O-Ton Hildegard Hamm-Brücher: "Ich habe den Gauck unterstützt, weil ich mir gedacht habe, es ist ganz wichtig, dass wir jetzt einen Bundespräsidenten bekommen, der absolut integer ist. Es ist nicht gelungen, aber wir haben recht gehabt, dass wir es versucht haben, stellt sich jetzt heraus."
O-Ton Peter Altmaier: "Nach allem, was wir wissen, ist ihm juristisch jedenfalls kein Vorwurf zu machen. Wir in der CDU/CSU, wir haben diesen Präsidenten vorgeschlagen und wir stehen auch hinter Christian Wulff. Es gab bislang einen Comment, dass wir die Person des Bundespräsidenten aus parteipolitischen, polemischen Auseinandersetzungen heraushalten."
O-Ton Renate Künast: "Ich finde, dass jeder von uns und vornean ein Bundespräsident respektvoll mit dem Amt umgehen muss, das ihm nicht gehört. Das Amt des Bundespräsidenten gehört uns allen. Das ist der erste im Staate, der soll sinnstiftend sein und nicht nur Orden anheften und Hände schütteln."
Bettina Klein: Und wir hörten die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, und zum Schluss die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Renate Künast, und zwar in einer Talkshow am vergangenen Sonntagabend im Ersten Deutschen Fernsehen, die die einen als Tribunal empfunden, die anderen als eine der interessantesten Sendungen dieser Art der letzten Zeit bewertet haben. Inzwischen hat die Debatte um den Bundespräsidenten also auch diese, die Metaebene erreicht. Reden wir zu viel? Sind Medien zu parteiisch? Oder tun wir hier alle einfach unsere Pflicht, stellen Fragen und wenn es gut geht auch Nachfragen und geben der Debatte einen Raum? Dazu sind Medien nämlich da. Ein Thema jetzt im Gespräch mit einem Kollegen, der lange Erfahrung hat im Medium Fernsehen: Nikolaus Brender, ehemaliger Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens. Schönen guten Morgen, Herr Brender.
Nikolaus Brender: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Wir haben es in den Nachrichten auch gehört, auch in Berichten in diesem Programm: ein Ende der Debatte, die Forderung einiger Unions-Politiker heute Morgen. Sollten Journalisten jetzt das Fragen und das Nachfragen einstellen?
Brender: Warum sollten wir das Nachfragen einstellen? Wenn wir das täten, könnten wir unseren Job einstellen, dann können wir die freie Presse einstellen. Das ist unsere Aufgabe, so lange nachzufragen, bis die Antworten, die gegeben werden, entweder von Persönlichkeiten, auch des Bundespräsidenten, beantwortet sind, gelöst sind, klar sind, oder Fragen beziehungsweise Probleme so aufgezeigt werden, dass sie auch verständlich sind. Das ist unsere Aufgabe und da gibt es gerade auch von Parteien überhaupt keinen Grund, uns irgendwelche Fesseln anzulegen.
Klein: Ein Ende der Debatte, diese Forderung wird mitunter dann aufgestellt, wenn die Lage ein bisschen aussichtslos erscheint. Wie ordnen Sie diese Aufforderungen ein, auch als eine Art Versuch der Verteidigung des Bundespräsidenten, auch des Amts des Bundespräsidenten?
Brender: Na ja, es ist klar: Wir haben jetzt ein paar Tage noch bis zu Weihnachten und nun ist ein Rennen um die Zeit entstanden. Jeder versucht, den Samstag zu erreichen. Das Bundespräsidialamt, der Bundespräsident, vor allem der Pressesprecher versuchen natürlich diesen Termin hinzukriegen, in der Hoffnung, nach Weihnachten ist das alles gelaufen, da kommt eine Zeit der Ruhe. Die Presse versucht, diesen Termin, und die Medien versuchen, diesen Termin zu erreichen und vorher ein Ergebnis zu bekommen, weil auch sie fürchten, in der Weihnachtszeit sackt alles zusammen. Nur: Das ist aber eine Vorstellung, die so nicht mehr gilt. Seitdem Weihnachten vor allem ein Fest des Verkaufens ist, gibt es überhaupt keine Gründe dafür, dass auch nicht Informationen über Weihnachten verkauft werden. Diese Illusion eines ruhigen Weihnachtens gibt es nicht. Und die Strategie des Präsidialamts, diesen Termin zu erreichen, wird nicht funktionieren.
