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Der Sommer mit Corona
Eine deutsche Tourismusbilanz

Der Sommer für die deutsche Tourismusbranche war gut, die Verluste aus dem Lockdown konnten Gaststätten und Hotels aber nicht aufholen. Staatshilfen verhinderten eine Insolvenzwelle, viele Probleme bleiben: Investitionsstau, Fachkräftemangel, punktueller Über-Tourismus. Die Hoffnung liegt auf der Winter-Saison.

Von Michael Watzke | 31.10.2021
Ostallgäu
Auf der Alm gibt es keinen Nachholeffekt - eine Buchung, die in der ersten Jahreshälfte nicht gemacht wurde, kann nicht wieder reingeholt werden (picture alliance / CHROMORANGE | Alexander Bernhard)
Ein Montag-Nachmittag im Landgasthof Schmuck im oberbayerischen Arget. Das halbe Dorf feiert in Dirndln und Lederhosen mit Musik, Tanz und Weißbier. Eine Hochzeit? Ein Geburtstag? Gasthaus-Chefin Angelika Schmuck schüttelt den Kopf.
"Na, das ist der Kirta-Montag. Das ist ein alter bayerischer Feiertag. Da hören am Nachmittag alle Handwerker das Arbeiten auf. Also ich bin jetzt seit 25 Jahren hier und wir machen da eine Veranstaltung für unsere Einheimischen."
Angelika Schmuck saust im blauen Dirndl von Tisch zu Tisch. Zwischendurch tupft Sie sich mit der Trachtenschürze den Schweiß von der Stirn. Die Arbeit nimmt kein Ende – nicht nur wegen der Kirta-Feier.

Vier Hochzeiten – und kein Todesfall

"Also wir sind gestresst von dieser Saison. Weil alle, die letztes Jahr nicht heiraten konnten – wir haben uns ja spezialisiert auf Hochzeiten – die haben heuer geheiratet. Also wir haben zum Teil in der Woche vier Hochzeiten gehabt."
Mallorca während des Lockdowns am 8. Mai 2020
Erkenntnisse aus der Coronakrise
Experten rechnen mit einem Einbruch des weltweiten Tourismus-Geschäfts um 70 Prozent. Wer weiterhin mit Touristen Geld verdienen will, muss sich etwas einfallen lassen. Andere sind froh, dass die Urlauber derzeit wegbleiben.
Vier Hochzeiten – und glücklicherweise kein Todesfall. Also keine für immer geschlossene Gastwirtschaft, die wegen Corona zu Grabe getragen werden musste. Weder in Arget noch in der Umgebung.
"Bei uns im Umkreis weiß ich keinen. Bei den Einheimischen schon gar keiner, der mir bekannt wäre. Ich meine, die haben alle gekämpft, ganz klar. Aber zugemacht hat bei uns keiner."
Das bestätigt auch Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer Bayern des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in München.

Neue Wertschätzung für die Gastronomie

"Insolvenz-Wellen konnten tatsächlich verhindert werden, weil viel Unterstützung kam. Weil es dann doch aber wieder angezogen ist. Die Menschen haben einfach gesehen, was sie am Urlaub haben, gerade in Bayern, im Tourismusland Nummer 1. Und gerade auch die Gastronomie hat eine neue Wertschätzung."
Das lässt sich an soeben veröffentlichten Zahlen festmachen. Pünktlich zum Ende der Herbstferien in den meisten Teilen Deutschlands meldet der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband: Im August 2021 haben die Beherbergungsbetriebe in Deutschland 56 Millionen Übernachtungen verbucht – 13 Prozent mehr als im August 2020. Im Gastgewerbe stieg der Umsatz im August um 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Schaut man allerdings auf das ganze Jahr 2021, sieht das Bild nicht so rosig aus. Schließlich herrschte noch bis Pfingsten Lockdown.
"Wir haben 24,7 Prozent weniger Gästeankünfte und 15,9 Prozent weniger Übernachtungen im Jahr bis jetzt im Vergleich zum Vorjahr. Im Gastgewerbe haben Sie den Nachteil, dass sie keine Nachholeffekte haben. Das Bett, das in der ersten Jahreshälfte nicht belegt wurde, das können Sie nie wieder reinholen."

