„Mein Mann ist ja mit einer Harnweginfektion ist Krankenhaus gekommen. Und der sollte schon wieder entlassen werden. Er bewegte sich schon auf dem Flur und konnte auch bis durch den Park gehen. Der Arzt druckste dann eines Tages rum und sagte dann: ‚Es ist was eingetreten.‘ Und dann sagte ich: ‚Ja nun, was ist denn?‘ ‚Ja, ihr Mann hat sich den MRSA-Keim geholt.‘“
MRSA ist das Kürzel für die bösartigste Variante jener Infektionen, die man sich in deutschen Kliniken einfangen kann. Auch nach über drei Jahren macht Dagmar Tysiak die Erinnerung schwer zu schaffen: daran, wie ihr Ehemann Paul sich wegen einer eher harmlosen Erkrankung in stationäre Behandlung begab – und dann im Krankenhaus an den Folgen einer Blutvergiftung elend zugrunde ging:
„Sie konnten praktisch sehen, wie der Keim meinen Mann auffraß. Er war nachher bis zum Bauchnabel schwarz und wie verfault. Die Füße unten, die waren offen, und der Bauch war geschwollen. Und mein Mann, also, er war nicht mehr richtig bei sich. Er zeigte keine Reaktionen, nicht. Ja und dann, ist er dann, nach einem halben Jahr, ist er dann verstorben.“
80 Jahre ist Paul Tysiak alt geworden, er hätte aber noch viel länger leben können.
Nach übereinstimmenden Schätzungen von Fachmedizinern sterben in Deutschland jedes Jahr zehn- bis zwanzigtausend Menschen an bakteriellen Infektionen, die sie sich erst im Krankenhaus eingefangen haben. Zum Vergleich: Bei Unfällen auf deutschen Straßen kommen jährlich etwa viertausend Menschen ums Leben. Nach Angaben der großen gesetzlichen Krankenkasse Barmer GEK erkranken allein 75.000 ihrer Mitglieder jährlich an einer durch Krankenhauskeime ausgelösten Infektion mit mehr oder minder schwerem Verlauf; eine halbe Million Patienten sollen es insgesamt in Deutschland sein.
Der Berliner Arzt Klaus-Dieter Zastrow ist Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, eines wissenschaftlichen Fachverbandes. Er erklärt, wie schnell man sich in einer Klinik eine Infektion zuziehen kann:
„Die Patienten erfahren ja eine Behandlung, sei es eine Operation oder es wird ein Katheder gelegt, und damit wird die natürliche Schutzschranke des Körpers, die Haut, durchtrennt. Und dann können Bakterien in diese offenen Körperstellen jetzt eintreten.“
Besonders bei älteren und chronisch kranken Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist, können solche Infektionen verheerende Wirkung zeigen. Zwar ist nicht jede Infektion durch verbesserte Hygiene vermeidbar. Aber Zastrow und auch andere Experten sind sich sicher ...
„... dass es eine große Anzahl von vermeidbaren Infektionen gibt, dass man das seit 25, 30 Jahren ganz genau weiß – und trotzdem hat sich, was die Gesetzgebung anbelangt und den Standard – eigentlich nichts geändert.“
Doch vielleicht ändert sich jetzt etwas, denn ein Hygieneskandal in München sorgt derzeit bundesweit für Schlagzeilen und sensibilisiert die Öffentlichkeit. An zwei städtischen Kliniken in der bayerischen Landeshauptstadt hat es Probleme mit schlampig gereinigten Operationsbestecken gegeben. Unklar ist noch, ob dadurch Menschen zu Schaden kamen. Doch alleine die Vorstellung, dass bei einer Operation mit nicht-sterilen Instrumenten hantiert wird, an denen noch kleinste Blut- oder Gewebereste anderer Patienten kleben, löste bei Bürgern und Lokalpolitikern gleichermaßen Ekel aus. Dabei ist der Fall, so spektakulär er sein mag, eigentlich untypisch.
„Häufig wird ja so gedacht: „Ja, im OP da passiert viel!“ Nein, das passiert glücklicherweise relativ wenig. Denn dort sind wir extrem gut ausgestattet, im Verhältnis zum Rest, meine ich natürlich. Wir haben sterile Luft, wir haben sterile Kleidung, wir haben einen Mund-Nasen-Schutz, wir haben einen Haarschutz, der Patient ist steril abgedeckt, der wird abgewaschen, desinfiziert. Deswegen ist die Infektionsquelle Operationssaal relativ selten.“
Weitaus häufiger geschieht es, dass Patienten nach der Operation erkranken: indem das Klinikpersonal unabsichtlich Keime von einem auf den anderen Patienten überträgt – durch Nachlässigkeiten bei der Hygiene. So desinfizieren sich Ärzte und Pflegekräfte zum Beispiel häufig nicht die Hände, wenn sie von einem Patienten zum anderen gehen. Wenn sie Verbände austauschen, Katheter legen oder auch bloß zur Begrüßung Hände schütteln, können sie so Patienten mit den Keimen anderer anstecken. Die Ursache solcher Schlampereien sei häufig Zeitdruck, meint der grüne Parlamentarier Harald Terpe. Er ist Oberarzt an der Uniklinik in Rostock und Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestags.
