Mit dem Bus geht es von der am Schwarzen Meer gelegenen Hafenstadt Odessa Richtung Norden. Entlang der schnurgeraden Straße erstrecken sich bis zum Horizont Felder auf denen Getreide, Mais, Sonnenblumen, Raps und Zuckerrüben wachsen. Wegen ihrer fruchtbaren Schwarzerdeböden gehört die Ukraine zu den größten Kornkammern der Welt. In Zeiten knapper Agrar-Rohstoffe und hoher Lebensmittelpreise wittern internationale Investoren hier große Geschäfte. Für acht Milliarden Dollar pachteten sie allein zwischen 2008 und 2010 Land. Katerina Kuzenko vom Kiewer Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung:
"Der Trend zur Bildung von Agrarholdings begann in der Ukraine 2002. Die Konzerne halten Land in einem Umfang von 120.000 bis 200.000 Hektar. Es gibt mittlerweile 36 Agrarholdings in der Ukraine, und die meisten davon sind an internationalen Börsen gelistet. Den Anfang machte 2007 Astarter Agroholding, ein großer ukrainischer Zuckerkonzern aus dem Landesinneren. Die meisten der börsennotierten Agrarholdings produzieren und exportieren jedoch Weizen."
Agrarrohstoffe sind heute eine begehrte Investition. Nachdem die Immobilienblase 2007 geplatzt ist, haben viele Anleger ihr Geld in diesen Bereich umgeschichtet. Sie nutzen zwei Wege, um mit dem Anbau von Nahrungsmitteln zu verdienen. Sie kaufen oder pachten Felder und sie spekulieren auf die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise.
Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam oder Foodwatch werfen Banken, Versicherern und anderen Finanzinstituten vor, sich durch bestimmte Agrarinvestments an Preistreiberei, Spekulation, Landraub und der Vertreibung von Kleinbauern zu beteiligen. "Mit Essen spielt man nicht!” überschrieb Oxfam im Frühling eine Studie über Umfang und Auswirkungen von Spekulation mit Nahrungsmitteln. Kampagnen-Leiter Frank Braßel über die Folgen:
"Es bewirkt die Verstärkung von Preistrends, in erster Linie, sprich: jetzt die Dürre in den USA, die Preise gehen hoch, und dann setzen die meisten der Investoren halt auf steigende Preise und treiben die Preise damit künstlich noch einmal hoch."
Wenn die Preise für Weizen oder für Mais um 30, 40, 50 oder 60 Prozent ansteigen, ist das besonders für Menschen in Afrika oder Lateinamerika dramatisch, sagt Frank Braßel. Denn die geben zwischen 50 und 80 Prozent ihres Familieneinkommens für Nahrung aus.
Welche Folgen ein Preissprung haben kann, zeigte sich bei der großen Nahrungsmittelkrise ab 2007. Zunächst in Mexiko: Dort stiegen die Maispreise rapide an. Tortillas, ein Grundnahrungsmittel, waren innerhalb von zwei Monaten viermal so teuer. 70.000 Menschen protestierten bei einem Marsch durch die Hauptstadt und schwenkten dabei die flachen Maisbrote. Im weiteren Verlauf der Krise gingen die Menschen in 61 Ländern auf die Straße. Selbst in den USA kam es aus Angst vor Preissteigerungen zu Hamsterkäufern von Grundnahrungsmitteln. Die Zahl derer, die sich nur unzureichend oder mangelhaft ernähren konnten, stieg laut den Vereinten Nationen um etwa 150 Millionen an - auf mehr als eine Milliarde Menschen.
Dann sanken die Preise für die 55 im Food-Price-Index der Vereinten Nationen erfassten Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel bis Ende 2009 um über ein Drittel. Bis Februar 2011 stiegen sie wieder an - auf ein Allzeithoch. Dann gaben sie wieder leicht nach. Die Preise für Nahrungsmittel schwanken mittlerweile genauso stark wie die von Aktien.
Einem Hungernden nutzt es jedoch herzlich wenig, wenn er weiß, dass die Preise für Reis, Mais oder Weizen irgendwann wieder sinken dürften. Darauf verweist Detlef Schön, Leiter des Agrarteams der Investmentgesellschaft Aquila Capital in Hamburg. Die hält sich nach eigenen Angaben an klare ethische Leitlinien bei allen Investments und schließt deswegen beispielsweise Landkäufe in Afrika aus.
"Das Schlüsselwort ist dann 'irgendwann'. In der Zwischenzeit, wenn sich Angebot und Nachfrage irgendwann wieder einpegeln und es zu einer Gegenbewegung kommt bei den Preisen, dann nützt das den Babys nicht, die bis dahin gestorben sind. Das heißt, es gibt da durchaus eine ethisch sehr fragwürdige Komponente bei der Investition in kurz laufende Derivate, ob das nun Indizes, ob das direkte Futures sind für Mais oder Weizen, oder was auch immer. Das ist durchaus sehr kritisch zu hinterfragen."