Die "Neu-Entdeckung Deutschlands"

Vergleicht man die Tourismus-Regionen in Deutschland, dann haben in der Pandemie vor allem der Norden und der Süden profitiert. Die Deutschen sind zum Urlauben vor allem an die Küste gefahren – oder in die Berge. Unterwegs mit der Zugspitzbahn auf den höchsten Gipfel Deutschlands. Hier, auf fast 3.000 Metern Höhe mit Blick auf Garmisch und die Alpen, trifft sich ganz Deutschland, das in diesem Corona-Jahr vor allem Urlaub daheim macht. Hiesige Urlauber finden viele gute Gründe, warum man auch in Deutschland schöne Ferien verbringen kann.
Wechselnd bewölkt zeigt sich der Himmel über der Kirche Sankt Georg auf dem 1055 Meter hohen Auerberg (Luftaufnahme mit einer Drohne).
Heiter bis wolkig: Corona hat die Tourismusbranche vehement unter Druck gesetzt - aber seit der Pandemie wird Deutschland touristisch neu entdeckt; vor allem der Norden und der Süden haben profitiert (picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand)
"Definitiv! Man schaut, dass man innerhalb Deutschlands verreist. Dass man da immer wieder diese Beschränkungen auf dem Schirm hat. Und dann auch so plant, dass man kurzfristig absagen kann."
"Wir sind vorher schon immer in die Berge gefahren. Und durch Corona war natürlich sehr, sehr viel mehr los als sonst."
"Es gibt ja auch noch einiges zu sehen in Deutschland. Das hat man, glaube ich, jetzt mitbekommen, dass man gar nicht so weit reisen muss, um trotzdem was Schönes zu erleben."
"Naja, es zieht einen schon auch noch ins Ausland, um da was zu sehen. Aber man hat in Deutschland noch so viele Ecken, dass man sagt: man kann auch hier sehr gut Urlaub machen. Man lernt auch immer wieder Sachen kennen, wo man denkt: ‚Ach, da könnte man auch mal hin!‘"

Am Brombachsee tobt das Leben

Man könnte zum Beispiel mal ins Fränkische Seenland fahren, zum Urlaub auf den Bio-Bauernhof Scheckenbauer, den Inhaber Dietmar Kahn so beschreibt:
"Ländlich, ruhig, aber doch sehr nahe beim Brombachsee, wo dann doch das Leben wieder tobt."
Dietmar Kahn füttert gerade die Hühner. 220 freilaufende Hennen und drei Hähne picken vor dem Hof die Körner auf. Das Geflügel hat sich touristisch bewährt.
"Das sind einfach Tiere, die die Kinder streicheln und packen können. Sie können mit zum Eierholen gehen. Einmal am Tag werden die Eier geholt. Das ist tourismusmäßig halt gut, da kann man nahe ran, ohne dass man den Stall betreten oder sich umziehen muss."

Corona-Hilfen nur für Gewerbebetriebe

Der Ferienhof Scheckenbauer hatte dieses Jahr – wie fast alle Übernachtungsbetriebe in Deutschland – bis Pfingsten geschlossen. Aber anders als die meisten größeren Hotel- und Ferienwohnungsbetreiber hat Familie Kahn keine staatliche Corona-Unterstützung bekommen, sagt Maria Kahn.
"Wir konnten nichts beantragen, bei uns hat es keinerlei Hilfen gegeben. Wir sind nicht gewerblich, ich denke, es lag an dem Punkt. Wir sind einfach nur ein Kleinst-Beherbergungsbetrieb, der nicht gewerblich ist. Und dann gab’s nichts."
Bild eines fast komplett leeren Strands mit Blick aufs Meer: Nur zwei Menschen liegen auf ihren Strandliegen unter einem Sonnenschirm. 
Reisen trotz Corona
Ist es okay, mitten in der Pandemie seinem Fernweh nachzugeben und die Koffer zu packen? Ja, findet Dieter Nürnberger: Wenn man sich im Urlaub genauso wie zu Hause an die Hygieneregeln halte, seien die Risiken vertretbar.
Die Kahns vermieten 13 Betten in zwei Ferienwohnungen. Solche touristischen Kleinstbetriebe machen in Bayern rund 15 Prozent der Gesamtbettenzahl aus. Dass sie komplett durchs Raster gefallen sind, findet Maria Kahn unfair. "Natürlich ärgert einen so was."
Deshalb erwarten die Kahns heute einen besonderen Gast: Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger macht auf dem Rückweg vom Tourismustag in Nürnberg nach München einen Abstecher ins fränkische Seenland. Im Gepäck neue Hilfsgelder.

