Bis 17:45 Uhr hatten nach Angaben von Wahlforschern Markt bereits 55 Prozent der 13 Millionen Wahlberechtigten abgestimmt - im Vergleich mit den Werten der Parlamentswahl 2012 deutlich mehr. Damals waren es zur betreffenden Zeit 48 Prozent. Die Reaktion der Verantwortlichen: eilig aufgestellte Zusatzkabinen und - etwa in Amsterdam und Den Haag - auch nachgedruckte Stimmzettel. In Tilburg greift man mittlerweile zu unkonventionellen Methoden, um der inzwischen übervollen Wahlurnen Herr zu werden - unter strenger Aufsicht und hochoffiziell:
Der Bezirk Schiermonnikoog auf der gleichnamigen Insel meldet sogar eine Wahlbeteiligung von mehr als 100 Prozent. Der Grund: Rund 350 Bürger vom Festland sind auf die Insel im Wattenmeer gekommen, um dort ihre Stimme abzugeben.
Die hohe Wahlbeteiligung kommt offenbar gut an, wie Umfragen der öffentlich-rechtlichen Sender vor den Stimmlokalen und Reaktionen in den sozialen Netzwerken nahelegen:
Bei Medienvertretern aus den USA sorgt derweil der Umfang des Stimmzettels für Aufsehen:
Pech hatten nur 380 Passagiere eines verschobenen Fluges von Curaçao: Sie sitzen auf den Antillen fest. Nur, wer es bis zur Schließung der Wahllokale um 21 Uhr schafft, kann sein Kreuzchen machen. Die Karibikinsel besitzt den Status eines eigenen Landes innerhalb des Königreichs der Niederlande.
Die Debatte vor der Wahl
In einem TV-Duell am Montagabend trafen Rutte und Wilders aufeinander. Wilders verlangte wegen des Streits um Auftritte türkischer Politiker eine Ausweisung des türkischen Botschafters. Rutte lasse sich von Präsident Erdogan als Geisel nehmen. Zudem machte Wilders sich erneut für einen Austritt der Niederlande aus der EU stark. Rutte wies dies als unverantwortlich zurück. Er warf Wilders vor, mit "radikalisierten" und "extremen" Parolen auf Stimmenfang zu gehen. Das TV-Duell war die erste direkte öffentliche Konfrontation der beiden Politiker vor der Parlamentswahl.
Auf die Frage "Wer ist der Fähigste für das Amt des Premierministers?" antwortete in einer Umfrage eine deutliche Mehrheit mit dem Namen des amtierenden Regierungschefs Rutte:
Diplomatische Krise bestimmt Endphase
Die letzten Tage des Wahlkampfs waren bestimmt von einer diplomatischen Krise zwischen den Regierungen der Niederlande und der Türkei - deshalb wird die heutige Abstimmung begleitet von einer ungewohnt großen internationalen Aufmerksamkeit. Zudem steht die Wahl im Vorfeld wichtiger Abstimmungen in Frankreich und Deutschland, die ebenfalls noch in diesem Jahr stattfinden. Auch dort dürften rechtsgerichtete Nationalisten eine Rolle spielen.
Das bisherige Bündnis der rechtsliberalen VVD mit den Sozialdemokraten kann wahrscheinlich nicht weiterregieren und der Rechtspopulist Geert Wilders wird Mark Rutte als Regierungschef nicht ablösen. So sehen es zumindest die Umfragen. Ob diese zutreffen, wird man gegen 21.00 Uhr sehen, wenn die Wahllokale geschlossen haben und erste Prognosen erwartet werden.
In letzten Umfragen ist die VVD von Ministerpräsident Rutte zwar die stärkste Partei. Doch im Vergleich zur Parlamentswahl 2012 bewegt sie sich rund zehn Prozent unter dem damaligen Ergebnis von 26,6 Prozent. Diese neuen Verhältnisse machen eine Prognose über die politische Zukunft der Niederlande schwierig.
