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Der Regisseurnachwuchs stellt Fragen

"Radikal jung" heißt das Festival für junge Regisseure am Münchner Volkstheater, das zehn herausragende Inszenierungen wie "Breiviks Erklärung" von Milo Rau zeigt. Sie überzeugen vor allem durch ihren politischen und gesellschaftlichen Zugriff auf Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Terrorismus.

Von Sven Ricklefs |
    "Wenn ich hier spreche, dann spreche ich im Namen aller: Norweger, Skandinavier und Europäer, die nicht hinnehmen wollen, dass uns Einheimischen der indigenen Bevölkerung Europas die kulturellen und territorialen Rechte entzogen werden. "

    Natürlich war das bisher das politische Schwergewicht: "Breiviks Erklärung", Milo Raus Reenactment jener Rede, die der 77-fache Mörder von Utoya und Oslo, Anders Behring Breivik, vor Gericht hielt, um seine Taten als Verteidigung Norwegens gegen den Islam und gegen den herrschenden Kulturmarxismus darzustellen. Eine Erklärung von einer guten Stunde, vorgetragen von der deutsch-türkischen Schauspielerin Sascha Ö. Soydan. Eine Lesung hinter einem Pult. Kühl. Nüchtern. In größtmöglicher Distanz. Dass das hier vorgetragene Gedankengut in seiner Angst vor sogenannter Überfremdung und Multikulturalismus zwar nicht in seiner tödlichen Konsequenz, wohl aber in seiner Essenz in Europa längst nicht mehr nur rechtsnationale Stammtische beherrscht, dass will Milo Rau mit seinem Projekt zeigen.

    Und so verwundert es dann doch sehr, dass wie schon zuvor das Deutsche Nationaltheater in Weimar nun auch das Haus der Kunst in München plötzlich als Spielort nicht mehr zur Verfügung stand, sodass die Lesung in das Münchner Stadtmuseum verlegt werden musste. Nicht nur Breiviks Erklärung, sondern auch fast alle anderen bisher beim Festival "Radikal jung" gezeigten Arbeiten überzeugten vor allem auch durch ihren politischen und gesellschaftlichen Zugriff:

    "Lasst uns einen Anschlagssimulator bauen, einen Terroranschlagssimulator, mit dem wir durchs Land fahren und die Leute können am Terror teilnehmen und Menschen finden, so wie das bei uns war. "

    Sie selbst haben einen Terroranschlag überlebt und ziehen nun durchs Land, um jenes Erleichterungs- und Glücksgefühl weiterzuvermitteln, was sie nach ihrer Befreiung erfüllte. Zunächst hört sich der Plot von "Demut vor deinen Taten Baby" der jungen Autorin Laura Naumann zynisch an, doch wenn die drei Terrorengel schließlich sogar vom Staat engagiert werden, um durch ihre Schreckenssimulationen systemstabilisierend zu wirken, dann liest sich das wie eine schnelle böse Farce nicht nur auf unsere Eventkultur.

    Und Babette Grube hat das Stück in dieser Produktion vom Theater Bielefeld mit leichter Hand ebenso schnell auf die leere Bühne inszeniert:
    "Als ich den Text das erste Mal gelesen habe, hat mich gereizt, dass sich da drei Mädchen so ins Feuer werfen für eine Idee, an die sie glauben. Also tatsächlich für andere Leute, also die möchten ja ernsthaft das Leben für die anderen Menschen schöner machen. Das klingt erst einmal wahnsinnig naiv, aber trotzdem, der Vorgang, dass man das möchte, den finde ich so selten. Also das kenne ich von mir einfach nicht mehr. Was ich so vermisse, so eine gemeinschaftliche gesellschaftliche Idee zu entwickeln. Und das ist ein Thema, was mich interessiert, weil ich finde, die gibt's nicht mehr. Es gibt so eine Art gesellschaftliche Gemeinschaft gar nicht mehr, so ein gemeinsames Verständnis."

    Es ist diese Art von gesellschaftlicher Sensibilisierung und Bedürftigkeit, die in diesem Jahr beim Münchner Festival "Radikal jung" nicht nur in den einzelnen Produktionen ausgedrückt wird, sondern auch in den Begegnungen mit den jungen Regisseuren danach zur Sprache kommt. Marco Stormann etwa fokussiert seine Interpretation von Elfriede Jelineks "Winterreise", eine Produktion des Theaters Klagenfurt, vor allem auf das Lähmungsgefühl innerhalb seiner eigenen Generation und formuliert zugleich die Notwendigkeit eines Dialogs, gerade auch unter jungen Künstlern:

    "Ich vermisse zum Beispiel sehr einen Diskurs unter uns Theatermachern. Dass wir Regisseure uns zusammensetzen und darüber reden, was wir eigentlich tun, was wir eigentlich wollen, was für eine Zukunft hat das Theater überhaupt, wie kann das Theater die Menschen überhaupt noch erreichen, wie muss das Theater seine Form verändern. Das sind ja wir, die das formulieren müssen und die dafür eine Utopie entwickeln müssen, damit wir nicht nur die ganze Zeit darüber reden, ob jetzt Theater geschlossen werden oder nicht. Das ist die Diskussion, die geführt wird, aber es wird nicht die Diskussion über die Relevanz von Theater geführt."

    Und so zeigt sich das diesjährige Festival "Radikal jung" am Münchner Volkstheater vor allem als eines, das Fragen stellt, was nur angemessen ist, findet Festivalleiter Kilian Engels:

    "Das finde ich sehr sympathisch, weil: Wer kann sich denn heute noch irgendwo hinstellen und sagen, ich weiß, was richtig ist und was falsch. Das ist ja so eine Kommunikation von oben herunter von der Bühne, wenn man da oben Antworten gibt, dann hält man die da unten für dumm. Und das ist aufgelöst und das finde ich sehr angenehm. Sehr."