Karin Fischer: Giorgio Vasari war Maler, Zeichner, Historiker und Architekt. Vor 500 Jahren, am 30. Juli 1511, wurde er im toskanischen Arezzo geboren. Er war vor allem aber kunsthistorisch unterwegs, hat viele maßgebliche Künstlerbiografien seiner Zeit geschrieben, und er hat uns prägende Begriffe der Kunstgeschichte hinterlassen wie Gotik, Renaissance oder Manierismus. Zu Vasaris 500. Geburtstag zeigt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum jetzt Zeichnungen des 16. Jahrhunderts von Leonardo, Raffael und anderen. Man zeigt also offenbar, Christiane Vielhaber, den Kanon, den Vasari selber mit begründet hat. Ehrt man damit Vasari auch selbst?
Christiane Vielhaber: Es ist sicherlich eine Hommage an den ersten Kunstgeschichtsschreiber, aber gleichzeitig ist es auch etwas sehr Ernüchterndes. Wenn wir immer glauben, dass die Zeichnung das Intimste ist, dieser Dialog einfach mit dem Strich, der so aus der Hand fließt, dann ist Vasari jemand gewesen, der im Grunde genommen Warhol vorweggenommen hat, und hat gesagt, Jungs, ihr habt eine Factory, ihr müsst eine riesige Werkstatt haben, ihr müsst Hofkünstler sein, ihr müsst soundso viel Leute beschäftigen und ihr müsst das alles aus dem Effeff können, und wenn ihr's nicht könnt, dann beschäftigt bitte eure Gesellen, die ja schon mit sieben, acht Jahren anfingen in diesen Werkstätten. Und ernüchternd ist diese Ausstellung insofern, dass ich davor gestanden habe, und da sind natürlich sogenannte Meisterblätter. Und dann sehen Sie, wie Leute wie Leonardo da Vinci oder Michelangelo, wie die darum ringen, eine Form zu finden. Und das ist ja das, was Vasari sicherlich auszeichnet, nicht nur, dass er der Reich-Ranicki der Kunst war zu seiner Zeit, zur Zeit der Renaissance, denn der hat ja auch noch Kröpfchen und Töpfchen, du kommst bei mir rein und du kommst nicht rein. Aber dass er gesehen hat, die Zeichnung ist eben eine Übung, es ist eine Vorzeichnung, es ist eine Skizze, es ist eine Kopie, ein Kopie nach alten Meistern, nach dem Meister, bei dem man in der Werkstatt ist. Und dieses Suchen, dieses Suchen nach der Form, dieses Suchen nach dem Zeichen - also Zeichnung und Zeichen ...
Fischer: Die Zeichnung stand bei ihm am Anfang von allem, und er hat ja selber auch gezeichnet.
Vielhaber: Er hat gezeichnet, in dieser Ausstellung ist eine kleine Zeichnung von ihm, und da sieht man, wie das eigentlich ging, eine kartierte Zeichnung, wo man sich wirklich so ein Gerüst macht. Er war sicherlich als Architekt viel größer. Niemand weiß, dass die Uffizien von ihm geplant sind - das war damals ein Verwaltungsbau für die Medici, heute ist es ja das größte Museum -, also das hat er auch gemacht. Aber dass er ... Er hat selber gesammelt, und dass er wirklich gesehen hat, wo kommt das her, also wie kommt es nachher zu der großen Komposition ... Er hat gesagt, ja, die Venezianer konnten so mit dem Strich gar nichts anfangen, aber sie konnten immerhin komponieren und so einen Tizian, also mit der Zeichnung mit dem Disegno konnte er auch nichts anfangen, aber die Farbe. Warum reden wir heute noch von Tizianrot? Das verdanken wir auch Vasari. Allerdings auch eine Kunstgeschichtsschreibung, die auf Marotten von Künstlern zurückgeht, auch das Anekdotische. Also da ist nicht dieses sachlich Sezierende, der zeichnet so und der zeichnet so und dann kommt's zu diesen Bildern. Also er ist schon sehr subjektiv wertend.
Fischer: Und spielt denn dieses kunsthistorische, also auch theoretische Werk oder die Genealogie einer Begrifflichkeit, die Geburt der Kunsthistorie, wenn man pathetisch sein will, auch eine Rolle in dieser Ausstellung, oder sieht man einfach nur beeindruckende Kunst oder Handwerk, wie Sie es auch beschrieben haben?
Vielhaber: Nein, da hört es ja auf, und das ist wieder das Tolle von Vasari, dass er erkannt hat: Passt mal auf, ihr seid keine Handwerker mehr, ihr seid Künstler, und darum könnt ihr euch eben auch so was leisten wie eine riesige Werkstatt. Ihr seid genial, wenn ihr es dann dazu bringt, also wenn ihr aus einer Zeichnung ein Zeichen werden lasst, wenn ihr irgendwas so könnt, dass ihr es blind, einfach diese Formfindung, dass ihr das so lange übt. Und das sehen Sie in dieser Ausstellung, also noch nicht mal gerade diesen Schauer. Oder zum Beispiel ist eine Zeichnung von Michelangelo, und dann denken Sie, boah, Michelangelo, und auf der Rückseite dieser Zeichnung sind dann so zwei Krabben, und dann weiß man heute, es sind Schüler von Michelangelo, die das benutzt haben, weil das Papier damals so teuer war. Also hat man auch die Rückseiten benutzt. Und dass man aus so einer Krabbe, dass man die abgeformt hat und dann in Bronze gegossen hat und daraus dann ein Tintenfass gemacht hat, auch so was zeigt diese Ausstellung, und damit ist sie eigentlich so mitten in der Gesellschaft oder auch mitten in unserer Denke angekommen über Kunst.