Dabei hat Schön vor allem den Handel mit Derivaten im Blick. Mit einem Derivat lässt sich auf die Wahrscheinlichkeit steigender Kaffeepreise genauso setzen wie auf einen Einbruch der Baumwollpreise. Der Preis oder Wert eines Derivats leitet sich von einem Aktienkurs, Zinssatz, einer Währung oder eben dem Preis eines Rohstoffs ab. Das Geschäft mit Rohstoffinvestments dominieren institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Banken oder Versicherer oder sogenannte Family Offices, die die Vermögen von Reichen verwalten. Beteiligt sind aber auch Kleinanleger, die sich Anteile an einem Fonds für Rohstoffe gekauft haben. Getrommelt wurde ausreichend für diese Fonds. So warb die Deutsche Bank in Magazinen:
"Alle Welt spricht über Rohstoffe – mit Agriculture Euro Fonds können Sie an der Wertentwicklung von sieben der wichtigsten Agrarrohstoffe partizipieren."
"Begrenzt und begehrt" stand auf einem Werbefoto der Fondstochter der Deutschen Bank, auf dem in einem Schubkasten Kaffee, Soja, Baumwolle, Kakao, Weizen, Zucker und Mais zu sehen waren. Laut Oxfam hatten Fonds der Deutschen Bank 2011 direkt oder indirekt 4,57 Milliarden Euro in Agrarrohstoffen angelegt. Bei der Allianz waren es gar 6,24 Milliarden Euro. Offeriert werden solche Finanzprodukte aber auch von Sparkassen oder Genossenschaftsbanken. Weltweit beträgt das Anlagevolumen in Agrarrohstoffe nach einer Schätzung der britischen Barclays Bank umgerechnet 68,8 Milliarden Euro. Ein Sechstel entfällt dabei auf deutsche Finanzinstitute. Sie spielen laut Frank Braßel von Oxfam eine zentrale Rolle in diesem Geschäft:
"Adäquat zur ökonomischen Stellung des Heimatlandes, würde ich mal sagen, und des Unternehmens sind die Fonds der Allianz und der Deutschen Bank in der absoluten Führungsspitze europa- und weltweit zu sehen. Klar, die Barclays-Bank und die großen US-Banken und Investitionsfonds spielen auch in dieser Liga mit, aber sie sind absolute Global Player und haben aus unserer Sicht von daher auch eine ganz besondere Verantwortung."
Schon im Mittelalter haben Produzenten und Käufer spekulative Kontrakte geschlossen und einen Preis für künftige Käufe und Verkäufe bestimmter Rohstoffe ausgehandelt. Und das hatte für beide Seiten Sinn: So kann ein Bauer sich im Voraus einen bestimmten Verkaufspreis für seine Getreideernte sichern. Umgekehrt kann sich beispielsweise ein Mühlenbesitzer einen festgelegten Einkaufspreis sichern. Durch entsprechende Terminkontrakte schützen sich beide Seiten - Bauer und Mühlenbesitzer - gegen extreme Preisschwankungen. Sie können auf diese Weise besser kalkulieren.
Wenn ein Farmer seine künftige Ernte zu einem bestimmten Preis verkaufen will, braucht er einen Handelspartner. Das muss jedoch kein direkter Abnehmer sein - zum Beispiel ein Schokoladenhersteller. Auch Spekulanten, die kein Interesse an der physischen Ware haben – in unserem Beispiel also Kakao -, können das Risiko kaufen und darauf setzen, den Kontrakt später mit Gewinn verkaufen zu können. Von Anfang an waren Spekulanten ein wichtiger Bestandteil dieses Marktes, sagt Oxfam-Mann Braßel:
"Damit genug flüssige Mittel, genug Kapital ist, hatte man immer so zwischen zehn und 30 Prozent Spekulation in Anführungszeichen in dem Markt. Und jetzt hat man aber in den vergangenen zehn Jahren, seit den Liberalisierungen in den USA insbesondere, hat sich dieses Verhältnis umgekehrt, heute hat man halt die große Mehrheit an Warenterminbörsen sind Spekulanten, die einfach darauf setzen, dass Preise steigen oder auch fallen, um damit Geschäfte für ihre Kunden zu machen, und die eigentlichen Händler sind inzwischen eine kleine Minderheit geworden."
Einige kleinere Investoren, die die ethischen Folgen ihrer Anlagen besonders berücksichtigen, haben die Finger von Rohstoffkontrakten gelassen, weil sie der Ansicht sind, durch den Kauf der Kontrakte die Preise anzuheizen. Zuletzt haben jedoch auch eine ganze Reihe konventioneller Investoren bei dem Geschäft mit Agrarohrstoffen die Notbremse gezogen.
In Deutschland waren das die teilstaatliche Commerzbank genauso wie die öffentlichen Landesbanken aus Baden-Württemberg und Berlin und die Deka, der Fondsanbieter der Sparkassen. Selbst die Deutsche Bank nimmt das Geschäft inzwischen unter die Lupe. Das größte deutsche Geldhaus kündigte in seinem Report zur Unternehmensverantwortung an, 2012 keine neuen, an der Börse gehandelten Anlageprodukte mehr aufzulegen, die auf dem Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen oder auf Wetten von Grundnahrungsmitteln basieren. Mit dem Kampagnen-Slogan "Hände weg vom Acker, Mann” hatte die NGO Foodwatch im Vorfeld der diesjährigen Hauptversammlung versucht, Druck auf die Deutsche Bank auszuüben. Einen vollständigen Ausstieg aus der Agrar-Spekulation lehnt die Deutsche Bank jedoch ab.
