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"Der Riese schwankt"

Nach Einschätzung des Politologen Christian Hacke haben die USA ihre weltpolitische Rolle in den vergangenen Jahren stark geschwächt. "Die Amerikaner sind, ich will nicht sagen, zum weltpolitischen Problem Nummer eins geworden, aber sie sind nicht mehr der Problemlöser Nummer eins", sagte Hacke, Wissenschaftler an der Universität Bonn. Die Zukunft für den Irak und den gesamten Nahen Osten betrachtet Hacke nach eigenen Worten "sehr, sehr pessimistisch".

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Seit längerem wird spekuliert, welchen Kurs der US-Präsident George W. Bush einschlagen wird in der Irak-Politik. Eine unabhängige Kommission hatte dem Präsidenten nahe gelegt, die Truppen im Irak schrittweise abzuziehen. Gerade ist der neue Verteidigungsminister Gates in die Region gereist, um neue Wege auszuloten. Derweil hat Bush angekündigt, er wolle das amerikanische Heer personell aufstocken. Das heißt nun nicht, dass er unbedingt zusätzliche Kräfte in den Irak schicken möchte, aber der Irak-Krieg und auch der Einsatz in Afghanistan haben die US-Truppe insgesamt offenbar so weit geschwächt, dass sie für andere mögliche Kriegsschauplätze in der Welt dann nicht mehr einsatzfähig wäre, etwa für Bushs Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

    Am Telefon ist nun Christian Hacke, Politikwissenschaftler an der Uni Bonn. Guten Tag, Herr Hacke!

    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt!

    Schütte: Das amerikanische Heer sei zu klein, um es mit dem weiteren Kampf gegen den internationalen Terrorismus aufzunehmen. Gilt denn die Formel "mehr Soldaten gleich mehr Frieden"?

    Hacke: Das ist der Wunsch natürlich der Führenden in Washington, aber die Formel erinnert auch ein bisschen an Ratlosigkeit. Und die Parallele zu Vietnam drängt sich ja auf, dass man durch ein Ansteigen der Truppen dann auch glaubte, vielleicht den Krieg zu gewinnen. Aber davon hat ja selbst Präsident Bush nun schon Abstand genommen.

    Die Dramatik liegt nicht nur jetzt in den angekündigten Aufstockungen der Streitkräfte im Zusammenhang mit der schlechten Moral. Das Stichwort von Colin Powell: "the Army is about to broke". Oder der Vorsitzende des Militärausschusses im Repräsentantenhaus sagte, der sagte, sie sind am verbluten. Nein, die Dramatik liegt darin, dass Bush gleichzeitig ja deutlich gemacht hat, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist im Irak, und das muss man sich für die Moral der Truppen vorstellen. Wie wollen sie einen Krieg, eine Sinngebung den Soldaten geben, wenn sie wissen, der Krieg ist nicht zu gewinnen? Da ist die Dramatik, Stichwort "Überdehnung der USA in der Weltpolitik", nicht nur politisch, sondern nun auch militärisch und finanziell.

    Schütte: Führende Militärexperten aus den USA sagen, der Krieg gegen den Terrorismus, der ist nicht etwa mitten drin oder schon am Ende, sondern der fängt jetzt erst an. Ist diese Einschätzung richtig?

    Hacke: Ja, das ist eine Einschätzung. Ich glaube, man muss sagen, dass mit dem Irak-Krieg Präsident Bush nicht nur eine Büchse der Pandora geöffnet hat, sondern, wenn man es sagen könnte, ein Maschinengewehr der Pandora. Denn wir sehen ja, dort im Irak entwickeln sich mehrere Kriege: Das ist die große Dramatik. Der Krieg der USA gegen den Irak, dann zum zweiten die dramatischste Dimension, nämlich die innerislamische Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten, dann der dritte mögliche Krieg mit Blick auf den Norden, Kurden und potenziell dann mit der Türkei, wenn es dort zu Unruhen kommen sollte, wenn der Irak ausbrechen sollte, dann die vierte Dimension dieses Krieges, der Kampf gegen den Terror, und fünftens natürlich der Bürgerkrieg selbst. Hier sind nur massive Veränderungen zu erwarten, die ins Negative gehen nicht nur mit Blick auf Irak, sondern die Rolle des Irak für die gesamte Region. Und da sind natürlich andere Anrainer mehr als besorgt und involviert.

