Seinen Freunden präsentierte der gelernte Zauberer Kunststückchen, zu später Stunde auch schon mal seinen nackten Oberkörper. Der war zur Gänze tätowiert, mit einem chaplinesken Bimbo, einem brustdurchstoßenden Dolch und darunter mit einem ziemlich anzüglichen Weibsbild. Aber nichts erregte den jungen Egon Erwin Kisch mehr als die Schreibmaschine. Bis 1913 arbeitete der 1885 geborene Sohn eines jüdischen Tuchhändlers als Lokalreporter für die "Bohemia", einer Tageszeitung in Prag.
Der erste Weltkrieg. Für Kisch zunächst eine "unerhört interessante Angelegenheit". An der serbischen Front brachte er es immerhin zum Oberstleutnant. Als erster investigativer Journalist in Europa hatte er da schon Karriere gemacht. In einer spektakulären Reportage deckte er 1913 die Spionagetätigkeit eines gewissen Generalstabsoffizier Alfred Redl auf. Auf Befehl seiner k. u. k. Vorgesetzten beging Redl am 25. Mai 1913 Selbstmord. Die Dramatisierung des Stoffs brachte Kisch zusätzlichen Ruhm.
Unter dem Eindruck des Krieges entwickelte Kisch eine zunehmend politische Moral. Sein "Kriegstagebuch" handelte von einem alles andere als lustigen Soldatenleben. Er nahm in Wien an Aktionen der Arbeiter- und Soldatenräte teil, wurde Mitglied der Kommunstischen Partei, eher aus Abenteuerlust denn hunderprozentiger politischer Überzeugung. Er kam niemals in den Geruch eines Dogmatikers oder Apparatschiks. Nach Kriegsende arbeitete er vor allem für das Prager Theater.
Mit der Umsiedlung nach Berlin 1921, wo er sich vergeblich als Dramaturg versuchte, begann die Zeit ausgedehnten Reisens. Durch alle Erdteile. Seine Auftraggeber: der "Berliner Börsen Courier", "Das Tagebuch", das "Prager Tagblatt". Mit seinen Reportagen avancierte Kisch zu einem Bestsellerautor der Zwanziger Jahre. Nacheinander erschienen: "Der rasende Repoprter" (1924), "Hetzjagd durch die Zeit" (1926), "Wagnisse in aller Welt" (1927). Allein schon der Klang dieser Titelauswahl verrät Egon Erwin Kischs fortdauernde Abenteuerlust.
Ob über eine Hochschule für Taschenspieler oder das Chinesenviertel in London, die Wohnung eines Scharfrichters oder ein besonders grausliges Leichenschauhaus: anhand einer Fülle von Details, gebunden an Figuren (ob erfunden oder real - das ist egal), die in gleichsam episodischen Szenen auftreten, beweist Kisch immer wieder den enormen Unterhaltungswert seiner literarischen Reportagen. Sie lesen sich so spannend wie die besten Detektiv- oder Indianergeschichten der Zeit.
Der von Karl Kraus zu Unrecht gescholtene "Kehrrichtsammler der Tatsachenwelt" erweist sich als sicherer Stilist mit ureigener Handschrift. Er ist nicht der kühle Beobachter, er bezieht sich selbst als Objekt der Beschreibung in die Reportagen ein, er ist sein eigener Beobachter. Diese Art eines erzählerischen Reportagestils erlaubt ihm, wenn er sich nicht ganz sicher über die zu vermittelnden Fakten ist, auf ironische Distanz zum Berichteten zu gehen, skeptisch gegenüber seinem Genre zu bleiben.
Egon Ewin Kisch war allerdings weniger ein vergrübelter Typ als ein sehr eitler Vertreter seiner Zunft. Man spürt es in den Texten, man sieht es auf Fotos. Ob in Uniform, auf Starporträts, im Bett oder (besonders gern) im Kaffehaus - stets sieht man den Kettenraucher mit einer Zigarette im Mundwinkel. Er gefiel sich in der Pose des Schauspielers. Das coole Image eines Humphrey Bogart - das war's! Für das Titelfoto der "Arbeiter-Illustrierte Zeitung aller Länder" (Jahrgang VIII 1929, Nr. 21, 20 Pf., 15 Kon., 40 Gr., 30 Cent) ließ er sich neben Upton Sinclair und Charlie Chaplin stehend ablichten. "Drei, die an einem Strang ziehen", erläuterte das Blatt.
