Wie stark sich die Nationalisten in der Türkei derzeit fühlen, das belegt ein erneut umstrittener Prozess, der heute in Ankara beginnt, und der starke Parallelen zur Anklage gegen den Schriftstellers Orhan Pamuk im letzten Jahr aufweist. Wieder geht es um die vermeintliche Verunglimpfung des Türkentums, und wieder trifft es eine Schriftstellerin, in diesem Fall die 34-jährige Autorin Elif Shafák.
Das Mädchen heißt Sherazad - benannt nach einer der Hauptfiguren aus den berühmten Märchen aus 1001 Nacht. Doch was die Mutter des fünf Tage alten Säuglings derzeit in ihrer Heimat Türkei erlebt, gleicht eher einem Alptraum als einem Märchen. Die Schriftstellerin Elif Shafak muss sich heute vor einem Istanbuler Gericht wegen des Vorwurfs verantworten, "das Türkentum beleidigt" zu haben. Ihr neuester Roman "Der Bastard von Istanbul" erzählt über vier Generationen hinweg die Geschichte einer armenenischen Familie, die nach den Massakern von 1915 aus der Türkei flieht und ein Kind zurücklassen muss, das als moslemischer Türke aufwächst. Die Rechtsnationalisten, die Elif Shafak angezeigt haben, leugnen den Völkermord an den Armeniern vor 90 Jahren. Die 35jährige Autorin ist nicht die erste, die die Keule des berüchtigten Paragrafen 301 des türkischen Strafgesetzbuches trifft. Und doch, sagt sie, habe ihr Fall etwas Besonderes:
"Es ist so absurd, denn in diesem Fall handelt es sich um einen Roman. Die Anklage basiert auf Aussagen meiner armenischen Romanfiguren! Damit soll ich das Türkentum beleidigt haben. Das ist eine neue Dimension."
Elif Shafak hat auch in ihren früheren Romanen unbequeme Themen aus der türkischen Geschichte aufgegriffen, etwa das Schicksal sephardischer Juden, die friedvolle islamische Mystik der Sufi-Orden oder den Kampf der Türkinnen um mehr Freiheit. Nach langen Jahren im Ausland ist die Diplomatentochter in die Türkei zurückgekehrt - auch um den Weg ihres Landes nach Europa zu unterstützen. Die Veränderungen der vergangenen Jahre hätten ihr Mut gemacht, sagt Shafak. Sie hätte nicht gedacht, dass ihre Meinungsfreiheit so in Gefahr geraten könnte:
"Einige Regierungsmitglieder haben mir persönlich gesagt, dass sie mit der Entwicklung sehr unglücklich sind und mein Gerichtsverfahren bedauern. Aber sie haben entweder nicht den Mut oder den Willen dies auch öffentlich zu sagen. Die EU hat der Türkei deutlich gesagt, dass selbst die Zypern-Frage nicht so bedeutend ist wie die Abschaffung des Paragrafen 301. Trotzdem sagte der türkische Verhandlungsführer bei den EU-Verhandlungen, Ali Babacan, diese Frage stünde nicht auf der Agenda. Ich hoffe, die Regierung wacht bald auf."
Doch danach sieht es nicht aus. In dem Reformpaket, dass die türkische Nationalversammlung in dieser Woche berät, fehlt der Gummiparagraf 301. Wieder und wieder hat Ankara Kritiker aus dem Ausland beruhigt mit der Versicherung, niemand werde wegen des Straftatbestandes der Beleidigung des Türkentums wirklich verurteilt.
Spätestens in höheren Instanzen würden die Urteile kassiert. Doch die zur Bewährung ausgesetzte sechsmonatige Haftstrafe gegen den armenischen Journalisten Hrant Dink wurde vom höchsten Gericht bestätigt. Und die Prozesse wegen Paragraf 301 reißen nicht ab. Elif Shafak sieht ihrem heutigen Gerichtstermin mit Sorge entgegen:
"Der Paragraf 301 bringt einen vielleicht nicht ins Gefängnis, aber er bringt einen zum Schweigen. Häufig verhängt das Gericht eine Bewährungszeit von fünf Jahren, in der man nicht rückfällig werden darf. Das bedeutet man darf nicht mehr über dieselben Themen schreiben, muss extrem vorsichtig sein - und das ist das Schlimmste.
Und schlimmer noch als der Prozess selbst ist das ganze Drumherum, die nationalistische Atmosphäre, die den Prozess begleitet. Wenn man das Gerichtsgebäude betritt, stehen die rechten Demonstranten Spalier, rufen Parolen und randalieren. Das sind die Dinge, die einen so einsam und verletzbar machen."
Elif Shafak hat Morddrohungen erhalten. Auch deshalb wird sich die Autorin heute vor dem Istanbuler Gericht durch ihren Verleger vertreten lassen und bei ihrer neugeborenen Tochter bleiben.
Zahlreiche Intellektuelle haben zu Solidaritätsbekundungen für Elif Shafak aufgerufen; aus dem Ausland werden Prozessbeobachter erwartet.
Die Angeklagte selbst will nicht, dass ihr Prozess von anti-türkischen Kräften in Europa instrumentalisiert wird:
" Man muss auch im Ausland verstehen, dass es in der Türkei andere Stimmen gibt, dass sich viele Menschen schämen für Paragraf 301 und sich für eine Änderung einsetzen. Die ultranationalistischen Anwälte, die uns wegen "Beleidigung des Türkentums" vor Gericht bringen, sind eine kleine Minderheit. Das Problem ist: Die Gruppe ist zwar klein, aber ihre Macht ist groß."