„Wir wissen ja, dass beispielsweise in den Krankenhäusern im letzten Jahrzehnt etwa 50.000 Pflegekräfte abgebaut worden sind, aus ökonomischen Gründen, manchmal sogar aus Profitorientierungsgründen – Sie wissen ja, dass ein Teil der Krankenhäuser sehr stark gewinnorientiert auch ist. Dann wird man auch personelle Engpässe haben, die dazu führen, dass das Hygieneregime nicht vorschriftsmäßig durchgeführt werden kann.“
Ein Argument, das der Hygienefacharzt Klaus-Dieter Zastrow für den normalen Krankenhausalltag nicht gelten lassen will. Zeitnot könne keine Entschuldigung dafür sein, bei den einfachsten Hygienemaßnahmen zu schlampen.
„Die Händedesinfektion dauert etwa 30 Sekunden. Diese 30 Sekunden hat man immer. Wenn irgendwo eine Riesenarterie getroffen wird und das Blut schießt springbrunnenartig aus dem Körper. Das sind Situationen, da sagt man: ‚Okay, da hast du keine Zeit mehr. Bevor der Patient jetzt steril stirbt, macht man's jetzt auch ohne Desinfektion.‘ Aber die Zeit von 30 Sekunden hat man immer, dieses Sich-Vorher-Ausstatten mit einem sterilen Handschuh, mit einem Mund-Nasen-Schutz oder mit einem Schutzkittel, die Möglichkeiten gibt es immer.“
... zumindest auf den normalen Krankenhausstationen. Auf den Spezialstationen ist die Lage dagegen oft heikler.
„Also, jetzt gehen wir auf die Intensivstation.“
„Die Schleuse öffnet sich. Man kann jetzt nicht einfach die nächste Schleusentür öffnen, sondern muss wirklich warten.“
Durch eine Schleuse betritt man die Intensivstation des evangelischen Krankenhauses Johannisstift in Münster. Hierhin kommen insbesondere Patienten vor oder nach einer Operation – Menschen, die besonders anfällig für Infektionen sind. Bevor Chefarzt Ulrich Hartenauer einen Patienten berührt, zieht er Schutzkleidung an.
„Haube immer als Erstes. Mundschutz. Auch das will gelernt sein. Man muss nach unten immer genügend freie Luft haben, sonst beschlagen die Brillengläser. Das ist dann unschön.“
Dann schlüpft Hartenauer in einen Wegwerfkittel, den er über der Arbeitskleidung trägt. Jetzt ist er fast von Kopf bis Fuß vermummt, der Patient im Bett kann nur ahnen, ob ihn sein Arzt anlächelt.
In jedem Raum ist in Türnähe eine Desinfektionsvorrichtung an die Wand geschraubt. Gerade geht es auf der Station recht ruhig zu, nur zwei der fünf Betten sind belegt. Burghild Mönninghoff findet Zeit zu demonstrieren, wie sie sich die Hände desinfiziert. Ein Prozedere, das die examinierte Krankenschwester in jeder Schicht viele Dutzend Male durchführt, auf immer exakt dieselbe, vorgeschriebene Weise.
„Diesen Ablauf spule ich wie selbstverständlich – selbstverständlich selbstverständlich! – jedes Mal ab. So! Also nach jedem Patientenkontakt im Prinzip mache ich das. Lästig ist das gar nicht. Das fällt mir gar nicht mehr auf. Und es ist ganz hautfreundlich. Gottseidank, mittlerweile. Sonst, wenn das nicht hautfreundlich wäre und wir hätten Probleme, würde ich das sicher nicht so oft machen. Da würde ich mogeln.“
Auf dieser Intensivstation in Münster wird die Hygiene sehr ernst genommen, doch typisch ist das leider nicht. Deutschlandweit gibt es auf vielen Intensivstationen zu wenig Pflegepersonal, um die Hygienestandards konsequent einzuhalten. Insbesondere in der personell ausgedünnten Nachtschicht ist Nachlässigkeit nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das hat auch Dagmar Tysiak beobachtet, als sie seinerzeit am Krankenbett ihres Mannes wachte. Tagsüber wurde er von den anderen Patienten isoliert, damit diese sich nicht mit dem lebensbedrohlichen MRSA-Keim infizierten:
„Ich wusste manchmal gar nicht, welche Schwester das war, so vermummt, wie die reinkamen. Das war tagsüber – und nachts ... gab es da nichts. Da kam die Schwester dann so rein, weil sie ganz einfach die Zeit nicht hatte, nicht? Es lag jetzt nicht an der Schwester, aber an dem ganzen Ablauf, nicht?“
Dabei existiert eigentlich längst eine Richtlinie für die Krankenhaushygiene, bereits 1999 vom Robert-Koch-Institut erlassen, einer Einrichtung, die dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist.
„In dieser Richtlinie von 1999 steht praktisch alles drin, was man braucht, alles, was man tun müsste. Die Richtlinie ist eigentlich umfassend.“
Sie hat aber den entscheidenden Nachteil, dass sie nur eine Empfehlung ist – und damit unverbindlich. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Terpe meint:
„Ich denke, dass es an der Zeit wäre, dass jedes Bundesland verbindliche Verordnungen durchsetzt, die Hygiene in den Krankenhäusern und in den Arztpraxen betreffend.“
Lediglich fünf der 16 Bundesländer haben solche Hygieneverordnungen bereits erlassen.
