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Der "Todesfuge"-Autor und die Deutschen
Celans Leiden an der Nation

Die Gedichte Paul Celans gedachten den sechs Millionen ermordeten Juden. 1960 erhielt er den Büchner-Preis, fühlte sich als jüdischer Dichter aber stets fremd unter Deutschen. Wolfgang Emmerich hat das "deutsche" Leiden Celans nun neu untersucht.

Michael Braun im Gespräch mit Tanya Lieske |
Das undatierte s/w-Porträt aus den 1960er Jahren zeigt den Lyriker Paul Celan (1920-1970). Der deutschsprachige Künstler aus Rumänien wurde bekannt durch die 1952 erschienene Gedichtesammlung "Mohn und Gedächtnis".
Wurde der Paul Celan Opfer deutscher Ressentiments? Das fragt Wolfgang Emmerich in seiner Studie (picture alliance / Richard Koll)
Das tragische Schicksal des jüdischen Dichters Paul Celan, der sich vor 50 Jahren in Paris das Leben nahm, erkläre sich vor allem biografisch, meint Michael Braun im Gespräch über die neue Celan-Studie von Wolfgang Emmerich. 1920 in Czernowitz (Rumänien) als Sohn jüdischer Eltern geboren, die 1942 als Zwangsarbeiter von den Nazis ermordet wurden, quälten Paul Celan wie viele Holocaust-Überlebende Schuldgefühle. Früh sei er dadurch schon als junger Mann in ein "abgrundtiefes Dilemma" (wie es Emmerich in seinem Buch nennt) geraten, das lebenslang zu einem schweren, inneren Konflikt führte: Einerseits war Celan von Jugend an von der deutschen Literatur fasziniert und verehrte Autoren wie Hölderlin, Rilke und Kafka. Andererseits aber blieb Deutschland für ihn auch immer das Land, aus dem die Nazi-Mörder seiner Eltern kamen.
Die nicht allzu gründlich gelungene Entnazifierung der deutschen Nachriegsgesellschaft war hier nicht gerade hilfreich, Celans bereits vorhandenes Misstrauen gegenüber den Deutschen zu beschwichtigen. Im Gegenteil: Celan machte in den 50er Jahren zu oft die Erfahrung, dass man ihm mit mal mehr, mal weniger antisemistischen Ressentiments begegnete. Sei es bei seiner ersten öffentlichen Lesung 1952 vor der Gruppe 47, als man ihn wegen seines emphatischen Vortrage-Stils mit Joseph Goebbels verglich. Sei es in deutschen Zeitungskritiken über Celans Dichtung in den 50er Jahren, in denen zwar oft die Schönheit seiner Verse (etwa der berühmten "Todesfuge") gelobt wurde, aber umgekehrt auch häufig Celans lyrisches Haupttema, der Holocaust, geradezu peinlich berührt, weitgehend ausgeklammert wurde. Über den millionenfachen Judenmord durch die Nazis wollten nur wenige Deutsche der Wirtschaftswunderzeit sprechen, man von daher lieber den "Wohllaut" des jüdischen Dichters.
Als der Kritiker Günter Blöckerdann auch noch 1959 Celan eine "Wirklichkeitsferne" seiner Gedichte vorwarf, war der jüdische Lyriker endgültig gekränkt und enttäuscht darüber, wie man seine Gedichte in Deutschland las – und, mal mehr, mal weniger absichtlich missverstand...
Wolfgang Emmerich: "Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen".
Wallstein Verlag, Göttingen.
400 Seiten, 24 Euro.