Klein: Geben Sie uns Ihre Prognose ab - ein früher Zeitpunkt im Interview, ich gebe es zu -, was erwarten Sie in den nächsten Tagen?
Brender: Ich kann nur hoffen - das ist ohnehin ein ganz schwieriger Moment, auch für den Bundespräsidenten. Nun muss der eine Weihnachtsansprache halten. Jeder wartet natürlich auf diese Ansprache. Nimmt er seinen eigenen Fall zum Thema? Sagt er das, was man von ihm persönlich erwartet, nämlich eine eindeutige Erklärung zu seinem trickigen Verhalten? Wenn er das dort nicht tut, haben wir ein neues Thema, und die Welle wird noch größer, als sie jetzt schon ist. Ich hoffe, dass er die Einsicht hat, und er kann sich ja die Skandale dieser Republik vorerzählen lassen oder sie sich selbst angucken, übrigens auch die Diskussion um seinen Vorgänger Bundespräsident Rau, das ist beinahe vergleichbar. Es wurde dann ruhig um Rau, als er sich persönlich erklärt hat. Nun hat auch Wulff sich schon mehrere Male persönlich erklärt, aber es war nie die letzte Erklärung, es kam immer wieder was dazu.
Klein: Muss er das noch vor Weihnachten tun, vor der Botschaft, um das eine vom anderen vielleicht zu trennen?
Brender: Das sollte er machen. Ich meine, sich ins Fernsehen zu setzen und die Botschaft vom Frieden zu verkünden, ohne dass er selbst den Frieden um seine eigene Person hergestellt hat, ist doch höchst unglaubwürdig. Das wird nicht funktionieren.
Klein: Sprechen wir über die Verantwortung der Medien noch einen Augenblick. Es gibt Gerüchte, wir müssen darauf nicht im einzelnen weiter eingehen, aber es wird ja kolportiert, dass weitere Geschichten in den Schubladen von Redaktionen ruhen, und man versucht ja offensichtlich, auch auf diese Weise schon mal Druck aufzubauen, indem man sagt, wenn das und das nicht passiert, dann werden wir das und das veröffentlichen. Ist das ein seriöser Umgang mit Informationen, die vorhanden sind?
Brender: Wenn es so stimmen würde, ja, dann wäre das nicht seriös. Ich bin aber nicht überzeugt davon, ob das stimmt. Auch solche Kolportagen werden natürlich in die Welt gesetzt. In der heutigen Zeit, in der Informationen in der Regel nicht mehr gebunkert werden können - das war vor 20, 30 Jahren noch ganz anders -, auch deswegen nicht gebunkert werden können, weil keine der Medien weiß, ob die anderen diese Information auch haben und sie veröffentlichen, glaube ich, dass diese These falsch ist. Es gibt keine Informationen, die gebunkert werden, um zum richtigen Zeitpunkt sie dann abzuschießen, sondern es ist eine Entwicklung, die sich in einem solchen Zeitpunkt ergibt. Eine Zeitung recherchiert, die nächste addiert, es wird kombiniert, und vor allem, wenn immer mehr noch dazu kommt, wie jetzt auch die Geschichte von Herrn Maschmeyer, dann muss sich der Betroffene, wer auch immer das ist, nicht wundern, dass der Skandal weiterdreht. Was wir hier sehen, ist der typische Skandalverlauf, wie wir ihn aus vielen, vielen Skandalen dieser Republik kennen, und man müsste eigentlich annehmen, dass der Bundespräsident und seine Berater diese Skandale kennen und dementsprechend reagieren. Sie haben es nicht getan.
Klein: Damit meinen Sie das scheibchenweise Vorgehen von beiden Seiten, oder dass jemand eher in Bedrängnis gerät wegen des Krisenmanagements und vielleicht gar nicht mal so sehr wegen des ursprünglichen Vorwurfs?
