autoren nicht drucken.“
Lyriker, Kritiker und Akademiker
Höllerers Anthologie „Transit. Lyrik der Jahrhundertmitte“ von 1956 war experimentell angelegt und bahnbrechend. Zwei Jahre später erschien seine Habilitationsschrift mit dem charakteristischen Titel „Zwischen Klassik und Moderne. Lachen und Weinen in der Dichtung einer Übergangszeit.“ Als Assistent an der Universität Frankfurt arbeitete er gleichzeitig auch im Lektorat des Suhrkamp Verlags, und 1959 ereilte ihn der Ruf auf den Lehrstuhl für Literaturwissenschaft an der TU in Westberlin.
Bereits früh hatte er in allen Disziplinen einen großen Namen: als Lyriker, als Kritiker und als Akademiker. Das erzeugte spezielle Synergieeffekte. Höllerer sorgte für Betrieb und Bewegung: „Und dann vergesse ich, dass ich eingespannt bin und schreibe meine Zettel und versuche aufzufliegen, indem ich manchmal Luftsprünge mache. Und wenn es mir gelingt, dann werden die Leute, die mit mir herumziehen, plötzlich angesteckt und machen die Luftsprünge mit.“
Früh die Bedeutung visueller Medien erkannt
Schon in seiner Jugend wollte Höllerer Zirkusdirektor werden. Die Veranstaltungsreihen, die er sofort nach seiner Ankunft in Westberlin organisierte, sind zu einem Mythos geworden. Ins literarisch völlig ausgehungerte Westberlin kamen ab 1961 international herausragende Autoren wie Nathalie Sarraute, Henry Miller, Alain Robbe-Grillet, John Dos Passos oder Ingeborg Bachmann, und zwar in die mit 2000 Plätzen immer sofort ausverkaufte Kongresshalle. Daneben wurden die Veranstaltungen auch live im dritten Fernsehprogramm des SFB übertragen. Höllerer erkannte schon sehr früh die Bedeutung der visuellen Medien: „Und das nenne ich dann Avantgarde! Und das andere nicht!“
Es ist auffällig, dass seine große Zeit in Westberlin mit der 68er-Bewegung endete. Die ästhetische Avantgarde wurde von einer politischen Radikalisierung abgelöst, der Höllerer eher distanziert gegenüberstand. Ein Großprojekt war noch die Ausstellung „Welt aus Sprache“, die er 1972 in der Akademie der Künste kuratierte und mit der er die Semiologie, die Lehre von den Zeichen, publikumswirksam umsetzte.
Der im Mai 2003 gestorbene Höllerer wurde kaum mehr als Schriftsteller wahrgenommen. Mit dem Roman „Die Elefantenuhr“ hatte er 1973 nicht den Erfolg, den er seit seiner Lesung daraus schon 1959 bei der Tagung der Gruppe 47 erwarten konnte. Ein lebensgefährlicher Autounfall 1980, der langwierige Folgen hatte, setzte eine weitere Zäsur. Doch in Erinnerung blieb er als ein großer Ermöglicher und Medienjongleur, und er war bereits zu Lebzeiten eine Legende.