Archiv


Der Wahnsinn mit der Gesundheit

Wie jedem Unternehmen dieser Welt geht es auch den Pharmaunternehmen darum, Profite zu machen. Dementsprechend orientiert sich die Pharmaforschung nicht am Bedarf, sondern an den zu erzielenden Profiten. Kein Wunder also, dass in den vergangenen 30 Jahren nur ein Prozent der entwickelten Medikamente der Behandlung von Krankheiten dienen, die vornehmlich in Entwicklungsländern vorkommen. Die britische Wissenschaftsjournalistin Jacky Law hat die Pharmaindustrie unter die Lupe genommen. "Big Pharma. Das internationale Geschäft mit der Krankheit" heißt ihr Buch. Britta Fecke stellt es vor.

    Bin ich eigentlich gesund, nur weil ich mich nicht krank fühle? Wäre es nicht doch besser, nur so zur Sicherheit, zur Acetylsalicylsäure zu greifen nur so prophylaktisch? Oder den Cholesterinwert zu senken?

    "Die Grenze ab der der Cholesterinwert, als zu hoch gilt ist im Laufe der Jahre immer niedriger angesetzt worden. Als hoch galten früher Werte von mehr als 280 Milligramm je Deziliter. Der Grenzwert wurde auf 240 herabgesetzt; heutzutage versuchen die meisten Ärzte, das Cholesterin auf unter 100 zu drücken.”

    Wer sich schon öfter gefragt hat, warum Grenzwerte und Ernährungsempfehlungen von Jahr zu Jahr und auch noch von Land zu Land so schwanken; warum heute krankhaft ist, was früher gesund war, dem liefert Jacky Law in BIG PHARMA die Antworten. Die schlichte Wahrheit gleich vorneweg:

    "Mit der Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen werden jährlich hunderte von Milliarden Umsatz gemacht, wenn man sämtliche Maßnahmen gegen Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte mit einrechnet.”

    Jacky Law schildert unter anderem anhand der Cholesterindebatte den Kampf der Pharmaindustrie um die Gunst und damit das Geld der eingebildeten Kranken. Die Arena dieser Schlacht ist die Praxis oder das Wartezimmer, die Waffen sind die Medikamente, die Wahl der Waffen steht dem Arzt weit weniger frei, als dem Patienten gut tut:

    "Die Pharmaindustrie wendet in den USA jedes Jahr über 5,5 Milliarden Dollar für Arzneimittelwerbung auf, die sich an Ärzte richtet - mehr als sämtliche medizinischen Fakultäten der USA für die Ärzteausbildung zur Verfügung stellen. "

    Doch der ganze Wahnsinn um Patentrechte, Werbekampagnen und Gesundheitsreformen hat nicht nur Methode, sondern auch Geschichte. Die der Cholesterindebatte begann in den 30ger Jahren. Damals stieg die Zahl der Herzinfarktopfer plötzlich an, es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise, und damals erlagen deutlich mehr Männer mittleren Alters einem Herzinfarkt, als zuvor.

    ""Sir Maurice Cassidy, der Leibarzt des Königs von England, hielt 1946 fest, dass die Zahl dieser Todesfälle sich innerhalb von zehn Jahren verzehnfacht habe und niemand die Ursache benennen könne.”"

    Jacky Law zeigt anhand von aufwendig, recherchierten Studien das die Ursache auch heute noch lange nicht so klar ist, wie es uns Bayer, Pfitzner und Co gerne glauben machen.

    Denn es ist noch immer nicht erwiesen, in welcher Weise die Ernährung den Cholesterinwert beeinflusst und die Einnahme von so genannten Cholesterinsenkern ist ebenfalls umstritten.

    Schon in der Nachkriegszeit hatten sich verschiedene Wissenschaftler dem Kampf gegen zu hohe Blutfettwerte verschrieben. Die Diskussion gipfelte in der teuersten wissenschaftlichen Untersuchung aller Zeiten. Laut Law nahmen an der Studie 60 000 Männer teil, Kosten: 180 Millionen Dollar

    "Man verwandte größte Mühe darauf, die Teilnehmer dazu anzuhalten, dass sie mit dem Rauchen aufhörten und weniger Fett zu sich nahmen. Aber die 1982 veröffentlichten Resultate zeigten, dass die Enthaltsamkeit nicht den geringsten Effekt zeigte. Von je 1000 Männern, denen man eingebläut hatte von Kuchen und anderen fetthaltigen Speisen die Finger zu lassen, starben 41. In der Kontrollgruppe waren es 40. "

