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"Der Supergau der Ölindustrie"

"Wenn die Szenarien und Prognosen so stimmen, dann haben wir noch einen ganz lang anhaltenden Ölausbruch, der den gesamten Golf von Mexiko verseuchen wird", befürchtet Stephan Lutter, Meeresschutzexperte beim WWF Deutschland. Die verzweifelten Versuchte bislang zeigten, dass man völlig ungeschützt Bohrungen in diesen Tiefen durchgeführt habe.

Stefan Lutter im Gespräch mit Theo Geers |
    Theo Geers: Es wird vielleicht das Tschernobyl der USA, denn es ist schon jetzt die größte Umweltkatastrophe, welche das Land je erlebt hat: die Ölpest im Golf von Mexiko. Am Samstag ist auch der letzte Versuch gescheitert, das Bohrloch in 1500 Metern Tiefe zu stopfen. Top Kill hieß die Operation, bei der der Ölkonzern BP versucht hat, unter hohem Druck Schlamm und auch Zement in das Bohrloch zu pressen, um so den Ölfluss zu stoppen. Doch es hat nichts gebracht. Am Telefon in Hamburg begrüße ich nun Stephan Lutter, Meeresschutzexperte beim WWF Deutschland. Herr Lutter, droht jetzt eine Ölpest bis in den August?

    Stephan Lutter: Guten Tag, aus Hamburg! Ja, dies ist tatsächlich auch weltweit gesehen der Supergau der Ölindustrie, und ich befürchte wirklich, wenn die Szenarien und Prognosen so stimmen, dann haben wir noch einen ganz lang anhaltenden Ölausbruch, der den gesamten Golf von Mexiko verseuchen wird. Das heißt ja nicht nur die Küsten, sondern auch das Ökosystem selbst, die treibende Welt, das Wasser – man hat ja die Ölschwaden bereits unter Wasser gefilmt. Verschärft wurde das Problem noch durch den unverantwortlichen Einsatz zeitweise von großen Mengen von Chemikalien.

    Geers: Nun will BP ja das defekte Steigrohr mit einem neuerlichen Versuch an der Ölquelle absägen, dann einen Auffangbehälter drüberstülpen, um das Öl aufzufangen. Es heißt aber auch, dass dann der Ölfluss vorübergehend noch einmal um 20 Prozent steigen könnte. Was halten Sie denn von diesen Methoden?

    Lutter: Das sind alles – angefangen von den ersten Verbrennungsversuchen über den Chemikalieneinsatz bis zum Top Kill – jetzt weiterhin auch verzweifelte Versuche, Techniken anzuwenden, die in solchen tiefen Bereichen bisher nicht erprobt waren. Man ist also völlig ungeschützt in diese Situation gegangen – auch die Politiker haben das zugelassen – mit Techniken einer Unfallbeherrschung, die wir in flachen Meeren wie der Nordsee oder den flachen Bereichen des Golfs von Mexiko kennen und wo sie auch funktionieren. Deshalb kann ich nur mit Angst und Panik drauf reagieren, was da eventuell noch an größeren Schäden angerichtet wird.

    Geers: Sie sprechen von Angst und Panik, Herr Lutter, auch die amerikanische Regierung stellt sich ja nach eigenen Worten auf das Schlimmste jetzt ein. Sie haben es vorhin auch schon mal kurz skizziert – was hätte das denn für Folgen, wenn es so weiterginge, dass jeden Tag weiter Öl in den Golf von Mexiko fließt? Die ölverseuchte Meeresfläche ist ja im Grunde schon doppelt so groß wie Bayern.

    Lutter: Ja, was wir an den Küsten bereits sehen mit über 100 Kilometern verseuchter Strände, in Louisiane ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Und was man uns auch zeigt, sind zum Teil touristisch bedeutende weiße Sandstrände, die jetzt für den Tourismus entfallen. Die sind noch am einfachsten zu reinigen, dort ist auch Sauerstoff vorhanden und die ölfressenden Bakterien können sich entfalten. Schlimm ist es für die Sumpfgegenden, für die Mangroven weiter östlich, alles das sind Bereiche, von denen man weiß, es dauert mindestens zehn Jahre, bis sie sich einigermaßen von einer Ölpest erholen können. Und danach ist das Ökosystem aber auch nicht mehr dasselbe wie vorher.

    Geers: Schon jetzt sind ja über 160 Kilometer Küste allein im US-Bundesstaat Louisiana mit Öl verseucht, Herr Lutter. Die Frage ist jetzt, Anfang Juni, Ende Mai/, Anfang Juni, es beginnt auch die Hurrikansaison, die ihren Höhepunkt typischerweise zwischen Ende August und Mitte Oktober erreicht. Und die Hurrikansaison, sie soll nach den Vorhersagen dieses Jahr besonders schlimm sein. Was heißt denn das für den Golf von Mexiko, wenn das Öl weiter aus dem Bohrloch herausströmt?

    Lutter: Nun ist es ja sowieso schon bekannt, dass traditionelle und auch sinnvolle Ölbekämpfungsmaßnahmen, wie wir sie auch in der Nordsee anwenden würden mit den Ölauffangschiffen dort, bereits aber einer Windstärke von fünf oder sechs Beaufort nicht mehr möglich ist wegen der Wellenhöhe. Das würde damit natürlich auch vollkommen zum Erliegen kommen, dieses Öl überhaupt auffangen zu können, und wahrscheinlich auch jegliche Maßnahme, um das Öl mit solchen Hauben oder Schutzcontainern von unten abzusaugen. Der ganze Offshore-Einsatz wäre infrage gestellt.

    Was es bedeutet für das auf die Küsten treibende Öl, kann ich schwer sagen, das hängt sehr von den Windbedingungen ab. Ich befürchte eher, dass ein Hurrikan, wenn er diesen Ölteppich trifft, das Öl noch mehr in der Wasserfläche und im Wasserkörper verteilt. Und dann besteht auch endlich die Gefahr, dass das Öl austritt aus dem Golf von Mexiko in den Golfstrom, in den Atlantik und empfindliche Gebiete wie die nächstliegende Sargassosee bedroht.

    Geers: Und das würde dann zum Beispiel das Laichgebiet für die Aale bedrohen, ist das richtig?

    Lutter: Denen es sowieso schon sehr schlecht geht, ja.

    Geers: Danke schön! Das war Stephan Lutter, Meeresschutzexperte beim WWF, über die Frage, wie es jetzt weitergehen kann im Golf von Mexiko. Seine Aussage: Das Öldesaster ist schon jetzt der Supergau für die Ölindustrie.