Wolfgang Labuhn: Herr Zastrow, Sie sind der FDP-Landesvorsitzende in Sachsen, Fraktionschef der Liberalen im Sächsischen Landtag und auch stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Mit welchen Erwartungen haben Sie eigentlich dieses dritte Amt im Mai dieses Jahres angetreten?
Holger Zastrow: Das ist ein großes Abenteuer, muss ich ehrlich sagen, weil das eine neue Herausforderung ist. Und ich selbst habe auch lange gezögert, das zu machen, weil ich viele Aufgaben hier im Land habe und ja auch noch Fraktionschef im Stadtrat in Dresden bin. Und Dresden ist ja die liberale Großstadt schlechthin, hier haben wir die besten Ergebnisse erzielt. Und dann in Berlin mitzumachen, ohne täglich in Berlin zu sein, ist eine besondere Herausforderung. Mir war klar, dass es schwer wird. Dass es so schwer wird, auch Akzente zu setzen, hätte ich nicht vermutet.
Labuhn: Zwischen der Lage des sächsischen Landesverbandes der FDP und der Bundespartei gibt es ja gewisse Parallelen: Beide erzielten 2009 rauschende Wahlerfolge, beide traten sodann in Koalitionen mit der Union ein – und seitdem geht's bergab. Auf Bundesebene liegt die FDP jetzt bei drei bis vier Prozent. Eine Umfrage hier in Sachsen gibt Ihnen gerade noch zwei Prozent – verglichen mit zehn Prozent im Jahre 2009. Schadet der negative Bundestrend eigentlich auch Ihnen hier in Sachsen?
Zastrow: Ja, das ist so. Wir sind alle in einer Partei, wir sind eine Familie. Und das, was der eine macht, färbt auf den anderen natürlich ab. Und wenn Du über Monate hinweg eine negative Berichterstattung hast, über Monate hinweg eine große Unzufriedenheit spürst, dann merkt man das irgendwann auch bei uns. Wir stehen hier stabil. Es gab jetzt diese eine Umfrage, die mir auch Sorgen bereitet. Es gab aber davor zwei Umfragen, die uns bei sechs Prozent gesehen haben, knapp davor, und die auch gesagt haben, Schwarz-Gelb in Sachsen kann weitergehen. Aber da brauchen wir uns gar nichts vormachen: Die Situation hat sich seit dem Bundesparteitag für uns nicht verbessert, und inzwischen leiden, glaube ich, alle. Das trifft nicht nur auf die sächsische FDP zu, sondern das trifft auch auf Kreisverbände, Bürgermeister, auf andere zu, natürlich auch mit einer gewissen Ansteckungsgefahr. Und das ist schwierig, weil Du nicht mehr ganz Herr Deiner eigenen Leistungen bist, sondern wir werden immer wieder gemessen an dem, was in Berlin gemacht oder auch nicht in Berlin gemacht wird. Und das ist schon eine schwierige Situation, das muss man sagen.
Labuhn: Welche Erklärung haben Sie denn dafür, dass die FDP auf Bundesebene auch nach dem Rostocker Parteitag im Mai nicht mehr aus dem Umfragetief herausgekommen ist?
Zastrow: Nun, wir haben in Deutschland nun mal schlaue Wähler, das ist eine ganz einfache Sache. Und die Analyse, warum es uns nicht so gut geht, ist ja auch mehr als einfach, der Ausweg ist sehr einfach. Wir haben zentrale Wahlversprechen eben bis heute noch nicht erfüllt. Und da die Wähler hinschauen, da sie prüfen, ob derjenige, der in Wahlen beispielsweise Steuersenkungen versprochen hatte, das auch tut, ob er sich zumindestens mit aller Leidenschaft, mit aller Kraft dafür einsetzt. Ich glaube auch, dass man uns es nicht übelnehmen würde, wenn wir vielleicht nicht hundert Prozent umsetzen. Aber man will sehen, dass wir kämpfen, man will sehen, dass wir etwas machen. Und da guckt man hin, und da ist man von der FDP enttäuscht, weil wir eben viele Dinge in den ersten zwei Jahren nicht umgesetzt haben. Und nach dem Bundesparteitag in Rostock haben wir angekündigt, dass es jetzt zu Steuersenkungen kommt. Die Ankündigung alleine hilft aber nicht weiter. Das wird sich erst ins positive Bild für uns umwandeln lassen, wenn wir auch liefern, wenn wir auch tatsächlich sagen: Das machen wir. Das ist unumstößlich und wir machen es ab dann. Und das steht aus, die Diskussionen laufen ja gerade. Ich bin gespannt, wie die ausgehen.
Labuhn: Bleiben wir noch einmal einen Moment bei dem Bundesparteitag der FDP im Mai in Rostock. Dort wurde ja die Parteiführung völlig neu besetzt mit Philipp Rösler an der Spitze und Birgit Homburger, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und mit Ihnen in der Stellvertreter-Riege. Rainer Brüderle übernahm den Fraktionsvorsitz im Bundestag, während Ex-Parteichef Guido Westerwelle sein Amt als Außenminister behielt. War das klug? Schließlich wurde Westerwelle ja hauptsächlich für den Niedergang der FDP seit der Bundestagswahl verantwortlich gemacht.
Zastrow: Nein, Guido Westerwelle gehört zu dem neuen Team dazu. Er spielt eine ganz maßgebliche Rolle, und das ist auch gut so. Denn wir dürfen nie vergessen, dass es Guido Westerwelle gewesen ist, der mit seiner klugen Strategie zu Oppositionszeiten dafür gesorgt hat, dass wir überhaupt in diese Höhen bei Wahlen gekommen sind. Ganz, ganz viele in der Partei – Bundestagsabgeordnete, sicher auch Landtagsabgeordnete, Gemeinderäte – haben von dem richtigen Kurs damals profitiert. Und nur, weil bestimmte Weichenstellungen nach der Wahl, nur weil der Koalitionsvertrag offensichtlich auf Bundesebene nicht ganz optimal ist, weil das nicht funktioniert, trenne ich mich nicht von solchen Persönlichkeiten. Im Gegenteil, ich glaube, Guido Westerwelle hat begriffen, dass man nicht alles machen kann. Deswegen hat er die Konsequenzen gezogen, konzentriert sich komplett auf sein Amt als Außenminister. Und das füllt er gut aus.
Labuhn: Rainer Brüderle erhält als Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag sehr viel Lob. Ist er jetzt so etwas wie der heimliche Parteichef geworden?
Zastrow: Nein. Wir haben einen Parteichef, das ist Phillip Rösler. Und er ist mit einem fulminanten Ergebnis in Rostock gewählt worden, und er führt die Partei. Das macht er auf eine andere Art und Weise. Die FDP ist nachdenklicher geworden, sie ist ruhiger geworden. Die FDP handelt im Vergleich zu früher überlegter. Das wirkt manchmal vielleicht ein bisschen wie eine Unsicherheit, weil sich viele auch in der Öffentlichkeit natürlich die Politik vielleicht etwas schriller vorstellen. Aber ich glaube, dass sich nach dieser Zeit und nach diesen auch Misserfolgen in den ersten zwei Jahren der Bundesregierung diese Nachdenklichkeit, die Philipp Rösler hat, eben auch auszahlt. Und wenn wir eine Lehre aus den ersten zwei Jahren Bundesregierung ziehen müssen, dann ist es eben so, dass die FDP niemals wieder zu einer Ein-Mann-Partei werden darf. Wir müssen ein Team sein, wir müssen die gesamte Klaviatur spielen. Wir brauchen unterschiedliche Charaktere, unterschiedliche Typen auch für unterschiedliche Zielgruppen, für unterschiedliche Fachgebiete. Und da ist ein Rainer Brüderle mit seiner herausragenden Erfahrung, mit seinem Kampfgeist genauso wichtig wie Philipp Rösler, Birgit Homburger und andere.
