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Der NSU-Prozess und die Medien
"Journalistische Pflicht und Wiedergutmachung"

Nach mehr als fünf Jahren endet der NSU-Prozess. Von Beginn an berichtet hat Annette Ramelsberger. Am Ende habe sie zum "letzten Häuflein der Übriggebliebenen" gehört, sagte die SZ-Redakteurin im Dlf. Die ausdauernde Berichterstattung sieht sie als Notwendigkeit.

Annette Ramelsberger im Gespräch mit Bettina Köster |
    Auf einem Tisch stehen ein Dutzend Mikrofone, im Hintergrund sind Journalisten, zum Teil mit Kameras zu sehen.
    Journalisten am 29.04.2013 im Strafjustizzentrum in München bei der Pressekonferenz, auf der die Vergabe der Presseplätze im NSU-Prozess bekannt gegeben wurde (picture alliance / dpa / Inga Kjer)
    Bettina Köster: War die Berichterstattung in erster Linie Last oder Luxus für Sie?
    Annette Ramelsberger: Notwendigkeit. Das finde ich das Allerwichtigste. Und auch Pflicht. Denn gerade die Medien haben während dieser Mordserie sehr viele Fehler gemacht. Wir gucken immer auf Verfassungsschutz und Polizei, was die alles falsch gemacht haben. Aber auch wir haben nicht genau hingeguckt. Und wir haben uns natürlich auch instrumentalisieren lassen, gerade mit so Worten wie "Döner-Mord". Und diesen direkten Blick immer sozusagen auf die ausländische Community, in der das alles irgendwie selbst miteinander abgemacht wird, wo alles mit Rauschgift und Mafia zu tun hat. Da sind wir der Polizei auf den Leim gegangen, und da müssen wir uns selber an die Nase fassen. Und deswegen empfinde ich die Berichterstattung, die ausdauernde Berichterstattung über diesen Prozess auch als journalistische Pflicht und Wiedergutmachung.
    Köster: Gerade die Schweigephasen der Angeklagten Frau Zschäpe fühlten sich ja recht schleppend an. Als Rezipientin, sage ich jetzt mal, und ich denke als Journalistin war es ähnlich. Die Boulevard-Presse hat sie dann ja immer wieder mit Bildern wie "Der Teufel im Business-Look" bezeichnet, die Angeklagte, um die Leserschaft zu locken. Wie haben Sie Ihre Leserinnen und Leser bei der Stange halten können?
    Ramelsberger: Also nicht mit ihrem Lieblingsschal und auch nicht mit ihrem neuesten Haar-Look. Mich hat das eher genervt, muss ich sagen. Weil es so abgelenkt hat von den eigentlichen Dingen. Ich habe versucht, anders vorzugehen. Wir haben ja dieses einmalige Projekt am Laufen, dass wir wirklich das Protokoll dieses Gerichtsprozesses verfassen. Das es ja nicht gibt. Was niemand glaubt, dass es kein offizielles Gerichtsprotokoll gibt. Aber das haben wir uns vorgenommen, dass wir diesen Prozess abbilden. Und wir haben Eines gemacht: Wir sind überall in der Republik rumgefahren. Wir haben alle Tatorte besucht. Wir waren überall dort, wo der NSU ins Herz dieser Gesellschaft geschossen hat. Und auch das hat bei unseren Lesern wahnsinnigen Eindruck gemacht. Denn die haben gemerkt, wir meinen das ernst, wir gehen da wirklich hin, wir machen uns die Mühe, und wir bleiben dabei.
     Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung, 2014 in der Kategorie "Reporter" als Journalistin des Jahres ausgezeichnet.
    Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung, 2014 in der Kategorie "Reporter" als Journalistin des Jahres ausgezeichnet. (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    "Der Journalist ist nicht für so lange Themen gemacht"
    Köster: Wie sind Sie denn in die Redaktion gekommen, wenn das mal wieder so ein Prozesstag war, wo nicht viel bei herausgekommen ist, weil Frau Zschäpe mal wieder geschwiegen hat?