Späte Zuschüsse für Investitionen

"Das ist ein 30-Millionen-Euro-Förderprogramm, das wir dieses und nächstes Jahr ausgeben wollen. Im Bereich dieser Klein- und Kleinstvermieter unter 25 Betten. Mit einer Fördersumme von 50 Prozent. Du kriegst also von 30.000 Euro die Hälfte bezuschusst. Wir haben mittlerweile schon mehrere hundert Anträge auf dieses Förder-Programm. Läuft also sehr gut an."
Auch die Kahns haben sich beworben. Sie wollen ihre Ferienwohnungen renovieren und eine Elektroladestation vor dem Hof einrichten.
"Wir gehen mal von so 2.000 Euro aus, was uns das kosten wird. Infrastruktur für E-Autos ist bei uns noch sehr, sehr verhalten. Da hast Du keine Chance, was zu finden."

Bauernhof statt Gardasee

Den Strom für die Ladesäule will Dietmar Kahn von der eigenen Solaranlage auf dem Bauernhofdach zapfen. Er hofft, auf diese Weise neue Urlaubsgäste anzulocken. In der Corona-Pandemie ist ihm nämlich aufgefallen "wie viele Autos mit süddeutschen Kennzeichen hier zu uns hochgefahren sind zu uns, die vorher eher Richtung Gardasee gefahren sind. Die haben doch tatsächlich unseren Brombachsee entdeckt. Ich glaube schon, dass das nachhaltig spürbar ist."
Familie Kahn vom Scheckenbauer Hofladen
‚Ich war beim Scheckenbauer!' - Früher hätte man Leute milde belächelt, die auf dem Bauernhof Urlaub gemacht hätten - heute sei es plötzlich 'in', meint Dietmar Kahn (re.) vom Ferienhof Scheckenbauer (Michael Watzke/Deutschlandradio)
Nachhaltig würde bedeuten: die neuen deutschen Touristen fahren auch in den nächsten Jahren nach Höttingen, Arget oder Garmisch, statt mit dem Flieger nach Südostasien zu jetten oder mit dem Auto nach Italien zu fahren. Karl-Heinz Jungbeck, Tourismus-Präsident des Automobilclubs ADAC, hält das für realistisch.

Urlaub Zuhause ist gefragt

Ich glaube, dass diese Neu-Entdeckung Deutschlands, die in der Pandemie stattgefunden hat, nachhaltig sein wird. Denn die Menschen haben ja festgestellt, dass Deutschland schön ist. Schöne Orte möchte man immer wieder besuchen. Und das ist eine Chance für Deutschland. In den nächsten Jahren wird es schwieriger, da gibt es wieder mehr Wettbewerb. Aber gegen mehr Wettbewerb kann man am besten antreten, wenn man eine eindeutige Positionierung hat."
So wie Dietmar Kahn, der seinen Ferienhof mit Bio-Siegel, Hofladen und E-Ladesäule als besonders umweltfreundlich positioniert. Wer beim Scheckenbauer Urlaub macht, schont das Klima und muss kein schlechtes Gewissen haben. Plötzlich sei Urlaub dahoam sogar cool, findet Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger.
"Wo man früher ein bisschen milde gelächelt hat, ja, Urlaub am Bauerhof, hähä! – ist es plötzlich ‚in‘! Für die, die Sinn fürs Wesentliche haben, war es eigentlich immer ‚in‘. Aber in der Vergangenheit ging ein Schickimicki-Urlaub möglichst weit weg. Das hat man nach dem Urlaub am Arbeitsplatz besser erzählen können als zu gesagt hat: ‚Ich war beim Scheckenbauer‘. Und heute sagt man: ‚Ich war beim Scheckenbauer und nicht am Ballermann!‘"
Aber ganz so einfach ist es auch nicht. Gleich neben dem Ferienhof Scheckenbauer stand bis vor kurzem der Dorf-Gasthof "Zur Sonne". Seit ein paar Monaten klebt an der Eingangstür das Schild "Geschlossen". Bürgermeister Hans Seibold schaut traurig durch die grauen Fenster in das leere Wirtshaus.