Egon Erwin Kisch - immer "on the road". Köln am Rhein zum Beispiel. Gereizt vermerkt er im November 1920, daß im "Deutschen Theater" die Engländer das "Vorkaufsrecht" auf allen Plätzen besitzen. Außerdem seien die Glocken der Elektrischen zu schrill, die Bürgersteige zu schmal und der Dom "von wilhelminischen Händen so kollossal verkitscht, daß von seiner mittelalterlichen Schönheit nicht mehr allzuviel übrigblieb."
Ganz anders Moskau! "Diese Stadt ist äußerlich und innerlich die schönste auf der Welt!" - In der Tat: Seit seiner Reise in die Sowjetunion 1925/26 verpflichtet sich Kisch dem Positiven und - zur Parteilichkeit. "Zaren, Popen, Bolchewiken" (1927) dokumentiert seine Wende zum operativen Schriftsteller. Hieß es noch im Vorwort zum "Rasenden Reporter" trotzig: "Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt", so jubelt er jetzt: "Der Reporter dient dem Widerstand des Proletariats gegen die ganze Welt." - So oder so: Die Theorie gehörte nicht unbedingt zu den starken Seiten des Egon Erwin Kisch.
Scharf auf ihn waren die Nazis. Die verhafteten ihn sogleich nach dem Brand des Reichstagsgebäudes 1933 und sperrten ihn ins Spandauer Gefängnis, ließen ihn aber schon nach wenigen Tagen wegen Einspruchs der tschechoslowakischen Regierung wieder auf freien Fuß. Kisch beteiligte sich am antifaschistischen Widerstand. Er trat auf Kongressen in Paris und Melbourne auf, er beteiligte sich auf Seiten der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg. Über New York, wo er nach Ankunft auf Ellis Island erst einmal interniert wurde, ging er ins mexikanische Exil. Hier verfaße er sein vielleicht bestes Buch, die teils fiktive, teils authentische Autobiographie "Marktplatz der Sensationen" (1942). Nach dem Krieg kam er nach Prag zurück. Hier starb er am 31. März 1948. In einem seiner letzten Briefe hieß es: "Mir gehts ganz perfekt, meine Krankheit war eine arteriosklerotische Alterserscheinung, wie sie jeder von uns Greisen bekommt, wenn er nicht spazierengeht. Ich lustwandle aber nicht, was mir fehlt sind Zigaretten. ... Aber macht Euch keine Sorgen, wenn Ihr hier sein werdet, gehen wir zusammen bummeln, daß alles kracht."
Was die Nazis nicht vermochten, Kisch totzuschweigen, gelang den Verwaltern des literarischen Nackriegsdeutschland. Die Leser verlangten nach den "Großen", nach Thomas Mann oder Hermann Broch, nach zarter Naturlyrik oder amerikanischer Short Stories. Von dokumentarischer Literatur, Neuer Sachlichkeit, Brecht oder Kisch wollte man in der Bundesrepublik nicht viel wissen. Eigneten sie sich doch nicht zur Verdrängung jüngster deutscher Geschichte.
Mit der allmählichen Herausgabe der "Gesammelten Werke in Einzelausgaben" im Aufbau Verlag seit 1960 feilte der offizielle Literaturbetrieb in der DDR an einem Kisch-Bild nach bewährtem Muster. Wie etwa Brechts oder Johannes R. Bechers "Jugendsünden" wurden auch Kischs frühe Reportagen mit Fingerzeig herangezogen, um die beispielhafte Entwicklung eines anarchischen Bürgersöhnchens zum Genossen zu demonstrieren. Was nicht ohne Merkwürdigkeiten vonstatten ging. Jenes tendenzabschwörende Vorwort zum "rasenden Reporter" zum Beispiel wurde in der Neuausgabe verschämt im Anhang versteckt und mit verklärenden Kommentaren versehen.
Erst Ende der sechziger Jahre, nicht zufällig zu einer Zeit wirtschaftlicher Rezession, gelangte Kisch im Fahrwasser der Reportageliteratur eines Günter Wallraff oder Max von der Grün wieder ins Bewußtsein westdeutscher Leser. In den siebziger Jahren wurde es wieder stiller um Kisch. Die Zeit einer "Neuen Sensibiltät" vertrug keinen harten Burschen wie Kisch. Heute ist er ein Klassiker, den zu lesen, von allen Ideologien befreit, wieder großen Spaß macht. Die vom Aufbau-Verlag zum 50. Todestag heute herausgegebene Bild-Biographie "Egon Erwin Kisch. Der rasende Reporter" blättert in Faksimles, Brief- und Textauszügen sowie vor allem in noch nie zuvor gezeigten Fotos und zeigt ein Leben auf, das zu den abenteuerlichsten in diesem Jahrundert zählt.