Labuhn: Aber auch mit einem Team an der Spitze jetzt gelingt es ja der FDP offenbar nicht, wieder Fuß zu fassen, wenn man sich die Umfragen anschaut. Und zugleich müssen Sie auch noch erleben, dass eine Newcomer-Partei wie die Piraten, ohne klares Programm, plötzlich sogar auf Bundesebene bis zu zweistellige Umfragewerte erzielt. Hat die FDP es eigentlich versäumt, sich rechtzeitig um die Wählerinnen und Wähler zu kümmern, die Parteien wie die Piraten jetzt so spannend finden?
Zastrow: Ach, um Gotteswillen. Also, irgendwann hört es für mich auch auf. Die Piraten sind eine Laune des politischen Moments. Es ist interessant, dass so eine Partei gewählt wird, es ist sicherlich legitim. Aber beim besten Willen: Die Liberalen haben eine ganz lange Tradition. Wir haben eine Tradition, die ist 165 Jahre alt. Wir sind eine Partei, die durch ganz, ganz viele Zeiten gegangen ist, in verschiedenen Konstellationen. Wir haben wesentliche geschichtliche Momente mitgestaltet. Und da sage ich Ihnen ganz ehrlich: Da lasse ich mir gewiss nicht von einer Proteststimmung, die bei einer Wahl, die eher eine Kommunalwahl war, nämlich in Berlin, von einem Wahlergebnis dort die Laune vermiesen. Das ist so nicht. Die Piraten bedienen eine bestimmte Sehnsucht auch der Öffentlichkeit nach etwas Schrillem, nach etwas Auffälligem, nach etwas Neuem. Das ist nun mal so, die Journalisten mögen sie, das mag schon so sein. Aber wir sollten schon mal dahinterschauen: Da sehen wir eine Partei ohne jegliches Programm, da sehen wir eine Partei ohne Werte, ohne Grundzüge – mit ein paar Floskeln, das ist alles. Wir sehen eine Partei, die trotzdem schon lange existiert, über fünf Jahre inzwischen, ohne bisher ein vernünftiges Programm hinbekommen zu haben. Also beim besten Willen, von denen kann ich nichts lernen, von denen will ich mir nichts angucken. Die sind eine weitere linke Partei, die wir in Deutschland haben, das verunsichert mich nicht.
Ich weiß ja, woran es liegt, dass wir so schlecht dastehen. Wir haben Wahlversprechen nicht erfüllt – erstens. Wir haben zweitens unser Wähler irritiert, indem wir eben liberale Werte infrage gestellt haben, indem unser Bild nicht mehr klar ist. Es gab eben ein paar Entscheidungen, die wir als Sachsen beispielsweise klar abgelehnt haben, wie die Energiewende. Ja, das traut man der FDP nicht zu, und auch ich selber habe es meiner Partei nicht zugetraut, dass man diese Energiewende so mitmacht, dass man sich von dieser geschürten Hysterie anstecken lässt.
Labuhn: Ist es nicht auffällig, dass die Piraten – um noch einen kurzen Moment bei ihnen zu verharren – jetzt gerade so viel Zuspruch erfahren, da viele Menschen in Deutschland offenbar das Gefühl haben, die etablierten Parteien regieren am Volk vorbei?
Zastrow: Ach ja, das ist ja immer so, wenn eine neue Kraft kommt. Und wir dürfen nicht vergessen: Es gibt ja jede Menge Vorläufer der Piraten. Ich denke einmal an die Schill-Partei, ich denke an Pro-DM. Ich denke mal an die Zeit vor zwölf Jahren – 1999 –, als wir in Sachsen hier erneut nicht in den Landtag eingezogen waren und unter meinem Vorgänger 1,1 Prozent erreicht worden sind, da war die FDP eine Partei, die nur die siebenstärkste war. Größer als wir war die Tierschutz-Partei, größer als wir war Pro-DM. Trotzdem sind wir geblieben, weil liberale Politik eben etwas hat, was uns einzigartig macht – für Freiheit zu kämpfen, für Wettbewerb zu kämpfen, klar für Marktwirtschaft zu sein, sozialistische Experimente konsequent abzulehnen, den Leistungsgedanken auch zu leben, auch zu sagen, dass man sich eben anstrengen muss, wenn man etwas haben möchte.
Labuhn: Wettbewerb, Herr Zastrow, den erlebt die FDP jetzt auch innerparteilich, weil die Gegner des geplanten nächsten europäischen Rettungsschirmes, des Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler, einen Mitgliederentscheid durchgesetzt haben. Welche Prognose wagen Sie?
Zastrow: Also erst einmal glaube ich, dass dieser Mitgliederentscheid uns gut tut. Ich bin Frank Schäffler, Holger Krahmer und anderen sehr dankbar, dass sie den Mut gehabt haben, diesen Mitgliederentscheid anzugehen, weil das zeigt, dass diese Partei lebt. Das zeigt, dass wir in der Partei den Mut haben, auch unpopuläre Themen, schwierige Themen in die Mitgliedschaft hineinzutragen. Ich finde es immer hoch interessant, wenn andere über die FDP schimpfen – nur, wer traut sich denn sonst eigentlich mal, das Volk oder die eigene Mitgliedschaft zu fragen? Das macht nur die FDP. Herr Steinbrück hat letztens in den Medien die These geäußert, dass Deutschland immer zahlen muss, ganz selbstverständlich für Griechenland zahlen muss, auch für andere. Ich bin gespannt, wie die SPD-Mitgliedschaft das in einem Mitgliederentscheid bei der SPD bewerten würde. Ich glaube, dann würde er Probleme bekommen mit so einer Aussage. Wir haben den Mut und machen das, deswegen finde ich es gut.
Trotz alledem muss man sagen: Es ist eben immer schwierig, einen Mitgliederentscheid zu Dingen zu machen, die nicht einfach so mit "ja" und "nein" zu beantworten sind und vor allem einen Mitgliederentscheid zu Dingen zu machen, die im Prozess sind. Das heißt, wir haben jede Woche eine neue Sachlage. Und das macht es schwierig. Meine Prognose ist, dass am Ende Herr Schäffler sich nicht durchsetzen wird, sondern es gibt ja einen sehr umfangreichen Antrag des Bundesvorstandes, der, glaube ich, sehr ausgewogen sich auch mit dem Thema auseinandersetzt. Und ich bin mir da sicher, dass der die Mehrheit finden wird.
Labuhn: Habe ich Ihren Ausführungen gerade ein gewisses Plädoyer für mehr Volksentscheide entnommen, vielleicht auch in Deutschland?
Zastrow: Ja, auf jeden Fall. Es gibt ja oftmals so eine veröffentlichte Stimmung, die man oft nachlesen kann, über bestimmte gesellschaftliche Prozesse. Es ist in letzter Zeit so gewesen, dass, wenn ich mir ein Projekt wie "Stuttgart 21" ansehe – da sieht man die Demonstranten, da sieht man dann Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten, da sieht man Gewalttäter, die auf Polizisten losgehen. Die werden dann verniedlicht als "Aktivisten" bezeichnet. Wir hatten mit den Demonstrationen hier am 13. Februar anlässlich der Zerstörung Dresdens die Auseinandersetzung zwischen Rechtsradikalen und Linksradikalen. Man sieht immer nur noch das. Was man aber ganz, ganz wenig sieht, sind all die Menschen, die eben nicht demonstrieren gehen, die keine Zeit haben, Leserbriefe zu schreiben, die ganz normal ihren Job machen, die einen Beruf haben, die sich um ihre Familie kümmern, die sich um ihre Firma kümmern, die als Angestellte ihre Leistung bringen und die eben auch darauf vertrauen, dass sie von den Politikern stellvertretend ganz gut vertreten werden. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehen Sie ja die Baustelle der Waldschlößchen-Brücke. Alle Medien, die öffentliche Meinung waren immer der Meinung: Ja, um Gotteswillen, was ist das für ein Frevel. Wenn man sich das jetzt anschaut, sagt man: Um Gotteswillen, deswegen haben wir den Welterbetitel als Stadt Dresden verloren? Das glaubt ja keiner. Was der Dresdner gedacht hat, das hat er bei dem Bürgerentscheid gezeigt. Und hätten wir als FDP damals, die FDP ist es gewesen hier in Dresden, nicht den Bürgerentscheid angestoßen, dann hätte der Stadtrat anders entschieden. Aber der Bürgerentscheid hat uns als bürgerlicher Kraft Rückenwind gegeben, er hat uns unterstützt. Und ich baue für unsere Politik einfach ganz oft auf die Vernunft des Bürgers und wir sollten den Mut haben, als Politiker mit Bürgerentscheidungen viel, viel mehr zu machen.
Labuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem sächsischen FDP-Chef und stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzendem Holger Zastrow.
Herr Zastrow, ein Thema, das dem Vorsitzenden eines ostdeutschen Landesverbandes der Freien Demokraten besonders am Herzen liegen muss, ist die Zukunft des Solidaritätspaktes für die neuen Bundesländer und die Höhe des Solidaritätszuschlages zur Einkommenssteuer. Und da scheint es nun in der schwarz-gelben Koalition in Berlin Überlegungen zu geben, den Soli zu verringern, um so die einfachen und mittleren Einkommen zu entlasten, wenn schon gegen die SPD und gegen den Bundesrat keine Steuersenkungen möglich sind, die die FDP ja anstrebt. Die sächsische FDP unterstützt die Idee einer Absenkung des Soli und hat sogar schon einen Dreistufenplan zu seiner völligen Abschaffung vorgestellt. Geschah das mit Zustimmung der Parteispitze in Berlin?
Zastrow: Ach, das ist ein Gedanke, der uns hier selbst gekommen ist. Wir haben in der Landtagsfraktion lange darüber diskutiert und haben diesen Vorstoß jetzt gemacht, weil wir auch endlich mal etwas Konkretes haben wollten, und wir sollten anfangen, da Nägel mit Köpfen zu machen. Gerade, wenn man aus Ostdeutschland kommt, hat man, glaube ich, eine andere Chance, auch über das Thema zu sprechen. Und das haben wir getan. Der Solidaritätszuschlag muss weg, möglichst schnell weg. Wir sollten damit auch gar nicht mehr lange warten. Wir schlagen vor, dass es einen Dreistufenplan zur Absenkung gibt. Die erste Stufe soll bereits jetzt zum 1.1.2012 zünden. Vier Milliarden Entlastungsvolumen – das würde umgerechnet bedeuten, dass jemand, der ein Bruttojahreseinkommen in Höhe von 40.000 Euro hat, bis zu 40.000 Euro hat, keinen Solidaritätszuschlag mehr bezahlt. Das heißt, die etwas niedrigeren und mittleren Einkommen werden damit sofort entlastet, in der zweiten Stufe dann zum 1.1.2013. Und die, die ein bisschen mehr Geld haben oder erheblich mehr Geld haben, die kommen dann zuletzt in den Genuss der Abschaffung des Solidaritätszuschlages, nämlich erst zum 1.1.2014.
Ich glaube, dass das ein interessanter Vorschlag ist, und ich glaube, dass er auch in die Zeit passt. Der Solidaritätszuschlag war nie als Dauersteuer gedacht. Das ist er aber inzwischen. Und auch, wenn er nett heißt – Solidaritätszuschlag klingt ja toll und was kann man eigentlich dagegen haben? – er ist nichts anderes als eine Zusatzsteuer, die jeder in Deutschland zahlt. Die zahlt der Westdeutsche genauso wie der Ostdeutsche. Er fließt auch nicht in den Osten, das ist Quatsch, er fließt einfach in den Bundeshaushalt. Herr Schäuble freut sich dort über fast 12 Milliarden, die jedes Jahr herumkommen, und daraus wird alles mögliche bezahlt, sicherlich auch Maßnahmen im Osten, gar keine Frage, aber auch der Einsatz in Afghanistan oder das Weihnachtsgeld für Beamte im Bund wird davon bezahlt. Ich denke, wir sollten den Mut haben, ihn jetzt anzupacken. Das ist das, was die Bundesregierung tun kann, der Bundestag mit einfacher Mehrheit. Wir brauchen niemanden im Bundesrat fragen. Die kalte Progression wäre mir lieber gewesen. Wenn wir das gemacht hätten, das hätte zu mehr Steuergerechtigkeit geführt, aber wir müssen ja zur Kenntnis nehmen nach den Äußerungen, die wir von SPD, Grünen, auch Linken bekommen haben, dass man dieses kleine Stück Steuergerechtigkeit unseren Berufstätigen nicht gönnt. Also müssen wir sofort eine Alternative finden. Das ist die Abschaffung des Solis.
Labuhn: Kritiker dieser Dreistufenrakete der sächsischen FDP meinen aber, Herr Zastrow, das sei Unfug, weil damit den Kommunen vor allen Dingen wichtige Investitionsmittel fehlen würden. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Zastrow: Das offenbart eine ziemlich große finanzpolitische Inkompetenz, wenn das jemand behauptet, denn eines muss man wissen: Die Steuer, die Abgabe, die die Landeshaushalte und die kommunalen Haushalte am allerwenigsten betrifft, ist nun einmal der Solidaritätszuschlag. Den nicht mehr zu haben, darüber ärgert sich einzig und allein Wolfgang Schäuble. Da er aber sich auf der anderen Seite über enorme Steuermehreinnahmen freuen darf von 17 Milliarden – ungeplant, davon ist jetzt gerade die Rede, also deutlich mehr, als beispielsweise der Soli überhaupt einbringt –, glaube ich, dass er das verschmerzen kann. Aber der Solidaritätszuschlag ist eben eine Bundessteuer. Die Länder und Kommunen sind davon fast gar nicht betroffen. Im Gegenteil, wenn wir über die kalte Progression nachdenken würden, dann müssten die Kommunen und Länder mitfinanzieren. Deswegen gibt es ja auch den Widerstand von den Kommunen und den Ländern. Deswegen ist der Soli ja so eine gute Idee.
Labuhn: Anfang letzter Woche, Herr Zastrow, mussten die Freien Demokraten erleben, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich plötzlich für den Mindestlohn einsetzt, zwar nicht für einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn, aber doch für Lohnuntergrenzen in jenen Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt. Das ist etwas, was der FDP überhaupt nicht gefallen kann und was offenbar auch mit der FDP nicht abgesprochen war. Fühlen Sie sich von der Kanzlerin noch ernst genommen?
Zastrow: Ja, sie hat einen Bundesparteitag vor sich und die CDU will ja das Thema auf dem Bundesparteitag besprechen. Das ist ihr gutes Recht. Wenn die Union dort eine neue Beschlusslage finden will, dann kann sie das machen. Ich selber würde mich, wenn ich mich mal in die Lage eines konservativen Wählers versetze, allerdings über diese weitere Sozialdemokratisierung der Union dann doch langsam etwas wundern. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das die richtige Richtung ist, die man als bürgerlicher Konservativer vielleicht von ihr erwartet. Für uns als FDP ist aber eines ganz klar: Es gibt einen Koalitionsvertrag, der schließt einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn aus. Und deswegen brauche ich als FDP darüber auch nicht diskutieren, sondern da gibt es von mir ein ganz einfaches Basta, Nein. Mit dieser FDP wird es in dieser Legislatur keinen Mindestlohn geben und aus.