Brender: Ja. Der Bundespräsident selbst muss sich ja kennen. Das nehme ich mal an. Und er hat sich ja auch selbst überprüft, ob er für dieses Amt geeignet ist. Wenn er all dies im Hintergrund hätte, hätte er möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen. Aber in der Tat ist dieser typische Skandalverlauf auch hier zu sehen: erst mal verdecken, nichts zugeben, dann teilweise zugeben - dann ist die Glaubwürdigkeit schon verloren. Das ganze wird dann ein Ende haben, wenn der Sachverhalt geklärt ist. Vorher wird es nicht zu Ende gehen.
Klein: Das Wort vom Kampagnenjournalismus im Fall Wulff ist inzwischen auch schon gefallen in der öffentlichen Debatte. Ist diese Assoziation für Sie nachvollziehbar?
Brender: Das sieht so aus. Das kann man schon so sehen, wenn man die Zeitungen liest. Aber was heißt denn Kampagne? Kampagne heißt das Zusammenwirken von Medien mit einem operationellen Ziel. Dies ist sicherlich nicht der Fall. Was natürlich jetzt durch die technischen Mittel passiert - und insofern ist das, was jetzt nicht nur bezogen auf den Bundespräsidenten, auch auf andere Dinge wir jeden Tag immer wieder erleben, durchaus vergleichbar mit den superschnellen Computern im Börsengeschäft. Auch in den Medien kommt das eine zum anderen zusammen. Die Algorithmen in den Computern rechnen so die einzelnen Meldungen hoch, dass sie teilweise nicht mehr in den Griff zu kriegen sind. Aber umso mehr hat der Betroffene und - das ist auch richtig - auch die Medien die Verantwortung, auch Gekochtes herunterzufahren. Und die Voraussetzung ist - und das ist ganz klar zwangsweise -, der Ruf nach dem Rücktritt ist ja relativ gering.
Klein: Es sieht so aus wie Kampagnenjournalismus, haben Sie gesagt, und in der Tat: Wenn man in den vergangenen Tagen Zeitungen wie die "Bild", den "Spiegel", sogar die "FAZ", auch andere Zeitungen, die ich hier nennen könnte, nebeneinander gelegt hat, dann war der Tenor doch relativ eindeutig. Das war schon eine relativ seltene Übereinstimmung, die da zu finden war in der deutschen Presse.
Brender: Nein, das kann man nicht sagen. Der Vorwurf des Kampagnenjournalismus ist ja nicht jung, der ist ewig alt. Den hat Schröder schon gebraucht.
Klein: Ein Kampfbegriff gegen die Medien!
Brender: Es ist doch nicht so, wenn unterschiedliche Medien zu einem gleichen Ergebnis kommen, dass das Kampagnenjournalismus ist. Auch individuell kann man zu einem gleichen Ergebnis kommen, und das ist das Recht. Der Rücktritt ist bisher in dieser Form nicht gefordert worden. Alle anderen, auch der Titel des "Spiegel", auch die "Bildzeitung" in diesem Falle, auch die "FAZ", gerade auch der Artikel von Herrn Schirrmacher, sind doch relativ eindeutig. Das sind Urteile, und zu Urteilen sind wir nicht nur befähigt, sondern das trägt uns das Grundgesetz auf, Urteile, erst mal Informationen zu bieten und dann Urteile zu haben.
Klein: Spielt auch ein bisschen eine Rolle, dass der eine oder die andere nicht ganz zufrieden sind mit dem, was in den letzten eineinhalb Jahren aus dem Schloss Bellevue inhaltlich gekommen ist? Oder anders gefragt: Können Medien einen bei ihnen ungeliebten Bundespräsidenten einfacher aus dem Amt schreiben, als sie es sonst vielleicht tun würden?
Brender: Das kann schon sein. Frau Hamm-Brücher hat das ja in dieser Fernsehsendung - den Ausschnitt haben wir ja gerade gehört - auch gesagt. Plötzlich ist ein Bundespräsident dort, von dem man all das, was jetzt eingetreten ist, im Grunde nicht erwartet hat, aber vermutet hat, sozusagen die Bestätigung der Skepsis. Das fände ich aber nicht korrekt. Ich glaube auch - die Wahl war ja nicht einfach -, mit der Wahl eines Bundespräsidenten muss man sich dann abfinden. Die andere Frage - und deswegen sage ich auch ist das Urteil des Herausgebers der "FAZ" natürlich richtig im Übrigen, wenn er sagt, wir haben jetzt einen stummen Bundespräsidenten. Das ist auch eines der Probleme, die Wulff zurzeit hat, die der Bundespräsident zurzeit hat. Es holt ihn das ein, was er selbst im Skandal um Herrn Rau veröffentlicht hat. Er hat damals - es war am 30. Januar 2000 - gesagt: Es ist tragisch, dass Deutschland in dieser schwierigen Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten hat, der seine Stimme mit Autorität erheben kann. Genau das wird ihm jetzt vorgeworfen, und das ist sein Problem.