Die Krise der Gaststätten

"Für uns ist es eine Katastrophe, dass diese Gaststätte zugemacht hat."
Dabei sei es nicht mal die Corona-Krise gewesen, die den Wirt zur Aufgabe zwang, sagt der Höttinger Ortsvorsteher.
Ein Restaurant in Kassel macht mit einem Aushang auf die Schließung aufmerksam.
Corona-Schadensfälle - wer am Ende wirklich zahlt
Versicherungen sind in der Coronakrise in die Kritik geraten. Vielen Gastronomen, die wegen Betriebsschließung auf Schadenersatz gehofft hatten, wurden Zahlungen verweigert.
"Tourismus und Gaststätten ist einfach kein Trend: Es will sich keiner mehr antun. Die müssen spät und am Wochenende arbeiten, das ist denen zu viel. Und was übrigbleibt, ist scheinbar zu wenig."
Der Personalmangel ist das derzeit größte Problem im deutschen Gastgewerbe. Daniel Schimmer, Betreiber des Hotels "Garmischer Hof" am Fuß der Zugspitze, ist auch Orts-Vorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststätten-Verbandes.

Falsche Anreize durch das Kurzarbeitergeld?

"Wir hatten vor der Pandemie in unserer Branche einen Fachkräfte-Mangel. Der wurde natürlich durch die Pandemie noch verstärkt. Gleichzeitig aber auch durch die Fehler unserer Regierung. Man kann hier unten ganz einfach sagen: Österreich hat sehr viel früher bekanntgegeben, wann sie öffnen werden. Und gerade Saisonkräfte, die sonst jährlich nach Garmisch kommen, oder eben auch andere Mitarbeiter, die jetzt nicht tief verwurzelt sind mit dem Ort als solches, sondern eher mit dem Arbeitsplatz, haben dann natürlich die Chance genutzt, auch abzuwandern."
Fehlende Planungs-Sicherheit ist aber nicht der einzige Grund für den Mitarbeitermangel. Manche in der Branche glauben, dass das Kurzarbeitergeld – ein sonst so hochgelobtes Kriseninstrument – in der Pandemie falsche Anreize gesetzt hat. Landgasthofbetreiberin Angelika Schmuck sagt:
"Es ist aus dem Grund schwierig, weil die haben alle ihr Geld gekriegt. Wir haben zum Beispiel die Erfahrung gemacht: Wir haben die Leute weiterbezahlt, so gut es gegangen ist. Wir waren sehr großzügig, und den Leuten ist es allen gut gegangen. Die haben bei ihren Familien daheim sein können und trotzdem ihr Geld bekommen. Und jetzt sollen sie für das gleiche Geld, das sie acht Monate gekriegt haben, wieder so viel arbeiten. Daran müssen sich schon viele wieder gewöhnen. Wir haben auch den einen oder anderen verloren, der gesagt hat: Ich möchte Gastronomie nicht mehr machen, Gastronomie ist mir zu hart zum Arbeiten."

Mitarbeiter, verzweifelt gesucht

Manche Hotel- und Gaststättenbetreiber haben in der Vergangenheit aber auch einfach zu schlecht gezahlt. In der Pandemie sind dann viele Gastronomie-Angestellte in andere Branchen abgewandert, haben bei Lidl, UPS oder in der Altenpflege angeheuert. Auch dort verdient man nicht üppig, aber hat wenigstens geregeltere Arbeitszeiten. Die Tourismus-Branche sucht indessen händeringend Mitarbeiter.
"Sie brauchen im Gastgewerbe extrem viel Personal", sagt Thomas Geppert vom Hotel- und Gaststätten-Verband. Im Vergleich zum Einzelhandel brauchen sie, um auf denselben Umsatz zu kommen, sechsmal so mehr Personal. Nachfrage nach Mitarbeitern war immer extrem hoch. Und jetzt fehlen hauptsächlich einfach Aushilfen und unterstützende Hände, um diese Dienstleistungen wieder voll anzubieten. Und da kann man eigentlich nur aufrufen an alle: Machen Sie eine Ausbildung im Gastgewerbe. Es lohnt sich! Es ist eine Chancenbranche. Wir sind jetzt wieder zukunftssicher, wir machen nie wieder zu!"