    Niemand muss die Lektüre von BIG PHARMA als Statistik-Experte antreten, um bei diesen Zahlen zu stutzen. Denn die von Law zitierte Studie stellt klar dar, dass es keine Korrelation zwischen Cholesterin und Herzinfarkt gibt. Und gäbe es nicht Bücher wie diese, würden solche Ergebnisse in den Magazinen der Medizinfakultäten vergammeln, denn die Pharmaindustrie hat kein Interesse an der Publikation derartiger Untersuchungen. Mit ihnen lässt sich schlicht kein Geld verdienen. Mit Lipobay allerdings auch nicht mehr. Aber das ist eine andere Geschichte - irgendwo zwischen Nierenversagen und Muskelschwund.

    Law listet die aktuellen aber auch die zurückliegenden Arzneimittelskandalen wie den um Contergan gut recherchiert auf. Und jede Zahl dürfte bis zur sechsten Stelle hinterm Komma stimmen, denn wer will als Autor schon einen Prozess mit einer der umsatzstärksten Branchen der Welt wagen? Es geht um viel Geld und Ehre und die Pharmagiganten verfügen über ersteres in hohem Maße:

    "Im Jahr 2003 wurde mit nur 10 Medikamenten ein Gesamtumsatz von nicht weniger als 48,3 Milliarden Dollar erzielt. An der Spitze steht Pfizers Medikament Lipitor (deutscher und österreichischer Handelsname: Sortis) mit 10,3 Milliarden, gefolgt von einem weiteren Cholesterinsenker..."

    .....der Firma Merck.. Und diese hohen Gewinne stehen, laut Law, in einem sehr ungünstigen Verhältnis zu den Forschungsergebnissen der pharmazeutischen Labore:

    " Die Zahl der so genannten neuen molekularen Wirksubstanzen sank im Jahr 2004 auf einen neuen Tiefpunkt von nur 23 Wirkstoffen. (...) In den Nachkriegsjahren kamen hunderte von neuen und bezahlbaren Wirkstoffen auf den Markt, die wirklich neuartige Wirkstoffe zu bieten hatten. "

    Heute dagegen werden weniger neue Wirkstoffe kreiert als neue Krankheiten erfunden. Ein Beispiel? Während früher ein lebhaft durch das Leben - inklusive das Esszimmer - springendes Kind ein Zeichen für Gesundheit war, wird Lebhaftigkeit und vielleicht auch Sprunghaftigkeit inzwischen als Krankheitsbild deklariert. Zum Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADS erklärt, das natürlich nach einer medikamentösen Behandlung schreit:

    "Die Zahl der Kinder, bei denen ein ADS festgestellt wurde, versiebenfachte sich im Laufe der 90ger Jahre. Nach einer vorsichtigen Schätzung nehmen in den USA 15 Prozent aller Schüler regelmäßig Amphetamine ein. Mittlerweile gibt es auch Medikamente, die nicht auf Amphetaminen basieren, doch ein nicht unbedeutender Teil der Kinder nimmt bewusstseinsverändernde Substanzen ein.”

    Der Beispiele finden sich noch viele in dem Buch. Allein das Literaturverzeichnis liest sich wie ein Krimi, der eigentliche Text fällt dagegen allerdings ein wenig zurück, denn die Autorin versucht sich streckenweise in gesellschaftskritischer Philosophie und scheitert dabei nicht nur sprachlich.

    "Man nimmt Bündel von Symptomen, die man in unserer hektischen, Aufmerksamkeit und Aufnahmevermögen ständig überfordernden Welt durchaus als normal werten könnte, und deutet sie so, dass sie einer existenziellen Angst, die nicht zu fassen ist und aus der auch die intensivste Forschung keinen Ausweg wird bieten können, ein Gesicht geben."

    Solche Abschnitte schmälern dann doch das Lesevergnügen. Das Buch kann aber unbedingt als Nachschlagewerk empfohlen werden, das erspart dem Leser die mitunter mühsame Lektüre, bewahrt aber vielleicht bei gezieltem Blick ins Glossar vor dem zu schnellen Griff in den Arzneimittelschrank.

    Britta Fecke über Jacky Law, "Big Pharma - Das internationale Geschäft mit der Krankheit". Christoph Trunk hat den Band aus dem Englischen übersetzt. Er ist erschienen im Düsseldorfer Patmos Verlag, hat 330 Seiten und kostet 24,90 Euro.