Das Mädchen heißt Sherazad - benannt nach einer der Hauptfiguren aus den berühmten Märchen aus 1001 Nacht. Doch was die Mutter des fünf Tage alten Säuglings derzeit in ihrer Heimat Türkei erlebt, gleicht eher einem Alptraum als einem Märchen. Die Schriftstellerin Elif Shafak muss sich heute vor einem Istanbuler Gericht wegen des Vorwurfs verantworten, "das Türkentum beleidigt" zu haben. Ihr neuester Roman "Der Bastard von Istanbul" erzählt über vier Generationen hinweg die Geschichte einer armenenischen Familie, die nach den Massakern von 1915 aus der Türkei flieht und ein Kind zurücklassen muss, das als moslemischer Türke aufwächst. Die Rechtsnationalisten, die Elif Shafak angezeigt haben, leugnen den Völkermord an den Armeniern vor 90 Jahren. Die 35jährige Autorin ist nicht die erste, die die Keule des berüchtigten Paragrafen 301 des türkischen Strafgesetzbuches trifft. Und doch, sagt sie, habe ihr Fall etwas Besonderes:
"Es ist so absurd, denn in diesem Fall handelt es sich um einen Roman. Die Anklage basiert auf Aussagen meiner armenischen Romanfiguren! Damit soll ich das Türkentum beleidigt haben. Das ist eine neue Dimension."
Elif Shafak hat auch in ihren früheren Romanen unbequeme Themen aus der türkischen Geschichte aufgegriffen, etwa das Schicksal sephardischer Juden, die friedvolle islamische Mystik der Sufi-Orden oder den Kampf der Türkinnen um mehr Freiheit. Nach langen Jahren im Ausland ist die Diplomatentochter in die Türkei zurückgekehrt - auch um den Weg ihres Landes nach Europa zu unterstützen. Die Veränderungen der vergangenen Jahre hätten ihr Mut gemacht, sagt Shafak. Sie hätte nicht gedacht, dass ihre Meinungsfreiheit so in Gefahr geraten könnte:
"Einige Regierungsmitglieder haben mir persönlich gesagt, dass sie mit der Entwicklung sehr unglücklich sind und mein Gerichtsverfahren bedauern. Aber sie haben entweder nicht den Mut oder den Willen dies auch öffentlich zu sagen. Die EU hat der Türkei deutlich gesagt, dass selbst die Zypern-Frage nicht so bedeutend ist wie die Abschaffung des Paragrafen 301. Trotzdem sagte der türkische Verhandlungsführer bei den EU-Verhandlungen, Ali Babacan, diese Frage stünde nicht auf der Agenda. Ich hoffe, die Regierung wacht bald auf."
Doch danach sieht es nicht aus. In dem Reformpaket, dass die türkische Nationalversammlung in dieser Woche berät, fehlt der Gummiparagraf 301. Wieder und wieder hat Ankara Kritiker aus dem Ausland beruhigt mit der Versicherung, niemand werde wegen des Straftatbestandes der Beleidigung des Türkentums wirklich verurteilt.
Spätestens in höheren Instanzen würden die Urteile kassiert. Doch die zur Bewährung ausgesetzte sechsmonatige Haftstrafe gegen den armenischen Journalisten Hrant Dink wurde vom höchsten Gericht bestätigt. Und die Prozesse wegen Paragraf 301 reißen nicht ab. Elif Shafak sieht ihrem heutigen Gerichtstermin mit Sorge entgegen:
"Der Paragraf 301 bringt einen vielleicht nicht ins Gefängnis, aber er bringt einen zum Schweigen. Häufig verhängt das Gericht eine Bewährungszeit von fünf Jahren, in der man nicht rückfällig werden darf. Das bedeutet man darf nicht mehr über dieselben Themen schreiben, muss extrem vorsichtig sein - und das ist das Schlimmste.
Und schlimmer noch als der Prozess selbst ist das ganze Drumherum, die nationalistische Atmosphäre, die den Prozess begleitet. Wenn man das Gerichtsgebäude betritt, stehen die rechten Demonstranten Spalier, rufen Parolen und randalieren. Das sind die Dinge, die einen so einsam und verletzbar machen."
Elif Shafak hat Morddrohungen erhalten. Auch deshalb wird sich die Autorin heute vor dem Istanbuler Gericht durch ihren Verleger vertreten lassen und bei ihrer neugeborenen Tochter bleiben.
Zahlreiche Intellektuelle haben zu Solidaritätsbekundungen für Elif Shafak aufgerufen; aus dem Ausland werden Prozessbeobachter erwartet.
Die Angeklagte selbst will nicht, dass ihr Prozess von anti-türkischen Kräften in Europa instrumentalisiert wird:
" Man muss auch im Ausland verstehen, dass es in der Türkei andere Stimmen gibt, dass sich viele Menschen schämen für Paragraf 301 und sich für eine Änderung einsetzen. Die ultranationalistischen Anwälte, die uns wegen "Beleidigung des Türkentums" vor Gericht bringen, sind eine kleine Minderheit. Das Problem ist: Die Gruppe ist zwar klein, aber ihre Macht ist groß."