„Wenn die Länder nicht handeln, dann ist der Bund meiner Meinung nach auch verpflichtet, in so einer Situation dann selbst zu handeln und die Sache an sich zu ziehen.“
Was die meisten Gesundheitspolitiker aber anders sehen – parteienübergreifend.
„Die Landesbehörden haben entsprechende Verordnungs- und Gesetzgebungskompetenz. Also ich betone hier, dass das Krankenhauswesen Ländersache ist.“
Was allerdings in anderen Fällen keinen Gesundheitspolitiker geschert habe, behauptet Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene:
„Es gibt einen Paragrafen23 im Infektionsschutzgesetz und da steht drin: Jedes Krankenhaus muss eine Infektionsstatistik führen. Warum kann ich da nicht schreiben: ‚und eine Abteilung für Krankenhaushygiene haben‘? Also, das geht alles. Schauen Sie – das ist ja noch gut in Erinnerung –, vor anderthalb Jahren, da wurde über Nacht eine Meldepflicht für die Schweinegrippe aus dem Boden gestampft, für ganz Deutschland. Da hat auch keiner nach Föderalismus geschrien. Es gab vor noch viel längerer Zeit mal eine Salmonellen-Eier-Notverordnung. Wurde auch gemacht. Das geht alles, das ist überhaupt kein Problem.“
Letztlich reduziert sich diese politische Debatte wohl auf die simple Frage, für wie dringlich die Parteien es erachten, gegen die kontinuierlich steigenden Infektionsraten in den Kliniken anzugehen. Unbestreitbar ist dabei die Gefahr, die von dem gefährlichsten Krankenhauskeim ausgeht, von MRSA, an dem bereits jährlich mehrere Zehntausend Klinikpatienten akut erkranken.
MRSA steht für Methicillinresistente Staphylococcus aureus. Ein Krankheitserreger, der sich mit Methicillin und anderen gängigen Antibiotika nicht mehr wirksam bekämpfen lässt. Ganz im Gegenteil: Behandelt ein Arzt MRSA mit normalen Medikamenten, schaltet er damit die Konkurrenzbakterien aus – die MRSA-Mikroorganismen haben jetzt freie Bahn, sich im Körper auszubreiten. Eine Behandlung ist aufwendig: Die spezifischen MRSA-Bakterienstämme müssen durch Tests ermittelt werden, denn nur ein exakt dazu passendes Antibiotikum hilft. Wird die MRSA-Erkrankung zu spät erkannt, kann der Patient häufig nicht mehr gerettet werden. Auf dem Totenschein taucht MRSA häufig nicht als Ursache auf, dafür die Folgen wie Lungenentzündung oder Blutvergiftung.
Glücklicherweise gibt es noch keinen MRSA-Stamm, der gegen alle verfügbaren Antibiotika resistent wäre. Aber: Wenn die Bakterien erst einmal in den Knochen vorgedrungen sind oder eine Blutvergiftung vorliegt, dann kann es für eine erfolgreiche Behandlung bereits zu spät sein. Dagmar Tysiak hat mit anderen Angehörigen und Betroffenen eine Selbsthilfegruppe gegründet. Mit dabei ist Karin Häussler. Ihr Mann Robert, ein eigentlich kerngesunder Hobbysportler von 67 Jahren, war wegen einer Lappalie ins Krankenhaus gekommen – und hat es nicht mehr lebendig verlassen.
„Es war nur eine harmlose Schulterspiegelung von einer halben Stunde. Mein Mann ist Privatpatient, Chefarztbehandlung, nur nebenbei gesagt. Und plötzlich, am zweiten Tag, fing er an zu taumeln. Und es hieß, er hat eine Blutvergiftung, eine Sepsis. Er ist dann nicht mehr von der Intensivstation runtergekommen. Alle Möglichkeiten der Intensivstation in Duisburg sind ausgeschöpft worden, und es ist da kein Mittel, das da geholfen hat, er ist ganz furchtbar verstorben. Künstliches Koma, halbes Ohr weggeschnitten, Nierenversagen, Wasser in der Lunge und was es so alles gibt.“
Dabei können Krankenhauskeime durchaus erfolgreich bekämpft werden. Die Niederlande machen es vor. In unserem Nachbarland sind MRSA-Infektionen ein seltener Ausnahmefall.
Denn dort wird bei der Aufnahme in ein Krankenhaus überprüft, ob der Patient einer MRSA-Risikogruppe angehört. Dazu zählen zum Beispiel Pflegeheimbewohner, Dialysepatienten und Menschen mit chronischen Wunden oder Kathetern. Diese Risikopatienten werden sofort auf MRSA getestet und, bis der Laborbefund vorliegt, vorsorglich isoliert.