Klein: Da wir zu Beginn unseres Gespräches die Auszüge aus der Sendung am Sonntagabend von Günther Jauch gehört haben, abschließend noch eine Frage dazu, Herr Brender. Auch diese Sendung hat durchaus kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Für die einen war es wirklich eine Sternstunde im deutschen Fernsehen, eine klare Aussage, auch durchaus vom Moderator vertreten. Wie lange kann sich der Bundespräsident noch halten? Also die Frage war nicht ob, sondern wie lange. War das eine Sternstunde des deutschen Fernsehens, oder war es grenzwertig für seriösen Journalismus?
Brender: Also eine Sternstunde war es nicht. Es war eine gute Sendung. Persönlich hätte ich möglicherweise mit diesem Auftakt nicht angefangen. Ich hätte nicht gesagt, wie lange kann er sich halten, sondern die Frage ist, ob er sich halten kann. Nämlich wie lange er sich halten kann, das hätte ja zwei Implikationen: entweder es wäre klar gewesen, dass er gegen Gesetze verstoßen hat - dieser Sachverhalt ist nicht eindeutig -, und zum zweiten, dass das moralische Zerwürfnis um ihn herum schon so groß sei, dass er gar keine andere Chance hat. So weit sind wir noch nicht. Interessant ist und ich hoffe ja, weil wir alle wissen: Es geht um das Amt des Präsidenten, es ist die letzte Institution der Glaubwürdigkeit, und Bundespräsidenten werden nicht am Fließband produziert. Ich hoffe, dass er zur Einsicht kommt. Er hat ja den gleichen Anwalt, denselben Anwalt, den auch Bundespräsident Rau hatte, nämlich Gernot Lehr, und ich hoffe, dass er ihm einige Ratschläge erteilt.
Klein: Nikolaus Brender war das, der ehemalige Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brender, und noch einen schönen Tag.
Brender: Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Peter Altmaier: "Nach allem, was wir wissen, ist ihm juristisch jedenfalls kein Vorwurf zu machen. Wir in der CDU/CSU, wir haben diesen Präsidenten vorgeschlagen und wir stehen auch hinter Christian Wulff. Es gab bislang einen Comment, dass wir die Person des Bundespräsidenten aus parteipolitischen, polemischen Auseinandersetzungen heraushalten."
O-Ton Renate Künast: "Ich finde, dass jeder von uns und vornean ein Bundespräsident respektvoll mit dem Amt umgehen muss, das ihm nicht gehört. Das Amt des Bundespräsidenten gehört uns allen. Das ist der erste im Staate, der soll sinnstiftend sein und nicht nur Orden anheften und Hände schütteln."
Bettina Klein: Und wir hörten die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, und zum Schluss die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Renate Künast, und zwar in einer Talkshow am vergangenen Sonntagabend im Ersten Deutschen Fernsehen, die die einen als Tribunal empfunden, die anderen als eine der interessantesten Sendungen dieser Art der letzten Zeit bewertet haben. Inzwischen hat die Debatte um den Bundespräsidenten also auch diese, die Metaebene erreicht. Reden wir zu viel? Sind Medien zu parteiisch? Oder tun wir hier alle einfach unsere Pflicht, stellen Fragen und wenn es gut geht auch Nachfragen und geben der Debatte einen Raum? Dazu sind Medien nämlich da. Ein Thema jetzt im Gespräch mit einem Kollegen, der lange Erfahrung hat im Medium Fernsehen: Nikolaus Brender, ehemaliger Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens. Schönen guten Morgen, Herr Brender.
Nikolaus Brender: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Wir haben es in den Nachrichten auch gehört, auch in Berichten in diesem Programm: ein Ende der Debatte, die Forderung einiger Unions-Politiker heute Morgen. Sollten Journalisten jetzt das Fragen und das Nachfragen einstellen?
