Willy Brandt, der Mann mit der Mandoline. So entspannt wie auf dem berühmten Foto, entstanden 1976 am Rande einer Reise mit Journalisten, ist er nur selten zu sehen. Lässig die Kippe im Mundwinkel, spielt er im Jeans-Hemd auf jenem Instrument, das er Anfang der 20er Jahre zu spielen lernte, als er als kleiner Junge Mitglied bei den "Falken" und beim "Arbeiter-Mandolinenklub" wurde.
Es gibt auch den ganz anderen Brandt, den introvertierten, den Kanzler, der zu Depressionen neigt. Und dennoch: Er hat Charisma, begeistert eine ganze Generation. Davon konnte sich auch der Reporter, Korrespondent und Ressortchef von Süddeutscher Zeitung, Frankfurter Rundschau und Spiegel niemals freimachen, wie Hans-Joachim Noack in seiner Biografie über die sozialdemokratische Ikone freimütig zugibt:
"Mit welcher Fürsorglichkeit unsereins damals in die Tasten griff, um den ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen, hatte ich weitgehend verdrängt!"
Noack beschreibt einen Mann, der den Zugang zu seinen Anhängern nie wirklich gefunden hat und mit seiner Popularität nie wirklich klargekommen zu sein scheint. Das erste Interview, das er mit ihm führt, befremdet Noack, ist es doch eher ein
"Selbstgespräch, in dem er ein über das andere Mal ins Stocken geriet. Noch heute sehe ich ihn vor mir, wie er eine Schachtel mit Streichhölzern aus der Jackentasche hervorkramt, die er seltsam in sich gekehrt zu Figuren zusammenlegt."
"Ein Mann, auf den die Welt blickt und der dennoch wie jeder andere sich Tag für Tag einordnet und Rücksicht nimmt, der erste Bürger seiner Stadt, den keine Polizei von seinen Mitbürgern trennt… für Deutschlands Zukunft frische Kräfte: Deshalb Willy Brandt!"
1961, als Brandt erstmals als Kanzlerkandidat gegen den damals 85-jährigen Adenauer antritt, zeichnet die SPD in ihren Werbespots ein anderes Bild des Herausforderers: aufgeschlossen, volksnah, unprätentiös. Die Union kontert mit einer der "niederträchtigsten Kampagnen der deutschen Parlamentsgeschichte", wie Noack schreibt. Er erinnert daran, wie sehr Brandt getroffen ist, als er von Adenauer wegen seiner unehelichen Herkunft – "Brandt alias Frahm" – und seiner Emigration nach Norwegen verunglimpft wird – als Vaterlandsverräter.
"Physisch und psychisch ausgelaugt, versinkt er tagelang in einer Stimmung, die ihn in späteren Zeiten öfter ereilen wird: Er will alles hinschmeißen, weil er solchen Gemeinheiten auf Dauer nicht gewachsen zu sein glaubt."
In konservativen Kreisen ist er eine Provokation. Niemand vermochte das so perfekt zu illustrieren wie Wolfgang Menge mit der Figur des Alfred Tetzlaff in der Fernsehserie "Ein Herz und eine Seele."
"Der hat einen Sonderzug. Muss man sich mal vorstellen. Einen ganzen Zug für einen einzigen Emigranten. So was hat es seit Lenin nicht mehr gegeben. Und Lenin war immerhin ein gebildeter Mann, wenn der Brandt ins Ausland fährt muss man sich ja direkt schämen als Deutscher!"
Den Hintergrund für die Ausfälle gegen Willy Brandt liefert Noack. Akribisch beschreibt der Autor viel Persönliches aus dem Leben des Herbert Frahm, der am 18. Dezember 1913 in Lübeck in ärmlichen Verhältnissen zur Welt kommt. Brandts Kindheit ohne Vater, mit einer Mutter, die viel zu wenig Zeit für ihn hat, mit einem Englisch-Lehrer, der dazu ermahnt, ihn von der Politik fernzuhalten, weil sie ihn ruinieren werde – all das ist hier nachzulesen.
Schließlich die Flucht vor den Nationalsozialisten unter dem Decknamen Brandt, die Abkehr von der SPD, die schwierige Rückkehr – Noack lässt "Ein Leben, Ein Jahrhundert" Revue passieren, genauso wie er es im Untertitel des Buches verspricht:
"Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze liegt!"
Beseelt von dem Wunsch, die Deutschen wieder zueinander zu bringen greift Willy Brandt 1969 zur Macht, indem er die Liberalen von einer Koalition mit der SPD überzeugt.
"Der oft als Zauderer verschriene Kandidat bestimmt nun zupackend die Szene. Seine Chance witternd, kann ihn weder der seltsamerweise wenig besorgte Kiesinger verunsichern noch die Skepsis jener Genossen, die nach wie vor der Fortsetzung einer Großen Koalition den Vorzug geben."