Ebenso wie Europas größter Versicherer Allianz. Auch wenn NGOs dem Unternehmen vorwerfen, mit seinen Investments die Preise künstlich hochzutreiben und damit Hunger zu verursachen. Die Münchener halten die Kritik an ihren Aktivitäten für unberechtigt. Allianz-Sprecher Nicolai Tewes:
"Wir können das zumindest für die Art und Weise, wie wir an diesem Markt agieren, für uns ausschließen. Wir können nicht für den Markt insgesamt sprechen. Das ist ein bisschen wie im Autoverkehr, wo Sie auch die Mehrheit der Teilnehmer haben, die sich an die Regeln halten und ein paar möglicherweise nicht. Zudem zählen diese Märkte eigentlich auch zu den sehr transparenten Märkten, weil das, was unsere Indexfonds dort machen, wird jedes Quartal veröffentlicht. Dort wird genau gezeigt, wie die Fonds performt haben, was sie getan haben, wie sie gekauft, verkauft haben, gleichzeitig die Indizes, auf denen diese Fonds beruhen werden, täglich veröffentlicht. Das heißt, hier gibt es eine sehr hohe Transparenz. Die Marktakteure können genau beobachten, was die anderen tun. Auch das spricht gegen die von Oxfam zitierte Blasenbildung. Denn die entsteht am ehesten bei Intransparenz."
Bestärkt sieht sich die Allianz in ihrer Haltung durch ein kürzlich veröffentlichtes Diskussionspapier von Ingo Pies. Der Wirtschaftsethiker von der Martin-Luther-Universität aus Halle-Wittenberg spricht von einem "Fehlalarm” der NGOs und schreibt:
"Die Indexspekulationen werden von den zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihrer Wirkung falsch eingeschätzt und dargestellt. Ihre Öffentlichkeitsarbeit kolportiert zahlreiche Vorwürfe, die weder einer theoretischen noch einer empirischen Überprüfung standhalten."
Die NGO Weed reagierte und warf Pies wiederum in einem achtseitigen, mit aktuellen Studienergebnissen gespickten, Positionspapier "mangelnde Sachkenntnis" vor. Zum Schluss heißt es:
"Spätestens wenn Pies auf die aus seiner Sicht wahren Ursachen von Preissteigerungen und Hunger eingeht, wird deutlich, wer der eigentliche Ideologe ist. Pies leiert eine so abgeschmackte Liste an marktliberalen Plattitüden herunter, dass seine ganze Spekulationskritik nur wie eine Bestätigung seiner liberalen Vorurteile erscheint. Viel Markt, wenig Staat: So einfach ist das für Pies."
Der Kampf um die Interpretationshoheit geht weiter. Einen wissenschaftlichen Konsens gibt es noch nicht, und auch unter den Praktikern gibt es unterschiedliche Ansichten über die Folgen der Agrarinvestments. So hält Detlef Schön, der mit seiner Investmentgesellschaft Farmen aufkauft, die Spekulation mit Agrarrohstoffen für problematisch:
"Man kann es relativ plakativ runter brechen und sagen, die bösen Agrarinvestoren investieren auf der Nachfrageseite, und die Guten auf der Angebotsseite."
Schön unterteilt klar zwischen den Spekulanten, die von einer Verknappung des Angebots an Nahrungsmitteln profitieren, und den Investoren, die wie er in die Landwirtschaft investieren und damit langfristig das Angebot an Nahrungsmitteln erhöhen. Er selbst kauft mit dem Geld seiner Anleger Fleischfarmen, Milchbetriebe und andere Agrarprojekte in Neuseeland, Australien oder auch Brasilien. 30.000 Milchkühe nennt der Fonds derzeit sein eigen. Sein Fonds sucht Farmen, die schlecht geführt sind, wo es einen Investitionsstau gibt oder solche, die überschuldet sind. Mit den Investments könnten im Normalfall Renditen erzielt werden, die ein bis drei Prozent über der Inflationsrate liegen, sagt der ausgebildete Bauer. Das ist nicht besonders viel, liegt aber daran, dass zunächst in die Farmen investiert werden muss:
"Sie müssen einige Maßnahmen durchführen, damit die auf Kurs kommt, Sie müssen die Bodenfruchtbarkeit erhöhen, Sie müssen oft auch die Genetik, wenn es sich um Weidewirtschaft handelt, noch mal runderneuern, Sie müssen neue Zäune ziehen, neue Wasserlöcher bohren oder was auch immer machen. Das dauert, bis es greift, das heißt erst im zweiten, dritten Jahr sehen Sie die Resultate. Dann ist es angebracht, mindestens noch ein, zwei Saisons auf dem dann höheren Produktivitätsniveau zu produzieren, damit Sie so ein bisschen beweisen können, dass diese Farm tatsächlich jetzt auf einem anderen Niveau unterwegs ist. Und dann können Sie diese Farm verkaufen."
