In den USA verklagen Bundesregierung und fast alle Bundesstaaten Facebook. Die neue Biden-Regierung will auch kritischer mit sozialen Plattformen umgehen. Twitter markiert immer öfter falsche Tweets. Die EU-Kommission hat zwei Gesetze vorgelegt, die die ganze digitale Welt neu ordnen und die bisherige Macht der großen Konzerne brechen sollen.
Es scheint, als sei die Zeit, in der die großen Unternehmen im Internet tun und lassen konnten, was sie wollen, vorbei. Zunehmend sollen sie für Inhalte haften, die auf ihnen geteilt werden. Die Unternehmen wollen sich mit viel Geld wehren.
Das Versprechen ungefilterten Gedankenaustauschs
Aber ist das überhaupt anstrebenswert, die Plattformen auf diese Weise zu regulieren? War das Internet nicht auch einst das Versprechen großer Freiheit? Von ungefilterertem Gedankenaustausch? Als ich vor gut 20 Jahren mein Online-Daseins begann, hieß es: "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Gerade diese Freiheit hat Phänomene wie den Arabischen Frühling und diverse Menschenrechtsinitiativen erst ermöglicht und gab Unterdrückten, Randgruppen und Andersdenkenden Raum, sich zu verbinden und zu entfalten.
Doch es gab auch immer die Schattenseiten. Und nun sollen die Online-Riesen also mehr Verantwortung übernehmen für den Hass, dem sie auch eine Plattform geben. Das klingt wie Bevormundung. Aber das ist es nicht. Es geht bloß etwas am Ziel vorbei. Was diese Gesetze regulieren, ist ja nicht "die freie Gesellschaft". Es sind private, gewinnorientierte Unternehmen, deren Geschäftsmodell darin besteht, die Daten der Benutzer an Werbekunden zu verkaufen.
Ich sage das jetzt nochmal in aller Deutlichkeit. Alles, was wir machen: Der Austausch mit unseren Familien und Freunden, die politischen Diskussionen, unser geteilter Humor, unsere demokratische Debatte finden komplett auf Werbeplattformen statt. Wenn man das nüchtern betrachtet, klingt das ein klein wenig irrsinnig.
Wer hat eigentlich Marc Zuckerberg gewählt?
Wer Werbung verkaufen will, braucht Kunden, die lange auf Bildschirme starren und viel teilen. Das geht durch immer radikalere, krassere Inhalte. Schon haben wir die Misere. Natürlich kann man darüber streiten, wie repressiv es ist, wenn verschiedene Regierungschefs Mark Zuckerberg unter Druck setzen. Aber die bessere Frage ist meiner Meinung nach, wer Mark Zuckerberg eigentlich gewählt hat, dass er jetzt darüber entscheidet, was freie Rede ist und welche Algorithmen mir meine täglichen Nachrichten vorsetzen. Er sollte nicht die entscheidende Stelle dafür sein.
So große Datensammlungen sind außerdem auch dann ein Problem, wenn man der Regierung massiv misstraut und sich den freien Kapitalismus ersehnt. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass eine Regierung Zugriff auf Kundendaten genommen hätte. Wo viele Daten gesammelt werden, sind sie in Gefahr.
Schafft Schnittstellen zwischen den Plattformen!
Es liegt in unserem Interesse, das Internet wirklich frei zu gestalten: dezentral und offen. Es gibt eine Stelle in der neuen EU-Gesetzesinitiative, die in diesem Zusammenhang wirklich interessant ist: Die Verpflichtung zu Interoperabilität. Das bedeutet, dass die großen sozialen Plattformen miteinander und mit anderen Plattformen "reden" können müssen. Wenn ich auf Facebook poste, könnte also meine Cousine auf der freien Plattform Diaspora das lesen – und anders herum.
Dadurch entfiele der Druck für den Einzelnen, auf Plattformen mit der größten Reichweite zu sein. Und dadurch zerfallen Monopole. Wir können mehr dezentrale Plattformen mit offenem Quellcode fördern. Vielleicht solche, die nicht darauf angewiesen sind, Werbung zu verkaufen. Zum Beispiel weil sie von ihren Nutzern genossenschaftlich besessen werden. Das wäre ein wirklich freies Internet.