Das Nationalteam von Nordirland bestreitet Heimspiele im Windsor Park. Das Stadion liegt in einem Viertel von Belfast, in dem überwiegend Protestanten leben. In den Straßen thematisieren alte Wandmalereien die Abneigung gegen Katholiken. Ebenfalls zu Hause im Windsor Park: der Linfield Football Club. Beim nordirischen Rekordmeister galt lange ein Verbot für katholische Spieler, erzählt der Historiker Cormac Moore.
"Rugby, Kricket, Hockey: In einigen Sportarten gibt es gesamtirische Nationalteams. Doch im Fußball orientieren sich Klubs und Fans an Konfessionen. Viele protestantische Anhänger der nordirischen Nationalmannschaft halten zu Großbritannien. Vor Länderspielen singen sie God Save the Queen. Katholische Nordiren meiden oft diese Atmosphäre und unterstützen das Nationalteam der Republik Irland."
Hassgesänge in Stadien
Die Ursprünge für den Konflikt im Fußball liegen mehr als hundert Jahre zurück: 1916 erheben sich in Irland katholische Nationalisten gegen die langjährige Herrschaft des Vereinigten Königreiches. Ausschreitungen münden in einen Bürgerkrieg. Auch Fußballstadien dienen der Propaganda und Mobilisierung von Kämpfern. In den 1920er Jahren folgt die Teilung Irlands, in einen pro-britischen Norden und einen pro-irischen Süden. Fortan wollen zwei Fußballverbände die Insel repräsentieren, sagt Cormac Moore, der über dieses Thema ein Buch geschrieben hat.
"Vor allem in Belfast waren die Spannungen allgegenwärtig. Der Fußball war eine Bühne für politische Symbole. Regelmäßig kam es bei Spielen zu Ausschreitungen. Belfast Celtic, damals der wichtigste Klub der katholischen Nationalisten, zog sich aus dem Spielbetrieb zurück. Es war für sie zu gefährlich geworden."
Der Nordirland-Konflikt prägt für Jahrzehnte die Insel – und eskaliert ab den späten Sechziger Jahren. Ausschreitungen, Attentate, Bombenangriffe. In Belfast manifestiert sich die Segregation in protestantische und katholische Viertel. Auch die Fußballklubs haben selten gemischte Anhängerschaften. In den Stadien: Schlägereien, Hassgesänge, die Glorifizierung von Terror. Etliche Fans haben Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen, berichtet der Autor Benjamin Roberts, der über die nordirische Fußballgeschichte ein Buch verfasst hat.
"In den Siebziger Jahren bestritt Nordirland zeitweise keine Heimspiele im eigenen Stadion. Man hatte Angst, dass im Windsor Park eine Bombe explodieren könnte. Auch Anfang der Neunziger Jahre gab es eine Serie von Anschlägen. Und in dieser Stimmung fand 1993 in Belfast ein WM-Qualifikationsspiel zwischen Nordirland und der Republik Irland statt. Selten war ein Stadion so voller Feindseligkeit."
Nordirland verliert Spieler an den Rivalen
Es gibt immer wieder katholische Spieler im Nationalteam von Nordirland, zum Beispiel die Torwartikone Pat Jennings. Doch nach dem Spiel 1993 gilt die Auswahl als Symbol für die Selbstbehauptung der Protestanten. Zu jener Zeit feiert im Süden die Nationalmannschaft der Republik Irland Erfolge, qualifiziert sich für die Weltmeisterschaften 1990 und 1994, erinnert der Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling, der in Nordirland gelebt und recherchiert hat.
"In dem Moment hatten die Katholiken in Nordirland eine Alternative. Und dann haben sich viele Katholiken der Republik Irland zugewandt. Und das galt dann auch für Spieler in Nordirland. Das ist etwas, was den nordirischen Fußballverband später sehr verbittert hat. Dass Spieler, die ihre Ausbildung in Nordirland machten und dort die Nachwuchsteams durchliefen, dann für die Republik Irland votierten. Mit der Republik Irland hattest du eher eine Chance, auf der internationalen Bühne zu spielen."
Das Karfreitagsabkommen von 1998 befriedet die Lage, doch immer wieder tritt der Konflikt an die Oberfläche. Im Jahr 2000 wechselt der nordirische Nationalspieler Neil Lennon zu Celtic Glasgow. Ein Katholik bei einem schottischen Klub mit katholischen Fans. Lennon wird von Protestanten beleidigt. Auch aus dem Umfeld des protestantisch geprägten Rivalen Glasgow Rangers. Lennon erhält Morddrohungen und tritt aus dem nordirischen Nationalteam zurück. Vereine in Nordirland entwickeln fortan Projekte für Versöhnung. Der Konfliktforscher David Mitchell vom Trinity College in Dublin hat diese Projekte erforscht.
"Viele Organisationen, die sich für Frieden einsetzen, haben den Sport aufgegriffen, um Menschen zusammenzubringen. Der Wettkampfcharakter ist dabei nicht so wichtig. Ein Projekt aus dem Basketball nennt sich ,Friedenspieler‘. Viele Sportverbände haben Experten beauftragt. Doch die Gesellschaft ist gespalten. Jugendliche gehen in unterschiedliche Schulen. Es gibt wenige neutrale Orte, wo sie sich begegnen."
Die Lage bleibt fragil
Immer wieder bemühen sich Friedensstifter in Belfast um den Bau eines neuen Stadions für die drei großen Sportarten Fußball, Rugby und Gaelic Football. Doch die Initiative scheitert. Der nordirische Fußballverband drängt mit Kampagnen und Strafen die Hassgesänge zurück. Doch weiterhin werden Symbole als Ausgrenzung wahrgenommen. Vor Fußballländerspielen erklingt die britische Hymne. Beim auf der Insel beliebten Gaelic Football die irische Hymne. Doch es gibt Alternativen, sagt David Mitchell.
"Im Rugby wurde eine neutrale Hymne geschaffen. 1995 erhielt ein Komponist den Auftrag dafür. Dieses Lied ist bis heute ein Erfolg, denn jeder kann mitsingen. Es gibt also innovative Ideen, um die trennende Symbolik zu überwinden."
Bei der Europameisterschaft 2016 scheitern Nordirland und Irland jeweils erst im Achtelfinale. Große Häme bleibt aus, stattdessen gegenseitiger Respekt. Aber die Lage bleibt fragil, wie die Ausschreitungen in Belfast in den vergangenen Wochen zeigen. Wegen Corona finden Fußballspiele in Nordirland aktuell ohne Zuschauer statt. Im Konflikt vermutlich kein Nachteil.