Doch auch Landkäufe sind umstritten: Zum Beispiel die in Äthiopien. Die Weltbank hat in dem ostafrikanischen Land schon mehr als 400 Landverkäufe gezählt, die knapp 1,2 Millionen Hektar umfassen. Es kam zu umstrittenen Umsiedlungen. Zudem halten Gegner der Landverkäufe es für fragwürdig, dass das von Hungersnöten geplagte Äthiopien Ausländern seine fruchtbare Ackerböden überlässt und ihnen auch noch zusichert, die Ernte in ihr Heimatland zu schaffen. Besonders groß ist das Geschäft jedoch im Sudan: Vier Millionen Hektar, verteilt auf 132 Projekte, hat die Regierung verkauft. Von Landraub ist die Rede, und die Welternährungsorganisation FAO spricht bereits von Neo-Kolonialismus.
Ein Problem bei Landverkäufen sind oft unklare Besitzverhältnisse. Anders als in Europa üblich, existieren in vielen Gegenden der Welt gar keine oder keine belastbaren Grundbücher. Somit müssen Kleinbauern, deren Familien seit Generationen das Land beackert haben, häufig weichen, denn ihnen fehlt ein rechtlicher Beweis für das Gewohnheitsrecht, das sie die ganze Zeit legitimierte, das Land zu nutzen.
Das Investitionen zum Ausbau der Landwirtschaft notwendig sind, steht dabei außer Frage. Dazu reicht ein Blick in eine Studie der FAO: Demnach müssen im Jahr 2050 statt 643 Millionen Tonnen Weizen 903 Millionen Tonnen geerntet werden, um die Bevölkerung zu ernähren. Der Bedarf von Reis steigt von 414 auf 522 Millionen Tonnen. Schließlich wächst die Bevölkerung täglich um 200.000, und gleichzeitig gehen etwa 12.000 Hektar Agrarfläche durch Verstädterung oder Erosion verloren.
"Das gibt einen unglaublichen Nachfrageschub. Zweitens muss man sehen, dass die Landflächen doch an ihre Grenzen stoßen. Früher konnte man noch leichter ausweichen, auf eine Produktionssteigerung über Flächenausweitung, das ist heute fast nicht mehr möglich. Es gibt zwar noch ein paar Reserven, aber das ist abzusehen, dass die nicht mehr lange reichen werden."
Der Agrarökonom Michael Brüntrup arbeitet beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik und spricht in einem Café über seine Beobachtung. Über ein Jahrhundert lang kannten Agrarpreise nur eine Richtung: nach unten. Alleine zwischen 1970 und 2000 sanken die Preise für Zucker, Baumwolle, Kaffee, Kakao und andere wichtige Rohstoffe der Entwicklungsländer um 30 bis 60 Prozent. Häufig lag der Erlös der Kleinbauern unter ihren Produktionskosten. Jetzt spricht vieles für eine dauerhafte Trendumkehr bei den Preisen für landwirtschaftliche Produkte:
"2006 war dann das historische Tief erreicht. Die erste Nahrungsmittelpreiskrise 2007, 2008 wird heute so ein bisschen als Wendepunkt genommen. Und die meisten Ökonomen nehmen jetzt an, dass die Preise langfristig wieder steigen werden."
Das Paradoxe: Die Bauern profitieren davon nicht, sagt Michael Brüntrup. Jahrzehntelang waren Ökonomen in der Theorie davon ausgegangen, dass höhere Preise gut für die Bauern seien. Jetzt beobachteten Wissenschaftler in der Praxis: Viele Kleinbauern verlieren durch steigende Nahrungsmittelpreise. Das hat vor allem etwas damit zu tun, dass die meisten der weltweit rund zwei Milliarden Kleinbauern keine reinen Subsistenzbetriebe haben. Also keine reinen Selbstversorger sind, sondern selbst in erheblichem Umfang für ihre Familien Nahrungsmittel einkaufen müssen.
Die Kleinbauern stehen also doppelt unter Druck: als Konsumenten und als Produzenten. Denn die hohe Volatilität an den Agrarmärkten erschwert ihnen die Investition in ihren Anbau. Sie wissen angesichts der ungewissen Preisentwicklung eigentlich nie, ob es Sinn hat, mehr Nahrungsmittel anzubauen. Absichern können sie sich jedoch nicht über die Börsen – dafür sind sie zu arm. Zur Stabilisierung der Märkte könnten schon bald die Staaten eingreifen. Davon geht jedenfalls der Investor Schön aus:
"Das System, was wir in der EU gerade nach Jahrzehnten von Misswirtschaft zu den Akten gelegt haben, nämlich das Interventionssystem, wird fröhliche Wiedergeburt feiern in Ländern wie China und Indien, dass nämlich der Staat gewisse Reservebestände anlegt, wie es im Erdöl Gang und gäbe ist."
Auf ein Verbot eines Großteils der Spekulationsgeschäfte bei Agrarrohstoffen durch die Politik setzt Oxfam. Frank Braßel:
"Man bräuchte auf verschiedenen Ebenen einen Stabilisierungsmechanismus. Wenn es jetzt um die reine Spekulation mit Agrar-Rohstoffen geht, muss man einfach sagen, dass die institutionellen Investoren, die nur da sind und auf Preis steigen und fallen zu wetten, faktisch keinen Zugang mehr haben sollten zu diesen Börsen, sondern tatsächlich nur die, die in dem Geschäft aktiv sind."
