Archiv


Der Medienprophet - Zum Tod des amerikanischen Soziologen Neil Postman

Koldehoff: Das schmale blaue Bändchen durfte Mitte der achtziger Jahre in keinem Haushalt fehlen, der für progressiv gehalten werden wollte. "Wir amüsieren uns zu Tode" stand auf dem Titel. Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, so schrieb Postman, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine entlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varietenummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr. Das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung. Am Wochenende ist Neil Postman im Alter von 72 Jahren bei New York gestorben. Ich habe seinen deutschen Kollegen, den Medienwissenschaftler Norbert Bolz gefragt, was war das Neue an diesem Gedanken, warum wurde "Wir amüsieren uns zu Tode" zum Bestseller?

Ein Interview von Stefan Koldehoff |
    Bolz: Der wesentliche Grund ist der, dass Postman es geschafft hat, ein neu erwachtes Interesse an den Neuen Medien, ein jedenfalls in Deutschland neu erwachtes, zusammenzuführen mit einem nur all zu vertrauten Kulturpessimismus, wie wir ihn von der Frankfurter Schule her, etwa Adornos Kulturindustrieaufsatz, kannten. Das heißt er hat eine zeitlang beides geliefert, aktuelle Information über den Stand der Neuen Medien, vor allen Dingen der Massenmedien, aber auch gleich ein für Deutsche sehr bekömmliches Klima dieser Darstellung, nämlich düsterer Kulturpessimismus, im Grunde die These des Untergang des Abendlandes und zwar nun variiert zu der These: wir gehen über von einer Welt, die vom Buch geprägt war in eine Welt, die vom Fernsehen geprägt ist. Das ist, wenn man so will, der neue Untergang des Abendlandes.

    Koldehoff: Würden Sie denn dieses Bändchen, "Wir amüsieren uns zu Tode", er hat viele andere geschrieben, über den Verlust der Kindheit beispielsweise, aber "Wir amüsieren uns zu Tode" würden Sie das heute noch zur Lektüre empfehlen?

    Bolz: Ich selber benutze es durchaus in meinen medienwissenschaftlichen Veranstaltungen, einfach, um einmal ein Extrem der Medienkritik zu präsentieren. Und viele Beobachtungen sind auch nach wie vor interessant und lehrreich. Wenn ich nur zwei herausgreifen darf. Ich finde das nach wie vor richtig und gut dargestellt von Postman, wenn er darauf hinweist, dass Massenmedien und das Fernsehen vor allen Dingen Informationen, auf die sie so stolz sind, prinzipiell so produzieren, dass man nichts mit ihnen anfangen kann, also ohne Kontext. Es gibt da die wunderschöne Formel "the context of no context", also der "Zusammenhang der Zusammenhanglosigkeit", das ist wirklich eine schöne Darstellung, wie Information im Fernsehen präsentiert wird. Und zum anderen hat er eine sehr bedenkenswerte Überlegung über das Verhältnis von so genannten "Junkprogrammen" und so genannten anspruchsvollen Sendungen. Und Neil Postman, übrigens genauso wie Adorno, plädiert ganz entschieden für "junk", also für "nonsens", für leichte Kost und kritisiert heftig gerade die so genannten anspruchsvollen Sendungen. Das ist ein Gedanke, der in Deutschland allerdings kaum rezipiert worden ist.

    Koldehoff: Woran liegt das?

    Bolz: Nun, das widerspricht dem Selbstverständnis der deutschen Intellektuellen und ich denke auch dem Selbstverständnis des Feuilletons, die haben ja eigentlich alle noch die pädagogische Grundvorstellung, man könnte die Massenmedien zu einem Medium der Aufklärung aufwerten, indem man einfach das so genannte Niveau der Sendungen anhebt. Diese Illusion hatte Postman niemals, übrigens auch Adorno nicht.

    Koldehoff: Das für mich Interessante an diesem Buch, dass ja von progressiv denkenden Menschen hauptsächlich rezipiert worden ist, ist, dass etwas darin steckt, was Sie vorhin immer als Kulturpessimismus beschrieben haben, vielleicht aber ganz einfach ja auch nur mit einem sehr konservativen Kulturverständnis zu tun haben könnte. Ist dieser Widerspruch in der Person Postman jemals aufgelöst worden?

    Bolz: Ich glaube, man kann bei Postman eine sehr interessante Beobachtung machen, nämlich, dass man heute zu Tage konservativ nur mehr sein kann, wenn man an die modernsten Beobachtungen unserer Gegenwart anschließt, statt sie einfach wegzuleugnen. Sie können Ähnliches auch bei einem so schillernden Denker wie dem Franzosen Jean Baudrillard beobachten. Auch er hat ein im Grund ein abgrundtief pessimistisches Bild von der Medienwirklichkeit unserer Tage, aber er ist gerade deshalb überzeugend, weil er auf der Ebene der Beobachtung, der Phänomene durchaus up to date ist, das konnte man damals bei Postman auch beobachten. Er hat sehr präzise beobachtet was geschieht, hat also die neue Medienwelt nicht einfach ignorant abgelehnt, aber kam dann doch zu einer Beurteilung die zu einer, wie soll man sagen, Restitution der Gutenberg Galaxis geführt hat, ein großer Ruf, "zurück zum Buch", "rettet die Kultur" und Kultur heißt natürlich immer Buchkultur für einen Bildungsbürger, wie Neil Postman das ohne Zweifel war.

    Koldehoff: Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz zum Tod seines Kollegen Neil Postman.