Jörg Biesler: Die Kritik an der Universität Düsseldorf hält nach der Entscheidung des Fakultätsrats, der Bildungsministerin Annette Schavan den Doktorgrad zu entziehen, an. Beinahe im Stundenrhythmus vermelden die Agenturen Wortmeldungen auch aus dem direkten Umfeld von Annette Schaven. In Südafrika, wo sie ja derzeit mit Vertretern aus Wissenschaft und Forschung unterwegs ist. Der Präsident der Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, hat sich heute von dort gemeldet, ebenso der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung Helmut Schwarz. Ich bin jetzt verbunden mit Bernhard Kempen, dem Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes. Guten Tag, Herr Kempen!
Bernhard Kempen: Guten Tag!
Biesler: Wie nehmen Sie das wahr, dass wir jetzt aus dem direkten Umfeld von Frau Schavan regelmäßige Mitteilungen haben, die entweder die Universität kritisieren oder die Ministerin verteidigen?
Kempen: Es ist natürlich jedem unbenommen, die Ministerin zu verteidigen, das will ich gar nicht kommentieren. Aber was mich doch etwas irritiert, ist, dass hier die Universität Düsseldorf in die Kritik gerät. Denn Sie müssen sich bitte auch mal in die Situation der Kolleginnen und Kollegen vor Ort versetzen: Das ist für die alles andere als ein vergnügliches Unterfangen, auf einmal im Reparaturbetrieb die Sünden, die vor 32 Jahren begangen wurden, wieder reparieren zu müssen. Und wenn … Alles, was ich sehe ist, die Kolleginnen und Kollegen, die haben sich das nicht leicht gemacht, die haben das sehr sorgfältig, dieses Verfahren, betrieben. Die haben sehr sorgfältig in ihrer Entscheidung abgewogen, was abzuwägen ist, nämlich die lange Zeitdauer, andererseits aber auch die Schwere der sozusagen wissenschaftlich-handwerklichen Fehler, und sind dann zu einer Entscheidung gelangt. Und diese Entscheidung ist – ohne dass ich jetzt irgendeiner gerichtlichen Entscheidung vorgreifen könnte oder wollte –, diese Entscheidung ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Und das muss man zunächst mal akzeptieren. Und ich glaube, da ist es also wirklich nicht hilfreich, wenn aus der Ferne nun Kritik geübt wird.
Biesler: Insgesamt lässt sich ja eine gewisse Trauer konstatieren. Es ist eine tragische Situation – ich habe gerade mit Heinz-Elmar Tenorth darüber gesprochen -, dass Frau Schavan ja kein Einzelfall ist mit der Art ihrer Promotion zu dieser Zeit. Ohne das jetzt verteidigen zu wollen, wird man sagen müssen, dass es jetzt schon irgendwie tragisch ist, dass es Annette Schavan trifft? Prominent, Bundesbildungsministerin, selbst der politische Gegner hält sich zurück, was scharfe Wortmeldungen angeht! Sie verlangen trotzdem den Rücktritt?
Kempen: Ja, sagen wir mal so, natürlich ist das jetzt tragisch, dieser Fall. Aber er ist auch genau so tragisch wie andere Fälle, die wir an den Hochschulen nun mal leider Gottes immer wieder auch zu bearbeiten haben. Das sind die No-name-Fälle, eben die Nicht-Prominenten, die ebenso auf einmal in die Kritik geraten und bei denen dann auch ein Titel entzogen wird. Und die Fälle haben was Tragisches, aber sie haben auch was Konsequentes! Wer getäuscht hat, der muss damit rechnen, dass er am Ende sozusagen allen Glanz, den er erworben hat, auch wieder verliert.
Biesler: Der Deutsche Hochschulverband vertritt ja die Hochschullehrer, also die Professorinnen und Professoren an den Universitäten und an den Fachhochschulen natürlich auch. Da stellt sich ja die Frage, warum eigentlich eine Täuschung, eine handwerkliche Fehlleistung den Hochschullehrern nicht auffällt, die dafür da sind, die zu begutachten und letztlich Promotion auszusprechen oder eben nicht auszusprechen? Die Kritik daran ist verständlich!
Kempen: Die Kritik daran ist tatsächlich verständlich, da haben Sie ganz recht. Aber ich will auch noch mal etwas deutlich machen: Wenn wir einen Schwarzfahrer in der Straßenbahn sehen, dann ist der zunächst mal schuld, denn der fährt ja ohne Fahrschein. Wenn der vom Schaffner übersehen wird und trotzdem die Fahrt fortsetzt, dann trifft den Schaffner eine Mitschuld. Aber man muss auch sagen …
Biesler: Sie wollen jetzt aber nicht sagen, dass Promotionsschriften überprüft werden wie Fahrscheine?
