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Der Streit um den Schrifsteller Ernst Moritz Arndt
"Verdrängen ist an und für sich niemals gut"

Er ist der Verfasser von berühmten Schriften und hoch umstritten: Der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt galt als Franzosenhasser und Judenfeind. Die Universität Greifswald lehnte es deswegen Mitte Januar ab, weiterhin nach ihm benannt zu sein. Im DLF erklärte der Neuhistoriker Joachim Scholtyseck, warum es falsch wäre, Arndt zu verdrängen.

Joachim Scholtyseck im Gespräch mit Michael Köhler |
    Joachim Scholtyseck, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bonn, posiert am Donnerstag (22.11.2007) in seinem Seminar in Bonn. Der Historiker wird die Geschichte der deutschen Unternehmerfamilie Quandt aufarbeiten. Dazu übernimmt Scholtyseck über die Dauer von drei Jahren ein Forschungsprojekt, das die Vergangenheit zwischen dem Beginn der unternehmerischen Aktivitäten im 19. Jahrhundert bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts lückenlos aufklären soll. Bei der Aufarbeitung kann der Historiker aufbesonders umfangreiche Quellen zurückgreifen. Besonders reize ihn, dass er Einsicht in das Familienarchiv erhalten werde, sagteScholtyseck der Deutschen Presse-Agentur. Foto: Felix Heyder dpa/lnw (zu dpa 0332 vom 22.11.2007) +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
    Joachim Scholtyseck ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bonn. In der Vergangenheit arbeitete er die bereits Geschichte der deutschen Unternehmerfamilie Quandt auf. (dpa / Felix Heyder)
    Michael Köhler:Die Universität Greifswald hat es Mitte Januar abgelehnt weiterhin nach Ernst Moritz Arndt zu heißen. Dessen antisemitische und nationalistische Text gaben dafür den Ausschlag Sie nennt sich Universität Greifswald. Länger aber noch als in Greifswald hat der Schriftsteller, Historiker, der Reformer und Frühdemokrat in Bonn gelehrt. An der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universität war er ab 1841 bis 1854 Rektor. Dort gibt es ein Ernst Moritz Arndt Museum, ein Denkmal, ein Gymnasium. Ich habe deshalb den Neuhistoriker von der Uni Bonn Joachim Scholtyseck gefragt, gibt es nicht gute Gründe, den Franzosenhasser und Judenfeind, auch aus dem öffentlichen Bild der rheinischen Universitätsstadt zu verdrängen oder ist das "Geschichtsexorzismus"?
    Joachim Scholtyseck: Ja, also, verdrängen … Verdrängen ist an und für sich niemals gut. Man muss sich als Historiker oder auch als politisch interessierter Bürger in der Bundesrepublik für diese Vergangenheit interessieren. Verdrängen ist etwas, was so eine Art Exorzismus ist, und das sollte man niemals machen. Man muss ja nicht jemanden verherrlichen, es muss niemand auf ein Podest gestellt werden, Heldenverehrung, das ist nicht Aufgabe einer aufgeklärten Gesellschaft. Aber jemanden mehr oder weniger ganz aus der Geschichte zu streichen, das ist kein guter Weg. Und das gilt vor allem auch für Ernst Moritz Arndt, der ja nicht nur ein Franzosenhasser gewesen ist, sondern auch ein glühender Patriot, der in seiner damaligen Zeit Dinge vorangebracht hat, an denen man sich durchaus in positiver Weise erinnern sollte. Also, insofern, jemanden wegzusperren, das ist eine unkluge Entscheidung.
    "Muss tatsächlich Ernst Moritz Arndt als einen entschiedenen Gegner Napoleons sehen"
    Köhler: Er ist Verfasser von berühmten Schriften, etwa "Der Rhein. Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze". Das kann man als antinapoleonischen Patriotismus lesen, man kann es aber auch, ja, als was, als Vorform nationalkonservativer Pegida lesen, es gibt sogar Schriften, wovon manche sagen, sie seien rassistisch, also Einheit durch Reinheit. Also, gibt es nicht doch einen sehr fragwürdigen Ernst Moritz Arndt?
    Scholtyseck: Ja, also, dass es fragwürdige Seiten gibt, das ist unbestritten, das würde auch niemand heute anders sagen. Aber ihn als einen glühenden Verteidiger dieser Befreiungskriege zu sehen und ihn damit dann aber auch für etwas in Haftung zu nehmen, was also mehr als 100 Jahre später zu diesem radikalen System des Nationalsozialismus geführt hat, das wäre unhistorisch. Man muss diesen Franzosenhass und auch bestimmte antisemitische Äußerungen natürlich in der Zeit sehen. Und dass jemand wie Napoleon Bonaparte, der ganz oder einen großen Teil Europas einerseits in seinen Bann gezogen hat, auf der anderen Seite aber auch mit ziemlich brutalen Eroberungszügen erobert hat, so jemanden dann zu verbannen, das wird der Sache auch nicht gerecht. Man muss tatsächlich Ernst Moritz Arndt als einen entschiedenen Gegner Napoleons sehen, der dann auch mit seinen Schriften und mit seiner Feder als Schriftsteller gegen diesen napoleonischen Eroberungsdrang angeschrieben hat. Und er war damit natürlich sicherlich nicht alleine. Und der Rhein als eine Grenze, das ist etwas, was man auch aus dieser Zeit der Befreiungskriege heraus verstehen muss. Und um es noch einmal zu sagen: Arndt war natürlich nicht nur jemand, der antiaufklärerisch gewirkt hat, sondern er ist ein vehementer Gegner der Leibeigenschaft gewesen. Das gehört alles mit dazu.
