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Der Sozialdokumentarist Danny Lyon
Parteiisch und kompromisslos

Der inzwischen 70-jährige amerikanische Fotograf Danny Lyon war in Europa bislang nur wenig präsent. Seine Anfänge liegen in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre, wo er die Proteste gegen die Rassentrennung dokumentierte. Die erste wirkliche Retrospektive seiner Laufbahn findet aber nun in Europa statt, im Fotomuseum Winterthur.

Von Christian Gampert |
    Ein Mann blickt in einer Ausstellung "The Bikeriders (1962-1966)" in Valladolid in Spanien auf ein Bild des US-Fotografen Danny Lyon.
    Ein Bild des US-Fotografen Danny Lyon in einer Ausstellung in Spanien. Eine Retrospektive seines Werks ist jetzt in Winterthur zu sehen. (dpa / EPA / R.Garcia)
    Wenn man vor den Bildern des amerikanischen Fotografen Danny Lyon steht, wird man in eine andere Zeit versetzt. Und man wundert sich, wie weit weg die amerikanischen Sechzigerjahre uns heute erscheinen – und wie nah das eigentlich ist, historisch gesehen: Brutale Rassendiskriminierung im industriell entwickeltsten Land der Erde, John F. Kennedy war Präsident, die Armee bombardierte Nord-Vietnam.
    Danny Lyon geriet eher zufällig in die Bürgerrechtsbewegung: In den Semesterferien beobachtete er ein Sit-in schwarzer Studenten in Illinois, die gegen die Rassentrennung vor einem nur für Weiße offenen Schwimmbad protestierten. Lyons' Bilder dokumentieren die bei solchen Anlässen übliche Polizeigewalt, und der Fotograf wusste plötzlich, was seine Berufung war. Er reiste mit der Protestbewegung, fotografierte Versammlungen, Verhaftungen, Trauerfeiern. Dabei entstehen ikonische Fotos wie "The March on Washington" vom 28. August.
    1963, demonstrierende Schwarze, in die Hände klatschend, einer reckt den Arm nach oben – eine Vorform der erhobenen Faust, mit der die Sprinter Tommie Smith und John Carlos dann bei den Olympischen Spielen 1968 während der Siegerehrung gegen die Rassendiskriminierung protestierten. Ein spätes Video, 50 Jahre danach, zeigt aber auch, wie naiv das alles war – einerseits "Black Power", andererseits schuldlos inhaftierte, gläubige schwarze Mädchen, die machtvolle Gospels sangen.
    Ausgebeutete und Loser
    Lyon wurde zeitweise zum offiziellen Fotografen des "Student Nonviolent Coordinating Committee". Teilnehmender, engagierter, vielleicht sollte man ehrlichkeitshalber auch sagen: eingebetteter Fotojournalismus, "new journalism" war das. Einige Jahre zuvor, 1958, hatte Robert Frank "The Americans" publiziert - diese Mischung aus Reportage- und Kunstfotografie war für Lyon Vorbild und Maßstab, und das sieht man: Schwarz-Weiß-Bilder, in der Aktion geschossen oder im besonderen Moment, nah bei den Leuten, parteiisch und kompromisslos.
    Die Ausstellung in Winterthur zeigt dann die wesentlichen Themen des Danny Lyon. Er blieb da, wo es wehtut, ganz unten, bei den Ausgebeuteten und Losern, und er kommt ihnen sehr nah. Als Mitglied einer Motorradgang, des "Chicago Outlaws Motorcycle Club", bereiste er die USA – der Band "The Bikeriders" zeigt diesen ungeheuren Wunsch nach Weite und Freiheit, der offenbar nur mit motorisierter Gewalttätigkeit verwirklicht werden kann. Man wird zum Geächteten, um sich spüren zu können – fast schmerzhaft vorgeführt auch in Lyons' Film über den Tattoo-Fräser Bill Sanders.
    "Ja, hi, du warst in Vietnam? Okay, ich mach dir ein Tattoo." Das Bedürfnis, sich Embleme in die Haut brennen zu lassen, ist ein soziales Unterscheidungsmerkmal. Sanders verunstaltet auch die Körper von Frauen, verziert Hintern und Brüste der nun endgültig Deklassierten.
    Verstörende Fotos aus den Sechzigerjahren
    Das tut weh, ebenso wie Danny Lyons Gespräche mit Gefängnisinsassen, ausgegrenzten Schwulen, Arbeitern ohne Papiere. Lyon hat oft mit O-Tönen und Protokollen gearbeitet, nicht nur im Film, Interview-Soundtracks ergänzen bedrohlich die Fotos. Seine Serien über die Verhältnisse in amerikanischen Gefängnissen, über Minen- und Erntearbeiter und Grenzgänger in New Mexico, Ausgebeutete und Straßenkinder in Kolumbien, Bolivien, Haiti bringen auf subtile Weise Gewalt ins Bild. Wir können den Schmerz der Portraitierten nicht fühlen, aber ahnen. Noch verstörender sind allerdings jene Fotos aus den Sechzigerjahren, die metaphorisch arbeiten – wenn Lyon den profitbedingten Abriss des alten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Lower Manhattan dokumentiert oder die zerbeulten Autos der Stockcar-Rennen zeigt: Man zerstört den Gegner, bis keiner mehr fahren kann.
    Das sind Sinnbilder gesellschaftlicher Zustände. Danny Lyon, jetzt 75, ist immer noch tätig; manchmal fotografiert er für die "Occupy"-Bewegung, manchmal aber auch nur Felsbrocken und Water Tanks in der Wüste von New Mexico. Wasser für die Wüste – Danny Lyon hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Wüste als solche kenntlich wird.