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Der schwedische Zille

Wahrscheinlich ist es der Schwede Carl Larsson, der die heilste aller heilen Welten geschaffen hat. In seinem kleinen Reich in Sundborn ging die Sonne nicht unter. Auch an den langen dunklen Wintertagen nicht. Da griff der ewig gut gelaunte Maler zum Aquarellkasten und zauberte freundliche lichte Farben in die Stuben des über alles geliebten Heims. Die Bilder, die da entstanden, duften nach Bratäpfeln und Bienenwachs, sie lachen und jauchzen wie die fröhliche Kinderschar und können doch so beschaulich sein wie das stille Tun der ebenfalls künstlerisch tätigen Gattin, die sich konzentriert über ihren Stickrahmen beugt.

Von Wolf Schön | 26.11.2005
    Solch honigsüße Idylle kann doch nicht wahr sein. Aber der Verdacht der Verlogenheit, die den Kitsch erst zum Kitsch macht, ist diesmal gänzlich unbegründet. Die nordische Musterfamilie hat es in der guten alten Zeit um 1900 wirklich gegeben. Die Strahlkraft des immerwährenden Feiertags war enorm, vor allem in Deutschland. Das 1909 erstmals erschienene Bilderbuch "Haus in der Sonne" wurde bis 1918 um die 200 000mal verkauft, bis zum heutigen Tag hat es der Dauerbestseller auf bald eine Dreiviertel Million Exemplare gebracht. Überliefert ist, dass viele deutsche Landser während des Ersten Weltkriegs zwei Bücher in Tornister hatten: die Bibel und Larssons Anleitung zum Glücklichsein.

    Den Durchbruch zum internationalen Ruhm hat der so beängstigend volkstümliche Schwede in München erlebt. Zahlreiche Ausstellungen beschickte er mit seinen Werken, populäre Kunstzeitschriften reproduzierten die springlebendigen Innen- und Außenansichten des ländlichen Märchens, deren jugendstiliges kurvenseliges Linienspiel das Publikum über die Maßen entzückte. Die Loblieder auf das gesunde bescheidene Leben in unberührter Natur trafen den Nerv der industrialisierten Gesellschaft und bestätigten die umsichgreifende Bewegung der Lebensreform.

    Jetzt ist Larsson in die Isarmetropole zurückgekehrt, mit der ersten umfassenden Werkschau auf deutschem Boden. Dabei ist mehr zustande gekommen als nur eine reizende Bilderparade auf Papier und in Öl. Die Fangemeinde erlebt ein Gesamtkunstwerk, dessen Attraktion eine begehbare Kopie des berühmten Wohnhauses "Lilla Hyttnäss" mit seinen kupferroten Holzwänden, den weißen Fensterrahmen und der schattigen Veranda ist. Die Einrichtungsgegenstände haben die Besitzer selbst entworfen, die kräftig dekorierten Textilien, die hellen zweckmäßigen Möbel mit klaren Farben. Wem sie bekannt vorkommen, liegt gar nicht so falsch. Das Ikea-Design hat am Geburtsplatz des Schwedenstils seinen Ursprung gehabt.

    Die vorweihnachtlich anheimelnde Schau erzählt chronologisch von Leben und Werk, so innig miteinander verbunden wie selten einmal. Am Anfang macht sich der bettelarme Zeitungsillustrator ins gelobte Land Frankreich auf, wo er nahe der Künstlerkolonie Barbizon sein Talent mit duftigen Wasserfarben in Corot-Manier erprobt. Bald wird die Freiluftbegeisterung vom Japonismus verdrängt, der damals in Mode kam. In ihrer Vorbildfunktion sieht Larsson die Japaner als die Griechen der Gegenwart. Fasziniert ist er von gewagten Ausschnitten, den dekorativen Konturen, vor allem von der Fähigkeit, die unbedeutenden Dinge des Alltags mit Geschmack zu veredeln. Daraus leitete er seine Sendung ab, ungeachtet des Ehrgeizes, Ruhm auch als Historienmaler zu ernten, mit monumentalen Wand- und Deckengemälden für Theaterbauten und das Stockholmer Nationalmuseum.

    Der emsige Virtuose hatte auch Kritiker, die seine Familienidyllen, die Genrebilder von Haus, Hof, Fluss und Garten als banal, flach und selbstgefällig empfanden. Mit Strindberg, den er porträtierte, geriet er besonders heftig aneinander. Ein Machtwort schrieb Walter Gensel, Herausgeber der Zeitschrift "Kunst für alle", den Meckerfritzen ins Stammbuch: "Man diskutiert nicht über Larsson, man liebt ihn oder man liebt ihn nicht." Daran hat sich bis heute nichts geändert.