Wenn sich dann tatsächlich die Preise für Agrarrohstoffe gleichmäßiger entwickeln würden und das Geld statt in die Spekulation in den verantwortungsvollen Ausbau der Landwirtschaft investiert würde, wäre viel für die Bauern und Konsumenten gewonnen.
"Der Trend zur Bildung von Agrarholdings begann in der Ukraine 2002. Die Konzerne halten Land in einem Umfang von 120.000 bis 200.000 Hektar. Es gibt mittlerweile 36 Agrarholdings in der Ukraine, und die meisten davon sind an internationalen Börsen gelistet. Den Anfang machte 2007 Astarter Agroholding, ein großer ukrainischer Zuckerkonzern aus dem Landesinneren. Die meisten der börsennotierten Agrarholdings produzieren und exportieren jedoch Weizen."
Agrarrohstoffe sind heute eine begehrte Investition. Nachdem die Immobilienblase 2007 geplatzt ist, haben viele Anleger ihr Geld in diesen Bereich umgeschichtet. Sie nutzen zwei Wege, um mit dem Anbau von Nahrungsmitteln zu verdienen. Sie kaufen oder pachten Felder und sie spekulieren auf die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise.
Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam oder Foodwatch werfen Banken, Versicherern und anderen Finanzinstituten vor, sich durch bestimmte Agrarinvestments an Preistreiberei, Spekulation, Landraub und der Vertreibung von Kleinbauern zu beteiligen. "Mit Essen spielt man nicht!” überschrieb Oxfam im Frühling eine Studie über Umfang und Auswirkungen von Spekulation mit Nahrungsmitteln. Kampagnen-Leiter Frank Braßel über die Folgen:
"Es bewirkt die Verstärkung von Preistrends, in erster Linie, sprich: jetzt die Dürre in den USA, die Preise gehen hoch, und dann setzen die meisten der Investoren halt auf steigende Preise und treiben die Preise damit künstlich noch einmal hoch."
Wenn die Preise für Weizen oder für Mais um 30, 40, 50 oder 60 Prozent ansteigen, ist das besonders für Menschen in Afrika oder Lateinamerika dramatisch, sagt Frank Braßel. Denn die geben zwischen 50 und 80 Prozent ihres Familieneinkommens für Nahrung aus.
Welche Folgen ein Preissprung haben kann, zeigte sich bei der großen Nahrungsmittelkrise ab 2007. Zunächst in Mexiko: Dort stiegen die Maispreise rapide an. Tortillas, ein Grundnahrungsmittel, waren innerhalb von zwei Monaten viermal so teuer. 70.000 Menschen protestierten bei einem Marsch durch die Hauptstadt und schwenkten dabei die flachen Maisbrote. Im weiteren Verlauf der Krise gingen die Menschen in 61 Ländern auf die Straße. Selbst in den USA kam es aus Angst vor Preissteigerungen zu Hamsterkäufern von Grundnahrungsmitteln. Die Zahl derer, die sich nur unzureichend oder mangelhaft ernähren konnten, stieg laut den Vereinten Nationen um etwa 150 Millionen an - auf mehr als eine Milliarde Menschen.
Dann sanken die Preise für die 55 im Food-Price-Index der Vereinten Nationen erfassten Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel bis Ende 2009 um über ein Drittel. Bis Februar 2011 stiegen sie wieder an - auf ein Allzeithoch. Dann gaben sie wieder leicht nach. Die Preise für Nahrungsmittel schwanken mittlerweile genauso stark wie die von Aktien.
Einem Hungernden nutzt es jedoch herzlich wenig, wenn er weiß, dass die Preise für Reis, Mais oder Weizen irgendwann wieder sinken dürften. Darauf verweist Detlef Schön, Leiter des Agrarteams der Investmentgesellschaft Aquila Capital in Hamburg. Die hält sich nach eigenen Angaben an klare ethische Leitlinien bei allen Investments und schließt deswegen beispielsweise Landkäufe in Afrika aus.
"Das Schlüsselwort ist dann 'irgendwann'. In der Zwischenzeit, wenn sich Angebot und Nachfrage irgendwann wieder einpegeln und es zu einer Gegenbewegung kommt bei den Preisen, dann nützt das den Babys nicht, die bis dahin gestorben sind. Das heißt, es gibt da durchaus eine ethisch sehr fragwürdige Komponente bei der Investition in kurz laufende Derivate, ob das nun Indizes, ob das direkte Futures sind für Mais oder Weizen, oder was auch immer. Das ist durchaus sehr kritisch zu hinterfragen."
Dabei hat Schön vor allem den Handel mit Derivaten im Blick. Mit einem Derivat lässt sich auf die Wahrscheinlichkeit steigender Kaffeepreise genauso setzen wie auf einen Einbruch der Baumwollpreise. Der Preis oder Wert eines Derivats leitet sich von einem Aktienkurs, Zinssatz, einer Währung oder eben dem Preis eines Rohstoffs ab. Das Geschäft mit Rohstoffinvestments dominieren institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Banken oder Versicherer oder sogenannte Family Offices, die die Vermögen von Reichen verwalten. Beteiligt sind aber auch Kleinanleger, die sich Anteile an einem Fonds für Rohstoffe gekauft haben. Getrommelt wurde ausreichend für diese Fonds. So warb die Deutsche Bank in Magazinen:
"Alle Welt spricht über Rohstoffe – mit Agriculture Euro Fonds können Sie an der Wertentwicklung von sieben der wichtigsten Agrarrohstoffe partizipieren."
