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Der Sport auf der Suche nach dem „Wir“ (3)
Spielfeld für Separatismus

In einigen Regionen Spaniens dient der Fußball als emotionale Kulisse für das Streben nach Unabhängigkeit. Im Baskenland ist der Traditionsklub Athletic Bilbao Symbol für Eigenständigkeit. Der Verein ist eng mit der Politik verbunden und setzt ausschließlich auf Spieler mit baskischen Wurzeln.

Von Ronny Blaschke |
Die Spieler der Mannschaften stehen zu einem durchmischten Mannschaftsfoto zusammen.
Die Mannschaften von Real Sociedad de San Sebastian und Athletic de Bilbao posieren vor einem Spiel gemeinsam mit der baskischen Fahne (2010) (imago/Alterphotos)
Im San Mamés, dem Stadion von Athletic Bilbao, gehört das Vereinsmuseum zu den Attraktionen. Auf einer Videowand scheppert eine Dampflok durchs Bild. Hochöfen, Schiffsirenen, hart arbeitende Männer. Der Film erinnert an das späte 19. Jahrhundert, als Bilbao zu den wichtigsten Industriestandorten zählte. Britische Einwanderer gründeten Athletic 1898 mit einem englischen Klubnamen, erzählt Museumsdirektor Asier Arrate.
"Der Klub wurde schnell zu einem wichtigen Symbol im Baskenland. Athletic setzt auf eine lokale Identität und steht für eine enge Verbindung zwischen Verein und Fans. Die Welt hat sich seit der Vereinsgründung enorm verändert, aber Athletic bleibt seiner Kultur treu: Wir müssen nicht unbedingt die Besten sein, aber wir wollen in den Spiegel schauen können."
Asier Arrate sitzt an einem Tisch
Asier Arrate, Direktor des Athletic-Bilbao-Vereinsmuseums (Blaschke/Dlf)

Unter Franco wurden baskische Traditionen unterdrückt

Bereits in den 1930er Jahren nutzten baskische Politiker die Vernetzungskraft von Athletic. Der ehemalige Spieler José Antonio Aguirre wurde 1936 Regionalpräsident des Baskenlandes. Aguirre unterstützte den Aufbau eines baskischen Nationalteams, auch als Werbung für eine mögliche Loslösung von Spanien. Nach dem Spanischen Bürgerkrieg 1939 war es damit jedoch vorbei, berichtet Asier Arrate: "Diktator Franco drängte regionale Traditionen zurück. Auch ausländisch klingende Vereinsnamen wurden verboten. So musste sich der Klub umbenennen: aus Athletic wurde Athlético. Die baskischen Wurzeln gerieten in den Hintergrund."
Auch im Baskenland lebten Faschisten. Es heißt sogar, Franco habe Sympathien für den Fußball in Bilbao gehabt, wegen der lokalen Verwurzelung. In den Jahrzehnten der Diktatur entwickelten jedoch viele Basken eine große Abneigung gegen die Zentralmacht in Madrid. 1976, kurz nach Francos Tod, trafen im baskischen Derby die Teams aus Bilbao und San Sebastián aufeinander. José Maria Etxebarria war als Jugendlicher auf der Tribüne dabei: "Vor dem Anpfiff steckten beide Mannschaftskapitäne die Flagge des Baskenlandes in den Anstoßpunkt. Fast vierzig Jahren waren unsere Symbole verboten. Dieses Spiel war wie eine Wiedererweckung. Und die Bilder kennt heute in Bilbao jedes Kind. Es war spektakulär."

Bruderschaft statt Rivalität

José Maria Etxebarria ist Mitglied der PNV, der einflussreichsten Partei im Baskenland. Die PNV bemüht sich seit Jahrzehnten um gute Kontakte zu den baskischen Klubs. 1977 übernahm der PNV-Politiker Jesús María Duñabeitia das Präsidentenamt bei Athletic Bilbao. Baskische Musiker traten wieder im Stadion auf. Auch immer mehr Fans forderten politische Autonomie. Mit Erfolg: In Spanien wurde Baskisch als eine Nationalität festgelegt und zu einer Amtssprache erhoben. Der Fußball bot dafür eine Bühne, sagt Sid Lowe, Fußballkorrespondent für den britischen Guardian.
"Real Sociedad aus San Sebastián gewann 1981 und 1982 die spanische Meisterschaft, Athletic Bilbao in den beiden Jahren darauf. Diese vier Titel wurden als Gesamterfolg für das Baskenland angesehen. Und das in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Inzwischen ist die Konkurrenz zwischen Bilbao und San Sebastián wieder gewachsen. Aber bei den Derbys gibt es keine Gewalt. Es ist eine Art Bruderschaft."
Sid Lowe sitzt an einem Café-Tisch und blickt in die Kamera
Sid Lowe, Fußballkorrespondent für den britischen Guardian (Blaschke/Dlf)