Labuhn: Heue will sich der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und FDP im Berliner Kanzleramt mit all den Themen befassen, für die es vor zwei Wochen keine Lösung gab, also Themen wie Steuererleichterungen für die Mittelschicht, Pflegeversicherung, Betreuungsgeld, PKW-Maut, Vorratsdatenspeicherung und jetzt wohl auch noch mit dem neu hinzu gekommenen Thema Mindestlohn. Was muss da für die FDP mindestens herauskommen, um nicht noch mehr Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Zastrow: Ja also, ich sehe das alles gar nicht so spektakulär, weil ich glaube, dass alle Partner in dieser Bundesregierung vertragstreu sind. Und das erwarte ich auch. Und es gibt einen Koalitionsvertrag, und den haben CDU/CSU und FDP mit jeweils großer Mehrheit auf Bundesparteitagen beschlossen. Und dieser Koalitionsvertrag wurde auch von den schwarz-gelb regierten Ländern mit getragen. Und da ist das wichtigste Thema nun mal die steuerliche Entlastung der berufstätigen Mitte unserer Gesellschaft. Das ist noch offen. Wir haben nach dem Bundesparteitag in Rostock angekündigt, auch in Abstimmung mit den Unionsparteien , dass wir im Herbst ein Konzept vorlegen. Dieses Konzept muss jetzt kommen. Wie wollen wir es denn machen? Es gibt halt die Idee der kalten Progression, die aus meiner Sicht von vorneherein gescheitert ist aufgrund der Blockadehaltung von SPD, Grünen und Linken. Dann bleibt nicht mehr viel übrig. Es gibt noch einen interessanten Vorstoß unseres Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zur Absenkung der Stromsteuer, ein interessanter, zu diskutierender Vorschlag. Aber ich glaube schon, dass man in der Frage Soli vorwärts kommen muss.
Alles andere sind ja neue Dinge, die ja aufgrund von bestimmten politischen Stimmungen aufs Tableau gebracht werden. Über den Mindestlohn brauchen wir nicht zu sprechen, der wird mit der FDP in dieser Legislatur nicht kommen. Über eine PKW-Maut brauchen wir nicht zu sprechen. Es ist auch nicht die Frage, ob wir dort einen Kompromiss finden müssen, weil diese Koalitionspartner niemals eine PKW-Maut wollten. Wenn man über das Thema Maut nachdenkt, was man machen kann, dann muss man über viele Dinge nachdenken, in der Perspektive auf die Frage der Finanzierung des Straßenbaus, nämlich zum Beispiel privates Kapital, wie es beispielsweise Frankreich macht, mit in Straßenbauprojekte rein. Alles das gehört zusammen. Wie entlaste ich dann die Autofahrer? Abschaffung Kfz-Steuer beispielsweise – das sind alles Zukunftsthemen. Können wir gerne machen, bei der nächsten schwarz-gelben Regierung nach 2013 könnte das ein Thema sein.
Labuhn: Bleiben wir erst mal bei der Gegenwart. Was wollen Sie unternehmen, um das liberale Profil der FDP so zu schärfen, dass die FDP wieder für die Wählerinnen und Wähler interessant wird?
Zastrow: Also, wir haben ja einen Zeitgeist in Deutschland, der für mich zur Überraschung und zu einigem Entsetzen sehr stark links geprägt ist. Wir haben jede Menge Parteien, die alle immer grüner werden, die alle immer linker werden, die alle immer politisch korrekter werden und die sich alle um eine doch eher linke sozialdemokratische Wählerschicht herum gruppieren. Da ist ganz, ganz viel Getümmel. Nachdem die Kanzlerin Merkel sich dort, glaube ich, auch positionieren möchte, wird es sogar noch ein Stück weit enger. Mit den Piraten ist noch jemand dazu gekommen. Ich glaube, es gibt eine große Sehnsucht in unserem Land, ich glaube auch von einer großen Zahl – ich sage mal – schweigender Menschen, Menschen die in der Öffentlichkeit jetzt nicht so eine Stimme haben, die sich eine liberal-konservative Politik wünschen, die sich wünschen, dass eine FDP für Marktwirtschaft kämpft, für die Grundlagen dieser Gesellschaft.
Als ich 1989 hier in Dresden auf die Straße gegangen bin, da bin ich für den Systemwechsel auf die Straße gegangen. Ich wollte keine Planwirtschaft mehr, ich wollte auch keinen Sozialismus mehr. Wenn ich heute manchmal in die Bundesrepublik schaue und sehe, wie viel Staatseinfluss wir haben, dass marktwirtschaftlicher Wettbewerb zwar noch bei den kleinen Unternehmen zu sehen ist, aber bei großen ja oft überhaupt nicht mehr stattfindet, dass die Frage der Eigenverantwortung, der persönlichen Haftung oft keine Rolle mehr spielt. Große Banken, Staaten, für die zählt das liberale Prinzip der Eigenverantwortung nicht mehr. Da bin ich schon ziemlich entsetzt. Das hätte ich mir damals nicht so vorgestellt. Und deswegen werbe ich sehr stark, dass wir als FDP zu unseren Grundsätzen, zu unseren Wurzeln zurück kommen und wir diese vielen, vielen Wählerinnen und Wähler, die sich eine bürgerliche Politik wünschen, die einen klaren Kurs und klare Kante wünschen, dass wir die ansprechen. Wenn wir das machen, dann wird es uns ganz, ganz schnell auch wieder richtig gut gehen, denn die haben im Moment keine politische Heimat und sie werden sie in Zukunft in der CDU noch viel, viel weniger haben. Sollten wir doch den Mut haben, die Lücke zu füllen.
Labuhn: Haben Sie eigentlich in stillen Stunden auch schon einmal darüber nachgedacht, ob es für die FDP im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit und auch ihrer Selbstachtung nicht besser wäre, diese schwarz-gelbe Bundesregierung vorzeitig zu verlassen, in der sie ja praktisch nichts vom liberalen Programm überzeugend umsetzen kann?
Zastrow: Wir setzen ja etwas um. Ich sage, was man dieser Regierung schon zugute halten muss und auch meiner Partei ist, dass wir dieses Land, glaube ich, sehr gut durch diese Krise bringen. Deutschland geht es besser als fast allen anderen Ländern in der Welt. Wir haben hervorragendes Wirtschaftswachstum, die niedrigste Arbeitslosigkeit seit langer Zeit. Deutschland scheint sogar, wenn man das vergleicht mit anderen Ländern, von der Krise überhaupt nicht betroffen. Und das hat auch was mit politischen Rahmenbedingungen zu tun. Wir werden nicht dafür gewählt, dass wir gute Hausaufgaben machen, sondern wir werden natürlich für die Kür gewählt. Wir werden für das Besondere gewählt. Wir werden dafür gewählt, dass man das typisch Liberale in dieser Regierung erkennt. Und das ist noch nicht gelungen.
Aber um auf Ihre Frage zurück zu kommen, Entschuldigung, ich habe darüber schon nachgedacht, ja, sehr oft darüber nachgedacht, ob die FDP in dieser Regierung gut aufgehoben ist. Aber ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass sie das ist. Erstens, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man diesem ganzen Links-Blinken was entgegen setzen muss. Und das kann man eben nur, wenn man Regierungsverantwortung trägt. Das ist die Pflicht, auch die große Chance, die man als Partei hat, und auch, weil uns der Wähler niemals so leicht aus der Verantwortung lassen würde. Wir haben Fehler gemacht, ja. Wir sind viel zu schwer in Tritt gekommen, aber wir haben auch noch zwei Jahre. Das ist eine Menge Zeit. Und die Wählerinnen und Wähler haben es verdient, dass wir uns jetzt auf den Hosenboden setzen und jetzt liefern, jetzt was draus machen. Einfach sich so davon stehlen, das ist, glaube ich, das Feigste, was man machen kann. Deswegen mit allem Einsatz kämpfen und auch hoffen, dass die Union kapiert, dass es nur zusammen eine Perspektive für bürgerliche Politik in Deutschland gibt.