Kempen: Nein, aber das Beispiel macht es doch vielleicht deutlich, man muss hier schon Ross und Reiter beim Namen nennen. Der Täuscher ist zunächst mal schuld und derjenige, der getäuscht wurde oder der die Täuschung übersehen hat, den trifft da eine gewisse Mitverantwortung, ganz ohne Frage. Aber man darf jetzt auch nicht den Spieß komplett umdrehen und sagen, ja, dann haben die das doch in der Hochschule falsch gemacht! Aber Sie haben schon recht, ich habe es ja eingangs gesagt: Jeder dieser Fälle ist natürlich auch eine kleine Pleite für die Hochschule. Die muss sich eingestehen, ja, da haben wir uns eben anschmieren lassen, wir haben nicht genau genug hingeguckt. Ich will das überhaupt nicht irgendwie beiseite wischen oder schönreden, sondern ich will deutlich machen: Wir sehen das schon auch als ein eigenes Versagen.
Biesler: Ja, die Frage ist ja auch, ob nicht der einzelne Hochschullehrer – es sind ja auch Kommissionen, es sind ja Zweitgutachter beteiligt häufig –, aber ob die nicht auch insgesamt damit überfordert sind, so eine Promotionsschrift bis zum Letzten zu beurteilen? Obwohl sie natürlich Fachleute sind in ihrem Bereich!
Kempen: Heute ist das leichter. Wir können ja heute mit computergestützten Verfahren, mit einer Plagiatserkennungssoftware können wir da schon sehr viel machen. Wir sind auch nicht sicher, ob wir hundertprozentig jede Täuschung aufdecken könnten. Wir werden also nie eine hundertprozentige Sicherheit haben können. Aber wir sind mittlerweile mit den neuen technischen Möglichkeiten doch in der Lage, doch sehr viel aufzudecken. Und das hat sich jetzt auch seit Guttenberg gezeigt: Da sind wir in allen Universitäten viel … wie soll man sagen … aufmerksamer geworden, schauen genauer hin und haben dementsprechend auch eine höhere Trefferquote.
Biesler: Viel wird ja gesprochen von politischen Kampagnen, die da zugange wären, also Verschwörungstheorien gibt es dazu. Auch für Sie, aus Ihrer Sicht eher ein reinigendes Feuer für die Wissenschaft?
Kempen: Irgendein Anzeichen dafür, dass hier parteipolitisch oder überhaupt politische Interessen am Werk gewesen seien, gibt es nicht. Nichts weist darauf hin, dass hier unsachliche Gesichtspunkte … als Jurist würde man sagen: sachfremde Erwägungen bei der Ermessensentscheidung eine Rolle gespielt haben. Nichts weist darauf hin! Das muss man auch noch mal deutlich machen. Sondern die Düsseldorfer Fakultät hat hier ihre Arbeit verrichtet, die ist nun zu einem Ergebnis gekommen. Das wird vielen nicht gefallen, der Betroffenen schon gar nicht, aber man muss sagen, das ist eine konsequente Entscheidung und die hat für sich, auf den ersten Blick, eine gewisse innere Plausibilität.
Biesler: Bernhard Kempen, der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, zur Dissertation von Annette Schavan und der Diskussion um die Arbeit der Universität in Düsseldorf. Danke schön!
Kempen: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Bernhard Kempen: Guten Tag!
Biesler: Wie nehmen Sie das wahr, dass wir jetzt aus dem direkten Umfeld von Frau Schavan regelmäßige Mitteilungen haben, die entweder die Universität kritisieren oder die Ministerin verteidigen?
Kempen: Es ist natürlich jedem unbenommen, die Ministerin zu verteidigen, das will ich gar nicht kommentieren. Aber was mich doch etwas irritiert, ist, dass hier die Universität Düsseldorf in die Kritik gerät. Denn Sie müssen sich bitte auch mal in die Situation der Kolleginnen und Kollegen vor Ort versetzen: Das ist für die alles andere als ein vergnügliches Unterfangen, auf einmal im Reparaturbetrieb die Sünden, die vor 32 Jahren begangen wurden, wieder reparieren zu müssen. Und wenn … Alles, was ich sehe ist, die Kolleginnen und Kollegen, die haben sich das nicht leicht gemacht, die haben das sehr sorgfältig, dieses Verfahren, betrieben. Die haben sehr sorgfältig in ihrer Entscheidung abgewogen, was abzuwägen ist, nämlich die lange Zeitdauer, andererseits aber auch die Schwere der sozusagen wissenschaftlich-handwerklichen Fehler, und sind dann zu einer Entscheidung gelangt. Und diese Entscheidung ist – ohne dass ich jetzt irgendeiner gerichtlichen Entscheidung vorgreifen könnte oder wollte –, diese Entscheidung ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Und das muss man zunächst mal akzeptieren. Und ich glaube, da ist es also wirklich nicht hilfreich, wenn aus der Ferne nun Kritik geübt wird.
Biesler: Insgesamt lässt sich ja eine gewisse Trauer konstatieren. Es ist eine tragische Situation – ich habe gerade mit Heinz-Elmar Tenorth darüber gesprochen -, dass Frau Schavan ja kein Einzelfall ist mit der Art ihrer Promotion zu dieser Zeit. Ohne das jetzt verteidigen zu wollen, wird man sagen müssen, dass es jetzt schon irgendwie tragisch ist, dass es Annette Schavan trifft? Prominent, Bundesbildungsministerin, selbst der politische Gegner hält sich zurück, was scharfe Wortmeldungen angeht! Sie verlangen trotzdem den Rücktritt?