Viele Menschen tragen MRSA-Bakterien in ihrem Körper, ohne es zu wissen. Gefährlich sind diese Bakterien in einem gesunden Organismus nicht – wie Alexander Friedrich, Oberarzt an der Uniklinik in Münster, erklärt:
„Der Erreger lebt beim Menschen im Nasenvorhof und im Rachen. Ohne krank zu machen! Das heißt, wenn ich eine Infektion verhindern möchte oder eine Übertragung verhindern möchte, muss ich den Träger finden, der noch gar nicht krank ist. Und deswegen führt man ein sogenanntes Screening durch, das heißt, es wird ein Tupfer in den Nasenvorhof und in den Rachen getan und dann im Labor nachgewiesen, ob der Erreger anwesend ist, ohne krank zu machen.“
Wird in den Niederlanden ein Patient positiv auf MRSA-Keime getestet, bleibt er im Krankenhaus so lange isoliert, bis die Erreger vernichtet sind. Eine Behandlung, die weder besonders zeit- noch kostenintensiv ist: Der Patient wäscht sich lediglich einige Tage mit desinfizierenden Seifen, ihm werden Rachenspülungen und Nasensalben verordnet.
Das klingt einfach – und ist es auch, weiß Alexander Friedrich, der ein Pilotprojekt im Münsterland leitet. Seit fünf Jahren orientiert man sich dort am niederländischen Vorbild und organisiert sogenannte Screenings: Reihenuntersuchungen von MRSA-Risikogruppen. Kliniken, Labore, Ämter, Arztpraxen, Kassen beteiligen sich; die Europäische Union hilft mit Fördergeldern. Mit messbarem Erfolg: 40 Krankenhäuser haben bereits ein Qualitätssiegel erworben, deutlich weniger Patienten infizieren sich jetzt mit MRSA. Was natürlich nur klappt, weil sich alle Kliniken beteiligen, wie Friedrich betont.
„Es darf natürlich nicht so sein, dass nur ein Krankenhaus screent und alle anderen Krankenhäuser drum herum nicht. Weil sonst würde das Krankenhaus, das screent zum Schutz der Patienten, einen finanziellen Nachteil daraus haben, Patienten schützen zu wollen. Es müssen alle Krankenhäuser, müssen sozusagen den gleichen präventiven Aufwand betreiben.“
Ein Konzept, das bei einer der größten deutschen gesetzlichen Krankenkassen auf Zustimmung stößt. Holger Langkutsch, Verwaltungsratsvorsitzender der Barmer GEK, hält viel davon, bei Neuankömmlingen in Krankenhäusern routinemäßig MRSA-Risikogruppen zu identifizieren.
„Das halte ich für ausgesprochen vernünftig. Das hat ja nichts mit Diskriminierung zu tun, das hat ja mit Schutz der Mitpatienten und Mitpatientinnen zu tun, aber auch zur eigenen Behandlung. Denn wenn das nicht erkannt wird, dann ist ja grad der Betroffene oder die Betroffene insbesondere gefährdet, durch eine Infektion nachher Folgeschäden zu erleiden, die bis hin zu einem frühzeitigen Ableben führen können.“
Nicht nur den Betroffenen bliebe viel Leid erspart, auch die chronisch klammen Krankenkassen wären vor unnötigen Ausgaben geschützt. Ein MRSA-Labortest kostet ein bis zwei Euro; wenn das Ergebnis besonders schnell vorliegen soll, können maximal 30 Euro auflaufen. Erkrankt dagegen ein Patient aufgrund von MRSA-Keimen, summieren sich die Behandlungskosten schnell auf mehrere Zehntausend Euro. Dass die Krankenhäuser nicht von sich aus ein Screening organisieren, hängt – wie Hygieneexperte Klaus-Dieter Zastrow erklärt – mit einem spezifischen Problem unseres verzweigten Gesundheitswesens zusammen ...
" ... dass das Screening, die Untersuchung, die im Krankenhaus gemacht wird, vom Krankenhaus bezahlt wird, und die Mehrkosten vom Fall von jemand anderem, nämlich von der Krankenkasse. Und da muss eben die Politik tätig werden.“
Die noch ein weiteres Problem lösen müsste: Derzeit ist es nicht möglich, sich bei einem Haus- oder Facharzt vorsorglich auf MRSA testen und dagegen behandeln zu lassen. Dass es klug wäre, den Keim zu erkennen und zu vernichten, bevor er eine verheerende Wirkung entfalten kann, ist unbestritten. Doch solange die Krankheit nicht ausgebrochen ist, gilt der Träger des Keims als gesund – und der Arzt, der seinem Patienten helfen möchte, auch gesund zu bleiben, bekommt Ärger mit den Kassen, wie Alexander Friedrich berichtet:
„Wenn er Laboruntersuchungen durchführt, obwohl der Patient gar nicht krank ist, kann das gegen seinen Wirtschaftlichkeitsbonus gehen. Es ist so, dass Ärzte, wenn sie auffallen durch mehr Labor als ihre Kollegen aus dem gleichen Fachgebiet, dann werden ihnen letztendlich ihr Nettogehalt gekürzt. Sie werden dafür bestraft, weil sie eigentlich eine prophylaktische Leistung durchführen.“
Für die MRSA-Vorsorge fühlt sich im deutschen Gesundheitssystem niemand verantwortlich. Höchste Zeit zu handeln, findet auch der CDU-Gesundheitspolitiker und Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen.
