"Erst dachte ich, mein müdes Auge spielt mir einen Streich. Aber dann wurde mir klar, dass ich wirklich Linien auf der Marsoberfläche sehe. Dort gibt es lange, parallel verlaufende Canali."
Im Herbst des Jahres 1877 stand der Planet Mars besonders günstig am Himmel. Auch Giovanni Schiaparelli, Direktor der Sternwarte in Mailand, richtete sein Teleskop auf dieses Objekt – und machte eine Entdeckung, die die Marsforschung fast ein Jahrhundert lang beschäftigen sollte.
"Ich wollte nur einmal ausprobieren, ob unser Linsenteleskop optisch gut genug ist, um die Oberfläche eines Planeten zu beobachten. In der Literatur hatte ich so viel über Flecken auf dem Mars und in seiner Atmosphäre gelesen, dass ich selbst einmal nachsehen wollte."
Giovanni Schiaparelli zeichnete eine sehr detaillierte Karte des Planeten. Bei der Benennung von Oberflächenmerkmalen griff der klassisch gebildete Italiener auf Vorbilder aus der Antike zurück. Plötzlich gab es auf dem Mars die Säulen des Herkules, das Tyrrhenische Meer, die See der Sirenen, eine Bucht namens Große Syrte und Landmassen wie Libyen, Eden oder Elysium. Auch wenn Schiaparelli betonte, diese Namen seien rein der Fantasie entsprungen und hätten nichts mit den Zuständen vor Ort zu tun, so wurde aus der bis dahin nüchternen Marsforschung plötzlich eine recht emotionale Angelegenheit. Offenbar herrschten auf dem roten Planeten Zustände wie im Paradies. Und Schiaparelli beobachtete eifrig weiter.
"Im Oktober gab es Momente, in denen die Luft perfekt ruhig war. Fast schien es, als sei für einen Augenblick ein Schleier vor dem Planeten gelüftet worden. Mit einem Mal zeigten sich winzigste Details, allerdings nur für so kurze Zeit, dass es unmöglich war, einen ganz sicheren Eindruck der Linien zu bekommen."
Die langen geraden Linien, die Giovanni Schiaparelli auf dem Mars gesehen zu haben glaubte, waren – wie wir heute wissen – eine optische Täuschung. Er nannte die Linien "canali". Im Italienischen bezeichnet dieser Begriff sowohl natürliche als auch künstlich angelegte Wasserwege. Doch im Englischen wurden daraus nicht "channels", sondern "canals". Viele Astronomen waren elektrisiert: Gab es auf dem Mars ein großes Kanalsystem, mit dem Bewohner Wasser über den Planeten leiteten? Die Idee der Marskanäle bekam eine fast unheimliche Eigendynamik. Immer mehr Astronomen blickten zum Mars und überboten sich in neuen Kanalsichtungen. Zweifel an der Wahrnehmung wurden kollektiv unterdrückt.
"Es ist genauso unmöglich, die Existenz der Kanäle in Zweifel zu ziehen, wie zu bestreiten, dass der Rhein über die Oberfläche der Erde fließt,"
schrieb Giovanni Schiaparelli 1879 an seinen englischen Kollegen Nathaniel Green. Die anfängliche Vorsicht, ob man nicht doch einer Täuschung unterliege, war schnell gewichen, tadelte ein halbes Jahrhundert später der Berliner Astronom Robert Henseling:
"Der Glaube an die Wirklichkeit der Kanäle und an ihr Wesen als Wasserstraßen setzte sich fest und erhielt sich auch dann noch, als selbst in den vermeintlichen ‘Meeren’ des Mars ‘Kanäle’ gesehen wurden. Schiaparelli hat, so wertvoll und von strengster kritischer Sorgfalt seine Arbeiten auch sonst sind, diese Auffassung gestützt."
Bis dahin hatte Giovanni Schiaparelli über Doppelsterne und die Sonne geforscht. Er hatte zudem nachgewiesen, dass jährlich auftretende Sternschnuppenströme von Staubteilchen verursacht werden, die Kometen auf ihrer Bahn hinterlassen. Vermutlich wäre Schiaparelli heute völlig in Vergessenheit geraten, hätte er sich nicht mit dem Mars beschäftigt. Zwar legte er sich nie eindeutig fest, was von den Kanälen auf dem Planeten zu halten sei. Doch seine Sympathien waren unverkennbar, berichtete Robert Henseling:
"Noch 1895 entwickelte Schiaparelli die Ansicht, die Schmelzwasser der Eiskappen würden durch ein großartiges System von Bewässerungskanälen über die Kontinente geleitet. Die Marsbewohner hätten auf dem austrocknenden Planeten ihre gesamte Gesellschaftsordnung auf die gemeinsame Errichtung eines riesigen Kanalsystems eingestellt."
Dass Giovanni Schiaparelli und viele seiner Kollegen jahrzehntelang einem Phantom hinterher gejagt sind, hat sich erst lange nach seinem Tod am 4. Juli 1910 bestätigt. Als die ersten Raumsonden in den 60er-Jahren zum Mars flogen, funkten sie spektakuläre Bilder zur Erde: Sie zeigten eine weite, zerklüftete Wüstenlandschaft – aber keine Kanäle.
