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"Der Reigen" in Stuttgart
Vielfältige Beziehungsprobleme

Arthur Schnitzlers Skandalstück "Reigen" sorgte in den 1920er-Jahren für Tumulte und Proteste. Die Konsequenz: Der Autor selbst verhängte ein Aufführungsverbot, das bis 1982 in Kraft war. Der belgische Komponist Philippe Boesmans komponierte aus dem Stoff eine Oper, die Regisseurin Nicola Hümpel jetzt an der Staatsoper Stuttgart inszeniert.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Szene aus der Inszenierung "Reigen" an der Oper Stuttgart 2016.
    Kora Pavelic (Das süße Mädel) und Shigeo Ishino (Der Gatte) (A. T. Schaefer)
    Man ahnt es rasch, an diesen Raum wird man sich gewöhnen müssen. Er ähnelt einem Betonbunker, vorne geht es schräg hinab, an den Seiten befinden sich Wände, in die Formen gestanzt sind, zum Beispiel eine Stehlampe. Selbige taucht bald real auf und gleitet, dank der sanft bewegten Drehbühne, elegant durch die Wand. Auch andere Objekte und Interieurs kommen und gehen rasch wieder, doch die beklemmende Atmosphäre bleibt. Besonders eindrucksvoll und durchaus gewollt komisch ist eine derbe Badewannenszene, hier wird allerdings mit Dreck und Schlamm herumgeschmiert, der Reinigungseffekt stellt sich eher kathartisch ein, weil nämlich am Ende Männlein und Weiblein genauso gefrustet wie zu Beginn sind und fortan wohl getrennte Wege gehen.
    Vielfältige Beziehungsprobleme in unserer Gegenwart zeigt Regisseurin Nicola Hümpel auf mal intensive, mal lakonisch ironische, mal sehr alberne Weise. So will eine Dirne einem Soldaten ans Gemächt fassen, doch ihre Hand befindet sich irgendwo unterhalb seines rechten Knies. Unvermögen der Verführerin? Oder der Regie? Oder absichtsvoller Einfall? Man weiß es nicht so genau.
    Bleischwer und langatmig
    Über dem rasch wechselnden Geschehen werden Videos gezeigt, einerseits sieht man die gerade aktiven Darsteller in realer Verdopplung oder kurzen Spielszenen, andererseits vollführt öfters ein gelenkiges Paar reichlich intime Bewegungen. Und weil wir ja im Hier und Heute sind, kommen natürlich Handy und Tablet zum Einsatz. Etliche Bilder berühren, manchmal hängt das Geschehen aber stark durch und alles wird bleischwer und langatmig. Nur teilweise gelungen ist die von Nicola Hümpel kreierte Choreographie, die den Sängern arg künstliche, ruckartige Bewegungen abverlangt.
    Von Arthur Schnitzlers Vorlage entfernt sich der Abend weit mehr als so manche aktuelle Theateraufführung des Stücks, was allerdings auch am Komponisten liegt. Philippe Boesmans schrieb eine eher frankophile, oft fein ziselierte Nervenmusik: zittrig, letztlich leider zu redundant und monoton. Dazu kommen ein paar Stilzitate. Witzig gemeint und gemacht, aber doch zu sehr ausgereizt ist ein durchs Orchester irrendes Insekt, dem mit den Worten "Man töte diese Mücke!" der Garaus gemacht werden soll. Das Original findet sich am Ende von Richard Straussens "Salome".
    Zahme Musik
    Hauptsächlich im letzten Drittel gewinnt die Partitur an Kontur, Boesmans reiht eine Vielzahl feiner Instrumentalfiguren aneinander, ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Und man hört fantastischen Smooth Jazz. Im Ganzen ist Boesmans Musik jedoch zu zahm und gleichzeitig zu verplappert.
    Das Stuttgarter Ensemble lieferte insgesamt gute Leistungen. Melanie Diener reüssiert als durchgeknallte Sängerin, André Morsch gibt ihren Widerpart – einen Grafen –, der psychisch ebenfalls ziemlich grenzwertig wirkt. Matthias Klink überzeugt als ebenso selbstbezogener wie liebesbedürftiger Dichter. Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling war Boesmans "Reigen" spürbar eine Herzensangelegenheit, das Staatsorchester Stuttgart agierte unter seiner Leitung auf höchstem Niveau und erwies sich mehrfach als schöner Kontrast für so manchen Trägheitsmoment auf der Bühne.