Der erste Weltkrieg. Für Kisch zunächst eine "unerhört interessante Angelegenheit". An der serbischen Front brachte er es immerhin zum Oberstleutnant. Als erster investigativer Journalist in Europa hatte er da schon Karriere gemacht. In einer spektakulären Reportage deckte er 1913 die Spionagetätigkeit eines gewissen Generalstabsoffizier Alfred Redl auf. Auf Befehl seiner k. u. k. Vorgesetzten beging Redl am 25. Mai 1913 Selbstmord. Die Dramatisierung des Stoffs brachte Kisch zusätzlichen Ruhm.
Unter dem Eindruck des Krieges entwickelte Kisch eine zunehmend politische Moral. Sein "Kriegstagebuch" handelte von einem alles andere als lustigen Soldatenleben. Er nahm in Wien an Aktionen der Arbeiter- und Soldatenräte teil, wurde Mitglied der Kommunstischen Partei, eher aus Abenteuerlust denn hunderprozentiger politischer Überzeugung. Er kam niemals in den Geruch eines Dogmatikers oder Apparatschiks. Nach Kriegsende arbeitete er vor allem für das Prager Theater.
Mit der Umsiedlung nach Berlin 1921, wo er sich vergeblich als Dramaturg versuchte, begann die Zeit ausgedehnten Reisens. Durch alle Erdteile. Seine Auftraggeber: der "Berliner Börsen Courier", "Das Tagebuch", das "Prager Tagblatt". Mit seinen Reportagen avancierte Kisch zu einem Bestsellerautor der Zwanziger Jahre. Nacheinander erschienen: "Der rasende Repoprter" (1924), "Hetzjagd durch die Zeit" (1926), "Wagnisse in aller Welt" (1927). Allein schon der Klang dieser Titelauswahl verrät Egon Erwin Kischs fortdauernde Abenteuerlust.
Ob über eine Hochschule für Taschenspieler oder das Chinesenviertel in London, die Wohnung eines Scharfrichters oder ein besonders grausliges Leichenschauhaus: anhand einer Fülle von Details, gebunden an Figuren (ob erfunden oder real - das ist egal), die in gleichsam episodischen Szenen auftreten, beweist Kisch immer wieder den enormen Unterhaltungswert seiner literarischen Reportagen. Sie lesen sich so spannend wie die besten Detektiv- oder Indianergeschichten der Zeit.
Der von Karl Kraus zu Unrecht gescholtene "Kehrrichtsammler der Tatsachenwelt" erweist sich als sicherer Stilist mit ureigener Handschrift. Er ist nicht der kühle Beobachter, er bezieht sich selbst als Objekt der Beschreibung in die Reportagen ein, er ist sein eigener Beobachter. Diese Art eines erzählerischen Reportagestils erlaubt ihm, wenn er sich nicht ganz sicher über die zu vermittelnden Fakten ist, auf ironische Distanz zum Berichteten zu gehen, skeptisch gegenüber seinem Genre zu bleiben.
Egon Ewin Kisch war allerdings weniger ein vergrübelter Typ als ein sehr eitler Vertreter seiner Zunft. Man spürt es in den Texten, man sieht es auf Fotos. Ob in Uniform, auf Starporträts, im Bett oder (besonders gern) im Kaffehaus - stets sieht man den Kettenraucher mit einer Zigarette im Mundwinkel. Er gefiel sich in der Pose des Schauspielers. Das coole Image eines Humphrey Bogart - das war's! Für das Titelfoto der "Arbeiter-Illustrierte Zeitung aller Länder" (Jahrgang VIII 1929, Nr. 21, 20 Pf., 15 Kon., 40 Gr., 30 Cent) ließ er sich neben Upton Sinclair und Charlie Chaplin stehend ablichten. "Drei, die an einem Strang ziehen", erläuterte das Blatt.
Egon Erwin Kisch - immer "on the road". Köln am Rhein zum Beispiel. Gereizt vermerkt er im November 1920, daß im "Deutschen Theater" die Engländer das "Vorkaufsrecht" auf allen Plätzen besitzen. Außerdem seien die Glocken der Elektrischen zu schrill, die Bürgersteige zu schmal und der Dom "von wilhelminischen Händen so kollossal verkitscht, daß von seiner mittelalterlichen Schönheit nicht mehr allzuviel übrigblieb."