„Das ist auch eigentlich für mich unglaublich, aus Sicht der Patienten und aus Sicht der Politik nicht nachvollziehbar. Es kann großes Leid vermieden werden, wenn wir hier reagieren, und es können Kosten eingespart werden. Und wenn wir an die Kosteneinsparung denken, dann ist erst recht nicht nachvollziehbar, wieso sich da kein Kostenträger findet, der jetzt die Kosten für die Prophylaxe übernimmt. Und ich denke, es ist schon Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Prophylaxe oder die Ausrottung dieses Bakteriums eine Pflichtleistung wird – das muss Ziel der Politik sein.“
MRSA ist das Kürzel für die bösartigste Variante jener Infektionen, die man sich in deutschen Kliniken einfangen kann. Auch nach über drei Jahren macht Dagmar Tysiak die Erinnerung schwer zu schaffen: daran, wie ihr Ehemann Paul sich wegen einer eher harmlosen Erkrankung in stationäre Behandlung begab – und dann im Krankenhaus an den Folgen einer Blutvergiftung elend zugrunde ging:
„Sie konnten praktisch sehen, wie der Keim meinen Mann auffraß. Er war nachher bis zum Bauchnabel schwarz und wie verfault. Die Füße unten, die waren offen, und der Bauch war geschwollen. Und mein Mann, also, er war nicht mehr richtig bei sich. Er zeigte keine Reaktionen, nicht. Ja und dann, ist er dann, nach einem halben Jahr, ist er dann verstorben.“
80 Jahre ist Paul Tysiak alt geworden, er hätte aber noch viel länger leben können.
Nach übereinstimmenden Schätzungen von Fachmedizinern sterben in Deutschland jedes Jahr zehn- bis zwanzigtausend Menschen an bakteriellen Infektionen, die sie sich erst im Krankenhaus eingefangen haben. Zum Vergleich: Bei Unfällen auf deutschen Straßen kommen jährlich etwa viertausend Menschen ums Leben. Nach Angaben der großen gesetzlichen Krankenkasse Barmer GEK erkranken allein 75.000 ihrer Mitglieder jährlich an einer durch Krankenhauskeime ausgelösten Infektion mit mehr oder minder schwerem Verlauf; eine halbe Million Patienten sollen es insgesamt in Deutschland sein.
Der Berliner Arzt Klaus-Dieter Zastrow ist Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, eines wissenschaftlichen Fachverbandes. Er erklärt, wie schnell man sich in einer Klinik eine Infektion zuziehen kann:
„Die Patienten erfahren ja eine Behandlung, sei es eine Operation oder es wird ein Katheder gelegt, und damit wird die natürliche Schutzschranke des Körpers, die Haut, durchtrennt. Und dann können Bakterien in diese offenen Körperstellen jetzt eintreten.“
Besonders bei älteren und chronisch kranken Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist, können solche Infektionen verheerende Wirkung zeigen. Zwar ist nicht jede Infektion durch verbesserte Hygiene vermeidbar. Aber Zastrow und auch andere Experten sind sich sicher ...
„... dass es eine große Anzahl von vermeidbaren Infektionen gibt, dass man das seit 25, 30 Jahren ganz genau weiß – und trotzdem hat sich, was die Gesetzgebung anbelangt und den Standard – eigentlich nichts geändert.“
Doch vielleicht ändert sich jetzt etwas, denn ein Hygieneskandal in München sorgt derzeit bundesweit für Schlagzeilen und sensibilisiert die Öffentlichkeit. An zwei städtischen Kliniken in der bayerischen Landeshauptstadt hat es Probleme mit schlampig gereinigten Operationsbestecken gegeben. Unklar ist noch, ob dadurch Menschen zu Schaden kamen. Doch alleine die Vorstellung, dass bei einer Operation mit nicht-sterilen Instrumenten hantiert wird, an denen noch kleinste Blut- oder Gewebereste anderer Patienten kleben, löste bei Bürgern und Lokalpolitikern gleichermaßen Ekel aus. Dabei ist der Fall, so spektakulär er sein mag, eigentlich untypisch.
„Häufig wird ja so gedacht: „Ja, im OP da passiert viel!“ Nein, das passiert glücklicherweise relativ wenig. Denn dort sind wir extrem gut ausgestattet, im Verhältnis zum Rest, meine ich natürlich. Wir haben sterile Luft, wir haben sterile Kleidung, wir haben einen Mund-Nasen-Schutz, wir haben einen Haarschutz, der Patient ist steril abgedeckt, der wird abgewaschen, desinfiziert. Deswegen ist die Infektionsquelle Operationssaal relativ selten.“
Weitaus häufiger geschieht es, dass Patienten nach der Operation erkranken: indem das Klinikpersonal unabsichtlich Keime von einem auf den anderen Patienten überträgt – durch Nachlässigkeiten bei der Hygiene. So desinfizieren sich Ärzte und Pflegekräfte zum Beispiel häufig nicht die Hände, wenn sie von einem Patienten zum anderen gehen. Wenn sie Verbände austauschen, Katheter legen oder auch bloß zur Begrüßung Hände schütteln, können sie so Patienten mit den Keimen anderer anstecken. Die Ursache solcher Schlampereien sei häufig Zeitdruck, meint der grüne Parlamentarier Harald Terpe. Er ist Oberarzt an der Uniklinik in Rostock und Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestags.
