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Der Repressionsapparat von "Europas letztem Diktator

Das Klatschen in die Hände ist zum gemeinsamen Zeichen des Protestes der weißrussischen Opposition geworden. Doch wer klatscht, wird festgenommen - mit äußerster Härte geht Diktator Lukaschenko gegen Regimegegner vor. Vermutlich auch heute wieder bei den angekündigten Massenprotesten.

Von Robert Baag | 13.07.2011
    Heute vor einer Woche im Zentrum von Minsk und anderen Städten in Weißrussland. Ironisch gemeinter Kollektivbeifall von Abendspaziergängern gegen das Regime von Aleksandr Lukaschenko: gegen sinkende Realeinkommen, gegen hohe Benzinpreise und den drastischen Kaufkraftverfall des belarussischen Rubels.

    Gut 200 Menschen, wird später berichtet, landen nach teils brutalem Einsatz auf Milizrevieren, kassieren Geld- und Arreststrafen. Der Repressionsapparat von "Europas letztem Diktator", wie Lukaschenko inzwischen schon gewohnheitsmäßig bezeichnet wird, macht seinem finsteren Ruf erneut alle zweifelhafte Ehre.

    Und eben deshalb wollen - nennen wir sie zu ihrem eigenen Schutz - "Tatjana" und ihre Freunde heute Abend die Aktionsform noch einmal variieren. Beifall wird es diesmal nicht geben ... Sehr viele Menschen werden im Zentrum um diese Zeit ganz einfach spazieren gehen, hofft Tatjana am Telefon:

    "Das erschwert es der Staatsmacht, Einzelne innerhalb der Menschenmenge zu identifizieren: Wer ist simpler Abendflaneur? Und wer gehört zu den Protestlern? Das Wichtigste wird sein: Wir müssen es schaffen, uns 30 Minuten unbehelligt im Zentrum aufzuhalten, herumzuschlendern. Klar wird die Staatsmacht versuchen, Menschen an- oder aufzuhalten, festzunehmen. Vergangene Woche hat es schließlich auch zufällige Passanten am Minsker Hauptbahnhof getroffen."

    Tatjana ist dennoch vom Sinn dieser Aktion überzeugt:

    "Unsere Freunde wissen zum Beispiel, auf welcher Straßenseite sie gehen sollen. Es ist wichtig, auf die Straße zu gehen, damit die Menge sichtbar wird, die protestiert. Man muss sich gar nicht großartig untereinander kennen. Es geht für den Einzelnen auch darum, sich einfach den öffentlichen Raum anzueignen. Ein Grundproblem der Weißrussen besteht in der Furcht, im öffentlichen Raum aufzutreten, auf großen, breiten Straßen, auf Plätzen."

    Die sich ganz bewusst als ein loses Netzwerk verstehende weißrussische Protest-Szene agiert flexibel:

    "Ich habe meinen Facebook-Account. Dort tausche ich mich mit meinen Freunden und Bekannten aus, bespreche dies und verabrede jenes. Dreimal war ich bis jetzt Mittwochs draußen. Ich war ganz einfach neugierig, wie viele von ihnen, wie viele Menschen überhaupt kommen würden. Und: Ich habe eine Menge Bekannter getroffen. Das Echo ist also da!"

    Andererseits macht sich Tatjana, eine knapp 40 Jahre alte Sozialwissenschaftlerin, keine übertrieben großen Hoffnungen, mit solchen Protestaktionen allein das Lukaschenko-Regime stürzen zu können. Ein Szenario für Weißrussland wie etwa im Frühjahr in Tunesien oder Ägypten hält sie für unrealistisch:

    "Eine völlig utopisch Vorstellung! Lukaschenkos Regime wird sich noch eine ganze Zeit halten können, weil man ihm schließlich doch noch immer Kredite gibt. Mal aus Russland, mal aus bestimmten Erwägungen heraus auch andere Länder. Und genau das hilft dem Regime, alle Proteste zu ignorieren!"

    Ernüchtert sei sie erst vor Kurzem wieder von einem Kongress zur "Östlichen Partnerschaft der EU" zurückgekommen. Weißrussland ist einer der dort organisierten mittelost- und osteuropäischen Staaten:

    "Die Haltung der EU-Beamten auf dieser Veranstaltung hat mich schon sehr erstaunt. Es gibt doch letztlich nur zwei Varianten: Entweder die EU schließt Weißrussland aus der Partnerschaft aus, weil mit Minsk nicht mehr zu reden ist. Oder: Ihr fangt endlich mal an, gegenüber Weißrussland eine Strategie auszuarbeiten. Darauf bekam ich von einer EU-Beamtin lediglich zur Antwort: 'Na, wir haben euch doch soundsoviel Euro für zivilgesellschaftliche Initiativen zukommen lassen...' - Sie hat sich von meiner Frage buchstäblich mit einer gewaltigen Geldsumme loszukaufen versucht! Nur die Frage, ob es vielleicht nötig wäre, eine Strategie zu Weißrussland auszuarbeiten, die hat sich ihr gar nicht gestellt! Ich hab dann zugehört, zugehört - und am Ende dann begriffen: Irgendwas stimmt hier nicht!"