Sandra Schulz: Das könnte eigentlich ein Traumziel sein für den Papst, das Oberhaupt der Katholischen Kirche. In Polen sind rund 90 Prozent der Menschen katholisch getauft. Kein anderes Land in Europa ist so stark geprägt von der Katholischen Kirche. Trotzdem ist der Besuch von Papst Franziskus bei unseren Nachbarn alles andere als ein einfacher Termin. Die Katholische Kirche dort ist erzkonservativ, ganz nahe an der regierenden PiS und tut sich auch ausgesprochen schwer damit, dass der Papst genau das Gegenteil eines konservativen Hardliners ist. Für den Weltjugendtag ist Papst Franziskus in dieser Woche zu Gast in Polen. Gestern ist er eingetroffen und hat gleich die polnische Regierung ermahnt.
Aus Rom zugeschaltet ist uns jetzt Pater Bernd Hagenkord. Er leitet die deutsche Redaktion von Radio Vatikan. Guten Morgen.
Bernd Hagenkord: Einen schönen guten Morgen.
Schulz: Muss der Papst aus Südamerika im Land von Solidarnosc jetzt den Begriff Solidarität erklären?
Hagenkord: Ich glaube, nicht. Ich glaube, die wissen das sehr genau. Die Frage ist nur, wie das dann im politischen Alltag ankommt. Die Töne, die in Polen immer wieder vorkommen, die die Politiker auch immer wieder nennen, auch gestern wieder, ich glaube, in der "Bild"-Zeitung Parteichef Kaczynski, das hört sich natürlich nicht nach Solidarität an. Aber ich glaube, auch da muss man schauen, wie das wirklich im Alltag genau aussieht.
Schulz: Der Besuch fällt jetzt in aufrüttelnde Zeiten. Wir haben Terroranschläge und Angriffe in einer nicht gekannten Taktung erlebt in den vergangenen Tagen. Wie kann der Papst darauf eingehen?
"Wir brauchen (und das ist ein großes Thema) Barmherzigkeit"
Hagenkord: Ich glaube, sein großes Anliegen ist, sich einer Verhärtung zu widersetzen. Wenn wir jetzt selber alle anfangen, uns in unsere Burgen, sage ich mal, zurückzuziehen und auf die anderen zu zeigen, die uns was Böses wollen, die überall Feinde sehen, die überall die Türen zumachen, genau sich dem entgegenzustellen und zu sagen, wir brauchen (und das ist ein großes Thema) Barmherzigkeit, wir brauchen Offenheit, wir müssen den Blick bewahren für diejenigen, deren Rechte weggenommen werden, deren Würde mit Füßen getreten wird und so weiter und so weiter - ich brauche das nicht alles komplett auszuführen. Das Herz offen zu halten, die innere Einstellung offen zu halten, das ist sein großes Anliegen, weniger politische Aktivitäten.
Schulz: Aber wie haben Sie das verstanden, was er gestern gesagt hat? Er hat gesagt, wir sind im Krieg, aber nicht in einem Krieg der Religionen, sondern der Interessen des Geldes und der Ressourcen?
Hagenkord: Das ist etwas, was er schon häufiger gesagt hat. Er benutzt das auf Italienisch: Guerra Appecci. Das kann man ganz, ganz schlecht übersetzen. Das ist der Krieg in kleinen Teilen. Es gibt nicht mehr einen Krieg, sondern hier gibt es Boko Haram in Nigeria und dann gibt es Syrien und dann gibt es Terror auf den Philippinen und so weiter, also insgesamt etwas, was man nur noch als Krieg beschreiben kann. Das darf man nicht mehr als Unsicherheit bezeichnen, das hat er gestern ausdrücklich gesagt. Aber es ist in dem Sinne ein klassischer Krieg, als da Interessen hinter sind. Da geht es um Geld, da geht es um natürliche Ressourcen. Das ist im Bericht ja auch gesagt worden. Da geht es aber auch um Macht über andere Menschen, das hat der Papst gestern auch noch gesagt. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass hier einige Leute richtig Profit machen damit, dass andere Leute sterben. Ich darf das vielleicht mal so übersetzen. So meint er das und das muss auch aufgenommen werden und das muss auch auf die Tagesordnung.
"Dieser Papst dringt eher durch bei den Menschen, mit denen er in Kontakt kommt"
Schulz: Jetzt ist er in Polen, in einem Land, was eine sehr, sehr restriktive Haltung in der Flüchtlingsfrage hat, das gar keine oder so gut wie gar keine muslimischen Flüchtlinge aufnimmt oder Flüchtlinge aus muslimisch geprägten Ländern. Und wir haben jetzt in Deutschland und in Frankreich diese Anschläge beobachtet. Wenn er jetzt wieder mit diesen Flüchtlingsmahnungen kommt und wir diese Anschläge gesehen haben, die scheinen ja allen recht zu geben die sagen, mehr Vorsicht, wen wir uns da ins Land holen. Wie wird er da durchdringen?