Labuhn: Herr Zastrow, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Holger Zastrow: Das ist ein großes Abenteuer, muss ich ehrlich sagen, weil das eine neue Herausforderung ist. Und ich selbst habe auch lange gezögert, das zu machen, weil ich viele Aufgaben hier im Land habe und ja auch noch Fraktionschef im Stadtrat in Dresden bin. Und Dresden ist ja die liberale Großstadt schlechthin, hier haben wir die besten Ergebnisse erzielt. Und dann in Berlin mitzumachen, ohne täglich in Berlin zu sein, ist eine besondere Herausforderung. Mir war klar, dass es schwer wird. Dass es so schwer wird, auch Akzente zu setzen, hätte ich nicht vermutet.
Labuhn: Zwischen der Lage des sächsischen Landesverbandes der FDP und der Bundespartei gibt es ja gewisse Parallelen: Beide erzielten 2009 rauschende Wahlerfolge, beide traten sodann in Koalitionen mit der Union ein – und seitdem geht's bergab. Auf Bundesebene liegt die FDP jetzt bei drei bis vier Prozent. Eine Umfrage hier in Sachsen gibt Ihnen gerade noch zwei Prozent – verglichen mit zehn Prozent im Jahre 2009. Schadet der negative Bundestrend eigentlich auch Ihnen hier in Sachsen?
Zastrow: Ja, das ist so. Wir sind alle in einer Partei, wir sind eine Familie. Und das, was der eine macht, färbt auf den anderen natürlich ab. Und wenn Du über Monate hinweg eine negative Berichterstattung hast, über Monate hinweg eine große Unzufriedenheit spürst, dann merkt man das irgendwann auch bei uns. Wir stehen hier stabil. Es gab jetzt diese eine Umfrage, die mir auch Sorgen bereitet. Es gab aber davor zwei Umfragen, die uns bei sechs Prozent gesehen haben, knapp davor, und die auch gesagt haben, Schwarz-Gelb in Sachsen kann weitergehen. Aber da brauchen wir uns gar nichts vormachen: Die Situation hat sich seit dem Bundesparteitag für uns nicht verbessert, und inzwischen leiden, glaube ich, alle. Das trifft nicht nur auf die sächsische FDP zu, sondern das trifft auch auf Kreisverbände, Bürgermeister, auf andere zu, natürlich auch mit einer gewissen Ansteckungsgefahr. Und das ist schwierig, weil Du nicht mehr ganz Herr Deiner eigenen Leistungen bist, sondern wir werden immer wieder gemessen an dem, was in Berlin gemacht oder auch nicht in Berlin gemacht wird. Und das ist schon eine schwierige Situation, das muss man sagen.
Labuhn: Welche Erklärung haben Sie denn dafür, dass die FDP auf Bundesebene auch nach dem Rostocker Parteitag im Mai nicht mehr aus dem Umfragetief herausgekommen ist?
Zastrow: Nun, wir haben in Deutschland nun mal schlaue Wähler, das ist eine ganz einfache Sache. Und die Analyse, warum es uns nicht so gut geht, ist ja auch mehr als einfach, der Ausweg ist sehr einfach. Wir haben zentrale Wahlversprechen eben bis heute noch nicht erfüllt. Und da die Wähler hinschauen, da sie prüfen, ob derjenige, der in Wahlen beispielsweise Steuersenkungen versprochen hatte, das auch tut, ob er sich zumindestens mit aller Leidenschaft, mit aller Kraft dafür einsetzt. Ich glaube auch, dass man uns es nicht übelnehmen würde, wenn wir vielleicht nicht hundert Prozent umsetzen. Aber man will sehen, dass wir kämpfen, man will sehen, dass wir etwas machen. Und da guckt man hin, und da ist man von der FDP enttäuscht, weil wir eben viele Dinge in den ersten zwei Jahren nicht umgesetzt haben. Und nach dem Bundesparteitag in Rostock haben wir angekündigt, dass es jetzt zu Steuersenkungen kommt. Die Ankündigung alleine hilft aber nicht weiter. Das wird sich erst ins positive Bild für uns umwandeln lassen, wenn wir auch liefern, wenn wir auch tatsächlich sagen: Das machen wir. Das ist unumstößlich und wir machen es ab dann. Und das steht aus, die Diskussionen laufen ja gerade. Ich bin gespannt, wie die ausgehen.
Labuhn: Bleiben wir noch einmal einen Moment bei dem Bundesparteitag der FDP im Mai in Rostock. Dort wurde ja die Parteiführung völlig neu besetzt mit Philipp Rösler an der Spitze und Birgit Homburger, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und mit Ihnen in der Stellvertreter-Riege. Rainer Brüderle übernahm den Fraktionsvorsitz im Bundestag, während Ex-Parteichef Guido Westerwelle sein Amt als Außenminister behielt. War das klug? Schließlich wurde Westerwelle ja hauptsächlich für den Niedergang der FDP seit der Bundestagswahl verantwortlich gemacht.
Zastrow: Nein, Guido Westerwelle gehört zu dem neuen Team dazu. Er spielt eine ganz maßgebliche Rolle, und das ist auch gut so. Denn wir dürfen nie vergessen, dass es Guido Westerwelle gewesen ist, der mit seiner klugen Strategie zu Oppositionszeiten dafür gesorgt hat, dass wir überhaupt in diese Höhen bei Wahlen gekommen sind. Ganz, ganz viele in der Partei – Bundestagsabgeordnete, sicher auch Landtagsabgeordnete, Gemeinderäte – haben von dem richtigen Kurs damals profitiert. Und nur, weil bestimmte Weichenstellungen nach der Wahl, nur weil der Koalitionsvertrag offensichtlich auf Bundesebene nicht ganz optimal ist, weil das nicht funktioniert, trenne ich mich nicht von solchen Persönlichkeiten. Im Gegenteil, ich glaube, Guido Westerwelle hat begriffen, dass man nicht alles machen kann. Deswegen hat er die Konsequenzen gezogen, konzentriert sich komplett auf sein Amt als Außenminister. Und das füllt er gut aus.
Labuhn: Rainer Brüderle erhält als Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag sehr viel Lob. Ist er jetzt so etwas wie der heimliche Parteichef geworden?
Zastrow: Nein. Wir haben einen Parteichef, das ist Phillip Rösler. Und er ist mit einem fulminanten Ergebnis in Rostock gewählt worden, und er führt die Partei. Das macht er auf eine andere Art und Weise. Die FDP ist nachdenklicher geworden, sie ist ruhiger geworden. Die FDP handelt im Vergleich zu früher überlegter. Das wirkt manchmal vielleicht ein bisschen wie eine Unsicherheit, weil sich viele auch in der Öffentlichkeit natürlich die Politik vielleicht etwas schriller vorstellen. Aber ich glaube, dass sich nach dieser Zeit und nach diesen auch Misserfolgen in den ersten zwei Jahren der Bundesregierung diese Nachdenklichkeit, die Philipp Rösler hat, eben auch auszahlt. Und wenn wir eine Lehre aus den ersten zwei Jahren Bundesregierung ziehen müssen, dann ist es eben so, dass die FDP niemals wieder zu einer Ein-Mann-Partei werden darf. Wir müssen ein Team sein, wir müssen die gesamte Klaviatur spielen. Wir brauchen unterschiedliche Charaktere, unterschiedliche Typen auch für unterschiedliche Zielgruppen, für unterschiedliche Fachgebiete. Und da ist ein Rainer Brüderle mit seiner herausragenden Erfahrung, mit seinem Kampfgeist genauso wichtig wie Philipp Rösler, Birgit Homburger und andere.