Angst vor "tödlichem" Lockdown

Sicher? War der achtmonatige Lockdown zu Jahresbeginn wirklich der Letzte? In Bayern steigen die Inzidenzen derzeit rasant, besonders in den Urlaubsregionen am Alpenrand. Etwa im Berchtesgadener Land. Angelika Schmuck im oberbayerischen Arget sagt fast schon beschwörend:
"Das können die nicht machen, weil dann ist die Wirtschaft am Ende. Das können sie nicht machen. Das wäre das Ende für alle, wenn die jetzt nochmal zumachen."
Bisher sind Hotellerie und Gastronomiegewerbe in Deutschland besser durch die Coronakrise gekommen als in vielen Nachbarländern, weil der Staat hierzulande großzügiger geholfen hat als andernorts. Von den insgesamt rund zehn Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen hat die Tourismusbranche etwa vier Milliarden Euro bekommen. Auch wenn es anfangs ein Kampf gewesen sei, sagt Tourismus-Manager Niederprüm:

Das folgenreiche Augsburger "Biergartenurteil"

"Ja, der Tourismus war zunächst mal nicht so auf dem Schirm, also nicht in der Form, wie wir es uns gewünscht hätten. Die Automobilindustrie war sofort in der Förderung, da wurde sofort reagiert. Und bei uns mussten erst Verwaltungsgerichtsverfahren angestrebt werden. In Augsburg – sage ich nur – das Biergartenurteil. Und dann wurde schnell reagiert. Und das ist auch gut so gewesen."
Denn dem Tourismus sei, so Niederprüm, in der Coronakrise zu 100 Prozent die Geschäftsgrundlage entzogen worden. Beim Augsburger Biergartenurteil hatte ein Wirt im Mai 2020 eine verlängerte Öffnungszeit für seine Außengastronomie erstritten. Die bayerische Landespolitik reagierte mit verstärkten Hilfen für die notleidenden Wirte, auch um den Unmut in der Gastronomiebranche zu beschwichtigen. Unmut gab es an vielen Fronten. Etwa bei den bayerischen Bergbahnen und Liftbetreibern.

Der erste Saisonausfall der Geschichte

Skiliftbesitzer ärgerten sich, dass sie ihre Anlagen im letzten Winter bei besten Schneebedingungen stilllegen mussten, während sich hinter der Grenze, in Österreich und der Schweiz, alle Gondeln und Lifte drehten. Verena Altenhofen, Pressesprecherin der bayerischen Zugspitzbahnen in Garmisch-Partenkirchen, erinnert sich nur ungern an den ersten komplett ausgefallenen Winter in der fast 100-jährigen Geschichte der Bergbahn.
Die neue Seilbahn auf die Zugspitze - am 22.12.2017 wird sie in Betrieb genommen.
"Der eine darf nicht fahren, der andere schon" - Zugspitzen-Urlauber auf der Seite von Österreich durften auf die Piste, doch in Deutschland gab es den Lockdown (dpa)
"Die Kollegen in Tirol durften ja fahren, auch auf die Zugspitze. Eigentlich makaber: Der gleiche Berg, es geht von beiden Seiten nach oben. Der eine darf nicht fahren, der andere schon. Aber wir haben uns für die Kollegen gefreut, dass wenigstens die durften. Wir haben viel mit denen gesprochen, wie es läuft, welche Erfahrungen die gemacht haben. Leider durften wir nicht."
Die Erfahrungen der Österreicher wollen die Bayern nun in diesem Winter nutzen. Sie gehen fest davon aus, dass die Skisaison stattfindet – mit Masken in den Bahnen und maskenfrei auf den Pisten. Hüttenzauber wie einst im Tiroler Ischgl, einem der Corona-Urhotspots in Europa, soll es natürlich nicht geben. Ski- und Schnee-Vergnügen dagegen schon.
"Ich glaube, dass die Leute heiß sind. Die freuen sich jetzt einfach auf ein Stück Normalität, das zurückkommt. In der Ski-Saison bei schönem Wetter mal einen Tagestrip zu machen und auf die Piste zu gehen, ich glaube, da freuen sich alle drauf."

