Das Morgenlicht scheint in goldenen Säulen durch die Lücken im Blätterdach und verleiht dem Wald eine beinah sakrale Atmosphäre. Der Boden raschelt beim Gehen, Sträucher und junge Schösslinge säumen ihn. Hin und wieder kann man einen Blick auf über den Baumwipfeln dahinsegelnde Vögel erhaschen. Kaum zu glauben, dass es sich bei diesem beinah fotorealistischen Idyll um ein Computerspiel handelt.
Und dazu noch um ein ausgesprochen actionreiches: Das gefeierte Wildwest-Spiel "Red Dead Redemption 2" setzt aber vor allem bei der Darstellung von Natur Maßstäbe.
Dr. Marc Bonner von der Universität Köln forscht zur Darstellung von Architektur, Stadt und Landschaft in Computerspielen.
"Das ist eben sehr detailliert, was die Darstellung von Pflanzenvielfalt und von Wäldern angeht. Da haben sie zum Beispiel boreale Wälder, die dann auf den steilen Berghängen stehen mit Tannenbäumen, die verschneit sind, sie haben Laubwälder, sie haben Mischwälder, die dann zum Teil auch nochmal dezidiert einzelne Baumarten darstellen. Und dementsprechend auch bestimmte Stimmungen evozieren."
Der Wald als Kontrollverlust
Eine gern erzeugte Stimmung ist die des unheimlichen, verwunschenen Waldes – hierfür bedienen sich Survival-Horror-Games wie "Darkwood" oder "The Forest" grundlegender psychologischer Mechanismen:
"Also der Wald ist generell dazu da, dass, wenn man durch ihn durchgeht, er eher Angst auslöst und so was wie einen Kontrollverlust. Dadurch, dass der Mensch eben nicht mehr die Weitsicht hat und den Blick in die nähere Umgebung hinein, also nicht diesen Ausblick mehr genießen kann. Und alleine diese Unsicherheit wird dann gerade in Computerspielen sehr oft genutzt, um so eine Art Kontrollverlust zu inszenieren und damit eben auch etwas Düsteres darzustellen."
Open-World-Titel wie "Red Dead Redemption 2" oder der Walking-Simulator "Firewatch", in dem die Spieler in die Rolle eines Brandwächters in einem US-Nationalpark schlüpfen, inszenieren den Wald aber weniger eindeutig: "Und diese beiden Extrempunkte der Computerspielindustrie, also die Walking-Simulators und diese ländlichen Open World Games machen dann wirklich Natur zu einem Selbstzweck oder diese Landschaftserfahrung zu einem Selbstzweck."
Die Verschmelzung virtueller und analoger Landschaftserfahrung
Denn zwischen all den Haupt- und Nebenmissionen in Open-World-Spielen gilt es, lange Strecken in der Natur zurückzulegen.
"Und so geht quasi so eine regenerative Landschaftserfahrung, die man eigentlich draußen in solchen Naturschutzgebieten oder in Nationalparks erfahren könnte, wenn man denn wollte, in die virtuelle Welt mit rein und das wird dann wirklich zu einem Fokuspunkt dieses Spieldesigns."
Ähnlich wie unsere heutigen Wälder seien aber auch die virtuellen Wälder in Computerspielen eher selten all zu dunkel oder unwegsam.
"Und das ist ja auch so eine Idee von der Natur."
Denn die Natur sei in der menschlichen Vorstellung...
"...nie das, was ohne Menschenhand oder ohne Menschenzutun da war, sondern es ist immer diese Idee von dem, was der Mensch von der Umwelt hat. Es ist immer was Künstliches."
Eine höhere Sensitivität für den Klimawandel
Trotz oder gerade wegen dieses vermenschlichten Naturbildes setzen immer mehr Computerspiele auch auf das Thema Umweltschutz – wenn die Spieler etwa im optisch und akustisch berauschenden Jump'n'Run-Spiel "Ori and the Blind Forest" den Wald vor der Zerstörung retten müssen – oder wenn der Protagonist Arthur Morgan in "Red Dead Redemption 2" nach einem Ritt durch die Wälder in der Stadt Saint Denis ankommt – verschmutzte Luft, qualmende Fabrikschlote und Backstein soweit das Auge reicht.
Dr. Marc Bonner: "Und der Spieler oder die Spielerin kann dann eben positive oder negative Erkenntnisse draus ziehen. Also ich würde schon sagen, dass generell in diesen Spielen, also in den neueren Spielen zumindest, versucht wird, eine höhere Sensitivität für Naturschutz oder für Klimawandel reinzubringen."
Ob das dann aber auch in die reale Welt mitgenommen werde – das sei eine individuelle Entscheidung der Gamerinnen und Gamer. Ebenso wie die, ob sie sich nur virtuell oder ganz körperlich in einen realen Wald begeben möchten.
Der hat den wunderschönen Pixelwelten nämlich eines voraus: Er ist nicht nur audiovisuell, sondern mit allen Sinnen erfahrbar.