"Sport ist ein mächtiges Mittel, um Brücken zu bauen, Menschen zusammenzubringen und Frieden zu gestalten." - So lautet ein Zitat von IOC-Präsident Thomas Bach auf der Website des Internationalen Olympischen Komitees. Damit stellt er sich ganz in die Tradition von Pierre de Coubertin. Als der 1896 die modernen Olympischen Spiele ins Leben ruft, will er dem Nationalismus in Europa entgegenwirken. Um einander zu respektieren, müsse man sich kennen lernen, so seine Idee.
Deutschlands erfolgreichste Sommerolympionikin Birgit Fischer sieht in den Spielen auch heute noch ein Symbol der friedlichen Begegnung: "Die Olympischen Spiele verfolgen eigentlich immer noch das gleiche Ziel, nämlich nach außen zu zeigen: Hier wohnen vier Wochen lang Sportler unterschiedlicher Herkunft im Olympischen Dorf und vertragen sich gut, haben alle das gleiche Ziel, wollen Olympiasieger werden und es geht. Allerdings ist das eben eine kleine, abgeschottete Blase, in der wir uns da vier Wochen lang bewegen, die man aber natürlich mit der großen Welt gar nicht vergleichen kann."
Spiele als Bühne für politische Konflikte
Eine Blase, unabhängig und immun gegen politische Konflikte - blickt man in die Geschichte der Spiele, hat das eher selten geklappt: 1936 lässt sich das IOC von den Nazis instrumentalisieren, 1972 sterben beim Olympia-Attentat israelische Sportler, in den 80er-Jahren gibt es Boykotte der Großmächte. Sporthistoriker Dr. Manfred Lämmer sieht die Spiele sogar eher als Austragungsort politischer Konflikte:
"Das Trennende im Olympischen Bereich nahm doch eigentlich immer zu. Und Aversionen nahmen zu, Sportveranstaltungen waren in gewisser Weise Stellvertreter-Kriege. Vor allen Dingen auch im Ostblock, denken Sie an die Eishockeyspiele Tschechoslowakei gegen Russland. Das waren doch jeweils regelrechte Kriegserklärungen und Kriege."
Der Sport verbindet
Und doch bleibt ein verbindendes Element: Der Sport. Für Schwimmerin Sarah Köhler ist es genau das, was Gespräche und gegenseitiges Kennenlernen einfach macht. Also doch gelebte Völkerverständigung?
"Dadurch, dass in so einem Dorf alles vermischt ist, würde ich schon sagen, dass es so Richtung Völkerverständigung geht. Man begegnet sich auch einfach jeden Tag. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass es irgendwo Grenzen zwischen irgendwelchen Nationen gab, dass man sich komisch gefühlt hat oder so. Es war einfach. Alle zusammen in so einem Dorf wie eine Großfamilie würde ich jetzt nicht sagen, aber Grenzen oder irgendetwas gab es nicht, nicht für mein Gefühl."
Auch als ehemalige DDR-Athletin hat Kanutin Birgit Fischer im Olympischen Dorf nie Ausgrenzung erlebt. Von 1980 bis 2004 hat sie sechsmal an den Spielen teilgenommen. Während dieser Zeit hat sie miterlebt, wie das Ideal der Völkerverständigung aber immer weiter in den Hintergrund gerückt ist:
"Das war ja dann natürlich auch ein bisschen in Mode gekommen, dass einige Sportler nicht mehr im Olympischen Dorf schliefen. Also das, was Olympia eigentlich ausgemacht hat: Das Olympische Dorf, dass sich dort alle trafen, dass man Kontakt zu jedem haben konnte, egal welche Sportart, und man konnte wirklich aufeinander zugehen. Und das war am Anfang wirklich irgendwie doch noch größer geschrieben als jetzt."
Ursprünglicher Sinn der Spiele ist nicht mehr zeitgemäß
Schuld daran sei in ihren Augen die Kommerzialisierung und Professionalisierung der Spiele. Heute sei man weit entfernt von den ursprünglichen Wurzeln. Das sieht auch Manfred Lämmer so:
"Die Olympischen Spiele sind in gewisser Weise Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Sie sind so kommerziell und medial und politisch erfolgreich geworden, dass sich der Sinn sozusagen gelöst hat. Die Idee ist weg. Die Spiele unterscheiden sich in keiner Weise mehr von einer Fußballweltmeisterschaft. Im Grunde genommen ist der Sinn, wenn er manchmal beschworen wird, nur ein Firnes, der so ganz leicht über dem Ganzen schwebt."
Die Olympischen Spiele haben sich gewandelt. Coubertins Idee, Nationen durch den Sport zusammenzubringen, ist geblieben. Doch sie ist so nicht mehr zeitgemäß. Im Zeitalter des Massentourismus und der Digitalisierung brauche es keine Olympischen Spiele, um sich zu begegnen, meint Manfred Lämmer:
"Um zu einer Begegnung zu kommen? Ja, nicht Olympische Spiele für 12 Milliarden! Das wäre ja eine Fehlinvestition sondergleichen! Also diese Milliarden, die lohnen sich nur, wenn die Spiele jenseits der reinen Begegnung von 10.000 Athleten und Athletinnen, die sich von den vielen Wettkämpfen sowieso schon kennen und die sich vor Ort aus dem Weg gehen, weil sie sich auf ihre Leistung konzentrieren, stattfinden. Da bin ich der Meinung, dass man diese Olympischen Spiele dafür nicht benötigt."
Völkerverständigung auf der Tagesordnung der DSJ
An Begegnungen abseits des olympischen Dorfes arbeitet die Deutsche Sportjugend (DSJ). Sie organisiert während der Spiele Jugendlager im Austragungsland. Hier gehört die Völkerverständigung in Form von Bildung und kulturellem Austausch zur Tagesordnung. Wobei Benny Folkmann, 2. Vorsitzender der DSJ, den Begriff "Völkerverständigung" nicht benutzt:
"Wir sprechen eher von interkulturellem Lernen, das wir uns als Zielsetzung gesetzt haben. Die Idee ist dieselbe Idee geblieben, nämlich über den Sport als niedrigschwelligstes Instrument überhaupt verschiedene Kulturen zusammenzubringen. Ich glaube, der Begriff des Volkes ist so ein bisschen überholt in dem Zusammenhang, weil auch dieser Nationalismus nicht mehr so vorherrscht. Also es ist alles sehr viel bunter, viel internationaler."
Aber nicht nur der Sport kann als Mittel dienen, kulturelle Barrieren abzubauen. Begegnen könne man sich auf allen internationalen Kulturveranstaltungen, so Kanutin Birgit Fischer: "Ich finde es ganz wichtig, dass man sich auf diesem Level, auf dieser Ebene auch zu diesen großen Sachen trifft, weil dort schon gezeigt wird, dass man, solange man zusammen ein Ziel verfolgt und redet, auch Friede herrscht. Zumindest dann in diesem Moment. Meines Erachtens bedient Olympia diesen Fakt der Völkerverständigung auch weiterhin."