Die Probleme des "Über-Tourismus"

Bis zu 600.000 Passagiere befördern die Zugspitzbahnen pro Jahr. Etwa die Hälfte davon in der Sommersaison. Früher kamen rund 40 Prozent der Fahrgäste aus dem Ausland, jetzt sind es nur noch 10 Prozent. Dafür ist die Zahl der Tagestouristen, etwa aus München, rapide angestiegen. Und damit auch das Problem des Über-Tourismus. An manchen Wochenenden in diesem Sommer war die Zugspitzbahn hoffnungslos überlaufen. Man steuere dagegen, so gut es gehe, sagt Pressesprecherin Altenhofen.
"Wir versuchen es natürlich mit verschiedenen Lenkungsmaßnahmen. Dass wir Angebote schaffen unterhalb der Woche und außerhalb der Ferien, um ein bisschen auszugleichen an Tagen, an denen sowieso schon viel los wäre. Wir haben diesen Sommer eingeführt, dass Leute ein gebundenes Tagesticket für einen bestimmten Tag schon vorab kaufen können. Das heißt, sie haben ihr Tagesticket für die Zugspitze safe und müssen nicht morgens um 9 Uhr mit allen anderen ankommen, sondern können auch etwas später kommen oder früher. Weil ihr Ticket sicher ist. Wir können dann alle anderen abweisen, aber nicht die, die ihr Ticket schon gesichert haben."

"Tourismus-Lenkungs-Apps" als Teil der Lösung?

Solche Marketing-Aktionen könnten das grundsätzliche Problem des Übertourismus aber nicht beheben, findet Thomas Frey, der Alpen-Beauftragte des Bund Naturschutz in Bayern. Er hält auch nichts von Besucher-Lenkungs-Apps, wie sie etwa der Freistaat Bayern seit neuestem anbietet.
"Da bin ich ehrlich gesagt sehr skeptisch. Ich glaube, wenn jemand den Entschluss gefasst hat, in einen bestimmten Ort zu fahren, dann wird er sich, wenn dann auf dem Handy aufploppt: ‚Der Parkplatz ist voll‘, aber man ist schon auf dem Weg, nicht davon ablenken lassen."
Für Thomas Frey lässt sich Übertourismus, also das Gefühl der einheimischen Bevölkerung, von Touristen erdrückt zu werden, nur durch veränderte Verkehrsinfrastruktur beheben. Weniger Straßen, mehr Schienen.

8,5 Millionen Menschen beim Tageausflug

"Wir haben das zum Beispiel für Oberstdorf mal ausgerechnet. Da ist vor allem durch den Straßenbau in den letzten 50 Jahren, also 1970 war es so, dass ungefähr 700.000 Menschen innerhalb von zweieinhalb Stunden für so einen Tagesausflug nach Oberstdorf kommen konnten. Und im Jahr 2020 waren das 8,5 Millionen Menschen, die in einem Zweieinhalbstunden-Einzugsgebiet von Oberstdorf waren. Und das vor allem durch Straßenausbau. Wenn ich das noch immer weiter vorantreibe, dann werden diese Hotspots sicher noch immer mehr überlaufen."
Corona hat die Übertourismusprobleme noch verschärft. Denn besonders die Stadtbevölkerung zieht es nun immer häufiger hinaus aufs Land. Gerne mal für einen Tag und im Auto. Tagestourismus allerdings generiert in den Urlaubs-Destinationen nur rund ein Drittel der Wertschöpfung, die Übernachtungsgäste in ihre Ferienorte bringen. Daher sind sich Hotel-Manager und Umweltschützer darin einig, vor allem den Übernachtungstourismus zu stärken.

Wertschöpfung und Umweltschutz

"Wenn wir in die Richtung wieder gehen, dann ist, glaube ich, allen geholfen: Den Einheimischen ist geholfen, weil sie mehr Wertschöpfung und weniger Lärm und Abgase haben. Da ist den Urlaubern geholfen, weil sie einfach vor Ort entspannter unterwegs sind. Und es ist auch der Natur geholfen, weil wir weniger Event-Infrastruktur und sonst vor Ort brauchen."
Zurück im Landgasthof Schmuck im oberbayerischen Arget. Chefin Angelika Schmuck blickt optimistisch in die Zukunft, sie weiß aber auch: "Auf alle Fälle bleibt ein Loch, klar. Allein schon das Loch von acht Monaten ohne Umsatz."
Der Wirtin ist ein bisschen bange vor der Steuererklärung. Denn die großzügigen Staatshilfen sind ein zweischneidiges Schwert.
"Ja gut, das stellt sich jetzt erst raus. Wenn man natürlich mit dem Finanzamt, also, was man dann alles wieder zurückzahlen muss, was sie einem dann wieder abziehen, das wissen wir ja noch nicht. Die Hilfen haben wir natürlich bekommen, aber es heißt ja auch, dass man das meiste wieder zurückzahlen müsse. Dann schaut es wieder anders aus."