"Begrenzt und begehrt" stand auf einem Werbefoto der Fondstochter der Deutschen Bank, auf dem in einem Schubkasten Kaffee, Soja, Baumwolle, Kakao, Weizen, Zucker und Mais zu sehen waren. Laut Oxfam hatten Fonds der Deutschen Bank 2011 direkt oder indirekt 4,57 Milliarden Euro in Agrarrohstoffen angelegt. Bei der Allianz waren es gar 6,24 Milliarden Euro. Offeriert werden solche Finanzprodukte aber auch von Sparkassen oder Genossenschaftsbanken. Weltweit beträgt das Anlagevolumen in Agrarrohstoffe nach einer Schätzung der britischen Barclays Bank umgerechnet 68,8 Milliarden Euro. Ein Sechstel entfällt dabei auf deutsche Finanzinstitute. Sie spielen laut Frank Braßel von Oxfam eine zentrale Rolle in diesem Geschäft:
"Adäquat zur ökonomischen Stellung des Heimatlandes, würde ich mal sagen, und des Unternehmens sind die Fonds der Allianz und der Deutschen Bank in der absoluten Führungsspitze europa- und weltweit zu sehen. Klar, die Barclays-Bank und die großen US-Banken und Investitionsfonds spielen auch in dieser Liga mit, aber sie sind absolute Global Player und haben aus unserer Sicht von daher auch eine ganz besondere Verantwortung."
Schon im Mittelalter haben Produzenten und Käufer spekulative Kontrakte geschlossen und einen Preis für künftige Käufe und Verkäufe bestimmter Rohstoffe ausgehandelt. Und das hatte für beide Seiten Sinn: So kann ein Bauer sich im Voraus einen bestimmten Verkaufspreis für seine Getreideernte sichern. Umgekehrt kann sich beispielsweise ein Mühlenbesitzer einen festgelegten Einkaufspreis sichern. Durch entsprechende Terminkontrakte schützen sich beide Seiten - Bauer und Mühlenbesitzer - gegen extreme Preisschwankungen. Sie können auf diese Weise besser kalkulieren.
Wenn ein Farmer seine künftige Ernte zu einem bestimmten Preis verkaufen will, braucht er einen Handelspartner. Das muss jedoch kein direkter Abnehmer sein - zum Beispiel ein Schokoladenhersteller. Auch Spekulanten, die kein Interesse an der physischen Ware haben – in unserem Beispiel also Kakao -, können das Risiko kaufen und darauf setzen, den Kontrakt später mit Gewinn verkaufen zu können. Von Anfang an waren Spekulanten ein wichtiger Bestandteil dieses Marktes, sagt Oxfam-Mann Braßel:
"Damit genug flüssige Mittel, genug Kapital ist, hatte man immer so zwischen zehn und 30 Prozent Spekulation in Anführungszeichen in dem Markt. Und jetzt hat man aber in den vergangenen zehn Jahren, seit den Liberalisierungen in den USA insbesondere, hat sich dieses Verhältnis umgekehrt, heute hat man halt die große Mehrheit an Warenterminbörsen sind Spekulanten, die einfach darauf setzen, dass Preise steigen oder auch fallen, um damit Geschäfte für ihre Kunden zu machen, und die eigentlichen Händler sind inzwischen eine kleine Minderheit geworden."
Einige kleinere Investoren, die die ethischen Folgen ihrer Anlagen besonders berücksichtigen, haben die Finger von Rohstoffkontrakten gelassen, weil sie der Ansicht sind, durch den Kauf der Kontrakte die Preise anzuheizen. Zuletzt haben jedoch auch eine ganze Reihe konventioneller Investoren bei dem Geschäft mit Agrarohrstoffen die Notbremse gezogen.
In Deutschland waren das die teilstaatliche Commerzbank genauso wie die öffentlichen Landesbanken aus Baden-Württemberg und Berlin und die Deka, der Fondsanbieter der Sparkassen. Selbst die Deutsche Bank nimmt das Geschäft inzwischen unter die Lupe. Das größte deutsche Geldhaus kündigte in seinem Report zur Unternehmensverantwortung an, 2012 keine neuen, an der Börse gehandelten Anlageprodukte mehr aufzulegen, die auf dem Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen oder auf Wetten von Grundnahrungsmitteln basieren. Mit dem Kampagnen-Slogan "Hände weg vom Acker, Mann” hatte die NGO Foodwatch im Vorfeld der diesjährigen Hauptversammlung versucht, Druck auf die Deutsche Bank auszuüben. Einen vollständigen Ausstieg aus der Agrar-Spekulation lehnt die Deutsche Bank jedoch ab.
