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Der Sport auf der Suche nach dem "Wir" (4)
Geflüchtet in den deutschen Spitzensport

Das Wir im Sport - Zusammenhalt, Mannschaftsgefühl, gemeinsames Mitfiebern, Siegen oder Verlieren. Doch wie geht es Geflüchteten damit, die aus einem fremden Land kommen? Plötzlich Teil eines neuen Teams sind und dann im deutschen Nationaltrikot starten?

Von Sabine Lerche |
Ein Trainingsanzug eines deutschen Sportlers bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio.
Olympia im deutschen Trikot: Der Traum einiger Flüchtlinge (dpa)
"Man muss ihnen eine Aufgabe geben!" - so appelliert Kanu-Bundestrainer Detlef Hofmann für den Umgang mit Geflüchteten. Er selbst trainiert und betreut Saeid Fazloula. Als der junge Iraner nach seiner Flucht 2015 zum ersten Mal zu den "Rheinbrüdern" gekommen ist, hat der Leistungssport erstmal keine Rolle gespielt, erinnert sich Hofmann:
"Er kam dann einfach und wie so ein Häuflein Elend saß er dann vor uns und sein Satz, den er dann gebracht hat, war so nach dem Motto: 'Ich war der langsamster Paddler im ganzen Rheinauhafen.' Das war am Anfang auch so, weil er hatte ja auch das Ganze durchgemacht. Das musste er auch verarbeiten. Das war nicht so einfach. Von daher war das reine Nächstenliebe, ihm einfach zu helfen, hier Fuß zu fassen. Einfach über die Sportler die Sprache zu lernen und diese ganzen Geschichten. Die waren uns da einfach wichtig."

Langer Weg in die Spitzenkader

In Deutschland gibt es rund 3.500 Stützpunktvereine für Integration. Gefördert vom DOSB. Sie sollen unterstützen im und durch Sport. Von Leistungssport erstmal keine Spur. Dennoch sind unter den Geflüchteten auch einige Leistungssportler und Leistungssportlerinnen, die ihren Sport in Deutschland weiterführen möchten.
Der Einzug der Flüchtlingsmannschaft bei den Olympischen Spielen in Rio 2016
Der Einzug der Flüchtlingsmannschaft bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 (dpa/picture alliance / AP Photo | David J. Phillip)
Die Anforderungen dafür sind hoch: Um in die Kader der deutschen Spitzenfachverbände aufgenommen zu werden, brauchen die geflüchteten Athleten und Athletinnen die deutsche Staatsbürgerschaft. Und natürlich eine ausreichende sportliche Leistung. Wer nur Mitglied in einem deutschen Verein ist, kann nur bei Welt- und Europameisterschaften im deutschen Trikot starten.

Auch die Persönlichkeit zählt

In manchen Sportarten zählt neben den Regularien aber auch die persönliche Einstellung der Geflüchteten. Taekwondo-Bundestrainer Georg Streif wählt zum Beispiel genau aus, wer in die Betreuung des deutschen Teams aufgenommen wird:
"Dann sage ich immer, ich möchte gerne das persönliche Gespräch, ich will euch in die Augen schauen. Und ich will wissen, ob ihr auch wirklich in Deutschland starten wollt, weil ihr das Ziel habt, euer zukünftiges Leben in Deutschland zu leben. Es gibt manche, die wollen nur gewisse Förderungen ausnutzen oder schauen, wo bekomme ich am meisten."

Sport als Anker im fremden Land

Der Sport ist nicht nur Anhaltspunkt und eine Möglichkeit zur Integration. Er gibt den Athleten und Athletinnen auch Halt in einem fremden Land. So war es bei Langstreckenläuferin Melat Kejeta aus Äthiopien:
"Laufen, das ist für mich mein Leben. Also ich kann nicht ohne Laufen leben. Das hilft mir auch, der Sport hilft mir, auch wenn ich Stress habe. Wenn ich nach Deutschland komme, das ist nicht einfach: Die Sprache, die Menschen, die Kultur, das ist anders als Afrika. Wenn ich mich mit meinem Sport beschäftige, dann hat mich das nach vorne gebracht. Also es geht um den Sport, aber ich bin auch stolz, dass ich das Trikot trage und deutsch geworden bin."

Sportliche Leistungen zeigen Dankbarkeit

Kejeta ist 2013 nach Deutschland gekommen. Ihr Traum ist es, für Deutschland eine olympische Medaille zu gewinnen. Für den Kanuten Saeid Fazloula sind die sportlichen Leistungen vor allem wichtig, um damit Danke zu sagen:
"Ohne Rheinbrüder hätte ich wirklich keine Chance. Die haben mich natürlich in Deutschland gut präsentiert. Wir hatten auch so viele Interviews, in denen die schön über mich geredet haben. Vielleicht war ich 2013/14 auch kein so guter Mensch, wie ich es jetzt bin. Aber dann habe ich gesagt: 'Okay, Mensch, wenn die so viel auf dich aufpassen, musst du auch selber auf dich aufpassen.' Und ich hatte als Dankeschön nichts anderes zu geben als meine Leistung zu zeigen."
Rabbia Khalil lächelt in die Kamera.
Ringer Rabbia Khalil - Der "kölsche Palästinenser" will nach Tokio
Aus Köln für Palästina nach Tokio – das ist der Traum des Ringers Rabbia Khalil. Der 35-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen, trägt das palästinensische Nationaltrikot aber mit großem Stolz. Nun trainiert er mit höchster Konzentration, um einen Startplatz bei den Olympischen Spielen zu erringen.
Aus diesem Grund will auch Taekwondo-Kämpfer Kasra Mehdipournejad für das deutsche Nationalteam antreten. Sobald er die deutsche Staatsbürgerschaft hat, möchte er bei den Olympischen Spielen im deutschen Trikot kämpfen:
"Wenn ich für Deutschland antrete, denke ich: Dieses Land hat mich dabei unterstützt, wieder ins normale Leben und auch ins Berufsleben zurückzukehren. Das war erstaunlich für mich. Und nie hat jemand gesagt, dass ich kein Deutscher bin. Sie haben mir immer gesagt, dass ich ein toller Athlet bin und sie mich gerne unterstützen. Sie unterstützen mich immer und überall, nicht nur im Sport, sondern auch als Mensch, auch als normale Person. Es ist mein Ziel in der Zukunft, etwas für dieses Land zu tun."