    Ramelsberger: Ach, wenn ich mich an diese rollenden Augen erinnere, die mir immer entgegengeguckt haben: Die Ramelsberger schon wieder mit ihrem NSU! Der Journalist an sich ist nicht für so lange Themen gemacht. Man hat 'ne Weltmeisterschaft, die dauert vier Wochen, und 'ne Regierungskrise, die dauert zwei Wochen. Und dann wird einfach wieder ein neues Thema angepackt. Und dann komme ich daher, nach zwei Jahren, nach drei, nach vier, nach fünf, und sage immer noch: Der NSU ist wichtig, und wir müssen darüber berichten. Und ich habe natürlich nicht immer Breaking News, sondern eine neue Facette. Und das muss ich meiner Redaktion wirklich hoch anrechnen, dass sie mir da den Rücken gestärkt haben. Und dass sie gesagt haben: Ja, Du kannst dabei bleiben, Du kriegst auch Unterstützung. Ich hatte ja am Anfang einen Kollegen. Und als mir der abhanden gekommen ist, habe ich dann nach gut einem Jahr auch noch eine Unterstützung in Form einer freien Kollegin bekommen. Das ist toll, das hat sich die Redaktion geleistet. Und ich glaube: Ja, es danken es auch unsere Leser. Wir kriegen da Briefe, die wirklich sagen: Bleiben Sie dabei bis zum Schluss. Und die sich richtig bedanken.
    Köster: In dieser langen Zeit, diese langen Prozesstage - wie wichtig war in dieser Zeit eigentlich der Austausch mit anderen Kollegen, Journalistenkollegen für Sie?
    Ramelsberger: Dieser Austausch war wahnsinnig wichtig. Wir saßen so da wie das letzte Häuflein der Übriggebliebenen. Denn mittendrin und gerade in den letzten zwei Jahren waren ja nicht mehr Viele übrig. Am Anfang sind alle Kollegen Schlange gestanden und haben in diesen Gerichtssaal gedrängt. Am Schluss waren wir dann sozusagen das Häufchen der paar Aufrechten alleine. Und wir haben uns gegenseitig wirklich gestützt. Denn es kann keiner so wirklich nachvollziehen, was es bedeutet, wenn Sie da sitzen, fünf Jahre mit dem Laptop auf den Knien, irgendwann merken Sie das auch im Kreuz und in den Armen. Und Sie sind am Abend erschöpft, obwohl nichts in der Zeitung steht, obwohl Sie nichts online gegeben haben. Und dann fragt man sich gegenseitig: Geht's Dir genauso? Und wenn der andere sagt, ja, es geht ihm genauso, dann ist das zumindest eine Beruhigung. Wir haben uns gegenseitig seelisch und kollegial gestützt.
    "Ich weiß auch nicht, was rauskommt"
    Köster: Sie haben mal gesagt, während des Prozesses, dass es Ihr Anliegen ist, den wichtigsten Prozess der Nachwendezeit zu begleiten und für die Leser das Prozessgeschehen anschaulich zu machen. Meinen Sie, es ist Ihnen gelungen, wenn Sie zurückschauen?
    Ramelsberger: Das müssen jetzt die Leser sagen. Aber ich glaube, eine solch umfassende Berichterstattung in so vielen Facetten, wie wir das gemacht haben, habe ich sonst nirgendwo gesehen. Wir sind die Zeitung vor Ort, wir sind eine Zeitung mit überregionalem Anspruch. Ich glaube, wir haben das gemacht, was in unseren Möglichkeiten steht. Und ich denke schon, dass wir es gut gemacht haben.
    Köster: Wie gehen Sie nach fünf Jahren, über 400 Verhandlungstagen, morgen in die Urteilsverkündung, Frau Ramelsberger?
    Ramelsberger: Absolut angespannt, denn ich weiß auch nicht, was rauskommt. Ich kann natürlich sagen, ich denke, was am wahrscheinlichsten herauskommt. Aber wir werden alle wieder einmal überrascht werden von Richter Götzl, der uns immer, an jedem einzelnen Tag überrascht hat. Der uns nicht teilnehmen lässt an seinen Gedanken. Der nicht transparent ist. Der jeden Tag werden lässt wie's Wetter: Mal regnet's, mal scheint die Sonne - und wir müssen uns danach richten. Wir haben ihn hinzunehmen, aber morgen hoffentlich zum letzten Mal.
    Für ihre Berichterstattung über den NSU-Prozess wurde Annette Ramelsberger 2014 in der Kategorie "Reporter" als Journalistin des Jahres ausgezeichnet. In der Begründung hieß es, Ramelsbergers "journalistische Aufarbeitung der ebenso wichtigen wie juristisch zähen Materie" sei "vorbildlich" und "echter Qualitätsjournalismus".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.