Der erste sozialdemokratische Kanzler trifft den Nerv der Deutschen in West und Ost. Und er ist sich stets seiner Verantwortung bewusst. Noack beschreibt das am Beispiel seines Besuches in Erfurt am 19. März 1970, als ihn Tausende von DDR-Bürgern mit "Willy, Willy"-Rufen begeistert empfangen – für Brandt nach eigenem Bekunden ein Tag, wie er emotionsgeladener nie in seinem Leben war. Aber:
"Obschon er sich damals in Sekundenbruchteilen entscheiden muss, verbietet ihm sein ausgeprägter Realitätssinn, solchen Gefühlen freien Lauf zu lassen."
Blitzschnell entscheiden und ein Gespür für die richtige Geste entwickeln, das beweist Brandt auch beim berühmten Kniefall. Nur einmal reagiert er falsch, urteilt Noack – bei seinem Rücktritt:
"So bänglich hatte ich mir mein Idol nicht vorgestellt … und geradezu wütend machte es mich, als er einer eher läppischen Spionageaffäre wegen im Mai 1974 die Brocken ganz hinschmiss."
Der Autor stützt die These, wonach der Kanzler nicht wegen außerehelicher Affairen und seiner vermeintlichen Erpressbarkeit zurücktrat, sondern wegen des Intrigenspiels seines Widersachers Herbert Wehner. Dass er sich selbst ein Rätsel sei, habe ihm Brandt achselzuckend auf die Frage geantwortet, warum ihn der Spion zu Fall gebracht habe.
"Man konnte ihm nur nahekommen, wenn man ihm nicht zu nahe kommen wollte!"
Diese Einsicht seines engsten Weggefährten Egon Bahr dürfte wohl auch der Brandt-Biograf teilen. Sein Buch ist eine sehr persönliche Sicht, die Hochachtung vor einem Mann, der sich aus einfachen und schwierigen Verhältnissen kommend zur Jahrhundertgestalt hochgearbeitet hat, durchzieht die 350 Seiten. Schade, dass Noack nur wenige Anekdoten von seinen Begegnungen mit Brandt preisgibt. Und eine Antwort bleibt er am Ende schuldig: Ob er Brandt als Mandolinenspieler ebenso erlebt hat wie Egon Bahr …
"Brandt war musikalisch ein Banause."
Buchinfos:
Hans-Joachim Noack: "Willy Brandt. Ein Leben. Ein Jahrhundert",
Rowohlt Berlin Verlag, 352 Seiten; 19,95 Euro
ISBN: 978-3-871-34645-3
Es gibt auch den ganz anderen Brandt, den introvertierten, den Kanzler, der zu Depressionen neigt. Und dennoch: Er hat Charisma, begeistert eine ganze Generation. Davon konnte sich auch der Reporter, Korrespondent und Ressortchef von Süddeutscher Zeitung, Frankfurter Rundschau und Spiegel niemals freimachen, wie Hans-Joachim Noack in seiner Biografie über die sozialdemokratische Ikone freimütig zugibt:
"Mit welcher Fürsorglichkeit unsereins damals in die Tasten griff, um den ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen, hatte ich weitgehend verdrängt!"
Noack beschreibt einen Mann, der den Zugang zu seinen Anhängern nie wirklich gefunden hat und mit seiner Popularität nie wirklich klargekommen zu sein scheint. Das erste Interview, das er mit ihm führt, befremdet Noack, ist es doch eher ein
"Selbstgespräch, in dem er ein über das andere Mal ins Stocken geriet. Noch heute sehe ich ihn vor mir, wie er eine Schachtel mit Streichhölzern aus der Jackentasche hervorkramt, die er seltsam in sich gekehrt zu Figuren zusammenlegt."
"Ein Mann, auf den die Welt blickt und der dennoch wie jeder andere sich Tag für Tag einordnet und Rücksicht nimmt, der erste Bürger seiner Stadt, den keine Polizei von seinen Mitbürgern trennt… für Deutschlands Zukunft frische Kräfte: Deshalb Willy Brandt!"
1961, als Brandt erstmals als Kanzlerkandidat gegen den damals 85-jährigen Adenauer antritt, zeichnet die SPD in ihren Werbespots ein anderes Bild des Herausforderers: aufgeschlossen, volksnah, unprätentiös. Die Union kontert mit einer der "niederträchtigsten Kampagnen der deutschen Parlamentsgeschichte", wie Noack schreibt. Er erinnert daran, wie sehr Brandt getroffen ist, als er von Adenauer wegen seiner unehelichen Herkunft – "Brandt alias Frahm" – und seiner Emigration nach Norwegen verunglimpft wird – als Vaterlandsverräter.
