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"Der Nicht-Antisemitismus wollte uns den milden Tod der Assimilation anbieten"

25.Januar 1964: Max Brod, Schriftsteller und enger Freund Franz Kafkas, im DLF.

    Max Brod: Das gesellige und künstlerische Leben in Prag hatte in meiner Jugend etwas Charakteristisches: Die tschechischen und deutschen Kreise verkehrten meist jeder für sich, in sich abgeschlossen. Es gab nur vereinzelte Ausnahmen. In den letzten Jahren der Ersten Republik besserte sich das Verhältnis, die chinesische Mauer zwischen beiden Nationen wurde durchbrochen. In Prag kämpfte ich stets gegen die Absperrung der nationalen Kulturen, meine Freunde und ich waren stolz darauf, Freunde unter den Tschechen, Deutschen und Juden, also unter allen drei Völkern, zu besitzen. Es gab in zunehmendem Maße Klubs, in denen tschechische und deutsche Künstler einander trafen. Die Stellung der Juden war dabei dadurch kompliziert, dass sich einige jüdische Künstler, so zum Beispiel Frantisek Langer, als Tschechen, andere wie der Lyriker Hugo Salus, als Deutsche, und nur wenige, zu denen mein Kreis und ich gehörte, als Juden oder gar – horribile dictu -, als Zionisten betrachteten. Mit Karel Capek, dem großen Tschechen, hatte ich mehr als eine heftige Diskussion über diesen Punkt. Er verstand nicht oder wollte nicht verstehen, warum wir Juden ein eigenes Volk sein und nicht unter den Tschechen, die doch zum großen Teil nicht antisemitisch seien, spurlos aufgehen wollen. Der Nicht-Antisemitismus wollte uns den milden Tod der Assimilation anbieten. Aber wir sagten: Dies ist auch nur ein Tod, wenn auch ein verkleideter.

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