Die möglichen Wahlausgänge
Rutte bleibt im Amt: Für Ministerpräsident Mark Rutte besteht trotzdem die Chance, zum dritten Mal nach 2010 und 2012 Regierungschef zu werden. Doch dazu braucht er mindestens drei Partner. Die christdemokratische CDA und die linksliberale D66 wären zwei Möglichkeiten, doch die reichen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aus. Eine weitere Koalitionsmöglichkeit könnte die grüne Partei GroenLinks sein. Ob Ruttes bisheriger Partner, die sozialdemokratische Partei für die Arbeit, nochmal in die Regierung will, gilt als fraglich. Der Partei droht nach den Umfragen die größte Niederlage ihrer Geschichte. Nach 19,6 Prozent im Jahr 2012 liegt sie in den Umfragen bei sieben Prozent.
Wilders übernimmt: Das rechtspopulistische Element in den Niederlanden ist die Ein-Mann-Partei PVV von Geert Wilders, sie liegt in den Umfragen auf Platz zwei. Fast alle Parteien haben eine Zusammenarbeit mit ihm ausgeschlossen, eine Regierungsbeteiligung für den Rechtspopulisten, der Moscheen schließen und aus der Europäischen Union austreten will, ist also praktisch nicht möglich. 2012 hatte die PVV im Vergleich zu 2010 rund ein Drittel ihrer Stimmen verloren, nun deutet sich wieder ein etwas besseres Ergebnis an. Der niederländische Philologe Loek Geeradts sagte im Deutschlandfunk, Wilders werde vermutlich politisch "keine Rolle spielen".
Eine Mitte-Links-Regierung: Das wäre eine Überraschung, doch sie ist rechnerisch möglich. Die Sozialdemokraten, die Sozialisten und GroenLinks könnten sich schnell einigen. Sie verstehen sich auch relativ gut mit den Linksliberalen der D66 und der linken ChristenUnie. Aber: Die konservativen Christdemokraten würden wohl nur mitmachen, wenn die Sozialisten aussteigen.
Eine Minderheitsregierung: Durch die zahlreichen Parteien, die auch mangels einer Sperrklausel - wie es sie mit der Fünf-Prozent-Hürde im Bundestag gibt - in das Parlament einziehen werden, ist auch das nicht ausgeschlossen. Die rechtsliberale VVD könnte eine Minderheitsregierung mit den Christdemokraten und den Linksliberalen bilden. Diese könnte von den Sozialdemokraten, den Grünen und anderen kleineren Parteien geduldet werden.
Weitere Parteien: Nach den Umfragen hoffen sieben Parteien auf jeweils mehr als zwölf Mandate. Dann folgen vier Parteien, die bei einer Koalitionsbildung wichtig sein könnten: die linke christliche Partei ChristenUnie, die Partei für die Tiere, die Seniorenpartei 50plus und die orthodox-kalvinistische Partei SGP. Spannend wird es für drei neue Parteien, die nach den Umfragen je bis zu zwei Sitze gewinnen könnten. Die europafeindlichen und rechtsnationalen Initiativen, Forum für Demokratie und Für Niederlande (VNL), wollen dem Rechtspopulisten Wilders Konkurrenz machen. Auf der linken Seite hofft die Migrantenpartei Denk, eine Abspaltung der Sozialdemokraten, auf einen Überraschungserfolg. Denk ist unter jungen Migranten sehr populär.
Es wird von Hand gezählt
Die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments hat 150 Sitze. Sie werden nach dem Verhältniswahlrecht vergeben, es gibt 13 Millionen Wahlberechtigte. Zur Wahl treten 28 Parteien an. Das aktuelle Parlament 2012 waren elf Parteien ins Parlament eingezogen. Durch Abspaltungen sind es nun 17 Fraktionen - so viele gab es noch nie.
Die Niederländer wählen mit einem roten Buntstift auf Papier. Um Manipulationen auszuschließen, werden die Stimmen von Hand ausgezählt. Dadurch sollen Hackerangriffe fremder Staaten verhindert werden, wie Innenminister Roland Plasterk mitteilte. Die sonst bei Wahlen eingesetzte Software war nach Medienberichten extrem anfällig für Manipulationen von außen. Über der Abstimmung und Auszählung dürfe nicht der Schatten eines Zweifels schweben, betonte der Minister in einem Brief an das Parlament.
(kb/ gwi/nch/tgs/fwa)