"Physisch und psychisch ausgelaugt, versinkt er tagelang in einer Stimmung, die ihn in späteren Zeiten öfter ereilen wird: Er will alles hinschmeißen, weil er solchen Gemeinheiten auf Dauer nicht gewachsen zu sein glaubt."
In konservativen Kreisen ist er eine Provokation. Niemand vermochte das so perfekt zu illustrieren wie Wolfgang Menge mit der Figur des Alfred Tetzlaff in der Fernsehserie "Ein Herz und eine Seele."
"Der hat einen Sonderzug. Muss man sich mal vorstellen. Einen ganzen Zug für einen einzigen Emigranten. So was hat es seit Lenin nicht mehr gegeben. Und Lenin war immerhin ein gebildeter Mann, wenn der Brandt ins Ausland fährt muss man sich ja direkt schämen als Deutscher!"
Den Hintergrund für die Ausfälle gegen Willy Brandt liefert Noack. Akribisch beschreibt der Autor viel Persönliches aus dem Leben des Herbert Frahm, der am 18. Dezember 1913 in Lübeck in ärmlichen Verhältnissen zur Welt kommt. Brandts Kindheit ohne Vater, mit einer Mutter, die viel zu wenig Zeit für ihn hat, mit einem Englisch-Lehrer, der dazu ermahnt, ihn von der Politik fernzuhalten, weil sie ihn ruinieren werde – all das ist hier nachzulesen.
Schließlich die Flucht vor den Nationalsozialisten unter dem Decknamen Brandt, die Abkehr von der SPD, die schwierige Rückkehr – Noack lässt "Ein Leben, Ein Jahrhundert" Revue passieren, genauso wie er es im Untertitel des Buches verspricht:
"Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze liegt!"
Beseelt von dem Wunsch, die Deutschen wieder zueinander zu bringen greift Willy Brandt 1969 zur Macht, indem er die Liberalen von einer Koalition mit der SPD überzeugt.
"Der oft als Zauderer verschriene Kandidat bestimmt nun zupackend die Szene. Seine Chance witternd, kann ihn weder der seltsamerweise wenig besorgte Kiesinger verunsichern noch die Skepsis jener Genossen, die nach wie vor der Fortsetzung einer Großen Koalition den Vorzug geben."
Der erste sozialdemokratische Kanzler trifft den Nerv der Deutschen in West und Ost. Und er ist sich stets seiner Verantwortung bewusst. Noack beschreibt das am Beispiel seines Besuches in Erfurt am 19. März 1970, als ihn Tausende von DDR-Bürgern mit "Willy, Willy"-Rufen begeistert empfangen – für Brandt nach eigenem Bekunden ein Tag, wie er emotionsgeladener nie in seinem Leben war. Aber:
"Obschon er sich damals in Sekundenbruchteilen entscheiden muss, verbietet ihm sein ausgeprägter Realitätssinn, solchen Gefühlen freien Lauf zu lassen."
Blitzschnell entscheiden und ein Gespür für die richtige Geste entwickeln, das beweist Brandt auch beim berühmten Kniefall. Nur einmal reagiert er falsch, urteilt Noack – bei seinem Rücktritt:
"So bänglich hatte ich mir mein Idol nicht vorgestellt … und geradezu wütend machte es mich, als er einer eher läppischen Spionageaffäre wegen im Mai 1974 die Brocken ganz hinschmiss."
Der Autor stützt die These, wonach der Kanzler nicht wegen außerehelicher Affairen und seiner vermeintlichen Erpressbarkeit zurücktrat, sondern wegen des Intrigenspiels seines Widersachers Herbert Wehner. Dass er sich selbst ein Rätsel sei, habe ihm Brandt achselzuckend auf die Frage geantwortet, warum ihn der Spion zu Fall gebracht habe.
"Man konnte ihm nur nahekommen, wenn man ihm nicht zu nahe kommen wollte!"
Diese Einsicht seines engsten Weggefährten Egon Bahr dürfte wohl auch der Brandt-Biograf teilen. Sein Buch ist eine sehr persönliche Sicht, die Hochachtung vor einem Mann, der sich aus einfachen und schwierigen Verhältnissen kommend zur Jahrhundertgestalt hochgearbeitet hat, durchzieht die 350 Seiten. Schade, dass Noack nur wenige Anekdoten von seinen Begegnungen mit Brandt preisgibt. Und eine Antwort bleibt er am Ende schuldig: Ob er Brandt als Mandolinenspieler ebenso erlebt hat wie Egon Bahr …
"Brandt war musikalisch ein Banause."
Buchinfos:
Hans-Joachim Noack: "Willy Brandt. Ein Leben. Ein Jahrhundert",
Rowohlt Berlin Verlag, 352 Seiten; 19,95 Euro
ISBN: 978-3-871-34645-3