Fischer: Vielen Dank, Christiane Vielhaber, für diesen Einblick in Italienische Meisterzeichnungen des 16. Jahrhunderts, zu sehen jetzt im Kölner Wallfraff-Richartz-Museum.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christiane Vielhaber: Es ist sicherlich eine Hommage an den ersten Kunstgeschichtsschreiber, aber gleichzeitig ist es auch etwas sehr Ernüchterndes. Wenn wir immer glauben, dass die Zeichnung das Intimste ist, dieser Dialog einfach mit dem Strich, der so aus der Hand fließt, dann ist Vasari jemand gewesen, der im Grunde genommen Warhol vorweggenommen hat, und hat gesagt, Jungs, ihr habt eine Factory, ihr müsst eine riesige Werkstatt haben, ihr müsst Hofkünstler sein, ihr müsst soundso viel Leute beschäftigen und ihr müsst das alles aus dem Effeff können, und wenn ihr's nicht könnt, dann beschäftigt bitte eure Gesellen, die ja schon mit sieben, acht Jahren anfingen in diesen Werkstätten. Und ernüchternd ist diese Ausstellung insofern, dass ich davor gestanden habe, und da sind natürlich sogenannte Meisterblätter. Und dann sehen Sie, wie Leute wie Leonardo da Vinci oder Michelangelo, wie die darum ringen, eine Form zu finden. Und das ist ja das, was Vasari sicherlich auszeichnet, nicht nur, dass er der Reich-Ranicki der Kunst war zu seiner Zeit, zur Zeit der Renaissance, denn der hat ja auch noch Kröpfchen und Töpfchen, du kommst bei mir rein und du kommst nicht rein. Aber dass er gesehen hat, die Zeichnung ist eben eine Übung, es ist eine Vorzeichnung, es ist eine Skizze, es ist eine Kopie, ein Kopie nach alten Meistern, nach dem Meister, bei dem man in der Werkstatt ist. Und dieses Suchen, dieses Suchen nach der Form, dieses Suchen nach dem Zeichen - also Zeichnung und Zeichen ...
Fischer: Die Zeichnung stand bei ihm am Anfang von allem, und er hat ja selber auch gezeichnet.
Vielhaber: Er hat gezeichnet, in dieser Ausstellung ist eine kleine Zeichnung von ihm, und da sieht man, wie das eigentlich ging, eine kartierte Zeichnung, wo man sich wirklich so ein Gerüst macht. Er war sicherlich als Architekt viel größer. Niemand weiß, dass die Uffizien von ihm geplant sind - das war damals ein Verwaltungsbau für die Medici, heute ist es ja das größte Museum -, also das hat er auch gemacht. Aber dass er ... Er hat selber gesammelt, und dass er wirklich gesehen hat, wo kommt das her, also wie kommt es nachher zu der großen Komposition ... Er hat gesagt, ja, die Venezianer konnten so mit dem Strich gar nichts anfangen, aber sie konnten immerhin komponieren und so einen Tizian, also mit der Zeichnung mit dem Disegno konnte er auch nichts anfangen, aber die Farbe. Warum reden wir heute noch von Tizianrot? Das verdanken wir auch Vasari. Allerdings auch eine Kunstgeschichtsschreibung, die auf Marotten von Künstlern zurückgeht, auch das Anekdotische. Also da ist nicht dieses sachlich Sezierende, der zeichnet so und der zeichnet so und dann kommt's zu diesen Bildern. Also er ist schon sehr subjektiv wertend.
Fischer: Und spielt denn dieses kunsthistorische, also auch theoretische Werk oder die Genealogie einer Begrifflichkeit, die Geburt der Kunsthistorie, wenn man pathetisch sein will, auch eine Rolle in dieser Ausstellung, oder sieht man einfach nur beeindruckende Kunst oder Handwerk, wie Sie es auch beschrieben haben?
Vielhaber: Nein, da hört es ja auf, und das ist wieder das Tolle von Vasari, dass er erkannt hat: Passt mal auf, ihr seid keine Handwerker mehr, ihr seid Künstler, und darum könnt ihr euch eben auch so was leisten wie eine riesige Werkstatt. Ihr seid genial, wenn ihr es dann dazu bringt, also wenn ihr aus einer Zeichnung ein Zeichen werden lasst, wenn ihr irgendwas so könnt, dass ihr es blind, einfach diese Formfindung, dass ihr das so lange übt. Und das sehen Sie in dieser Ausstellung, also noch nicht mal gerade diesen Schauer. Oder zum Beispiel ist eine Zeichnung von Michelangelo, und dann denken Sie, boah, Michelangelo, und auf der Rückseite dieser Zeichnung sind dann so zwei Krabben, und dann weiß man heute, es sind Schüler von Michelangelo, die das benutzt haben, weil das Papier damals so teuer war. Also hat man auch die Rückseiten benutzt. Und dass man aus so einer Krabbe, dass man die abgeformt hat und dann in Bronze gegossen hat und daraus dann ein Tintenfass gemacht hat, auch so was zeigt diese Ausstellung, und damit ist sie eigentlich so mitten in der Gesellschaft oder auch mitten in unserer Denke angekommen über Kunst.
Fischer: Vielen Dank, Christiane Vielhaber, für diesen Einblick in Italienische Meisterzeichnungen des 16. Jahrhunderts, zu sehen jetzt im Kölner Wallfraff-Richartz-Museum.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.