Ebenso wie Europas größter Versicherer Allianz. Auch wenn NGOs dem Unternehmen vorwerfen, mit seinen Investments die Preise künstlich hochzutreiben und damit Hunger zu verursachen. Die Münchener halten die Kritik an ihren Aktivitäten für unberechtigt. Allianz-Sprecher Nicolai Tewes:
"Wir können das zumindest für die Art und Weise, wie wir an diesem Markt agieren, für uns ausschließen. Wir können nicht für den Markt insgesamt sprechen. Das ist ein bisschen wie im Autoverkehr, wo Sie auch die Mehrheit der Teilnehmer haben, die sich an die Regeln halten und ein paar möglicherweise nicht. Zudem zählen diese Märkte eigentlich auch zu den sehr transparenten Märkten, weil das, was unsere Indexfonds dort machen, wird jedes Quartal veröffentlicht. Dort wird genau gezeigt, wie die Fonds performt haben, was sie getan haben, wie sie gekauft, verkauft haben, gleichzeitig die Indizes, auf denen diese Fonds beruhen werden, täglich veröffentlicht. Das heißt, hier gibt es eine sehr hohe Transparenz. Die Marktakteure können genau beobachten, was die anderen tun. Auch das spricht gegen die von Oxfam zitierte Blasenbildung. Denn die entsteht am ehesten bei Intransparenz."
Bestärkt sieht sich die Allianz in ihrer Haltung durch ein kürzlich veröffentlichtes Diskussionspapier von Ingo Pies. Der Wirtschaftsethiker von der Martin-Luther-Universität aus Halle-Wittenberg spricht von einem "Fehlalarm” der NGOs und schreibt:
"Die Indexspekulationen werden von den zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihrer Wirkung falsch eingeschätzt und dargestellt. Ihre Öffentlichkeitsarbeit kolportiert zahlreiche Vorwürfe, die weder einer theoretischen noch einer empirischen Überprüfung standhalten."
Die NGO Weed reagierte und warf Pies wiederum in einem achtseitigen, mit aktuellen Studienergebnissen gespickten, Positionspapier "mangelnde Sachkenntnis" vor. Zum Schluss heißt es:
"Spätestens wenn Pies auf die aus seiner Sicht wahren Ursachen von Preissteigerungen und Hunger eingeht, wird deutlich, wer der eigentliche Ideologe ist. Pies leiert eine so abgeschmackte Liste an marktliberalen Plattitüden herunter, dass seine ganze Spekulationskritik nur wie eine Bestätigung seiner liberalen Vorurteile erscheint. Viel Markt, wenig Staat: So einfach ist das für Pies."
Der Kampf um die Interpretationshoheit geht weiter. Einen wissenschaftlichen Konsens gibt es noch nicht, und auch unter den Praktikern gibt es unterschiedliche Ansichten über die Folgen der Agrarinvestments. So hält Detlef Schön, der mit seiner Investmentgesellschaft Farmen aufkauft, die Spekulation mit Agrarrohstoffen für problematisch:
"Man kann es relativ plakativ runter brechen und sagen, die bösen Agrarinvestoren investieren auf der Nachfrageseite, und die Guten auf der Angebotsseite."
Schön unterteilt klar zwischen den Spekulanten, die von einer Verknappung des Angebots an Nahrungsmitteln profitieren, und den Investoren, die wie er in die Landwirtschaft investieren und damit langfristig das Angebot an Nahrungsmitteln erhöhen. Er selbst kauft mit dem Geld seiner Anleger Fleischfarmen, Milchbetriebe und andere Agrarprojekte in Neuseeland, Australien oder auch Brasilien. 30.000 Milchkühe nennt der Fonds derzeit sein eigen. Sein Fonds sucht Farmen, die schlecht geführt sind, wo es einen Investitionsstau gibt oder solche, die überschuldet sind. Mit den Investments könnten im Normalfall Renditen erzielt werden, die ein bis drei Prozent über der Inflationsrate liegen, sagt der ausgebildete Bauer. Das ist nicht besonders viel, liegt aber daran, dass zunächst in die Farmen investiert werden muss:
"Sie müssen einige Maßnahmen durchführen, damit die auf Kurs kommt, Sie müssen die Bodenfruchtbarkeit erhöhen, Sie müssen oft auch die Genetik, wenn es sich um Weidewirtschaft handelt, noch mal runderneuern, Sie müssen neue Zäune ziehen, neue Wasserlöcher bohren oder was auch immer machen. Das dauert, bis es greift, das heißt erst im zweiten, dritten Jahr sehen Sie die Resultate. Dann ist es angebracht, mindestens noch ein, zwei Saisons auf dem dann höheren Produktivitätsniveau zu produzieren, damit Sie so ein bisschen beweisen können, dass diese Farm tatsächlich jetzt auf einem anderen Niveau unterwegs ist. Und dann können Sie diese Farm verkaufen."
Doch auch Landkäufe sind umstritten: Zum Beispiel die in Äthiopien. Die Weltbank hat in dem ostafrikanischen Land schon mehr als 400 Landverkäufe gezählt, die knapp 1,2 Millionen Hektar umfassen. Es kam zu umstrittenen Umsiedlungen. Zudem halten Gegner der Landverkäufe es für fragwürdig, dass das von Hungersnöten geplagte Äthiopien Ausländern seine fruchtbare Ackerböden überlässt und ihnen auch noch zusichert, die Ernte in ihr Heimatland zu schaffen. Besonders groß ist das Geschäft jedoch im Sudan: Vier Millionen Hektar, verteilt auf 132 Projekte, hat die Regierung verkauft. Von Landraub ist die Rede, und die Welternährungsorganisation FAO spricht bereits von Neo-Kolonialismus.