    Schütte: Der Stabsführer des Heeres hat ja gewissermaßen einen Hilfeschrei in Richtung des Präsidenten losgelassen, dass die Truppe überfordert sei und für die Zukunft nicht mehr handlungsfähig sei. Wie handlungsfähig oder unfähig ist denn das Heer im Moment schon?

    Hacke: Das ist der eine Ruf, den Sie gehört haben, auf den Sie sich berufen, dass die Stabschefs sagen, es muss Erhöhungen geben. Das geht natürlich auch in die Kosten. Vergessen Sie nicht, dass hier bisher die Zahlen zeigen nach offiziellen Verlautbarungen, dass der Krieg gegen den Terror seit 9/11, seit fünf Jahren, fünf Milliarden Dollar gekostet hat - im Vergleich: Der Vietnam-Krieg kostete 550 Milliarden Dollar - und dass jetzt weitere 100 Milliarden gefordert werden. Also hier ist natürlich der Alarmruf zu sehen auf dem Hintergrund wachsender finanzieller und ökonomischer Engpässe, aber auch ganz anderer Forderungen der führenden Militärs im Irak selbst. Der Stabschef dort sagt nämlich: keine Aufstockung der Streitkräfte, sondern eine massive Veränderung der Strategie mit dem Kern erstens Rückzug der amerikanischen Truppen aus den großen Städten in periphere Stützpunkte und zweitens - auch Parallele zu Vietnam - Irakisierung des Krieges, also die Irakis selbst sollen den Krieg führen. Das heißt, Amerikaner sollen sich schonen und dann schrittweise zurückziehen.

    Schütte: Wie wird denn das Eingeständnis, dass es Probleme gibt im US-Heer, wie wird das international aufgenommen? Wird das aufgenommen, dass der Riese jetzt schwankt?

    Hacke: Der Riese schwankt. Das sehen wir ja insgesamt. Der Riese schwankt vor allem als Weltordnungsmacht. Die Amerikaner sind, ich will nicht sagen, zum weltpolitischen Problem Nummer eins geworden, aber sie sind nicht mehr der Problemlöser Nummer eins. Das werden wir klar sagen müssen. Wir müssen den Blick auf die Region konzentrieren, nicht nur auf den Irak, der Irak, der vermutlich vor der schwersten Krise seiner Existenz steht, dass hier auch die territoriale Integrität bald nicht mehr zu halten ist. Es ist jetzt die Frage, welche Koalitionen bilden sich in der amerikanischen Regierung mit welchen Koalitionen im Irak? Denn das ist ganz wichtig: Werden die USA eine überparteiliche Rolle weiter versuchen im Irak, also sich mit allen Gruppen auf Ausgleich einzurichten, mit den Schiiten, mit den Kurden und mit den Sunniten, oder - und darauf presst der Vizepräsident Cheney - sollen die USA jetzt endlich Partei nehmen für die Schiiten und die Kurden und offen nicht nur den Krieg gegen den Terror führen, sondern eben vor allem gegen die Sunniten?

    Das hätte enorme Konsequenzen nicht nur im Irak, sondern dann kommen natürlich die Schutzmächte auf den Plan. Und Saudi-Arabien ist die erste Schutzmacht der Sunniten. Iran ist wieder die Schutzmacht der Schiiten, und in diesem Zusammenhang, wenn Sie daran denken an die Bestrebungen des Iran, Nuklearmacht zu werden im Nahen Osten, muss man sich vorstellen in der Perspektive der nächsten Jahre oder Jahrzehnte, könnte sich Saudi-Arabien gezwungen sehen, vielleicht auch Nuklearwaffen in irgendeiner Form zu bekommen. Also, die Perspektiven sind sehr, sehr pessimistisch für die Lage im Irak und im Nahen Osten als Ganzes.

    Schütte: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Das war der Politikwissenschaftler Christian Hacke von der Uni Bonn.