Brender: Warum sollten wir das Nachfragen einstellen? Wenn wir das täten, könnten wir unseren Job einstellen, dann können wir die freie Presse einstellen. Das ist unsere Aufgabe, so lange nachzufragen, bis die Antworten, die gegeben werden, entweder von Persönlichkeiten, auch des Bundespräsidenten, beantwortet sind, gelöst sind, klar sind, oder Fragen beziehungsweise Probleme so aufgezeigt werden, dass sie auch verständlich sind. Das ist unsere Aufgabe und da gibt es gerade auch von Parteien überhaupt keinen Grund, uns irgendwelche Fesseln anzulegen.
Klein: Ein Ende der Debatte, diese Forderung wird mitunter dann aufgestellt, wenn die Lage ein bisschen aussichtslos erscheint. Wie ordnen Sie diese Aufforderungen ein, auch als eine Art Versuch der Verteidigung des Bundespräsidenten, auch des Amts des Bundespräsidenten?
Brender: Na ja, es ist klar: Wir haben jetzt ein paar Tage noch bis zu Weihnachten und nun ist ein Rennen um die Zeit entstanden. Jeder versucht, den Samstag zu erreichen. Das Bundespräsidialamt, der Bundespräsident, vor allem der Pressesprecher versuchen natürlich diesen Termin hinzukriegen, in der Hoffnung, nach Weihnachten ist das alles gelaufen, da kommt eine Zeit der Ruhe. Die Presse versucht, diesen Termin, und die Medien versuchen, diesen Termin zu erreichen und vorher ein Ergebnis zu bekommen, weil auch sie fürchten, in der Weihnachtszeit sackt alles zusammen. Nur: Das ist aber eine Vorstellung, die so nicht mehr gilt. Seitdem Weihnachten vor allem ein Fest des Verkaufens ist, gibt es überhaupt keine Gründe dafür, dass auch nicht Informationen über Weihnachten verkauft werden. Diese Illusion eines ruhigen Weihnachtens gibt es nicht. Und die Strategie des Präsidialamts, diesen Termin zu erreichen, wird nicht funktionieren.
Klein: Geben Sie uns Ihre Prognose ab - ein früher Zeitpunkt im Interview, ich gebe es zu -, was erwarten Sie in den nächsten Tagen?
Brender: Ich kann nur hoffen - das ist ohnehin ein ganz schwieriger Moment, auch für den Bundespräsidenten. Nun muss der eine Weihnachtsansprache halten. Jeder wartet natürlich auf diese Ansprache. Nimmt er seinen eigenen Fall zum Thema? Sagt er das, was man von ihm persönlich erwartet, nämlich eine eindeutige Erklärung zu seinem trickigen Verhalten? Wenn er das dort nicht tut, haben wir ein neues Thema, und die Welle wird noch größer, als sie jetzt schon ist. Ich hoffe, dass er die Einsicht hat, und er kann sich ja die Skandale dieser Republik vorerzählen lassen oder sie sich selbst angucken, übrigens auch die Diskussion um seinen Vorgänger Bundespräsident Rau, das ist beinahe vergleichbar. Es wurde dann ruhig um Rau, als er sich persönlich erklärt hat. Nun hat auch Wulff sich schon mehrere Male persönlich erklärt, aber es war nie die letzte Erklärung, es kam immer wieder was dazu.
Klein: Muss er das noch vor Weihnachten tun, vor der Botschaft, um das eine vom anderen vielleicht zu trennen?
Brender: Das sollte er machen. Ich meine, sich ins Fernsehen zu setzen und die Botschaft vom Frieden zu verkünden, ohne dass er selbst den Frieden um seine eigene Person hergestellt hat, ist doch höchst unglaubwürdig. Das wird nicht funktionieren.
Klein: Sprechen wir über die Verantwortung der Medien noch einen Augenblick. Es gibt Gerüchte, wir müssen darauf nicht im einzelnen weiter eingehen, aber es wird ja kolportiert, dass weitere Geschichten in den Schubladen von Redaktionen ruhen, und man versucht ja offensichtlich, auch auf diese Weise schon mal Druck aufzubauen, indem man sagt, wenn das und das nicht passiert, dann werden wir das und das veröffentlichen. Ist das ein seriöser Umgang mit Informationen, die vorhanden sind?