Ein Problem bei Landverkäufen sind oft unklare Besitzverhältnisse. Anders als in Europa üblich, existieren in vielen Gegenden der Welt gar keine oder keine belastbaren Grundbücher. Somit müssen Kleinbauern, deren Familien seit Generationen das Land beackert haben, häufig weichen, denn ihnen fehlt ein rechtlicher Beweis für das Gewohnheitsrecht, das sie die ganze Zeit legitimierte, das Land zu nutzen.
Das Investitionen zum Ausbau der Landwirtschaft notwendig sind, steht dabei außer Frage. Dazu reicht ein Blick in eine Studie der FAO: Demnach müssen im Jahr 2050 statt 643 Millionen Tonnen Weizen 903 Millionen Tonnen geerntet werden, um die Bevölkerung zu ernähren. Der Bedarf von Reis steigt von 414 auf 522 Millionen Tonnen. Schließlich wächst die Bevölkerung täglich um 200.000, und gleichzeitig gehen etwa 12.000 Hektar Agrarfläche durch Verstädterung oder Erosion verloren.
"Das gibt einen unglaublichen Nachfrageschub. Zweitens muss man sehen, dass die Landflächen doch an ihre Grenzen stoßen. Früher konnte man noch leichter ausweichen, auf eine Produktionssteigerung über Flächenausweitung, das ist heute fast nicht mehr möglich. Es gibt zwar noch ein paar Reserven, aber das ist abzusehen, dass die nicht mehr lange reichen werden."
Der Agrarökonom Michael Brüntrup arbeitet beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik und spricht in einem Café über seine Beobachtung. Über ein Jahrhundert lang kannten Agrarpreise nur eine Richtung: nach unten. Alleine zwischen 1970 und 2000 sanken die Preise für Zucker, Baumwolle, Kaffee, Kakao und andere wichtige Rohstoffe der Entwicklungsländer um 30 bis 60 Prozent. Häufig lag der Erlös der Kleinbauern unter ihren Produktionskosten. Jetzt spricht vieles für eine dauerhafte Trendumkehr bei den Preisen für landwirtschaftliche Produkte:
"2006 war dann das historische Tief erreicht. Die erste Nahrungsmittelpreiskrise 2007, 2008 wird heute so ein bisschen als Wendepunkt genommen. Und die meisten Ökonomen nehmen jetzt an, dass die Preise langfristig wieder steigen werden."
Das Paradoxe: Die Bauern profitieren davon nicht, sagt Michael Brüntrup. Jahrzehntelang waren Ökonomen in der Theorie davon ausgegangen, dass höhere Preise gut für die Bauern seien. Jetzt beobachteten Wissenschaftler in der Praxis: Viele Kleinbauern verlieren durch steigende Nahrungsmittelpreise. Das hat vor allem etwas damit zu tun, dass die meisten der weltweit rund zwei Milliarden Kleinbauern keine reinen Subsistenzbetriebe haben. Also keine reinen Selbstversorger sind, sondern selbst in erheblichem Umfang für ihre Familien Nahrungsmittel einkaufen müssen.
Die Kleinbauern stehen also doppelt unter Druck: als Konsumenten und als Produzenten. Denn die hohe Volatilität an den Agrarmärkten erschwert ihnen die Investition in ihren Anbau. Sie wissen angesichts der ungewissen Preisentwicklung eigentlich nie, ob es Sinn hat, mehr Nahrungsmittel anzubauen. Absichern können sie sich jedoch nicht über die Börsen – dafür sind sie zu arm. Zur Stabilisierung der Märkte könnten schon bald die Staaten eingreifen. Davon geht jedenfalls der Investor Schön aus:
"Das System, was wir in der EU gerade nach Jahrzehnten von Misswirtschaft zu den Akten gelegt haben, nämlich das Interventionssystem, wird fröhliche Wiedergeburt feiern in Ländern wie China und Indien, dass nämlich der Staat gewisse Reservebestände anlegt, wie es im Erdöl Gang und gäbe ist."
Auf ein Verbot eines Großteils der Spekulationsgeschäfte bei Agrarrohstoffen durch die Politik setzt Oxfam. Frank Braßel:
"Man bräuchte auf verschiedenen Ebenen einen Stabilisierungsmechanismus. Wenn es jetzt um die reine Spekulation mit Agrar-Rohstoffen geht, muss man einfach sagen, dass die institutionellen Investoren, die nur da sind und auf Preis steigen und fallen zu wetten, faktisch keinen Zugang mehr haben sollten zu diesen Börsen, sondern tatsächlich nur die, die in dem Geschäft aktiv sind."
Wenn sich dann tatsächlich die Preise für Agrarrohstoffe gleichmäßiger entwickeln würden und das Geld statt in die Spekulation in den verantwortungsvollen Ausbau der Landwirtschaft investiert würde, wäre viel für die Bauern und Konsumenten gewonnen.