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"Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache"

Die Sprache ist es, die uns zu verstehenden Wesen mache. Nur sie gibt uns die Möglichkeit, uns selber zu verstehen, uns zu erinnern und uns durch das Erinnern auch wieder zu revidieren. Doch droht das Ende der Sprache?, fragte der Linguist Jürgen Trabant, Professor für Romanistik an der FU, zu Beginn der Tagung "Über die Sprachlichkeit des Menschen" ein wenig spektakulär.

Von Eva-Maria Götz |
    "Ich beschäftige mich in letzter Zeit viel auch mit Gehirnforschung und denke, dass uns dass vielleicht helfen kann , dass wir sehen, dass Bildhaftigkeit in anderen Gehirnregionen zum Beispiel verarbeitet wird als sprachliches, und wir müssen dann sehen, was das wirklich für die Menschen für Konsequenzen hat. Ob eine 10-stündige Bildverarbeitung, unser Denken insgesamt verändert gegenüber einer mehr sprachlichen Kultur."

    Sagt der Linguist Jürgen Trabant, Professor für Romanistik an der FU und als Mitglied der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften einer der Gastgeber des Kongresses. Inwieweit die Macht der Bilder den Menschen verändert, und wo und wie genau die Entstehung der Sprache im Gehirn funktioniert, ist den Neurologen noch unklar, wie die Linguistin Sabine Meyenberg in ihrem Vortrag erklärte. Uneins sind sich die Experten vor allem über die geeignete Art der Visualisierung der Gehirnvorgänge mittels Computertomographie oder Radiowellen. Da hatten es die Sprachwissenschaftler der Epoche der Spätaufklärung und der Romantik einfacher, als die Alphabethisierung ganzer Landstriche an ihrem Anfang stand, die Nationalsprachen neu erfunden und erstmals beschrieben wurden und der Glaube an die Schönheit und die Macht des Wortes noch ungebrochen war. "Der Mensch ist Mensch nur durch Sprache" jubilierte Wilhelm von Humboldt in einer seiner Reden vor der Berliner Akademie der Wissenschaften und: "wie weit werden es die Menschen bringen!"

    "Heute wird überall gequatscht."

    Heute, so moniert Jürgen Trabant, ist Sprache zwar präsenter denn je, nur dass anstelle von Humboldts "bildendem Organ des Gedankens" , welches der "Arbeit des Geistes durch articulierten Laut zum Ausdruck verhilft" ein "permanentes Dauergequassel" getreten ist, ein nicht abschwellender Strom von sinnentleerten Tönen, die ständig und überall von Leinwänden, aus Lautsprechern, Telefonen und Mündern quellen. "Droht nun das Ende der Sprache?" fragte Trabant zu Beginn der Tagung "Über die Sprachlichkeit des Menschen" daher ein wenig spektakulär.

    "Die Befürchtung ist einerseits, dass die Sprachen der Welt ja immer weniger werden und dass dadurch der Reichtum des Denkens durch Sprache verschwindet. Humboldt, auf den wir uns beziehen hat ja grade die Sprachen als bedeutende Beiträge zur menschlichen Kultur gesehen und wenn die Sprachen immer weniger werde, wird eben diese Kultur immer weniger reich. "

    Nur circa 600 von zur Zeit 6000 Sprachen werden die nächsten 100 Jahre überleben. Eine Entwicklung, die allerdings schon vor langer Zeit einsetzte:

    "Die Philosophie, die ja unser wissenschaftliches Denken begründet, hat von vorneherein gegen die natürliche Sprache agitiert, sie hat gegen die Rhetoriker agitiert, gegen die Sophisten agitiert. Und damit wollten sie natürlich, und das ist auch ein durchaus richtiges Motiv, das Denken über die Einzelsprache hinausheben. Sie haben gesagt, das geht nicht, wir können nicht in den Sprachen drinbleiben, wir müssen zu den Sachen kommen. Der andere Strang unserer Kultur, also der biblische Strang bezeichnet ja die Vielfalt der Sprachen als eine Strafe. Und das hat dann natürlich zur Folge, dass wir es nicht schlimm finden, wenn die verschiedenen Sprachen der Menschheit verschwinden. Es ist aber eine Katastrophe."