Brender: Wenn es so stimmen würde, ja, dann wäre das nicht seriös. Ich bin aber nicht überzeugt davon, ob das stimmt. Auch solche Kolportagen werden natürlich in die Welt gesetzt. In der heutigen Zeit, in der Informationen in der Regel nicht mehr gebunkert werden können - das war vor 20, 30 Jahren noch ganz anders -, auch deswegen nicht gebunkert werden können, weil keine der Medien weiß, ob die anderen diese Information auch haben und sie veröffentlichen, glaube ich, dass diese These falsch ist. Es gibt keine Informationen, die gebunkert werden, um zum richtigen Zeitpunkt sie dann abzuschießen, sondern es ist eine Entwicklung, die sich in einem solchen Zeitpunkt ergibt. Eine Zeitung recherchiert, die nächste addiert, es wird kombiniert, und vor allem, wenn immer mehr noch dazu kommt, wie jetzt auch die Geschichte von Herrn Maschmeyer, dann muss sich der Betroffene, wer auch immer das ist, nicht wundern, dass der Skandal weiterdreht. Was wir hier sehen, ist der typische Skandalverlauf, wie wir ihn aus vielen, vielen Skandalen dieser Republik kennen, und man müsste eigentlich annehmen, dass der Bundespräsident und seine Berater diese Skandale kennen und dementsprechend reagieren. Sie haben es nicht getan.
Klein: Damit meinen Sie das scheibchenweise Vorgehen von beiden Seiten, oder dass jemand eher in Bedrängnis gerät wegen des Krisenmanagements und vielleicht gar nicht mal so sehr wegen des ursprünglichen Vorwurfs?
Brender: Ja. Der Bundespräsident selbst muss sich ja kennen. Das nehme ich mal an. Und er hat sich ja auch selbst überprüft, ob er für dieses Amt geeignet ist. Wenn er all dies im Hintergrund hätte, hätte er möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen. Aber in der Tat ist dieser typische Skandalverlauf auch hier zu sehen: erst mal verdecken, nichts zugeben, dann teilweise zugeben - dann ist die Glaubwürdigkeit schon verloren. Das ganze wird dann ein Ende haben, wenn der Sachverhalt geklärt ist. Vorher wird es nicht zu Ende gehen.
Klein: Das Wort vom Kampagnenjournalismus im Fall Wulff ist inzwischen auch schon gefallen in der öffentlichen Debatte. Ist diese Assoziation für Sie nachvollziehbar?
Brender: Das sieht so aus. Das kann man schon so sehen, wenn man die Zeitungen liest. Aber was heißt denn Kampagne? Kampagne heißt das Zusammenwirken von Medien mit einem operationellen Ziel. Dies ist sicherlich nicht der Fall. Was natürlich jetzt durch die technischen Mittel passiert - und insofern ist das, was jetzt nicht nur bezogen auf den Bundespräsidenten, auch auf andere Dinge wir jeden Tag immer wieder erleben, durchaus vergleichbar mit den superschnellen Computern im Börsengeschäft. Auch in den Medien kommt das eine zum anderen zusammen. Die Algorithmen in den Computern rechnen so die einzelnen Meldungen hoch, dass sie teilweise nicht mehr in den Griff zu kriegen sind. Aber umso mehr hat der Betroffene und - das ist auch richtig - auch die Medien die Verantwortung, auch Gekochtes herunterzufahren. Und die Voraussetzung ist - und das ist ganz klar zwangsweise -, der Ruf nach dem Rücktritt ist ja relativ gering.
Klein: Es sieht so aus wie Kampagnenjournalismus, haben Sie gesagt, und in der Tat: Wenn man in den vergangenen Tagen Zeitungen wie die "Bild", den "Spiegel", sogar die "FAZ", auch andere Zeitungen, die ich hier nennen könnte, nebeneinander gelegt hat, dann war der Tenor doch relativ eindeutig. Das war schon eine relativ seltene Übereinstimmung, die da zu finden war in der deutschen Presse.
Brender: Nein, das kann man nicht sagen. Der Vorwurf des Kampagnenjournalismus ist ja nicht jung, der ist ewig alt. Den hat Schröder schon gebraucht.
Klein: Ein Kampfbegriff gegen die Medien!
