Früher, in den 1960er-, 70er-Jahren, klebte man seine privaten Bilder in ein Fotoalbum, das von manchen minutiös, wie eine Familienchronik, geführt wurde. Heute speichern viele ihre Bilder nur noch im Computer. Auch bei professionellen Fotografen haben sich die Präsentationsformen geändert: Sie reichen nun von riesigen digitalen Drucken (Andreas Gursky) bis zu den skulptural wirkenden Leuchtkästen des Jeff Wall. Eine Ausstellung über Fotografie aus der DDR ist zwangsläufig mit der Frage der Ordnung verbunden: nicht nur der gesellschaftlichen Ordnung, sondern der Ordnung von Bildern, von Erinnerung. Die Kuratorin Sabine Schmid meint: Man muss bei der Arbeitshaltung der Künstler einsetzen, bei ihrer Erinnerungs-Arbeit.
Die Ordnung der Bilder als Leporello oder Wandtapete
"Ein zentraler Punkt der Ausstellung ist, welche Formen denn das Zurückblicken annehmen kann. Also wie ordnet man die Bilder, auf die man zu einem späteren Zeitpunkt nochmal blickt. Das ist bei Ulrich Wüst beispielsweise ein Leporello, das ist bei Tina Bara ein Fotofilm, in den sie Ton einspricht, in dem sie ihre Bilder kommentiert. Das kann aber genauso gut 'ne Dia-Installation sein, wo Bilder wiederholt werden, sich doppeln, ein bestimmter Rhythmus entsteht."
Oder es ist, verrückter Einfall, eine raumfüllende Wandtapete, in der Christian Lange die Ausgaben seiner Mutter im Haushaltsbuch mit Familienbildern kombiniert: was man erlebt hat – und was es kostet.
Der Berliner Fotograf Ulrich Wüst zeigt vier Serien, die so lakonische Titel haben wie "Flachland" oder "Toter Raum". Wüst fotografierte Stadtlandschaften und Alltagsmenschen - nach der Wende aber auch alte, im Keller gefundene Zeitungen mit ihren seltsamen Parolen und Aufrufen. Das DDR-Panorama, das sich daraus ergibt, wird von ihm in aufklappbaren Leporellos geordnet: ein Kleinbild-Archiv, ein Instrument für die Bearbeitung, Vergrößerung einzelner ikonischer Fotos.
Nacktheit enttarnt Spießigkeit
Tina Bara dagegen hat wilde Zeiten in der Berliner Künstlerszene hinter sich; sie ist eine Art Nan Goldin der DDR. Die suggestiv-filmische Präsentation ihrer Bilder führt uns vor Augen, dass in der DDR auch Nacktheit eine oppositionelle Haltung war, das Ausprobieren einer anderen Lebensform in kahlen, leerstehenden Räumen, Hinterhöfen oder draußen im Niemandsland. Künstler und Ost-Hippies, Abweichler, die mit ihren ungeschützten Körpern die Gewalttätigkeit und Spießigkeit des Systems enttarnen.
Die Bilder dieser Ausstellung haben auch in der Rückschau nichts Rechthaberisches; sie sind eher achselzuckende Statements zu einer bleiernen Vergangenheit. Nur 24 Prozent aller DDR-Bürger besaßen ein Telefon; Erasmus Schröter zeigt nun sogenannte Echtpostkarten, mit denen DDR-Bürger sich mangels Telefon kurze Nachrichten zukommen ließen. Diese in Millionenauflage verbreitete offizielle Bildwelt, in der möglichst jeder abgelegene Winkel mal vorkommen sollte, wird von Schröter nun nach so skurrilen Kriterien geordnet wie: Blumenkübel, Hochhäuser, Dorfstraßen.
Stimmen aus vielen Generationen
Jüngere, nachgeborene Fotoautoren machen es locker: Sven Johne konfrontiert Landschaftsbilder vor und nach der Wende auf zwei Bildwänden – aber was mit genauen Aufnahme-Daten so überzeugend daherkommt, ist dokumentarische Fiction. Und Emanuel Mathias zeigt uns eifrige Aktivisten und Betriebsfeste aus den "Brigadebüchern" einer Leipziger Baumwollspinnerei.
"Wenn man über Erinnerung, eine persönliche, individuelle, aber auch eine kollektive, gesellschaftliche Erinnerung spricht, ist das ja immer etwas, das auch generationenbezogen ist. Und deswegen war es mir ein Anliegen in der Ausstellung, vielen Stimmen aus vielen Generationen Gehör zu verschaffen", sagt die Kuratorin Sabine Schmid.
Manche Fotografen verrichten Seelenarbeit, lichten ihre Stasi-Akte ab oder wollen sich über ihren Musterungs-Bescheid die eigene Biographie wieder aneignen. Diese Ausstellung ist selber eine große Werkstatt, in der unser Bild-Gedächtnis geschult wird – egal, woher wir kommen.