Im Herbst des Jahres 1877 stand der Planet Mars besonders günstig am Himmel. Auch Giovanni Schiaparelli, Direktor der Sternwarte in Mailand, richtete sein Teleskop auf dieses Objekt – und machte eine Entdeckung, die die Marsforschung fast ein Jahrhundert lang beschäftigen sollte.
"Ich wollte nur einmal ausprobieren, ob unser Linsenteleskop optisch gut genug ist, um die Oberfläche eines Planeten zu beobachten. In der Literatur hatte ich so viel über Flecken auf dem Mars und in seiner Atmosphäre gelesen, dass ich selbst einmal nachsehen wollte."
Giovanni Schiaparelli zeichnete eine sehr detaillierte Karte des Planeten. Bei der Benennung von Oberflächenmerkmalen griff der klassisch gebildete Italiener auf Vorbilder aus der Antike zurück. Plötzlich gab es auf dem Mars die Säulen des Herkules, das Tyrrhenische Meer, die See der Sirenen, eine Bucht namens Große Syrte und Landmassen wie Libyen, Eden oder Elysium. Auch wenn Schiaparelli betonte, diese Namen seien rein der Fantasie entsprungen und hätten nichts mit den Zuständen vor Ort zu tun, so wurde aus der bis dahin nüchternen Marsforschung plötzlich eine recht emotionale Angelegenheit. Offenbar herrschten auf dem roten Planeten Zustände wie im Paradies. Und Schiaparelli beobachtete eifrig weiter.
"Im Oktober gab es Momente, in denen die Luft perfekt ruhig war. Fast schien es, als sei für einen Augenblick ein Schleier vor dem Planeten gelüftet worden. Mit einem Mal zeigten sich winzigste Details, allerdings nur für so kurze Zeit, dass es unmöglich war, einen ganz sicheren Eindruck der Linien zu bekommen."
Die langen geraden Linien, die Giovanni Schiaparelli auf dem Mars gesehen zu haben glaubte, waren – wie wir heute wissen – eine optische Täuschung. Er nannte die Linien "canali". Im Italienischen bezeichnet dieser Begriff sowohl natürliche als auch künstlich angelegte Wasserwege. Doch im Englischen wurden daraus nicht "channels", sondern "canals". Viele Astronomen waren elektrisiert: Gab es auf dem Mars ein großes Kanalsystem, mit dem Bewohner Wasser über den Planeten leiteten? Die Idee der Marskanäle bekam eine fast unheimliche Eigendynamik. Immer mehr Astronomen blickten zum Mars und überboten sich in neuen Kanalsichtungen. Zweifel an der Wahrnehmung wurden kollektiv unterdrückt.
"Es ist genauso unmöglich, die Existenz der Kanäle in Zweifel zu ziehen, wie zu bestreiten, dass der Rhein über die Oberfläche der Erde fließt,"
schrieb Giovanni Schiaparelli 1879 an seinen englischen Kollegen Nathaniel Green. Die anfängliche Vorsicht, ob man nicht doch einer Täuschung unterliege, war schnell gewichen, tadelte ein halbes Jahrhundert später der Berliner Astronom Robert Henseling:
"Der Glaube an die Wirklichkeit der Kanäle und an ihr Wesen als Wasserstraßen setzte sich fest und erhielt sich auch dann noch, als selbst in den vermeintlichen ‘Meeren’ des Mars ‘Kanäle’ gesehen wurden. Schiaparelli hat, so wertvoll und von strengster kritischer Sorgfalt seine Arbeiten auch sonst sind, diese Auffassung gestützt."
Bis dahin hatte Giovanni Schiaparelli über Doppelsterne und die Sonne geforscht. Er hatte zudem nachgewiesen, dass jährlich auftretende Sternschnuppenströme von Staubteilchen verursacht werden, die Kometen auf ihrer Bahn hinterlassen. Vermutlich wäre Schiaparelli heute völlig in Vergessenheit geraten, hätte er sich nicht mit dem Mars beschäftigt. Zwar legte er sich nie eindeutig fest, was von den Kanälen auf dem Planeten zu halten sei. Doch seine Sympathien waren unverkennbar, berichtete Robert Henseling:
"Noch 1895 entwickelte Schiaparelli die Ansicht, die Schmelzwasser der Eiskappen würden durch ein großartiges System von Bewässerungskanälen über die Kontinente geleitet. Die Marsbewohner hätten auf dem austrocknenden Planeten ihre gesamte Gesellschaftsordnung auf die gemeinsame Errichtung eines riesigen Kanalsystems eingestellt."
Dass Giovanni Schiaparelli und viele seiner Kollegen jahrzehntelang einem Phantom hinterher gejagt sind, hat sich erst lange nach seinem Tod am 4. Juli 1910 bestätigt. Als die ersten Raumsonden in den 60er-Jahren zum Mars flogen, funkten sie spektakuläre Bilder zur Erde: Sie zeigten eine weite, zerklüftete Wüstenlandschaft – aber keine Kanäle.