„Wir wissen ja, dass beispielsweise in den Krankenhäusern im letzten Jahrzehnt etwa 50.000 Pflegekräfte abgebaut worden sind, aus ökonomischen Gründen, manchmal sogar aus Profitorientierungsgründen – Sie wissen ja, dass ein Teil der Krankenhäuser sehr stark gewinnorientiert auch ist. Dann wird man auch personelle Engpässe haben, die dazu führen, dass das Hygieneregime nicht vorschriftsmäßig durchgeführt werden kann.“
Ein Argument, das der Hygienefacharzt Klaus-Dieter Zastrow für den normalen Krankenhausalltag nicht gelten lassen will. Zeitnot könne keine Entschuldigung dafür sein, bei den einfachsten Hygienemaßnahmen zu schlampen.
„Die Händedesinfektion dauert etwa 30 Sekunden. Diese 30 Sekunden hat man immer. Wenn irgendwo eine Riesenarterie getroffen wird und das Blut schießt springbrunnenartig aus dem Körper. Das sind Situationen, da sagt man: ‚Okay, da hast du keine Zeit mehr. Bevor der Patient jetzt steril stirbt, macht man's jetzt auch ohne Desinfektion.‘ Aber die Zeit von 30 Sekunden hat man immer, dieses Sich-Vorher-Ausstatten mit einem sterilen Handschuh, mit einem Mund-Nasen-Schutz oder mit einem Schutzkittel, die Möglichkeiten gibt es immer.“
... zumindest auf den normalen Krankenhausstationen. Auf den Spezialstationen ist die Lage dagegen oft heikler.
„Also, jetzt gehen wir auf die Intensivstation.“
„Die Schleuse öffnet sich. Man kann jetzt nicht einfach die nächste Schleusentür öffnen, sondern muss wirklich warten.“
Durch eine Schleuse betritt man die Intensivstation des evangelischen Krankenhauses Johannisstift in Münster. Hierhin kommen insbesondere Patienten vor oder nach einer Operation – Menschen, die besonders anfällig für Infektionen sind. Bevor Chefarzt Ulrich Hartenauer einen Patienten berührt, zieht er Schutzkleidung an.
„Haube immer als Erstes. Mundschutz. Auch das will gelernt sein. Man muss nach unten immer genügend freie Luft haben, sonst beschlagen die Brillengläser. Das ist dann unschön.“
Dann schlüpft Hartenauer in einen Wegwerfkittel, den er über der Arbeitskleidung trägt. Jetzt ist er fast von Kopf bis Fuß vermummt, der Patient im Bett kann nur ahnen, ob ihn sein Arzt anlächelt.
In jedem Raum ist in Türnähe eine Desinfektionsvorrichtung an die Wand geschraubt. Gerade geht es auf der Station recht ruhig zu, nur zwei der fünf Betten sind belegt. Burghild Mönninghoff findet Zeit zu demonstrieren, wie sie sich die Hände desinfiziert. Ein Prozedere, das die examinierte Krankenschwester in jeder Schicht viele Dutzend Male durchführt, auf immer exakt dieselbe, vorgeschriebene Weise.
„Diesen Ablauf spule ich wie selbstverständlich – selbstverständlich selbstverständlich! – jedes Mal ab. So! Also nach jedem Patientenkontakt im Prinzip mache ich das. Lästig ist das gar nicht. Das fällt mir gar nicht mehr auf. Und es ist ganz hautfreundlich. Gottseidank, mittlerweile. Sonst, wenn das nicht hautfreundlich wäre und wir hätten Probleme, würde ich das sicher nicht so oft machen. Da würde ich mogeln.“
Auf dieser Intensivstation in Münster wird die Hygiene sehr ernst genommen, doch typisch ist das leider nicht. Deutschlandweit gibt es auf vielen Intensivstationen zu wenig Pflegepersonal, um die Hygienestandards konsequent einzuhalten. Insbesondere in der personell ausgedünnten Nachtschicht ist Nachlässigkeit nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das hat auch Dagmar Tysiak beobachtet, als sie seinerzeit am Krankenbett ihres Mannes wachte. Tagsüber wurde er von den anderen Patienten isoliert, damit diese sich nicht mit dem lebensbedrohlichen MRSA-Keim infizierten:
„Ich wusste manchmal gar nicht, welche Schwester das war, so vermummt, wie die reinkamen. Das war tagsüber – und nachts ... gab es da nichts. Da kam die Schwester dann so rein, weil sie ganz einfach die Zeit nicht hatte, nicht? Es lag jetzt nicht an der Schwester, aber an dem ganzen Ablauf, nicht?“
Dabei existiert eigentlich längst eine Richtlinie für die Krankenhaushygiene, bereits 1999 vom Robert-Koch-Institut erlassen, einer Einrichtung, die dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist.
„In dieser Richtlinie von 1999 steht praktisch alles drin, was man braucht, alles, was man tun müsste. Die Richtlinie ist eigentlich umfassend.“
Sie hat aber den entscheidenden Nachteil, dass sie nur eine Empfehlung ist – und damit unverbindlich. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Terpe meint:
„Ich denke, dass es an der Zeit wäre, dass jedes Bundesland verbindliche Verordnungen durchsetzt, die Hygiene in den Krankenhäusern und in den Arztpraxen betreffend.“
Lediglich fünf der 16 Bundesländer haben solche Hygieneverordnungen bereits erlassen.
„Wenn die Länder nicht handeln, dann ist der Bund meiner Meinung nach auch verpflichtet, in so einer Situation dann selbst zu handeln und die Sache an sich zu ziehen.“
Was die meisten Gesundheitspolitiker aber anders sehen – parteienübergreifend.
