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Der Seuche auf der Spur

Ob SARS, HIV, Affenpocken oder Vogelgrippe: Dreiviertel aller neuen Erreger stammen ursprünglich von Wildtieren. Doch diese Schnittstelle zwischen Mensch und Tier ist lange ignoriert worden. So konnten die Behörden bislang immer erst reagieren, wenn die Krankheit beim Menschen ausgebrochen ist.

Von Marieke Degen |
    Das SARS-ähnliche Coronavirus hat eine kleine Odyssee hinter sich. Lange Zeit hat das Virus nur Fledermäuse infiziert. Doch eines Tages ist es von der Fledermaus auf die Schleichkatze übergesprungen, hat ganze Schleichkatzenfarmen in China befallen. Das Katzenfleisch wiederum ist auf chinesischen Märkten verkauft worden. Für das Virus die Gelegenheit, auch den Menschen zu infizieren. Von 2002 bis 2003 erkranken mehr als 8000 Menschen an SARS. Jeder Zehnte stirbt.

    "Wenn wir rechtzeitig erkannt hätten, dass in den Schleichkatzenfarmen ein neues Virus kursiert, dann hätten wir den Verkauf der Schleichkatzen stoppen können. Dann hätten wir vielleicht verhindern können, dass Menschen mit dem Virus überhaupt in Kontakt kommen."

    Damien Joly arbeitet für die Wildlife Conservation Society, einer internationalen Naturschutzorganisation. Er ist Wildtierepidemiolge, untersucht also Krankheitsausbrüche bei Tieren. Ob SARS, HIV, Affenpocken oder Vogelgrippe: Dreiviertel aller neuen Erreger stammen ursprünglich von Wildtieren; von Fledermäusen, Nagern, Vögeln oder Affen. Und sie können sich in Windeseile ausbreiten, hauptsächlich über den illegalen Tierhandel, sagt Damien Joly.

    "Und wir können entweder abwarten, bis die nächste Pandemie wie Vogelgrippe oder SARS ausbricht, oder wir können vorher ansetzen und versuchen, die Erreger rechtzeitig abzufangen und Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten, um menschliches Leid so weit wie möglich zu verhindern."

    Damien Joly und seine Kollegen bauen gerade ein Frühwarnsystem auf, mit dem sie Erreger aufspüren wollen, bevor sie auf den Menschen überspringen. Das System heißt 'Predict', also 'vorhersagen'. Das Frühwarnsystem besteht im Wesentlichen aus einer Datenbank, in der viele verschiedene Informationen zusammenfließen. Einmal sind das Daten, die die Wissenschaftler selbst zusammentragen.

    "Wir konzentrieren uns dabei auf Regionen, in denen regelmäßig neue, gefährliche Krankheitserreger auftauchen. Dazu gehört das Amazonasbecken in Südamerika; das Kongobecken in Afrika; die Region um Indien und Bangladesh und Südost-Asien. Unsere Leute suchen dort gezielt nach Viren. Sie nehmen zum Beispiel Proben von Wildtieren und von Tieren, die auf den Märkten verkauft werden. Sie untersuchen auch Tiere, die illegal gehandelt und an Flughäfen konfisziert worden sind."

    Die zweite Datenquelle ist das Internet. Das Frühwarnsystem durchforstet Tausende von Webseiten. Wenn lokale Medien zum Beispiel berichten, dass irgendwo Menschen an einer unbekannten Seuche erkrankt sind, dann fliegt ein Forscherteam hin. Wie zum Beispiel im Juni 2010 im Kongo.

    "Da sind drei Jäger wochenlang in der Wildnis unterwegs gewesen. Zurück im Dorf sind sie dann an einem hämorrhagischen Fieber erkrankt und gestorben. Leider haben meine Kollegen von den Toten keine Proben nehmen können, und sie haben auch keine Erreger in der Umgebung gefunden, die das Fieber ausgelöst haben könnten. Wir wissen also nicht, woran sie gestorben sind."

    In Uganda waren die Forscher erfolgreicher. Auch dort waren Menschen an einem mysteriösen hämorrhagischen Fieber erkrankt. Ein Team von Predict hat dann herausgefunden, dass es sich um Gelbfieber gehandelt hat, also keine neue Seuche, sondern eine Krankheit, die schon lange bekannt ist. Sollten sie irgendwann tatsächlich auf einen neuen gefährlichen Erreger stoßen, dann könnten sie rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen ergreifen: Zum Beispiel den Handel mit infizierten Tieren stoppen und kranke Menschen isolieren. Erst dann wird sich zeigen, ob sich das Frühwarnsystem bewährt hat und tatsächlich eine Pandemie im Keim ersticken kann. Wann es soweit ist, weiß keiner. Doch Damien Joly ist sicher:

    "Wir sind bereit, wenn es passiert."

    Webseite des Frühwarnsystems "Predict"