Archiv

Der US-Blick auf die Wahl
Merkel steht für Kontinuität und westliche Werte

Von der Bundestagswahl in Deutschland erwarten die meisten US-Korrespondenten vor allem eines: Kontinuität. Entweder weil Angela Merkel weiter Bundeskanzlerin bleibt oder weil sich auch sonst nichts an der Politik Deutschlands ändern wird. Das Verhältnis zu den USA könnte für die nächste Regierung aber noch zum Problem werden.

Von Thilo Kößler |
    US-Präsident Trump und Bundeskanzlerin Angela Merkel
    Werden wohl keine besten Freunde mehr: US-Präsident Donald Trump und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Pool AP)
    Die US-amerikanischen Medien gehen im Vorfeld der Bundestagswahl einhellig von zwei Annahmen aus: Erstens bleibt Angela Merkel Bundeskanzlerin. Zweitens: Tut sie es nicht, bleibt die deutsche Politik, wie sie ist. Stabilitätsorientiert, berechenbar, zuverlässig. Allerdings könnte der wahre Sieger AfD heißen, mutmaßte bereits die "Washington Post", die in ihr eine Partei sieht, die sich die nationalistisch eingefärbte Programmatik Donald Trumps aufs Panier geschrieben hat.
    Merkel gilt als bewährte Krisenmanagerin
    Vor dem Hintergrund des eigenen Präsidenten, der sich im Zeichen von "America first" zunehmend aus dem transatlantischen Konsens verabschiedet, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel im liberalen Amerika zur Gralshüterin der westlichen Werte und zur einflussreichsten Verfechterin der Demokratie. Vor allem wird sie in der amerikanischen Öffentlichkeit als bewährte Krisenmanagerin wahrgenommen, die ihr Land an der Seite ihrer europäischen Partner in ihrer nunmehr zwölfjährigen Amtszeit durch die Untiefen multipler Krisen gesteuert hat. Der Präsident des Amerikanischen Instituts für zeitgenössische Deutschlandstudien, Jackson Janes, sieht in Angela Merkel einen vertrauten Charakter und damit den Inbegriff politischer Kontinuität.
    Ähnlich bewundernd fiel auch zunächst das Urteil des Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump aus, als er Angela Merkel in der frühen Phase seines Wahlkampfes noch als mächtigste Staatsfrau der Welt titulierte.
    Jäh revidierte Trump dann sein Urteil, als Angela Merkel die Grenzen öffnete. Ihre Flüchtlingspolitik trug ihr zwar den schmeichelhaften Titel der Person des Jahres ein, zu der sie das Time-Magazin 2015 kürte. Doch Donald Trump bezichtigte sie fortan, ein furchtbares politisches Desaster anzurichten. Eine einzige Schande.
    Das transatlantische Verhältnis - ein Problemfall
    Seit der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA sind aus diesen Störungen indes echte Brüche geworden. Prominent zitierten US-Medien die sogenannte Bierzelt-Rede Angela Merkels, die im Sommer dieses Jahres davon sprach, dass die Zeiten, in denen man sich ganz und gar auf seine Partner verlassen konnte, wohl vorbei seien. Merkel spielte dabei auch auf ihren ersten Besuch bei Donald Trump an, bei dem sie sich im März die Schelte anhören musste, zu wenig zu den Verteidigungslasten innerhalb der NATO beizutragen. Ja, sogar Schulden zu Lasten der USA angehäuft zu haben, die sie nun zu begleichen habe.
    Ähnlich ätzte Trump auch gegen den deutschen Außenhandelsüberschuss, gegen Freihandelsabkommen, gegen die EU und überhaupt gegen multilaterale Verträge und Verpflichtungen. Was die Kanzlerin bereits bei ihrem ersten Trump-Besuch dazu veranlasste, der Doktrin von der Durchsetzung eigener Interessen eine Kultur des Kompromisses entgegenzusetzen.
    Im Zeichen der Nordkorea-Krise und der Drohung Donald Trumps, nach dem Pariser Klimaschutzabkommen nun auch noch den Atomvertrag mit dem Iran aufzukündigen, könnte das transatlantische Verhältnis für den nächsten Bundeskanzler noch zum ernsten Problemfall werden. So, wie Donald Trump sein Land im Zeichen von "America first" neu in der Welt verortet, zwingt er auch Deutschland und seine europäischen Partner dazu, ebenfalls ihre politische Rolle zu überdenken.