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"Der Richter und sein Henker"
Theater Basel zeigt müden Dürrenmatt

Der 1952 erschienene Kriminalroman von Friedrich Dürrenmatt erzählt vom Kampf zwischen Gut und Böse. In Basel war "Der Richter und sein Henker" nun auf der Bühne zu erleben. Christian Gampert fragt sich: Warum?

Von Christian Gampert |
    Was, zum Teufel nochmal, haben "Der Richter und sein Henker“ auf der Bühne verloren? Warum muss sich die gefräßige Theatermaschine nun auch noch Dürrenmatts moralisch-kriminalistische Betulichkeit einverleiben? Gut, es gibt nicht nur den Roman, sondern auch zwei Filme. Inklusive Fernsehen sogar vier, und der Schweizer an sich möchte den kritischen Nationalheiligen Dürrenmatt wahrscheinlich bis in die letzten Nachttisch-Notate aufgeführt sehen. Aber, Entschuldigung, ist dieses Dürrenmattsche Schritt-für-Schritt eine Ermittlung führen nicht ein bisschen aus der Mode gekommen? Und was hat die einstige "unplugged“-Regisseurin Barbara Weber, die die Mythen der Filmgeschichte und der Politik theatralisch auseinandernahm, mit einer Schweizer Provinz-Episode zu tun, bei der man sozusagen beim Denken die Synapsen knacken hört? Dürrenmatt ist selber schon so unplugged, dass man gar nichts mehr dekonstruieren muss.
    Kürzlich hat Herbert Fritsch in Zürich Dürrenmatts "Physiker“ in eine Gummizelle gesteckt, affiges Hochdrucktheater für die Partyjugend. Barbara Weber tut folgerichtig nun in Basel, das sich von Zürich ja immer unterscheiden muss, das pure Gegenteil: jetzt stellen wir uns mal gaaanz dumm und spielen gaaanz langsam, damit auch jeder mitkriegt, worum es geht - Theater für’s Establishment. Es geht bekanntlich um Kommissar Zufall, also das, was die Griechen Schicksal heißen und was die neuere Philosophie Kontingenz nennt. Ein Polizist wird ermordet, und der Ermittler selber ist der Mörder. Überführt wird er, aus seiner Sicht, durch eine Blödheit oder eben einen Zufall, weil er aus seiner Tatwaffe nochmals schießt, um seinen Vorgesetzten vor einem bissigen Hund zu retten.
    Dieser Vorgesetzte, der Kommissar Bärlach, hat diesen Schuss aber absichtlich herbeigeführt. Bei Dürrenmatt ist er todkrank, in Basel in der Gestalt von Andrea Matti aber eine durchaus patente Erscheinung, die sich zwar ausdauernd an der Stirn kratzt, aber nebenbei auch über die ambivalente Haltung der Schweiz zum Faschismus referiert. Auf den Bühnenboden hat die Regisseurin, zwecks besserer Verständlichkeit, ein paar Straßen der Stadt Bern aufmalen lassen, die enge Basler Schauspielbühne wird durch Spiegel illusionistisch nach hinten erweitert; der Musiker Michael Haves kommentiert das Geschehen einfühlsam am Bass und fährt aus dem Computer bisweilen Geräuschwolken ab, als wolle er das Nachkriegshörspiel links überholen. Vorn steht ein kahles Beckett-Bäumchen, hinten wird ein am Haken hängendes Riesenrind im Kreis herumgefahren, als habe man es von Bruce Naumans "Carousel“ ausgeliehen.
    Das alles sind schöne Zitate und Versatzstücke, die aber nichts bewirken, weil Barbara Weber nur das klassische "Who done it“ inszeniert. Der Tatort ist aufgezeichnet, im Plastiksack liegt die Leiche, daneben steht ein Spielzeugauto, weil der Mord im Automobil geschah - aber das Spielzeug Theater funktioniert nicht an diesem Abend. Einzig die Frau des Ermordeten, die auch vom Mörder begehrte Anna, wird von Inga Eickemeier im kleinen Schwarzen so verhuscht-lasziv gespielt, dass man sich für die Figur interessieren könnte - aber da ist sie auch schon wieder weg. Einzelne Monologe werden originalgetreu aus dem Roman nachgebetet, ein Erzähler gibt Hinweise per Megaphon, Kommissar Bärlach ermittelt wie einst Erik Ode - na, nicht ganz so zeitlupenhaft. Der Clou des Romans, der Kampf zwischen Bärlach und dem Verbrecher Gastmann, wird eher so nebenbei behandelt: Gastmann, von Vincent Leittersdorf gespielt als strähniger, plüschiger Zuhälter, hatte einst vor Bärlachs Augen einen Mord begangen, den man ihm nicht beweisen konnte. Jetzt wird er von dem Mörder Tschanz in einem lächerlichen, nachgestellten Showdown mit dem Revolver zur Strecke gebracht - für einen Mord, den er gar nicht begangen hat.
    Also: keine Gerechtigkeit nirgendwo, der Zufall regiert die Welt; das ist Dürrenmatts dürftiges Credo. "Ich bin viel zu müde für ein Gefühl. Selbst wenn ich eins hätte - viel zu müde“, sagt Bärlach am Ende. Nach dieser Inszenierung schließen wir uns diesen Worten vorbehaltlos an.