Einige Fans verharmlosen ETA-Terror

Doch der baskische Nationalismus hat auch die ETA hervorgebracht. Die Untergrundorganisation tötete bis zu ihrer Auflösung 2018 mehr als 800 Menschen. 1986 entführte die ETA den Unternehmer Juan Pedro Guzmán, ein Vorstandsmitglied von Athletic Bilbao, kurz darauf wurde er wieder freigelassen. Zudem verschickte die ETA Erpresserbriefe an wohlhabende Basken, auch an den langjährigen FC-Bayern-Profi Bixente Lizarazu, geboren auf der französischen Seite des Baskenlandes. Die ETA hatte einige hundert Mitglieder, aber Zehntausende Sympathisanten.
Der Journalist Sid Lowe sagt dazu: "Einige Fans haben sich nicht klar vom Terrorismus distanziert. Andere forderten die Freilassung von inhaftierten ETA-Mitgliedern. Für viele Basken ist Athletic Bilbao das inoffizielle Nationalteam des Baskenlandes. Und damit auch eine Bühne für politische Botschaften."
Seit mehr als hundert Jahren setzt Athletic Bilbao ausschließlich auf Spieler mit baskischen Wurzeln. Lange wurden nur gebürtige Spieler aus der Region zugelassen. Mittlerweile ist nicht mehr ihr Geburtsort zentral, sondern ihr "Aufwachsen im baskischen Fußball". Eine der prägenden Figuren der Vereinsgeschichte ist José María Amorrortu, der bei Athletic als Spieler, Trainer und Manager tätig war: "Bei der Talentsuche arbeitet Athletic mit vielen Partnervereinen und Scouts zusammen. Mit diesem Modell ist Athletic noch nie aus der ersten Liga abgestiegen. Aber es gibt keine Garantie, dass das für immer so bleibt."
José María Amorrortu steht in Trainingskleidung neben einem Fußballplatz.
José María Amorrortu, prägende Figur bei Athletic Bilbao (Blaschke/Dlf)

EM-Gastgeber für das unbeliebte Nationalteam

Die Beschränkung auf baskische Spieler ist in keiner Satzung festgeschrieben. Vermutlich würde sich sonst das spanische Verfassungsgericht äußern. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu Debatten über familiäre Hintergründe der Profis, vereinzelt auch zu Rassismus gegen Spieler mit afrikanischen Wurzeln. Inzwischen wird die Vereinspolitik von Athletic landesweit überwiegend positiv bewertet, sagt der Journalist Florian Haupt, der für deutsche Zeitungen über den spanischen Fußball berichtet.
"Es wird als Statement für einen verwurzelten Fußball gesehen. Und nicht als Ausgrenzung. Inzwischen sind die Argumente auch besser geworden, wenn man so will, aus Athletic-Sicht, seitdem einer der größten Stars der Mannschaft, Iñaki Williams, ein schwarzer Spieler ist, dessen Eltern, als er noch gar nicht geboren war, nach Spanien auswanderten und der im Baskenland aufgewachsen ist."
Florian Haupt blickt in die Kamera.
Florian Haupt berichtet für deutsche Zeitungen über spanischen Fußball (Blaschke/Dlf)
Viele Fans von Iñaki Williams und Athletic Bilbao wollen nichts mit dem spanischen Nationalteam zu tun haben. Häufig sind Einschaltquoten bei Länderspielen im Baskenland geringer als in anderen Regionen. Dennoch soll die spanische Mannschaft nun bei der Europameisterschaft ihre Vorrunde in Bilbao bestreiten. In Madrid oder Sevilla könnte sie wohl mit wesentlich mehr Unterstützung rechnen.