„Die Landesbehörden haben entsprechende Verordnungs- und Gesetzgebungskompetenz. Also ich betone hier, dass das Krankenhauswesen Ländersache ist.“
Was allerdings in anderen Fällen keinen Gesundheitspolitiker geschert habe, behauptet Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene:
„Es gibt einen Paragrafen23 im Infektionsschutzgesetz und da steht drin: Jedes Krankenhaus muss eine Infektionsstatistik führen. Warum kann ich da nicht schreiben: ‚und eine Abteilung für Krankenhaushygiene haben‘? Also, das geht alles. Schauen Sie – das ist ja noch gut in Erinnerung –, vor anderthalb Jahren, da wurde über Nacht eine Meldepflicht für die Schweinegrippe aus dem Boden gestampft, für ganz Deutschland. Da hat auch keiner nach Föderalismus geschrien. Es gab vor noch viel längerer Zeit mal eine Salmonellen-Eier-Notverordnung. Wurde auch gemacht. Das geht alles, das ist überhaupt kein Problem.“
Letztlich reduziert sich diese politische Debatte wohl auf die simple Frage, für wie dringlich die Parteien es erachten, gegen die kontinuierlich steigenden Infektionsraten in den Kliniken anzugehen. Unbestreitbar ist dabei die Gefahr, die von dem gefährlichsten Krankenhauskeim ausgeht, von MRSA, an dem bereits jährlich mehrere Zehntausend Klinikpatienten akut erkranken.
MRSA steht für Methicillinresistente Staphylococcus aureus. Ein Krankheitserreger, der sich mit Methicillin und anderen gängigen Antibiotika nicht mehr wirksam bekämpfen lässt. Ganz im Gegenteil: Behandelt ein Arzt MRSA mit normalen Medikamenten, schaltet er damit die Konkurrenzbakterien aus – die MRSA-Mikroorganismen haben jetzt freie Bahn, sich im Körper auszubreiten. Eine Behandlung ist aufwendig: Die spezifischen MRSA-Bakterienstämme müssen durch Tests ermittelt werden, denn nur ein exakt dazu passendes Antibiotikum hilft. Wird die MRSA-Erkrankung zu spät erkannt, kann der Patient häufig nicht mehr gerettet werden. Auf dem Totenschein taucht MRSA häufig nicht als Ursache auf, dafür die Folgen wie Lungenentzündung oder Blutvergiftung.
Glücklicherweise gibt es noch keinen MRSA-Stamm, der gegen alle verfügbaren Antibiotika resistent wäre. Aber: Wenn die Bakterien erst einmal in den Knochen vorgedrungen sind oder eine Blutvergiftung vorliegt, dann kann es für eine erfolgreiche Behandlung bereits zu spät sein. Dagmar Tysiak hat mit anderen Angehörigen und Betroffenen eine Selbsthilfegruppe gegründet. Mit dabei ist Karin Häussler. Ihr Mann Robert, ein eigentlich kerngesunder Hobbysportler von 67 Jahren, war wegen einer Lappalie ins Krankenhaus gekommen – und hat es nicht mehr lebendig verlassen.
„Es war nur eine harmlose Schulterspiegelung von einer halben Stunde. Mein Mann ist Privatpatient, Chefarztbehandlung, nur nebenbei gesagt. Und plötzlich, am zweiten Tag, fing er an zu taumeln. Und es hieß, er hat eine Blutvergiftung, eine Sepsis. Er ist dann nicht mehr von der Intensivstation runtergekommen. Alle Möglichkeiten der Intensivstation in Duisburg sind ausgeschöpft worden, und es ist da kein Mittel, das da geholfen hat, er ist ganz furchtbar verstorben. Künstliches Koma, halbes Ohr weggeschnitten, Nierenversagen, Wasser in der Lunge und was es so alles gibt.“
Dabei können Krankenhauskeime durchaus erfolgreich bekämpft werden. Die Niederlande machen es vor. In unserem Nachbarland sind MRSA-Infektionen ein seltener Ausnahmefall.
Denn dort wird bei der Aufnahme in ein Krankenhaus überprüft, ob der Patient einer MRSA-Risikogruppe angehört. Dazu zählen zum Beispiel Pflegeheimbewohner, Dialysepatienten und Menschen mit chronischen Wunden oder Kathetern. Diese Risikopatienten werden sofort auf MRSA getestet und, bis der Laborbefund vorliegt, vorsorglich isoliert.
Viele Menschen tragen MRSA-Bakterien in ihrem Körper, ohne es zu wissen. Gefährlich sind diese Bakterien in einem gesunden Organismus nicht – wie Alexander Friedrich, Oberarzt an der Uniklinik in Münster, erklärt:
„Der Erreger lebt beim Menschen im Nasenvorhof und im Rachen. Ohne krank zu machen! Das heißt, wenn ich eine Infektion verhindern möchte oder eine Übertragung verhindern möchte, muss ich den Träger finden, der noch gar nicht krank ist. Und deswegen führt man ein sogenanntes Screening durch, das heißt, es wird ein Tupfer in den Nasenvorhof und in den Rachen getan und dann im Labor nachgewiesen, ob der Erreger anwesend ist, ohne krank zu machen.“
Wird in den Niederlanden ein Patient positiv auf MRSA-Keime getestet, bleibt er im Krankenhaus so lange isoliert, bis die Erreger vernichtet sind. Eine Behandlung, die weder besonders zeit- noch kostenintensiv ist: Der Patient wäscht sich lediglich einige Tage mit desinfizierenden Seifen, ihm werden Rachenspülungen und Nasensalben verordnet.
