Seltsam unzeitgemäß klangen gestern die Theaterschüsse von Albert Camus' kolonialem "Fremden" auf einen Araber, während im selben Moment ganz real im revolutionär geschüttelten Libyen scharf mit Maschinengewehren auf Demonstranten geschossen worden war. Seltsam unzeitgemäß erschien auch ein Text von Frantz Fanon, der Industrialisierung mit Kolonialisierung gleichsetzte und zur Diskussionsgrundlage diente.
Intellektuell müssen wir erst noch lernen, dass wir uns mit Demokratiebewegungen in ehemaligen Kolonien auch solidarisieren können ohne koloniale Attitüde. Neu zu lernen ist, dass, was die islamischen Staaten derzeit erleben, die Früchte einer Bildungsrevolution sind, die in den 60er-Jahren nach der Entkolonialisierung durch die verschiedenen Befreiungsbewegungen in Gang kam. Überall wurden Schulen und Universitäten geschaffen. Deren Abgänger finden heute keine Arbeit, da die ökonomischen Verhältnisse nicht liberal, sondern korrupt geblieben sind, sodass Autoritäten allüberall infrage stehen, wie Sonja Hegasy, Islamwissenschaftlerin vom Zentrum Moderner Orient beschreibt:
"Das ist auch ein Umkippen des Autoritätsverhältnisses in der Familie. Wenn ihr Kind Universitätsabgänger ist, sie nicht einmal Lesen und Schreiben können: Wer hat denn dann die Entscheidungskraft in der Familie, wenn ihr Kind auf die Straße geht und gegen eine Militärmacht Steine wirft, wer geht denn dann zurück in das Haus und hat Entscheidungsmacht in der Familie. Das sind solche grundlegenden soziologischen Veränderungen in diesen Gesellschaften, die wir jetzt sehen."
Neben dem Zerfall der Familienautorität als Ordnungsprinzip sind die arabischen Herrscher kulturell damit konfrontiert, dass ihre Jugend nicht mehr an die offizielle Staatsidentität glaubt. Wie auch? Der König von Marokko zum Beispiel, dem offiziell alles Land und jeder Produktionsbetrieb gehört, leitete seinen Herrschaftsanspruch zum Beispiel vom Propheten und dem Projekt der Arabisierung Marokkos ab. Jahrzehnte unterdrückte er daher mithilfe der gläubigen arabischen Islamisten unter anderem die Berberminderheit und Sprache, nur um dann sich mit den Berbern zusammen gegen die Islamisten zu verbünden, die ihm gefährlich wurden. Die Volksdemokratien Libyen und Algerien und teilweise Ägypten stellten den Panarabismus und den Sozialismus voran, nur um dann in einem Staat zu münden, dessen Korruptionsformen sprichwörtlich geworden sind: von der "fette-Katzen-Wirtschaft" bis zum "Schleck deine Finger ab"–System. Hinzu kommt, die Wirkung der Neuen Medien, der arabischen transnationalen TV-Sender. Und der sich durch die Dollarschwemme verdoppelnde Brotpreis, der die Perspektivlosigkeit auf die Spitze trieb, so Prof. Rachid Ouaissa von der Universität Marburg:
"Diese Mittelschicht ist jetzt sozusagen auf der Straße, organisiert sich selbst spontan per Twitter und so weiter und ohne jegliche Überbau und der einzige minimale Nenner ist, dass dieses Regime weg muss. Was danach kommt, wissen sie selber nicht. In solchen Fällen wie Tunesien und Libyen, wo das System eine homogene Klasse ist, die kann man wirklich von der Macht jagen."
Nach dem erfolgreichen Regimewechsel in Tunesien solidarisierten sich auch in Libyen die armen Massen mit der Mittelschicht zu Demonstrationen. Inzwischen nehmen wichtige Teile der Armee Ägypten zum Vorbild und rechnen sich eine Neuverteilung der Finanzströme aus, die bislang allein über den Gaddafi-Clan führen. Ein Krieg innerhalb der Armee kündigt sich an. Kasernen werden aufgegeben, Waffenlager bombardiert. Sollte der Westen von dem die Öl-Milliarden stammen, um die es geht, den Autoritätswechsel gestalten wollen, muss er das verknirschte schlechte Gewissen aus kolonialen Zeiten aufgeben und seine Finanzströme aktiv zu den demokratischeren Kräften leiten. Das wünscht sich wohl nicht nur Nahostwissenschaftler Prof. Dr. Rachid Ouaissa:
"Man sollte wirklich mal die Konten von Gaddafi sperren und zwar bevor der aus dem Amt gejagt ist, nicht danach. Da wäre was gewonnen."
