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Der Schreibtischmörder

Adolf Eichmann war einer der Hauptorganisatoren des Holocausts: Der SS-Obersturmbannführer überwachte und realisierte den industriellen Massenmord in den Vernichtungslagern. Nach Kriegsende tauchte er unter, flüchtete nach Argentinien, wo er am 11. Mai 1960 gefasst wurde.

Von Frank Kempe |
    Ein kleines Haus in San Fernando, einem Vorort von Buenos Aires: Hier wohnt Ricardo Klement, Fabrikarbeiter und treu sorgender Familienvater mit Frau und vier Kindern. Sein Geld verdient er bei Daimler-Benz Argentinien.

    In seiner Freizeit züchtet der Mann mit der hohen Stirn und der Hornbrille weiße Kaninchen. Niemand scheint zu ahnen, dass sich hinter der biederen Fassade ein Massenmörder verbirgt: Adolf Eichmann, einst SS-Obersturmbannführer, der von seinem Schreibtisch aus Millionen Juden in den Tod schickte. Einer der wichtigsten Organisatoren des Holocaust.

    11. Mai 1960. Ein Mittwoch, da verschwindet Eichmann alias Klement spurlos. Zwölf Tage später verkündet der israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion in der Knesset die Sensation:

    "Adolf Eichmann, der Organisator der Transporte in die Nazi-Vernichtungslager, befindet sich in israelischer Haft."

    Für die Weltpresse liegt es auf der Hand: Hinter der Entführung steckt der Mossad, der israelische Geheimdienst. Offiziell bestätigt wird das nie. Aber nach einigen Jahren tauchen Erinnerungsberichte ehemaliger Mossad-Agenten auf. Zvi Aharoni ist einer von ihnen. In Interviews erzählt er von der spektakulären Aktion:

    "Zum ersten Mal haben wir ihn gesehen, wie er Dreiviertel acht abends mit einem Bus kommt, aussteigt, geht die Straße runter und dann rein in sein Haus. Und dann haben wir ihn fünf oder sechs Mal jeden Abend zur selben Zeit dieselbe Strecke. Und dann haben wir beschlossen: Wir tun es hier."

    Ein Hinterhalt, in der Nähe der Bushaltestelle: Drei Männer zerren Eichmann in ein Auto und bringen ihn zu einer konspirativen Wohnung. Neun Tage später - so der ehemalige Agent Aharoni - sei der Entführte betäubt an Bord einer Maschine der israelischen Fluggesellschaft El-Al geschmuggelt worden. Das Flugzeug sei dann von Buenos Aires aus über Dakar nach Israel geflogen.

    Die deutsche Journalistin Gaby Weber bezweifelt, dass es wirklich so ablief. Nach jahrelangen Recherchen - auch in Archiven des US-Geheimdienstes CIA - kommt sie zu dem Schluss: Nicht der Mossad hat Eichmann in Buenos Aires gefangen genommen - sondern eine Gruppe um Eichmanns Chef bei Daimler-Benz, William Mosetti:

    "Er ließ bereits am 12. Mai 1960, einen Tag nach der Entführung, Eichmann alias Klement bei der Rentenversicherung abmelden. Elf Tage vor der Bekanntgabe von Eichmanns Entführung durch Ben Gurion wusste also Mosetti, dass Eichmann nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird."

    Mosetti arbeitete nicht nur für Daimler-Benz, er stand auch im Sold der CIA. Für die Operation Eichmann brauchte er Helfer. Sie stammten vermutlich aus dem Umfeld des Holocaust-Überlebenden Lothar Hermann. Er hatte Eichmann bereits 1957 entdeckt, doch das interessierte damals keinen Geheimdienst.

    Hat die Gruppe um Lothar Hermann mit Mosettis Hilfe den NS-Verbrecher Eichmann kurzerhand entführt und nach Uruguay verschleppt, wie Gaby Weber vermutet? Die El-Al-Maschine - sagt sie - habe jedenfalls wegen mangelnder Reichweite auf dem Weg nach Dakar eine Zwischenlandung einlegen müssen:

    Der Badeort Punta del Este - dort soll der Mossad den Gefangenen übernommen haben. Beweise für diese Theorie gibt es nicht. Und Eichmann selbst hat nie Details genannt zum Ablauf seiner Entführung - auch nicht während seines Prozesses in Jerusalem. Da geht es ihm nur um eines: seine Rolle bei der sogenannten Endlösung der Judenfrage zu bagatellisieren:

    "Die Führerschicht, zu der ich nicht gehörte, hat die Befehle gegeben. Sie hat meines Erachtens mit Recht Strafe verdient, für die Gräuel, die auf ihren Befehl an den Opfern begangen wurden. Aber auch die Untergebenen sind jetzt Opfer. Ich bin ein solches Opfer."

    "Tod durch den Strang", lautet das Urteil der Richter. Am 1. Juni 1962 kurz nach Mitternacht wird Adolf Eichmann gehenkt - rund zwei Jahre nach seiner Gefangennahme in Buenos Aires.