Das klingt einfach – und ist es auch, weiß Alexander Friedrich, der ein Pilotprojekt im Münsterland leitet. Seit fünf Jahren orientiert man sich dort am niederländischen Vorbild und organisiert sogenannte Screenings: Reihenuntersuchungen von MRSA-Risikogruppen. Kliniken, Labore, Ämter, Arztpraxen, Kassen beteiligen sich; die Europäische Union hilft mit Fördergeldern. Mit messbarem Erfolg: 40 Krankenhäuser haben bereits ein Qualitätssiegel erworben, deutlich weniger Patienten infizieren sich jetzt mit MRSA. Was natürlich nur klappt, weil sich alle Kliniken beteiligen, wie Friedrich betont.
„Es darf natürlich nicht so sein, dass nur ein Krankenhaus screent und alle anderen Krankenhäuser drum herum nicht. Weil sonst würde das Krankenhaus, das screent zum Schutz der Patienten, einen finanziellen Nachteil daraus haben, Patienten schützen zu wollen. Es müssen alle Krankenhäuser, müssen sozusagen den gleichen präventiven Aufwand betreiben.“
Ein Konzept, das bei einer der größten deutschen gesetzlichen Krankenkassen auf Zustimmung stößt. Holger Langkutsch, Verwaltungsratsvorsitzender der Barmer GEK, hält viel davon, bei Neuankömmlingen in Krankenhäusern routinemäßig MRSA-Risikogruppen zu identifizieren.
„Das halte ich für ausgesprochen vernünftig. Das hat ja nichts mit Diskriminierung zu tun, das hat ja mit Schutz der Mitpatienten und Mitpatientinnen zu tun, aber auch zur eigenen Behandlung. Denn wenn das nicht erkannt wird, dann ist ja grad der Betroffene oder die Betroffene insbesondere gefährdet, durch eine Infektion nachher Folgeschäden zu erleiden, die bis hin zu einem frühzeitigen Ableben führen können.“
Nicht nur den Betroffenen bliebe viel Leid erspart, auch die chronisch klammen Krankenkassen wären vor unnötigen Ausgaben geschützt. Ein MRSA-Labortest kostet ein bis zwei Euro; wenn das Ergebnis besonders schnell vorliegen soll, können maximal 30 Euro auflaufen. Erkrankt dagegen ein Patient aufgrund von MRSA-Keimen, summieren sich die Behandlungskosten schnell auf mehrere Zehntausend Euro. Dass die Krankenhäuser nicht von sich aus ein Screening organisieren, hängt – wie Hygieneexperte Klaus-Dieter Zastrow erklärt – mit einem spezifischen Problem unseres verzweigten Gesundheitswesens zusammen ...
" ... dass das Screening, die Untersuchung, die im Krankenhaus gemacht wird, vom Krankenhaus bezahlt wird, und die Mehrkosten vom Fall von jemand anderem, nämlich von der Krankenkasse. Und da muss eben die Politik tätig werden.“
Die noch ein weiteres Problem lösen müsste: Derzeit ist es nicht möglich, sich bei einem Haus- oder Facharzt vorsorglich auf MRSA testen und dagegen behandeln zu lassen. Dass es klug wäre, den Keim zu erkennen und zu vernichten, bevor er eine verheerende Wirkung entfalten kann, ist unbestritten. Doch solange die Krankheit nicht ausgebrochen ist, gilt der Träger des Keims als gesund – und der Arzt, der seinem Patienten helfen möchte, auch gesund zu bleiben, bekommt Ärger mit den Kassen, wie Alexander Friedrich berichtet:
„Wenn er Laboruntersuchungen durchführt, obwohl der Patient gar nicht krank ist, kann das gegen seinen Wirtschaftlichkeitsbonus gehen. Es ist so, dass Ärzte, wenn sie auffallen durch mehr Labor als ihre Kollegen aus dem gleichen Fachgebiet, dann werden ihnen letztendlich ihr Nettogehalt gekürzt. Sie werden dafür bestraft, weil sie eigentlich eine prophylaktische Leistung durchführen.“
Für die MRSA-Vorsorge fühlt sich im deutschen Gesundheitssystem niemand verantwortlich. Höchste Zeit zu handeln, findet auch der CDU-Gesundheitspolitiker und Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen.
„Das ist auch eigentlich für mich unglaublich, aus Sicht der Patienten und aus Sicht der Politik nicht nachvollziehbar. Es kann großes Leid vermieden werden, wenn wir hier reagieren, und es können Kosten eingespart werden. Und wenn wir an die Kosteneinsparung denken, dann ist erst recht nicht nachvollziehbar, wieso sich da kein Kostenträger findet, der jetzt die Kosten für die Prophylaxe übernimmt. Und ich denke, es ist schon Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Prophylaxe oder die Ausrottung dieses Bakteriums eine Pflichtleistung wird – das muss Ziel der Politik sein.“