Ganz anders Moskau! "Diese Stadt ist äußerlich und innerlich die schönste auf der Welt!" - In der Tat: Seit seiner Reise in die Sowjetunion 1925/26 verpflichtet sich Kisch dem Positiven und - zur Parteilichkeit. "Zaren, Popen, Bolchewiken" (1927) dokumentiert seine Wende zum operativen Schriftsteller. Hieß es noch im Vorwort zum "Rasenden Reporter" trotzig: "Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt", so jubelt er jetzt: "Der Reporter dient dem Widerstand des Proletariats gegen die ganze Welt." - So oder so: Die Theorie gehörte nicht unbedingt zu den starken Seiten des Egon Erwin Kisch.
Scharf auf ihn waren die Nazis. Die verhafteten ihn sogleich nach dem Brand des Reichstagsgebäudes 1933 und sperrten ihn ins Spandauer Gefängnis, ließen ihn aber schon nach wenigen Tagen wegen Einspruchs der tschechoslowakischen Regierung wieder auf freien Fuß. Kisch beteiligte sich am antifaschistischen Widerstand. Er trat auf Kongressen in Paris und Melbourne auf, er beteiligte sich auf Seiten der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg. Über New York, wo er nach Ankunft auf Ellis Island erst einmal interniert wurde, ging er ins mexikanische Exil. Hier verfaße er sein vielleicht bestes Buch, die teils fiktive, teils authentische Autobiographie "Marktplatz der Sensationen" (1942). Nach dem Krieg kam er nach Prag zurück. Hier starb er am 31. März 1948. In einem seiner letzten Briefe hieß es: "Mir gehts ganz perfekt, meine Krankheit war eine arteriosklerotische Alterserscheinung, wie sie jeder von uns Greisen bekommt, wenn er nicht spazierengeht. Ich lustwandle aber nicht, was mir fehlt sind Zigaretten. ... Aber macht Euch keine Sorgen, wenn Ihr hier sein werdet, gehen wir zusammen bummeln, daß alles kracht."
Was die Nazis nicht vermochten, Kisch totzuschweigen, gelang den Verwaltern des literarischen Nackriegsdeutschland. Die Leser verlangten nach den "Großen", nach Thomas Mann oder Hermann Broch, nach zarter Naturlyrik oder amerikanischer Short Stories. Von dokumentarischer Literatur, Neuer Sachlichkeit, Brecht oder Kisch wollte man in der Bundesrepublik nicht viel wissen. Eigneten sie sich doch nicht zur Verdrängung jüngster deutscher Geschichte.
Mit der allmählichen Herausgabe der "Gesammelten Werke in Einzelausgaben" im Aufbau Verlag seit 1960 feilte der offizielle Literaturbetrieb in der DDR an einem Kisch-Bild nach bewährtem Muster. Wie etwa Brechts oder Johannes R. Bechers "Jugendsünden" wurden auch Kischs frühe Reportagen mit Fingerzeig herangezogen, um die beispielhafte Entwicklung eines anarchischen Bürgersöhnchens zum Genossen zu demonstrieren. Was nicht ohne Merkwürdigkeiten vonstatten ging. Jenes tendenzabschwörende Vorwort zum "rasenden Reporter" zum Beispiel wurde in der Neuausgabe verschämt im Anhang versteckt und mit verklärenden Kommentaren versehen.
Erst Ende der sechziger Jahre, nicht zufällig zu einer Zeit wirtschaftlicher Rezession, gelangte Kisch im Fahrwasser der Reportageliteratur eines Günter Wallraff oder Max von der Grün wieder ins Bewußtsein westdeutscher Leser. In den siebziger Jahren wurde es wieder stiller um Kisch. Die Zeit einer "Neuen Sensibiltät" vertrug keinen harten Burschen wie Kisch. Heute ist er ein Klassiker, den zu lesen, von allen Ideologien befreit, wieder großen Spaß macht. Die vom Aufbau-Verlag zum 50. Todestag heute herausgegebene Bild-Biographie "Egon Erwin Kisch. Der rasende Reporter" blättert in Faksimles, Brief- und Textauszügen sowie vor allem in noch nie zuvor gezeigten Fotos und zeigt ein Leben auf, das zu den abenteuerlichsten in diesem Jahrundert zählt.