Kempen: Ja, sagen wir mal so, natürlich ist das jetzt tragisch, dieser Fall. Aber er ist auch genau so tragisch wie andere Fälle, die wir an den Hochschulen nun mal leider Gottes immer wieder auch zu bearbeiten haben. Das sind die No-name-Fälle, eben die Nicht-Prominenten, die ebenso auf einmal in die Kritik geraten und bei denen dann auch ein Titel entzogen wird. Und die Fälle haben was Tragisches, aber sie haben auch was Konsequentes! Wer getäuscht hat, der muss damit rechnen, dass er am Ende sozusagen allen Glanz, den er erworben hat, auch wieder verliert.
Biesler: Der Deutsche Hochschulverband vertritt ja die Hochschullehrer, also die Professorinnen und Professoren an den Universitäten und an den Fachhochschulen natürlich auch. Da stellt sich ja die Frage, warum eigentlich eine Täuschung, eine handwerkliche Fehlleistung den Hochschullehrern nicht auffällt, die dafür da sind, die zu begutachten und letztlich Promotion auszusprechen oder eben nicht auszusprechen? Die Kritik daran ist verständlich!
Kempen: Die Kritik daran ist tatsächlich verständlich, da haben Sie ganz recht. Aber ich will auch noch mal etwas deutlich machen: Wenn wir einen Schwarzfahrer in der Straßenbahn sehen, dann ist der zunächst mal schuld, denn der fährt ja ohne Fahrschein. Wenn der vom Schaffner übersehen wird und trotzdem die Fahrt fortsetzt, dann trifft den Schaffner eine Mitschuld. Aber man muss auch sagen …
Biesler: Sie wollen jetzt aber nicht sagen, dass Promotionsschriften überprüft werden wie Fahrscheine?
Kempen: Nein, aber das Beispiel macht es doch vielleicht deutlich, man muss hier schon Ross und Reiter beim Namen nennen. Der Täuscher ist zunächst mal schuld und derjenige, der getäuscht wurde oder der die Täuschung übersehen hat, den trifft da eine gewisse Mitverantwortung, ganz ohne Frage. Aber man darf jetzt auch nicht den Spieß komplett umdrehen und sagen, ja, dann haben die das doch in der Hochschule falsch gemacht! Aber Sie haben schon recht, ich habe es ja eingangs gesagt: Jeder dieser Fälle ist natürlich auch eine kleine Pleite für die Hochschule. Die muss sich eingestehen, ja, da haben wir uns eben anschmieren lassen, wir haben nicht genau genug hingeguckt. Ich will das überhaupt nicht irgendwie beiseite wischen oder schönreden, sondern ich will deutlich machen: Wir sehen das schon auch als ein eigenes Versagen.
Biesler: Ja, die Frage ist ja auch, ob nicht der einzelne Hochschullehrer – es sind ja auch Kommissionen, es sind ja Zweitgutachter beteiligt häufig –, aber ob die nicht auch insgesamt damit überfordert sind, so eine Promotionsschrift bis zum Letzten zu beurteilen? Obwohl sie natürlich Fachleute sind in ihrem Bereich!
Kempen: Heute ist das leichter. Wir können ja heute mit computergestützten Verfahren, mit einer Plagiatserkennungssoftware können wir da schon sehr viel machen. Wir sind auch nicht sicher, ob wir hundertprozentig jede Täuschung aufdecken könnten. Wir werden also nie eine hundertprozentige Sicherheit haben können. Aber wir sind mittlerweile mit den neuen technischen Möglichkeiten doch in der Lage, doch sehr viel aufzudecken. Und das hat sich jetzt auch seit Guttenberg gezeigt: Da sind wir in allen Universitäten viel … wie soll man sagen … aufmerksamer geworden, schauen genauer hin und haben dementsprechend auch eine höhere Trefferquote.
Biesler: Viel wird ja gesprochen von politischen Kampagnen, die da zugange wären, also Verschwörungstheorien gibt es dazu. Auch für Sie, aus Ihrer Sicht eher ein reinigendes Feuer für die Wissenschaft?
Kempen: Irgendein Anzeichen dafür, dass hier parteipolitisch oder überhaupt politische Interessen am Werk gewesen seien, gibt es nicht. Nichts weist darauf hin, dass hier unsachliche Gesichtspunkte … als Jurist würde man sagen: sachfremde Erwägungen bei der Ermessensentscheidung eine Rolle gespielt haben. Nichts weist darauf hin! Das muss man auch noch mal deutlich machen. Sondern die Düsseldorfer Fakultät hat hier ihre Arbeit verrichtet, die ist nun zu einem Ergebnis gekommen. Das wird vielen nicht gefallen, der Betroffenen schon gar nicht, aber man muss sagen, das ist eine konsequente Entscheidung und die hat für sich, auf den ersten Blick, eine gewisse innere Plausibilität.
Biesler: Bernhard Kempen, der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, zur Dissertation von Annette Schavan und der Diskussion um die Arbeit der Universität in Düsseldorf. Danke schön!
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