Hagenkord: Na ja, Vorsicht ist ja nie falsch. Nur darf das nicht dazu führen, dass wir einfach komplett alles zumachen. Die Frage ist natürlich, wollen die Leute das von dem Papst hören, oder wer will ihn hören, oder wie legt man sich seinen eigenen Papst zurecht. Das ist ja auch immer so eine Sache. Wenn ich etwa auf Johannes-Paul II. schaue, der in Polen ja sehr stark zitiert wird, der hat ganz klar von einer universalistischen Sicht des Gemeinwohls gesprochen. Das glaube ich nicht, dass das die polnische Regierung heute so gerne hört. Es kommt auch immer darauf an, was man sich genau anhören will und was man von einem Papst hören will.
Ich glaube, dieser Papst dringt eher durch bei den Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Er ist nicht so der Mensch, der die große Politik macht, sondern mit denen, die sich unter seinem Fenster versammeln, wo er predigt, denen er begegnet, das sind eher seine Gesprächspartner, weniger die großen Politiker, und ich glaube, da schafft er schon einiges an Bewegung.
Schulz: Und was ist mit den Bischöfen in Polen?
Hagenkord: Das kann ich von hier schlecht einschätzen. Ich kenne zu wenig davon. Ich kenne vor allen Dingen auch nur die Berichterstattung darüber. Ich glaube, die haben ja gestern Abend ihre Begegnung mit dem Papst gehabt. Wir wissen nicht genau, was besprochen wurde. Ich hoffe, das stellt heute noch heraus, das war hinter verschlossenen Türen. Da ist im Vorfeld gesagt worden, die werden sich schon noch was anhören müssen. Ich bin nicht so sicher, warten wir es ab. Der Papst ist ja weniger jemand, der jetzt herkommt und nach außen hin austeilt. Das macht er nach innen gerne, aber nach außen weniger. Nach außen wirbt er eher.
Schulz: Jetzt ist es ja offenbar so in der Katholischen Kirche in Polen, dass es da nicht wenige gibt, die das noch gar nicht so recht wahrhaben wollen, dass der amtierende Papst aus Argentinien kommt, dass er für eine dienende, für eine demütige, auch für eine arme Kirche steht. Wie wird er damit jetzt in Polen bei seinen polnischen Gastgebern umgehen?
Hagenkord: Ich glaube, er wird das so machen wie sonst auch. Er wird werben, er wird sprechen, er wird die Bibel auslegen, er wird mit seinem ganz eigenen Scharm umgehen, um zu erreichen, dass die Leute zuhören und in seinen Worten die Herzen sich öffnen lassen. Es ist kein Ukas-System, mit dem der Papst kommt; er dekretiert. Das haben wir schon mehrfach erlebt. Das würden einige gerne haben, das macht er aber nicht, sondern er versucht zu werben. Er versucht, für seine Botschaft Leute zu gewinnen. Ich glaube, das wird er die nächsten Tage machen. Die Leute, die nicht zuhören wollen, die werden auch nachher dieselben Sätze sagen wie "Wir nehmen keine Flüchtlinge auf". Da wird der Papst dann auch nichts machen können. Aber die Leute, die zuhören wollen, werden sicherlich davon profitieren.
"Die Zeiten eines zentralistischen Papstes sind endgültig vorbei"
Schulz: Aber wenn Sie sagen, er arbeitet ungern mit einem Ukas. Ist das nicht bei einem Papstamt, bei einem Oberhaupt der Katholischen Kirche so, dass man Ansagen schlichtweg auch machen muss?
Hagenkord: Ich glaube, die Zeiten eines zentralistischen Papstes, der von Rom aus alles entscheidet, was in der ganzen Weltkirche passiert, die sind endgültig vorbei. Wir hatten das lange Jahre, quasi 150 Jahre lang, ein sehr zentral geführtes Papstamt. Die Welt funktioniert ja nicht mehr so. Die ist globaler geworden, die ist einzelner geworden, Kirchen in Afrika, in Indien, in Asien haben ihre eigene Stimme gefunden, die wollen jetzt nicht mehr aus Rom hören, was Sache ist. Da geht es vielmehr darum zu koordinieren, zu werben, zusammenzubringen. Das ist ein ganz anderes Verständnis vom Papstamt und in dem Sinne ist Papst Franziskus sehr, sehr modern, dass er nicht versucht, von Rom aus zu dekretieren, sondern durch die Welt reist und versucht, zu koordinieren, zu werben und damit umzugehen, Leute in Kontakt zu bringen. Das ist eine Form, die mit ihm sicherlich noch mal ganz stark gemacht worden ist, und ich glaube, davon werden wir in den nächsten 20 Jahren mehr sehen, dass wir nicht mehr hören aus Rom, was zu tun ist, sondern eher werbende mitnehmende Sprüche bekommen.
Schulz: Sie sagen, modern. Ist er nicht vielen schlichtweg zu links?
Hagenkord: Ich glaube, die Kategorien Links und Rechts, die funktionieren nicht mehr so richtig. Die gleichen Aussagen, die wir vielleicht politisch als links einstufen würden, würde man vielleicht ganz woanders ganz woanders einstufen. Ich glaube, da müssen wir aus dieser etwas europäischen politischen Sicht raus und uns fragen, was ist konstruktiv und was ist destruktiv. Das ist, glaube ich, die Paarung, die heute viel besser passt, und dieser Papst ist eindeutig, jedenfalls in meinen Augen, konstruktiv.
Schulz: Der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord, heute hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
Hagenkord: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.