Labuhn: Aber auch mit einem Team an der Spitze jetzt gelingt es ja der FDP offenbar nicht, wieder Fuß zu fassen, wenn man sich die Umfragen anschaut. Und zugleich müssen Sie auch noch erleben, dass eine Newcomer-Partei wie die Piraten, ohne klares Programm, plötzlich sogar auf Bundesebene bis zu zweistellige Umfragewerte erzielt. Hat die FDP es eigentlich versäumt, sich rechtzeitig um die Wählerinnen und Wähler zu kümmern, die Parteien wie die Piraten jetzt so spannend finden?
Zastrow: Ach, um Gotteswillen. Also, irgendwann hört es für mich auch auf. Die Piraten sind eine Laune des politischen Moments. Es ist interessant, dass so eine Partei gewählt wird, es ist sicherlich legitim. Aber beim besten Willen: Die Liberalen haben eine ganz lange Tradition. Wir haben eine Tradition, die ist 165 Jahre alt. Wir sind eine Partei, die durch ganz, ganz viele Zeiten gegangen ist, in verschiedenen Konstellationen. Wir haben wesentliche geschichtliche Momente mitgestaltet. Und da sage ich Ihnen ganz ehrlich: Da lasse ich mir gewiss nicht von einer Proteststimmung, die bei einer Wahl, die eher eine Kommunalwahl war, nämlich in Berlin, von einem Wahlergebnis dort die Laune vermiesen. Das ist so nicht. Die Piraten bedienen eine bestimmte Sehnsucht auch der Öffentlichkeit nach etwas Schrillem, nach etwas Auffälligem, nach etwas Neuem. Das ist nun mal so, die Journalisten mögen sie, das mag schon so sein. Aber wir sollten schon mal dahinterschauen: Da sehen wir eine Partei ohne jegliches Programm, da sehen wir eine Partei ohne Werte, ohne Grundzüge – mit ein paar Floskeln, das ist alles. Wir sehen eine Partei, die trotzdem schon lange existiert, über fünf Jahre inzwischen, ohne bisher ein vernünftiges Programm hinbekommen zu haben. Also beim besten Willen, von denen kann ich nichts lernen, von denen will ich mir nichts angucken. Die sind eine weitere linke Partei, die wir in Deutschland haben, das verunsichert mich nicht.
Ich weiß ja, woran es liegt, dass wir so schlecht dastehen. Wir haben Wahlversprechen nicht erfüllt – erstens. Wir haben zweitens unser Wähler irritiert, indem wir eben liberale Werte infrage gestellt haben, indem unser Bild nicht mehr klar ist. Es gab eben ein paar Entscheidungen, die wir als Sachsen beispielsweise klar abgelehnt haben, wie die Energiewende. Ja, das traut man der FDP nicht zu, und auch ich selber habe es meiner Partei nicht zugetraut, dass man diese Energiewende so mitmacht, dass man sich von dieser geschürten Hysterie anstecken lässt.
Labuhn: Ist es nicht auffällig, dass die Piraten – um noch einen kurzen Moment bei ihnen zu verharren – jetzt gerade so viel Zuspruch erfahren, da viele Menschen in Deutschland offenbar das Gefühl haben, die etablierten Parteien regieren am Volk vorbei?
Zastrow: Ach ja, das ist ja immer so, wenn eine neue Kraft kommt. Und wir dürfen nicht vergessen: Es gibt ja jede Menge Vorläufer der Piraten. Ich denke einmal an die Schill-Partei, ich denke an Pro-DM. Ich denke mal an die Zeit vor zwölf Jahren – 1999 –, als wir in Sachsen hier erneut nicht in den Landtag eingezogen waren und unter meinem Vorgänger 1,1 Prozent erreicht worden sind, da war die FDP eine Partei, die nur die siebenstärkste war. Größer als wir war die Tierschutz-Partei, größer als wir war Pro-DM. Trotzdem sind wir geblieben, weil liberale Politik eben etwas hat, was uns einzigartig macht – für Freiheit zu kämpfen, für Wettbewerb zu kämpfen, klar für Marktwirtschaft zu sein, sozialistische Experimente konsequent abzulehnen, den Leistungsgedanken auch zu leben, auch zu sagen, dass man sich eben anstrengen muss, wenn man etwas haben möchte.
Labuhn: Wettbewerb, Herr Zastrow, den erlebt die FDP jetzt auch innerparteilich, weil die Gegner des geplanten nächsten europäischen Rettungsschirmes, des Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler, einen Mitgliederentscheid durchgesetzt haben. Welche Prognose wagen Sie?
Zastrow: Also erst einmal glaube ich, dass dieser Mitgliederentscheid uns gut tut. Ich bin Frank Schäffler, Holger Krahmer und anderen sehr dankbar, dass sie den Mut gehabt haben, diesen Mitgliederentscheid anzugehen, weil das zeigt, dass diese Partei lebt. Das zeigt, dass wir in der Partei den Mut haben, auch unpopuläre Themen, schwierige Themen in die Mitgliedschaft hineinzutragen. Ich finde es immer hoch interessant, wenn andere über die FDP schimpfen – nur, wer traut sich denn sonst eigentlich mal, das Volk oder die eigene Mitgliedschaft zu fragen? Das macht nur die FDP. Herr Steinbrück hat letztens in den Medien die These geäußert, dass Deutschland immer zahlen muss, ganz selbstverständlich für Griechenland zahlen muss, auch für andere. Ich bin gespannt, wie die SPD-Mitgliedschaft das in einem Mitgliederentscheid bei der SPD bewerten würde. Ich glaube, dann würde er Probleme bekommen mit so einer Aussage. Wir haben den Mut und machen das, deswegen finde ich es gut.
Trotz alledem muss man sagen: Es ist eben immer schwierig, einen Mitgliederentscheid zu Dingen zu machen, die nicht einfach so mit "ja" und "nein" zu beantworten sind und vor allem einen Mitgliederentscheid zu Dingen zu machen, die im Prozess sind. Das heißt, wir haben jede Woche eine neue Sachlage. Und das macht es schwierig. Meine Prognose ist, dass am Ende Herr Schäffler sich nicht durchsetzen wird, sondern es gibt ja einen sehr umfangreichen Antrag des Bundesvorstandes, der, glaube ich, sehr ausgewogen sich auch mit dem Thema auseinandersetzt. Und ich bin mir da sicher, dass der die Mehrheit finden wird.
Labuhn: Habe ich Ihren Ausführungen gerade ein gewisses Plädoyer für mehr Volksentscheide entnommen, vielleicht auch in Deutschland?
Zastrow: Ja, auf jeden Fall. Es gibt ja oftmals so eine veröffentlichte Stimmung, die man oft nachlesen kann, über bestimmte gesellschaftliche Prozesse. Es ist in letzter Zeit so gewesen, dass, wenn ich mir ein Projekt wie "Stuttgart 21" ansehe – da sieht man die Demonstranten, da sieht man dann Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten, da sieht man Gewalttäter, die auf Polizisten losgehen. Die werden dann verniedlicht als "Aktivisten" bezeichnet. Wir hatten mit den Demonstrationen hier am 13. Februar anlässlich der Zerstörung Dresdens die Auseinandersetzung zwischen Rechtsradikalen und Linksradikalen. Man sieht immer nur noch das. Was man aber ganz, ganz wenig sieht, sind all die Menschen, die eben nicht demonstrieren gehen, die keine Zeit haben, Leserbriefe zu schreiben, die ganz normal ihren Job machen, die einen Beruf haben, die sich um ihre Familie kümmern, die sich um ihre Firma kümmern, die als Angestellte ihre Leistung bringen und die eben auch darauf vertrauen, dass sie von den Politikern stellvertretend ganz gut vertreten werden. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehen Sie ja die Baustelle der Waldschlößchen-Brücke. Alle Medien, die öffentliche Meinung waren immer der Meinung: Ja, um Gotteswillen, was ist das für ein Frevel. Wenn man sich das jetzt anschaut, sagt man: Um Gotteswillen, deswegen haben wir den Welterbetitel als Stadt Dresden verloren? Das glaubt ja keiner. Was der Dresdner gedacht hat, das hat er bei dem Bürgerentscheid gezeigt. Und hätten wir als FDP damals, die FDP ist es gewesen hier in Dresden, nicht den Bürgerentscheid angestoßen, dann hätte der Stadtrat anders entschieden. Aber der Bürgerentscheid hat uns als bürgerlicher Kraft Rückenwind gegeben, er hat uns unterstützt. Und ich baue für unsere Politik einfach ganz oft auf die Vernunft des Bürgers und wir sollten den Mut haben, als Politiker mit Bürgerentscheidungen viel, viel mehr zu machen.
Labuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem sächsischen FDP-Chef und stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzendem Holger Zastrow.
Herr Zastrow, ein Thema, das dem Vorsitzenden eines ostdeutschen Landesverbandes der Freien Demokraten besonders am Herzen liegen muss, ist die Zukunft des Solidaritätspaktes für die neuen Bundesländer und die Höhe des Solidaritätszuschlages zur Einkommenssteuer. Und da scheint es nun in der schwarz-gelben Koalition in Berlin Überlegungen zu geben, den Soli zu verringern, um so die einfachen und mittleren Einkommen zu entlasten, wenn schon gegen die SPD und gegen den Bundesrat keine Steuersenkungen möglich sind, die die FDP ja anstrebt. Die sächsische FDP unterstützt die Idee einer Absenkung des Soli und hat sogar schon einen Dreistufenplan zu seiner völligen Abschaffung vorgestellt. Geschah das mit Zustimmung der Parteispitze in Berlin?
Zastrow: Ach, das ist ein Gedanke, der uns hier selbst gekommen ist. Wir haben in der Landtagsfraktion lange darüber diskutiert und haben diesen Vorstoß jetzt gemacht, weil wir auch endlich mal etwas Konkretes haben wollten, und wir sollten anfangen, da Nägel mit Köpfen zu machen. Gerade, wenn man aus Ostdeutschland kommt, hat man, glaube ich, eine andere Chance, auch über das Thema zu sprechen. Und das haben wir getan. Der Solidaritätszuschlag muss weg, möglichst schnell weg. Wir sollten damit auch gar nicht mehr lange warten. Wir schlagen vor, dass es einen Dreistufenplan zur Absenkung gibt. Die erste Stufe soll bereits jetzt zum 1.1.2012 zünden. Vier Milliarden Entlastungsvolumen – das würde umgerechnet bedeuten, dass jemand, der ein Bruttojahreseinkommen in Höhe von 40.000 Euro hat, bis zu 40.000 Euro hat, keinen Solidaritätszuschlag mehr bezahlt. Das heißt, die etwas niedrigeren und mittleren Einkommen werden damit sofort entlastet, in der zweiten Stufe dann zum 1.1.2013. Und die, die ein bisschen mehr Geld haben oder erheblich mehr Geld haben, die kommen dann zuletzt in den Genuss der Abschaffung des Solidaritätszuschlages, nämlich erst zum 1.1.2014.
Ich glaube, dass das ein interessanter Vorschlag ist, und ich glaube, dass er auch in die Zeit passt. Der Solidaritätszuschlag war nie als Dauersteuer gedacht. Das ist er aber inzwischen. Und auch, wenn er nett heißt – Solidaritätszuschlag klingt ja toll und was kann man eigentlich dagegen haben? – er ist nichts anderes als eine Zusatzsteuer, die jeder in Deutschland zahlt. Die zahlt der Westdeutsche genauso wie der Ostdeutsche. Er fließt auch nicht in den Osten, das ist Quatsch, er fließt einfach in den Bundeshaushalt. Herr Schäuble freut sich dort über fast 12 Milliarden, die jedes Jahr herumkommen, und daraus wird alles mögliche bezahlt, sicherlich auch Maßnahmen im Osten, gar keine Frage, aber auch der Einsatz in Afghanistan oder das Weihnachtsgeld für Beamte im Bund wird davon bezahlt. Ich denke, wir sollten den Mut haben, ihn jetzt anzupacken. Das ist das, was die Bundesregierung tun kann, der Bundestag mit einfacher Mehrheit. Wir brauchen niemanden im Bundesrat fragen. Die kalte Progression wäre mir lieber gewesen. Wenn wir das gemacht hätten, das hätte zu mehr Steuergerechtigkeit geführt, aber wir müssen ja zur Kenntnis nehmen nach den Äußerungen, die wir von SPD, Grünen, auch Linken bekommen haben, dass man dieses kleine Stück Steuergerechtigkeit unseren Berufstätigen nicht gönnt. Also müssen wir sofort eine Alternative finden. Das ist die Abschaffung des Solis.
Labuhn: Kritiker dieser Dreistufenrakete der sächsischen FDP meinen aber, Herr Zastrow, das sei Unfug, weil damit den Kommunen vor allen Dingen wichtige Investitionsmittel fehlen würden. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Zastrow: Das offenbart eine ziemlich große finanzpolitische Inkompetenz, wenn das jemand behauptet, denn eines muss man wissen: Die Steuer, die Abgabe, die die Landeshaushalte und die kommunalen Haushalte am allerwenigsten betrifft, ist nun einmal der Solidaritätszuschlag. Den nicht mehr zu haben, darüber ärgert sich einzig und allein Wolfgang Schäuble. Da er aber sich auf der anderen Seite über enorme Steuermehreinnahmen freuen darf von 17 Milliarden – ungeplant, davon ist jetzt gerade die Rede, also deutlich mehr, als beispielsweise der Soli überhaupt einbringt –, glaube ich, dass er das verschmerzen kann. Aber der Solidaritätszuschlag ist eben eine Bundessteuer. Die Länder und Kommunen sind davon fast gar nicht betroffen. Im Gegenteil, wenn wir über die kalte Progression nachdenken würden, dann müssten die Kommunen und Länder mitfinanzieren. Deswegen gibt es ja auch den Widerstand von den Kommunen und den Ländern. Deswegen ist der Soli ja so eine gute Idee.
Labuhn: Anfang letzter Woche, Herr Zastrow, mussten die Freien Demokraten erleben, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich plötzlich für den Mindestlohn einsetzt, zwar nicht für einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn, aber doch für Lohnuntergrenzen in jenen Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt. Das ist etwas, was der FDP überhaupt nicht gefallen kann und was offenbar auch mit der FDP nicht abgesprochen war. Fühlen Sie sich von der Kanzlerin noch ernst genommen?
Zastrow: Ja, sie hat einen Bundesparteitag vor sich und die CDU will ja das Thema auf dem Bundesparteitag besprechen. Das ist ihr gutes Recht. Wenn die Union dort eine neue Beschlusslage finden will, dann kann sie das machen. Ich selber würde mich, wenn ich mich mal in die Lage eines konservativen Wählers versetze, allerdings über diese weitere Sozialdemokratisierung der Union dann doch langsam etwas wundern. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das die richtige Richtung ist, die man als bürgerlicher Konservativer vielleicht von ihr erwartet. Für uns als FDP ist aber eines ganz klar: Es gibt einen Koalitionsvertrag, der schließt einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn aus. Und deswegen brauche ich als FDP darüber auch nicht diskutieren, sondern da gibt es von mir ein ganz einfaches Basta, Nein. Mit dieser FDP wird es in dieser Legislatur keinen Mindestlohn geben und aus.