Brender: Es ist doch nicht so, wenn unterschiedliche Medien zu einem gleichen Ergebnis kommen, dass das Kampagnenjournalismus ist. Auch individuell kann man zu einem gleichen Ergebnis kommen, und das ist das Recht. Der Rücktritt ist bisher in dieser Form nicht gefordert worden. Alle anderen, auch der Titel des "Spiegel", auch die "Bildzeitung" in diesem Falle, auch die "FAZ", gerade auch der Artikel von Herrn Schirrmacher, sind doch relativ eindeutig. Das sind Urteile, und zu Urteilen sind wir nicht nur befähigt, sondern das trägt uns das Grundgesetz auf, Urteile, erst mal Informationen zu bieten und dann Urteile zu haben.
Klein: Spielt auch ein bisschen eine Rolle, dass der eine oder die andere nicht ganz zufrieden sind mit dem, was in den letzten eineinhalb Jahren aus dem Schloss Bellevue inhaltlich gekommen ist? Oder anders gefragt: Können Medien einen bei ihnen ungeliebten Bundespräsidenten einfacher aus dem Amt schreiben, als sie es sonst vielleicht tun würden?
Brender: Das kann schon sein. Frau Hamm-Brücher hat das ja in dieser Fernsehsendung - den Ausschnitt haben wir ja gerade gehört - auch gesagt. Plötzlich ist ein Bundespräsident dort, von dem man all das, was jetzt eingetreten ist, im Grunde nicht erwartet hat, aber vermutet hat, sozusagen die Bestätigung der Skepsis. Das fände ich aber nicht korrekt. Ich glaube auch - die Wahl war ja nicht einfach -, mit der Wahl eines Bundespräsidenten muss man sich dann abfinden. Die andere Frage - und deswegen sage ich auch ist das Urteil des Herausgebers der "FAZ" natürlich richtig im Übrigen, wenn er sagt, wir haben jetzt einen stummen Bundespräsidenten. Das ist auch eines der Probleme, die Wulff zurzeit hat, die der Bundespräsident zurzeit hat. Es holt ihn das ein, was er selbst im Skandal um Herrn Rau veröffentlicht hat. Er hat damals - es war am 30. Januar 2000 - gesagt: Es ist tragisch, dass Deutschland in dieser schwierigen Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten hat, der seine Stimme mit Autorität erheben kann. Genau das wird ihm jetzt vorgeworfen, und das ist sein Problem.
Klein: Da wir zu Beginn unseres Gespräches die Auszüge aus der Sendung am Sonntagabend von Günther Jauch gehört haben, abschließend noch eine Frage dazu, Herr Brender. Auch diese Sendung hat durchaus kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Für die einen war es wirklich eine Sternstunde im deutschen Fernsehen, eine klare Aussage, auch durchaus vom Moderator vertreten. Wie lange kann sich der Bundespräsident noch halten? Also die Frage war nicht ob, sondern wie lange. War das eine Sternstunde des deutschen Fernsehens, oder war es grenzwertig für seriösen Journalismus?
Brender: Also eine Sternstunde war es nicht. Es war eine gute Sendung. Persönlich hätte ich möglicherweise mit diesem Auftakt nicht angefangen. Ich hätte nicht gesagt, wie lange kann er sich halten, sondern die Frage ist, ob er sich halten kann. Nämlich wie lange er sich halten kann, das hätte ja zwei Implikationen: entweder es wäre klar gewesen, dass er gegen Gesetze verstoßen hat - dieser Sachverhalt ist nicht eindeutig -, und zum zweiten, dass das moralische Zerwürfnis um ihn herum schon so groß sei, dass er gar keine andere Chance hat. So weit sind wir noch nicht. Interessant ist und ich hoffe ja, weil wir alle wissen: Es geht um das Amt des Präsidenten, es ist die letzte Institution der Glaubwürdigkeit, und Bundespräsidenten werden nicht am Fließband produziert. Ich hoffe, dass er zur Einsicht kommt. Er hat ja den gleichen Anwalt, denselben Anwalt, den auch Bundespräsident Rau hatte, nämlich Gernot Lehr, und ich hoffe, dass er ihm einige Ratschläge erteilt.
Klein: Nikolaus Brender war das, der ehemalige Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brender, und noch einen schönen Tag.
Brender: Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.