    Köhler: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, er hat gegen die Leibeigenschaft geschrieben. Sein Vater war noch in Leibeigenschaft, hat sich freigekauft, er hat gegen Pressezensur, gegen Pfaffenherrschaft geschrieben, war Mitglied in der Frankfurter Nationalversammlung, hat sich für eine für Zivilisten schonende Landkriegsordnung ausgesprochen. Überwiegen am Ende die Vorzüge?
    Scholtyseck: Ja, ob die Vorzüge überwiegen oder nicht, das ist eine Frage, die müssen wir immer wieder neu erwägen. Also gerade eben als Gegner der Leibeigenschaft oder gegen das preußische Polizeiregime, als Kämpfer für die Pressefreiheit, das gehört auf jeden Fall mit dazu. Und das ist dann unsere …
    Köhler: Also ein früher Liberaler?
    Scholtyseck: Ja, man könnte fast sagen, ein früher Liberaler, der natürlich eben auch dafür gelitten hat. Also, dass er dann in Bonn an dieser angeblichen Reformuniversität nicht mehr lehren durfte, dass er keine Vorlesungen mehr halten durfte, das war natürlich auch ein Schritt, der ihn als einen Vorkämpfer des Liberalismus gegen die Karlsbader Beschlüsse ausgezeichnet hat. Und das muss eine Gesellschaft dann abwägen und das müssen wir abwägen gegen das, was uns heute seltsam vorkommt oder eben auch was als nicht zeitgemäß uns vorkommt und was uns auch als bedenklich vorkommt. Und da gehören natürlich seine antijüdischen Invektiven, die gehören eben auch mit dazu. Aber so eine Schwarz-weiß-Malerei, die führt nicht weiter. Also, Arndt kann für uns in mancher Hinsicht ein Vorbild sein, in vielen Dingen ist er auch kein Vorbild, aber wie gesagt, das sind diese Schattierungen von Grau, die viel interessanter und wichtiger sind für uns und uns zum Nachdenken anregen. Und wenn wir so etwas nicht hätten, solche sperrigen Persönlichkeiten wie Ernst Moritz Arndt, dann wären wir eben nur so mit Moralaposteln umgeben, von denen es übrigens gar nicht viele gibt in dieser Welt.
    "Erinnern ist immer eine schwierige Aufgabe, die sich auch von Generation zu Generation ändert"
    Köhler: Gibt es so etwas wie, ich nenne das jetzt mal: falsches Erinnern? Also, blenden wir von Zeit zu Zeit bestimmte Aspekte aus, um uns reinzuhalten, freizumachen davon und sie loszuwerden und uns zu exkulpieren?
    Scholtyseck: Ja, das gibt es, da ist Arndt natürlich nicht ein prominentes Beispiel, aber da gibt es viele andere. Es ist eben ausgesprochen einfach zu sagen, wir erinnern uns lieber nicht an jemanden, dann brauchen wir uns auch mit gewissen Kontinuitäten gar nicht erst zu beschäftigen. Aber das ist tatsächlich ein falsches Erinnern. Erinnern ist immer eine schwierige Aufgabe, die sich auch von Generation zu Generation ändert. Virginia Woolf hat einmal gesagt: Each story has to be retold by each generation. Also, wir erinnern uns immer wieder neu und wir müssen uns immer wieder bestimmter Dinge neu vergewissern. Aber jemanden dann gar nicht mehr zu beachten, damit machte man es sich ausgesprochen leicht. Also, die Deutschen sind ja Champions geradezu des Erinnerns. Aber ob man sich immer wieder richtig erinnert, das ist eine neue Aufgabe. Und ob die Deutschen das immer so richtig machen, darüber kann man auch trefflich streiten.
    Köhler: Abschließend gefragt: Vielleicht ist ein Ergebnis nicht nur dieses unseres Gesprächs jetzt, dass Fortschrittswille und Freiheitsdrang der Deutschen gerne Hand in Hand gehen mit Judenhass und Nationalismus. Und müssen wir am Ende gerade diese Ambivalenz in deutscher Geschichte lernen, auszuhalten?
    Scholtyseck: Ja, das ist … Das halte ich für eine gute Idee, mit so einer Damnatio memoriae, da unterbleibt die notwendige Auseinandersetzung. Die ist schwierig und die wird auch immer schwierig bleiben. Und bei diesem ganzen Krach um Ernst Moritz Arndt, den es jetzt eben bei Umbenennung geht, das ist glaube ich das Positive, dass man doch eben erkennt: Die Gesellschaft und wir setzen uns damit ständig auseinander. Und insofern ist an und für sich auch dieser Streit um Ernst Moritz Arndt etwas durchaus Positives, weil es eine Gesellschaft zeigt, die mit sich versucht, ins Reine zu kommen, und das auch ganz ernsthaft immer wieder neu diskutiert. Und das wird uns auch die nächsten 100 Jahre weiterbegleiten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Anmerkung der Redaktion: Aus redaktionellen Gründen wurde das Gespräch in einer leicht gekürzten Fassung gesendet. Dies ist die Lang-Version.