Im Refugee-Team des IOC

Der DOSB unterstützt aktuell acht geflüchtete Athleten und Athletinnen mit einem Stipendium durch das Olympic Solidarity-Programm des IOC. Dazu gehören auch Kasra Mehdipournejad und seit Februar Saeid Fazloula. Aus diesem Team treten bei den Olympischen Spielen seit 2016 Sportler und Sportlerinnen gemeinsam als Flüchtlingsteam an. Bei den Spielen in Tokio will auch Kasra Mehdipournejad dabei sein:
"Ich möchte meine Fähigkeiten als Flüchtling zeigen. Ich möchte den Menschen auf der ganzen Welt zeigen: Es geht darum, dass die Flüchtlingssportler Champion sein können, dass sie erfolgreich sein können, dass sie olympische Medaillen oder Weltmedaillen gewinnen können."
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Wen das IOC für das Refugee Team auswählt, hängt nicht nur von der sportlichen Leistung ab. Auch die sportliche und geografische Vielfalt spielen eine Rolle. So kommen die Athleten und Athletinnen aus unterschiedlichen Ländern und Sportarten. Trotzdem empfindet Mehdipournejad ein Gemeinschaftsgefühl zwischen den Athleten und Athletinnen des Refugee Teams:
"Wir sind nur sechs Sportler*innen im Taekwondo. Zwei oder drei Athlet*innen in Deutschland, und andere irgendwo aus den Niederlanden oder Belgien. Es ist wirklich schwierig, als Team zu trainieren. Wir trainieren alleine. Und wenn wir Wettkämpfe haben, unterstützen wir uns gegenseitig, wir reden miteinander als ein Flüchtlingsteam. Wir glauben, dass wir ein wirklich gutes Team sind."

Anerkennung und Akzeptanz in Deutschland

Auch in den nationalen Trainingsgruppen erfahren die geflüchteten Athleten und Athletinnen viel Akzeptanz, Respekt und Zugehörigkeit. Für Kanute Fazloula ist seine Trainingsgruppe wie eine Familie. Obwohl er zu Beginn auf Widerstand gestoßen ist, berichtet Trainer Detlef Hofmann:
"Da kann man schon sagen, dass da auch große Anfeindungen waren. Man muss auch sagen, da gab es den einen oder anderen Gegner, der auch nicht unbedingt froh war, dass er da war oder dass er ihm den Platz in der Nationalmannschaft weggenommen hat. Aber ich denke, wichtig für ihn war auch die interne Rückzugszone innerhalb des Vereins. Das waren auch tolle emotionale Geschichten. Aber außerhalb, da ist sicherlich nicht alles Gold, was glänzt."
Im Taekwondo hat Georg Streif bisher keine Anfeindungen zwischen geflüchteten und deutschen Athleten und Athletinnen oder Sportlern und Sportlerinnen mit Migrationshintergrund erlebt. Im Gegenteil:
"Also das ist absolut das Phantastische: Da ist absolut null Ausgrenzung. Außer jemand benimmt sich nicht, da ist es ganz egal, wo der herkommt, welche Nation. Das haben wir natürlich auch. Aber auch in den Kämpfen muss ich sagen: Also unser Kampf ist ja doch hart und danach liegen die sich in den Armen, am Abend bei der Party kommt jeder miteinander aus."
Kasra Mehdipournejad darf bei der deutschen Nationalmannschaft unter Georg Streif mittrainieren, zum Beispiel in gemeinsamen Trainingslagern. Er fühlt sich dort wohl:
"Ich habe nicht das Gefühl, dass ich anders bin, denn alle Möglichkeiten, die sie haben, habe ich auch. Und wir haben immer ein gutes Verhältnis. Ich habe das Gefühl, sie sind meine Freunde. Sie sind auch glücklich. Ich habe nie etwas Negatives empfunden, alles war positiv."

Integration schafft man nicht alleine

Bisher hat nur Melat Kejeta von den dreien die deutsche Staatsbürgerschaft und könnte bei den Olympischen Spielen für Deutschland starten. Dass sie, Saeid Fazloula und Kasra Mehdipournejad Paradebeispiele für Integration sind, ist ihnen klar. Fazloula ist aber davon überzeugt, dass das nicht nur an ihm liegt:
"Man muss halt Flüchtlinge orientieren. Natürlich gibt es auch schlechte Flüchtlinge, aber auch gute Flüchtlinge. Es gibt auch so Flüchtlinge wie mich, der erfolgreich ist. Und man kann auch so erfolgreich sein, wenn man so viel Liebe von anderen Leuten kriegt."