Labuhn: Heue will sich der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und FDP im Berliner Kanzleramt mit all den Themen befassen, für die es vor zwei Wochen keine Lösung gab, also Themen wie Steuererleichterungen für die Mittelschicht, Pflegeversicherung, Betreuungsgeld, PKW-Maut, Vorratsdatenspeicherung und jetzt wohl auch noch mit dem neu hinzu gekommenen Thema Mindestlohn. Was muss da für die FDP mindestens herauskommen, um nicht noch mehr Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Zastrow: Ja also, ich sehe das alles gar nicht so spektakulär, weil ich glaube, dass alle Partner in dieser Bundesregierung vertragstreu sind. Und das erwarte ich auch. Und es gibt einen Koalitionsvertrag, und den haben CDU/CSU und FDP mit jeweils großer Mehrheit auf Bundesparteitagen beschlossen. Und dieser Koalitionsvertrag wurde auch von den schwarz-gelb regierten Ländern mit getragen. Und da ist das wichtigste Thema nun mal die steuerliche Entlastung der berufstätigen Mitte unserer Gesellschaft. Das ist noch offen. Wir haben nach dem Bundesparteitag in Rostock angekündigt, auch in Abstimmung mit den Unionsparteien , dass wir im Herbst ein Konzept vorlegen. Dieses Konzept muss jetzt kommen. Wie wollen wir es denn machen? Es gibt halt die Idee der kalten Progression, die aus meiner Sicht von vorneherein gescheitert ist aufgrund der Blockadehaltung von SPD, Grünen und Linken. Dann bleibt nicht mehr viel übrig. Es gibt noch einen interessanten Vorstoß unseres Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zur Absenkung der Stromsteuer, ein interessanter, zu diskutierender Vorschlag. Aber ich glaube schon, dass man in der Frage Soli vorwärts kommen muss.
Alles andere sind ja neue Dinge, die ja aufgrund von bestimmten politischen Stimmungen aufs Tableau gebracht werden. Über den Mindestlohn brauchen wir nicht zu sprechen, der wird mit der FDP in dieser Legislatur nicht kommen. Über eine PKW-Maut brauchen wir nicht zu sprechen. Es ist auch nicht die Frage, ob wir dort einen Kompromiss finden müssen, weil diese Koalitionspartner niemals eine PKW-Maut wollten. Wenn man über das Thema Maut nachdenkt, was man machen kann, dann muss man über viele Dinge nachdenken, in der Perspektive auf die Frage der Finanzierung des Straßenbaus, nämlich zum Beispiel privates Kapital, wie es beispielsweise Frankreich macht, mit in Straßenbauprojekte rein. Alles das gehört zusammen. Wie entlaste ich dann die Autofahrer? Abschaffung Kfz-Steuer beispielsweise – das sind alles Zukunftsthemen. Können wir gerne machen, bei der nächsten schwarz-gelben Regierung nach 2013 könnte das ein Thema sein.
Labuhn: Bleiben wir erst mal bei der Gegenwart. Was wollen Sie unternehmen, um das liberale Profil der FDP so zu schärfen, dass die FDP wieder für die Wählerinnen und Wähler interessant wird?
Zastrow: Also, wir haben ja einen Zeitgeist in Deutschland, der für mich zur Überraschung und zu einigem Entsetzen sehr stark links geprägt ist. Wir haben jede Menge Parteien, die alle immer grüner werden, die alle immer linker werden, die alle immer politisch korrekter werden und die sich alle um eine doch eher linke sozialdemokratische Wählerschicht herum gruppieren. Da ist ganz, ganz viel Getümmel. Nachdem die Kanzlerin Merkel sich dort, glaube ich, auch positionieren möchte, wird es sogar noch ein Stück weit enger. Mit den Piraten ist noch jemand dazu gekommen. Ich glaube, es gibt eine große Sehnsucht in unserem Land, ich glaube auch von einer großen Zahl – ich sage mal – schweigender Menschen, Menschen die in der Öffentlichkeit jetzt nicht so eine Stimme haben, die sich eine liberal-konservative Politik wünschen, die sich wünschen, dass eine FDP für Marktwirtschaft kämpft, für die Grundlagen dieser Gesellschaft.
Als ich 1989 hier in Dresden auf die Straße gegangen bin, da bin ich für den Systemwechsel auf die Straße gegangen. Ich wollte keine Planwirtschaft mehr, ich wollte auch keinen Sozialismus mehr. Wenn ich heute manchmal in die Bundesrepublik schaue und sehe, wie viel Staatseinfluss wir haben, dass marktwirtschaftlicher Wettbewerb zwar noch bei den kleinen Unternehmen zu sehen ist, aber bei großen ja oft überhaupt nicht mehr stattfindet, dass die Frage der Eigenverantwortung, der persönlichen Haftung oft keine Rolle mehr spielt. Große Banken, Staaten, für die zählt das liberale Prinzip der Eigenverantwortung nicht mehr. Da bin ich schon ziemlich entsetzt. Das hätte ich mir damals nicht so vorgestellt. Und deswegen werbe ich sehr stark, dass wir als FDP zu unseren Grundsätzen, zu unseren Wurzeln zurück kommen und wir diese vielen, vielen Wählerinnen und Wähler, die sich eine bürgerliche Politik wünschen, die einen klaren Kurs und klare Kante wünschen, dass wir die ansprechen. Wenn wir das machen, dann wird es uns ganz, ganz schnell auch wieder richtig gut gehen, denn die haben im Moment keine politische Heimat und sie werden sie in Zukunft in der CDU noch viel, viel weniger haben. Sollten wir doch den Mut haben, die Lücke zu füllen.
Labuhn: Haben Sie eigentlich in stillen Stunden auch schon einmal darüber nachgedacht, ob es für die FDP im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit und auch ihrer Selbstachtung nicht besser wäre, diese schwarz-gelbe Bundesregierung vorzeitig zu verlassen, in der sie ja praktisch nichts vom liberalen Programm überzeugend umsetzen kann?
Zastrow: Wir setzen ja etwas um. Ich sage, was man dieser Regierung schon zugute halten muss und auch meiner Partei ist, dass wir dieses Land, glaube ich, sehr gut durch diese Krise bringen. Deutschland geht es besser als fast allen anderen Ländern in der Welt. Wir haben hervorragendes Wirtschaftswachstum, die niedrigste Arbeitslosigkeit seit langer Zeit. Deutschland scheint sogar, wenn man das vergleicht mit anderen Ländern, von der Krise überhaupt nicht betroffen. Und das hat auch was mit politischen Rahmenbedingungen zu tun. Wir werden nicht dafür gewählt, dass wir gute Hausaufgaben machen, sondern wir werden natürlich für die Kür gewählt. Wir werden für das Besondere gewählt. Wir werden dafür gewählt, dass man das typisch Liberale in dieser Regierung erkennt. Und das ist noch nicht gelungen.
Aber um auf Ihre Frage zurück zu kommen, Entschuldigung, ich habe darüber schon nachgedacht, ja, sehr oft darüber nachgedacht, ob die FDP in dieser Regierung gut aufgehoben ist. Aber ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass sie das ist. Erstens, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man diesem ganzen Links-Blinken was entgegen setzen muss. Und das kann man eben nur, wenn man Regierungsverantwortung trägt. Das ist die Pflicht, auch die große Chance, die man als Partei hat, und auch, weil uns der Wähler niemals so leicht aus der Verantwortung lassen würde. Wir haben Fehler gemacht, ja. Wir sind viel zu schwer in Tritt gekommen, aber wir haben auch noch zwei Jahre. Das ist eine Menge Zeit. Und die Wählerinnen und Wähler haben es verdient, dass wir uns jetzt auf den Hosenboden setzen und jetzt liefern, jetzt was draus machen. Einfach sich so davon stehlen, das ist, glaube ich, das Feigste, was man machen kann. Deswegen mit allem Einsatz kämpfen und auch hoffen, dass die Union kapiert, dass es nur zusammen eine Perspektive für bürgerliche Politik in Deutschland gibt.
Labuhn: Herr Zastrow, vielen Dank.
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