Intellektuell müssen wir erst noch lernen, dass wir uns mit Demokratiebewegungen in ehemaligen Kolonien auch solidarisieren können ohne koloniale Attitüde. Neu zu lernen ist, dass, was die islamischen Staaten derzeit erleben, die Früchte einer Bildungsrevolution sind, die in den 60er-Jahren nach der Entkolonialisierung durch die verschiedenen Befreiungsbewegungen in Gang kam. Überall wurden Schulen und Universitäten geschaffen. Deren Abgänger finden heute keine Arbeit, da die ökonomischen Verhältnisse nicht liberal, sondern korrupt geblieben sind, sodass Autoritäten allüberall infrage stehen, wie Sonja Hegasy, Islamwissenschaftlerin vom Zentrum Moderner Orient beschreibt:
"Das ist auch ein Umkippen des Autoritätsverhältnisses in der Familie. Wenn ihr Kind Universitätsabgänger ist, sie nicht einmal Lesen und Schreiben können: Wer hat denn dann die Entscheidungskraft in der Familie, wenn ihr Kind auf die Straße geht und gegen eine Militärmacht Steine wirft, wer geht denn dann zurück in das Haus und hat Entscheidungsmacht in der Familie. Das sind solche grundlegenden soziologischen Veränderungen in diesen Gesellschaften, die wir jetzt sehen."
Neben dem Zerfall der Familienautorität als Ordnungsprinzip sind die arabischen Herrscher kulturell damit konfrontiert, dass ihre Jugend nicht mehr an die offizielle Staatsidentität glaubt. Wie auch? Der König von Marokko zum Beispiel, dem offiziell alles Land und jeder Produktionsbetrieb gehört, leitete seinen Herrschaftsanspruch zum Beispiel vom Propheten und dem Projekt der Arabisierung Marokkos ab. Jahrzehnte unterdrückte er daher mithilfe der gläubigen arabischen Islamisten unter anderem die Berberminderheit und Sprache, nur um dann sich mit den Berbern zusammen gegen die Islamisten zu verbünden, die ihm gefährlich wurden. Die Volksdemokratien Libyen und Algerien und teilweise Ägypten stellten den Panarabismus und den Sozialismus voran, nur um dann in einem Staat zu münden, dessen Korruptionsformen sprichwörtlich geworden sind: von der "fette-Katzen-Wirtschaft" bis zum "Schleck deine Finger ab"–System. Hinzu kommt, die Wirkung der Neuen Medien, der arabischen transnationalen TV-Sender. Und der sich durch die Dollarschwemme verdoppelnde Brotpreis, der die Perspektivlosigkeit auf die Spitze trieb, so Prof. Rachid Ouaissa von der Universität Marburg:
"Diese Mittelschicht ist jetzt sozusagen auf der Straße, organisiert sich selbst spontan per Twitter und so weiter und ohne jegliche Überbau und der einzige minimale Nenner ist, dass dieses Regime weg muss. Was danach kommt, wissen sie selber nicht. In solchen Fällen wie Tunesien und Libyen, wo das System eine homogene Klasse ist, die kann man wirklich von der Macht jagen."
Nach dem erfolgreichen Regimewechsel in Tunesien solidarisierten sich auch in Libyen die armen Massen mit der Mittelschicht zu Demonstrationen. Inzwischen nehmen wichtige Teile der Armee Ägypten zum Vorbild und rechnen sich eine Neuverteilung der Finanzströme aus, die bislang allein über den Gaddafi-Clan führen. Ein Krieg innerhalb der Armee kündigt sich an. Kasernen werden aufgegeben, Waffenlager bombardiert. Sollte der Westen von dem die Öl-Milliarden stammen, um die es geht, den Autoritätswechsel gestalten wollen, muss er das verknirschte schlechte Gewissen aus kolonialen Zeiten aufgeben und seine Finanzströme aktiv zu den demokratischeren Kräften leiten. Das wünscht sich wohl nicht nur Nahostwissenschaftler Prof. Dr. Rachid Ouaissa:
"Man sollte wirklich mal die Konten von Gaddafi sperren und zwar bevor der aus dem Amt gejagt ist, nicht danach. Da wäre was gewonnen."