    Es sei deshalb, sprang der Berliner Philosoph und Schriftsteller Peter Bieri seinem Kollegen von der Freien Universität bei, die Pflicht und Schuldigkeit des Autors, den Worten ein eigenes Gewicht zu geben und sie als das Medium der Einbildungskraft hochzuhalten und Wert zu schätzen. Die Sprache sei es, die uns zu verstehenden Wesen mache, nur sie gebe uns die Möglichkeit, uns selber zu verstehen, uns zu erinnern und uns durch das Erinnern auch wieder zu revidieren. Sie gelte es vor der Bilderflut zu bewahren.

    "Ich halte das für einen grundfalschen Ansatz, der eine Defensive voraussetzt, für die es meines Erachtens gar keinen Grund gibt."

    meinte dagegen der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, der sich durch das Motto der Tagung "Der Mensch ist Mensch nur durch die Sprache" nachhaltig irritiert zeigte und darauf verwies, dass der Mensch auch immer "homo faber" gewesen sei, der Bildende, Ab- Bildende - und das weit vor dem Anfang aller Sprache. Nicht im Wettkampf der Ausdrucksmittel lag allerdings für Bredekamp die Lösung. Er forderte die Sprachwissenschaftler im Gegenteil zu mehr Selbstbewusstsein auf, zu einer Weltsicht, die Bilder als sprachbereichernd annähme. Worte wie "Bilderflut" und "- schwemme" könnten da nur kontraproduktiv wirken.

    "Bildern darf man sich nicht duselig überlassen, sondern sie gehören als Instrument der Reflexion zu einem Terrain, in dem sich Sprache mit ganz autonomen Fähigkeiten und Essenzen bewährt. Also ich möchte die Unterschiede betonen, um von dem Kampfcharakter der beiden, der so in der allgemeinen Rede steht, wegzukommen."

    "Und was ist mit denjenigen in unserer Gesellschaft, die der Sprache nicht, noch nicht oder nicht mehr mächtig sind?" fragte der Münchner Germanist Konrad Ehlich und warnte davor, als Kriterium des Mensch-Seins allein seine Sprachfähigkeit anzunehmen

    "Solche Grenzwertbestimmungen, die haben natürlich immer so eine Tendenz, dass sie dann auch ausschließend wirken und wir haben in der Geschichte, grade auch in Deutschland sehr tragische und traurige Beispiele dafür, wie solche Ausschlüsse dann auch praktiziert und umgesetzt worden sind."

    Ohne Sprache gehe es allerdings auch nicht und so forderte Ehlich das Selbstverständnis der Gesellschaft nicht als "Sprach-", sondern als "Solidar-Gemeinschaft" ein, was dann aber auch die vollständige Partizipation nicht oder nicht perfekt deutsch- sprechender Migranten einschlösse und eine Aufwertung der Vielsprachigkeit im Bildungssystem.

    Wie unverzichtbar Sprachbeherrschung für den sozialen Aufstieg ist, machte die Berliner Sprachwissenschaftlerin Ute Tintemann am Beispiel des genialischen Schriftstellers Karl Philipp Moritz klar.

    "Sein Aufstieg, das schildert nun auch der Roman "Anton Reiser" ganz eindrucksvoll, gelingt über die Sprachkenntnisse. Also er zeichnet sich in der Schule und später auch in der Universität, durch hervorragende Kenntnisse im Lateinischen und Englischen aus, und diese guten Sprachkenntnisse, durch die er immer wieder auffällt, die ermöglichen ihm den sozialen Aufstieg."

    Sein Beispiel vor Augen plädierte Tintemann für eine stark verbesserte Frühförderung der Sprachkompetenz bereits im Kindergarten, ohne die vielleicht nicht die deutsche Sprache, aber sicher die deutsche Gesellschaft bald an ihrem absehbaren Ende angekommen sein dürfte.

    Das Gen, auf dem die menschliche Sprachfähigkeit angesiedelt ist, heißt übrigens FOX P2- soviel hat die Naturwissenschaft schon zutage gebracht.